X)as
XPefen bes Christentums
SecfoefyT Dorlefungen
por Stubierenben aller 5acultäten im IDinterfemejfer
\ 899/\900 an ber llniperfität Berlin
gehalten
pon
Ceipjig
3, £, ^tttridjs’fdje BucfjfyattMuns
üonpori
X/ie folgenden Dorlefungen ftn6 im »ergangenen 3 Dinter=
femefter »or einem Ureife »on etma fedjs^unbert Stu6ieren6en
aller ^acultäten gehalten mor6en. Die freien Dortrage Ejat bjerr
stud. theol. IDalttjer Der!er ftenographifdi aufgejeidmet un6 mid)
mit 6er IXmfdjrift überrafdjt: idj fage ihm öafür and? an 6icfer
Stelle meinen Danf. Sein ^leif l?at es mir ermöglicht, 6ie Dor=
lefungen in ihrer urfprünglichen ©eftalt ju »eröffentlid^en. ©nige
Ausnahmen abgerechnet, habe ich nur forrigiert, wo 6er Stil 6er
ge6rucften Ke6e es »erlangte. Daf 6as gefprodjene JDort einem
Be6ürfnis entgegengefommen ift, haben mir 6ie £)örer freun 61 ichft
bejeugt; fo 6arf ich E?°ffen, 6af auch bas gefchriebene feinen tDeg
fin6en r»ir6. Das fühne Unternehmen aber, in menigen Stun6en
6as ©»angelium un6 feinen ©ang 6urch 6ie ©efchichte 5U behan6eln,
fonnte ich a>i e »or mir felbft fo »or 6en £efern nur rechtfertigen,
toenn 6er Darftellung 6er ©harafter afa6emifd;er Dorlefungen
gemährt blieb.
Die Aufgabe ift als eine rein htftortfdje geftellt un6 behanbelt
mor6en. Das fchlieft 6ie Derpflichtung ein, 6as JDefentlidje un6
Sleibenbe in 6en ©fcheinungen auch unter fprc6en formen 51t
erfennen, es h^rausjulieben un6 »erftän6Iich 5U machen. 3rrtümer
fin6 6abei un»ermei6lid?; aber als „Archäologie" ift alle ©e*
fchidjte ftumm. —
Das enangelifche Cfyriftentum befielt in einer ^üüe fird)Itd?er
©emeinfdiaften unb Sichtungen. 2Xber fobalb fie ft di ernftbaft
auf bas befinnen, toas ihnen gefdjertft ift unb rooüon fie leben,
miiffen fie empfinbeti, baf fie im Ctefften einig finb. DTöge es
biefer Darftellung bcfdneben fein, bas Bemuftfein um biefe (Einig»
feit im ©eift 5U beftärfen. Der (Erfenntnis unb bem ^rieben mill
fie bienen unb nid?t bem Streit.
3m BTai \ 900.
2Ibolf f^antacf.
OrrJiB BarlBjung.
Der große phüofoph bes pofitioismus, 3 of)n Stuart mill,
ijat einmal gefagt, bie HTenfchheit fönne nicht oft genug baran
erinnert werben, baß es einft einen Ulann Hamens Sofrates ge=
geben hat. <£r bat recht; aber wichtiger ift es, bie HTenfchheit
immer wieber baran 3U erinnern, baß einft ein Ulann Hamens
3 efus Chriftus in ihrer mitte geftanben hat Don 3 ugenb auf ift
uns freilich biefe Dliatfache nahe gebracht worben; aber man fann
Iciber nicht fagen, baß ber öffentliche Unterricht in unferem 3ett=
alter geeigtiet ift, uns bas 23 tlb 3 efu (Ehtifti aud; nach ber Schuh
3eit uttb für bas gatt3e Ceben einbrucfsuoH unb als einen unuer*
äußerlichen 23 efiß 3U erhalten. Unb wenn aud; fein HTenfch, ber
einmal einen Strahl t>on Seinem Cichte in fich aufgenommen hat,
je wieber fo werben fann, als habe er nie etwas uon 3httt gehört,
wenn auch auf bem (Sruube jeber einmal berührten Seele ein <£in*
bruid 3urüdbleibt — biefe uerworrene (Erinnerung, oft nur eine
„superstitio“, genügt nicht, um Kraft unb Ceben aus ihr 3U fdjöpfen.
U)ächft aber bas Derlangen, mehr unb Sichereres uon ihm 3U
wiffen, unb begehrt (Einer 3ur>erläfftge Kunbe barüber, wer 3 cfus
Chriftus gewefen fei unb wie feine Hotfchaft wirflich gelautet
habe, fo jieht er fich alsbalb, wenn er bie ^ageslitteratur befragt,
uon wiberfpruchsuollen Stimmen umfehwirrt. (Er hört foldje, bie
ba behaupten, bas urfprünglid|e (Thriftcntum habe bem Hubbhismus
fehr nahe geftanben, unb es wirb ihm bemgemäß gefagt, baß ftdj
in ber JDeltflucht unb bem peffimismus bas (Erhabene biefer Heligion
unb ihre Ciefe offenbare. Unbere oerfiehern ihm bagegen, baß bas
(Ehriftentum eine optimiftifche Heligion fei unb lebiglich als eine
^arnaef, tüefert b. (Etjrtftentums. 1
höhere Entwidlungsftufc bes 3 ubentums auf gefaxt werben trtüffc;
aud; fie meinen, bamit etwas fetjr Ciefcs ausgefprochen 3 U haben.
U)icber anbere behaupten umgefehrt, bas 3 übifd)e fei von bent
(Evangelium abgetljan worben, biefes felbft aber fei unter geheim»
nisvoll wirfenben griednfhen (EinfTüffen entffanben unb fei als eine
23Iüte am Baum bes EjeHenismus ju begreifen. Beligionsphilo»
fophen treten auf unb erflären, bie UTetaphyfit, bic fich aus bem
(Evangelium entwidelt habe, fei fein eigentlicher Kern unb bie
(Enthüllung feines ©eheimniffes; aber anbere antworten ihnen, bas
(Evangelium habe gar nichts mit ber philofopt)ie ju fchaffen, fon-
'bern fei ber empfinbenben unb leibenben ZHenfd)heit gebracht; bie
philofophic fei ihm nur aufgebrängt worben. «Enblidh treten bic
Ullerneucften auf ben plan unb verfid)crn uns, Ueligions», Sitten»,
Philofophiegefchidjte feien überhaupt nur Efülle unb Uufpug; hinter
ihnen liege 3 U allen feiten bic Ä>irtfchaftsgefchid)te als bas allein
Briefliche unb Creibenbe; fo fei auch bas (Ehriftentum urfprünglid)
nichts anberes als eine fo 3 iale Bewegung unb (Op-iftus ein fojialcr
(Erlöfer, ber (Erlöfer ber fdimadjtenben unteren Klaffen, gewefen.
(£5 hat etwas Biihrenbes, 3 U fehen, wie jeher mit feinem
eigenen Stanbpunft unb 3ntereffenfreife fid) in biefem 3efus Chriftus
wieberfinben ober bod) einen Anteil an ihm gewinnen will — cs
wieberljolt fid} hier ftets aufs neue bas Sdjaufpiel, welches fchon
bas sweite 3 ahrbunbcrt im „©nofticismus" bot, unb welches fid)
als ein Kampf aller benfbaren Biegungen um ben Befig 3efu
Chrifti barftellt. Sinb uns bod} jüngft nicht etwa nur tEolftoi’s,
fonbern fogar Biegfhe’s 3 been in ihrer befonberen Dcrwanbt»
fchaft mit bem «Evangelium vorgeführt worben, unb vielleicht lägt
fid? felbft barüber Beachtenswerteres fagen als über ben gufammen»
hang fo mancher „theologifchen" unb „pbilofophifchen" Spcfulation
mit ber prebigt Ch^ifti.
Uber alles in allem genommen, ift bod) ber (Einbrud, ben
mait aus biefen wibcrfprechenben Urteilen gewinnt, ein nieber*
fchlagcnber: bie Verwirrung fd)eint hoffnungslos. BTem fann man
es ba verbenfen, wenn er, nach einigen Verfliegen, fid) 3 U orien»
tieren, bie Sähe aufgiebt? Unb vielleicht fügt er noch hit^u, bag
im ©runbe bie .frage bod; eine gleichgültige fei. U?as geht uns
eine ©efhihte, was geht uns eine perfon an, bie vor vernahm
hunbert 3ahren gelebt hat? Unfere 3beale unb Kräfte müffen
präfent fein; es ift baroef, es ift ausfthtslos, fic aus alten UTanu» •
3
ffripten nuiljfam 5 u eutmideln! Wer fo fpricfjt, Ijat nidjt unrecht
aber bodj nidjt redjt. Was wir finb unb Ijaben — im Iberen
5 mn Ijabcn mir aus bcr (Scfdjidjte unb an ber (Sefdjidjte,
freilid? nur an bcnt, mas eine 5oIgc in itjr gehabt Ijat unb bis
licute nadjmirlt. Daron aber eine reine «rfenntnis 3 u geminnen,
tft mdjt nur Sadjc unb Aufgabe bes fjiftorifers, fonbern eines
jeben, ber ben Heidjtunt unb bie Kräfte bes (Semonnenen f^Ib--
ffänbig in fidj aufneljmen mill. Dag aber bas «uangelium EjierEjer
gehört, unb burdj nidjts anberes erfegt merben fann, Ijaben bie
ttefften «elfter immer mieber ausgefprodjen. „Klag bie geiftige
Kultur nur immer fortfdjreiten, ber menfdjlidje (Seift fidj ermeitern,
w ! c cr roi[I ; «bcr bie fjoljeit unb fittlidje Kultur bes Cljriftentums;
mte es in ben'«Soangelien [dämmert unb leuchtet, mirb er nidjt
Hnausfommcn." 3 n biefen Worten Ijat (SoetBje nadj rieten Per=
fudjen unb in unermüblidjer Krbcit an fid? fclbft bas (Ergebnis
1 einer jittlidjen unb gefdjidjtlicfjen ©nfidjt jufammengefagt. Spräche
aud? ber ^eigene Wunfdj in uns nidjt, fo mirb es fidj bodj fdjori
um bes deugniffcs biefes HTannes mitten lohnen, bem ein ernftes
Hadjbenfcn 311 mibmen, mas itjm als fo mcrtuoll aufgegangen ift;
unb menn im (Bcgenfag 3U feinem Belenntnis Ijeute Stimmen lauter
unb 3ur>erficf;tlidjer ertönen, meldjc rerfünbigen, bie djriftlidje Heli*
gion habe fidj überlebt, fo foll uns bas eine Kufforberung fein,
fie, bereu Cotenfdjein man bereits ausftetlcn 3U fönnen glaubt"
näher fermen ju lernen.
3 n Wabrljcit aber ift Ijeute biefe Heligion unb bas Bemühen
um fie lebenbiger als früher. Wir bürfen es unferer <geit 3U
£obc nadjfagen, bag fie fidj ernftlidj mit ber 5rage nadj bem
Wcfen unb Wert bes Cljriftentums befdjäftigt, unb bag Ijeute meljr
Sudjens unb Fragens ift als cor breigig 'iabren. 21udj in bem
«Taften unb €rperimentiercn, in ben feltfamcn unb abftrufen 2tnt-
morten, in ben Karifaturen unb bem cfjaotifdjen Durdjeinanber,
ja felbft in bem fjaffe ift bodj mirftidjes £eben unb ein ernfttjaftes
Hingen 3U fpüren. Hur follen mir nidjt glauben, bag biefes Hingen
eremplarifdj ift unb mir bie <2rften finb, bie fidj nadj Kbfdjüttelung.
bcr autoritatiucn Heligion um eine maljrljaft befreienbe unb eigen*
müdjfige bemüljen, mobei benn riet Permorrenes unb £jalbma£jres
auftaüdjen mug. Por <52 3 aljren fdjrieb Carlyle: „ 3 n biefen 3er»
faljrenen feiten, mo bas religiöfe p'rirtjip nadj feiner Pertreibung
aus ben meiften Kirdjen entmeber ungefetjen in ben fjersen guter
1 *
4
Hlenfchen einer neuen ©ffenbarung fid) entgegenfefjnt unb entgegen«
arbeitet ober aber heimatlos, mie eine Seele oi;nc Körper, iEjrc
irbifche ©rganifation fucfjt — in einer folchen geit fleibct es ftch
uerfuchs« unb übergangsmeife Vn manche feEjr feltfame formen bes
Aberglaubens unb bes Fanatismus. Der bötiere (gnttiufiasmus ber
menfchlichen Hatur ift für eine ,§eit lang ohne einen (Exponenten,
unb bod; bleibt er unserftörbar, unermüblid) tEjätig unb arbeitet
blinb in ber großen djaotifdjen (Liefe. So entfteEft eine SeJte nad]
ber anbent unb eine Kirdje nach ber anbern unb jergetjt mieber
in eine neue HTetantorphofe."
K)er unfre geit fennt, ber mirb urteilen, baß biefe iüorte
lauten, als mären fie beute niebergefdjrieben. Aber in biefen Dor«
lefungen motten mir uns nicht um bas „religiöfe prinjip" bemühen
unb feine <£r>olutionen, fonbcrn bie befcheibenere, aber nicht minber
bringlidjc Frage motten mir 311 beantmorten fuchen: mas ift cEhriften«
tum? mas ift es gemefen, mas ift es gemorben? IDir hoffen, baß
aus ber Beantmortung biefer Frage ungcfudjt and] ein ließt auf
jene umfaffenbere fallen mirb: mas ift Heligion, unb mas fott fie
uns fein? hjaben mir cs bod; in ißr fcfjließlich nur mit ber
’diriftlicben 3U tßun; bie anbcren bemcgen uns im Ciefften nid]t
mehr.
lüas ift (Ehriftentum? — lebiglich im hißarifrhen Sinn motten
mir biefe Frage hier 3U beantmorten uerfud)en, b. h- mit ben
Alitteln ber gefchid)tlid;en JDiffenfdjaft unb mit ber lebenserfahrung,
bie aus erlebter (Sefcßichte ermorben ift. Damit ift bie apologctifche
unb bie religionsphilofophifdje Betrachtung ausgefchloffen. (Sc=
ftattcn Sie mir hierüber einige IDorte.
Die Apologetif hat in ber Heligionsmiffenfchaft ihren not«
menbigen plaß, unb es ift eine mürbige unb große Aufgabe, ben
Hachmeisjbes Hedifcs ber diriftlidjen Heligion 3U führen unb^ilire
Bebeutung für bas fittliche unb intetteftuette leben ans licht 31t
ftetten. Aber -biefe Aufgabe barf man nicht mit ber rein gefdjicht«
liehen Frage nach bem JDefen biefer Heligion uermengen, fonft
bringt man bie gefchtd)tlid?e Forfdnmg um jeglichen Krebit. Da3u
fommt, baß mir für bie Apologetif, mie mir fie heute brauchen,
noch Jein mahrhaft großes HTufter beftßen. (Einige Anfäße 3um
Befferen abgerechnet, beftnbet jtdj biefe Dis3iplin in einem traurigen
jjuftanbe: fie ift ftdj nicht flar barüber, j mas fie uerteibigen fott,
unö #e ift unfichcr in ihren KTitteln. Dasu wirb fie nicht (eiten
miirbclos unb aufbtinglid? betrieben. 3n ber Meinung, es recht
gut 3u machen, preift jle bie Heligion an, als märe fie eine Kamfch*
marc ober eilt Knmerfalheilmittel für aüe ©ebrechen ber ©efeE*
(djaft. 2t ud] greift fie immer mieber nach allerlei Canb, um bie
Religion aufjupufeen, unb mährenb fie fid? bemüht, fie als etmas
fferrliches unb 2Totmenbiges barjuftellen, bringt fte fie um ihren
€rnft unb bemeift im heften 5aüe nur, baß fie etmas gans 2^i=
nehmbares, meil Unfchäblidjes fei. Enbtid; fann fie es nicht laffen,
irgenb ein firdjliches Programm non geftern unter ber ffanb Ijin»
3U3uneIfmen unb mit 3U „bemeifen"; benn in bem loderen ©efüge
itjrer ©ebanfen fommt es auf ein Stüd mehr ober tneniger boch
nid)t an. KMcher Schabe babureb angerichtet tnorben ift unb noch
immer um fid; frigt, ift unfäglid;! Zle in, bie chriftliche Heligion
ift etwas £fo! \es, Einfaches unb auf einen punft Bezogenes:
€miges leben mitten in ber <§eit, in ber Kraft unb nor ben 2 lugen
(Sottes. Sie ift fein ethifches ober fo3iates 2 trcanum, um alles
mögliche 311 fonfernieren ober 3U beffern. Schott ber nermunbet fie,
ber in erfter linic fragt, toas fie für bie Kultur unb ben 5ort=
fdjritt ber KTenfd^eit geleiftet liat, unb banad)' ihren lüert bc=
ftimmen miE. ©oethe bat einmal gefagt: „Die HTenfchheit fdjreitet
immer fort, unb ber Kienfd) bleibt immer berfelbe." 2Tun, auf
ben 21X e n f d] e n bc3ictjt fid? bie Beligion, auf ben KTenfdjen, mie
er mitten in allem lüanbet unb ^ortfdjritt ber Dinge fid; gleich
bleibt. Darum foll bie chriftliche 2 tpoIogetif miffen, baß fie es mit
ber Religion 31t tljun Ejat in ihrer einfachen 2 Irt unb Kraft. ©e=
miß, bie Beligiott lebt nicht nur für fid;, fonbern in einer innigen
(ßemeinfehaft mit aEen Ehätigfeiteü bcs ©elftes unb ebenfo mit
ben fittlichen unb mirtfchaftlichen guftänben. 2lber fie ift boch
nicht nur eine 5 unftion ober ein (Exponent berfelben, fonbern ein
mächtiges IDefen, bas EjemmenÖ ober förbernb, »ermüftenb ober
befruchtenb eingreift. Sie gilt es sunädjft fennen 3U lernen unb
ihre «Eigenart 3U beftimmen — einerlei, mic (ich bas betradjtenbe
3 nbir>ibuum 3U ihr fteEen mag, unb ob es fie in bem eigenen
leben für mertooE hält ober nicht.
2 tbcr auch hie religionsphilofophifche Betrachtung im ftrengen
Sinne bes XDortes fdjließcn mir non biefen Dorlefungen aus.
lüiirben mir fie t>or fedjäig 3ahren gehalten fyaben, fo mürben mir
uns bemüht haben, burch Spefulation einen 2 IEgemeinbegriff oon
6
Religion 3U finben, unb nad? il?m bie d?riftlid?e 3U beftimmen per*
jucken» Allein mir finb mit Red?t ffeptifd? gemorben in Be3ug
auf biefes Perfal?ren* Latet dolus in generalibus! . XPir miffen
Bleute, baß Ceben fid? nid?t burd? Allgemein begriffe umfpannen läßt,
unb baß es feinen Religionsbegriff giebt, 3U meld?em ftd? bie mirf*
licken Religionen einfad? mie bie Spe3ies p.erljalten* 3<* man fann
fogar fragen: giebt es überhaupt einen gemeinfamert Begriff
„Religion"? 3 ft bas <5emeinfante pielleid?t nur eine unbeftimmte
Einlage? Be3eid?net etma bas XPort nur einen leeren freef in
unferem 3rmern, ben feber anbers ausfüllt unb mancher gar nid?t
bemerft? 3d? bin nid?t biefer RTeinung, bin pielmel?r übe^eugt,
baß es l?ier im Ciefften etmas (Semeinfames giebt, mas fid? aus
ber <§erfpaltung unb ber Dumpfheit im Caufe ber (Sefd?id?te 3m*
c£inB?eit unb Klarheit emporgerungen l?at* 3 d? bin ber Über3eu=
gung, baß 2luguftin red?t l?at, menn er fagt: „Du, £?err, l?aft uns
auf Did? l?in gefd?affen, unb unfer £?er3 ift unruhig, bis es Rut?c
finbet in Dir*" 2 lber biefes nad?3umeifen unb auf bem XPege
pfYd?o,logifd?er unb PÖlferpfvd?ologifd?er Xtnterfud?ung bas XPefen
unb bas Red?t ber Religion bar3uftellen, foll nid?t unfre Aufgabe
fein* £s bleibt bei bem rein gefd?id?tlid?en Cl?ema: XPas ift d?rift*
lid?c Religion?
XPo l?aben mir ben 5 toff 3U fud?^n? Die Rntmort erfd?eint
einfad? unb 3ugleid? erfd?öpfenb: 3efus (£l?riftus unb fein
<£pangelium* 2lHein fo gemiß bies nid?t nur ben 2lusgangs=
punft, fonbern aud? ben l?auptfäd?lid?en für unfere Unter=
fud?ung bietet, fo menig bürfen mir uns bamit begnügen, lebiglid?
bas Bilb 3 ^fu <£B?rifti unb bie <ßrunb3Üge feines (£pangeliums bar=
3uftellen* XPir bürfen es besl?alb nid?t, meil jebe große, mirffame
perfönlid?feit einen Ceil il?res XPefens erft in benen offenbart, auf
bie fie mirft* 3<* man ^ ar f fexgon, je gemaltiger eine perfönlid?=
feit ift unb je mel?r fie in bas innere Ceben anberer eingreift, um
fo meniger läßt fid? bie Cotalität il?res XPefens nur an il?ren eigenen
XPorten unb ®?aten erfennen* XTCan muß ben Reffer unb bie XPir=
fungen ins Uuge faffen, bie fie in benen gefunben l?at, beren frl?rer
unb b?err fie gemorben ift* Deshalb ift es unmöglid?, eine polb
ftänbige Untmort auf bie frage: mas ift d?riftlid?? 3U geminnen,
menn man fid? lebiglid? auf bie prebigt 3efu <£l?rifti befd?ränft*
IPir müffen bie erfte (ßeneration feiner 3 ünger — bie, bie mit
i
ihm gegeffen unb getrunfen fyaben — hiu3unehmcn unb von ihnen
hören, was fie an ihm erlebt haken,
Kber auch bamit ift unfer 5 toff noch nicht erfchöpfi: wenn es
fich in bem Cfyriftentum um eine (Sröße hanbelt, beren (Seltung
nicht an eine beftimmte (Epoche gefnüpft mar, wenn in ihm unb
burch baffelbe nicht e i n mal, fonbern fort unb fjort Kräfte ent*
bunben morben finb, fo müffen auch aße Späteren X}ervorbring*
ungen feines (Seiftes mit fyin3ugenommen merben, leicht um eine
„Cehre" hanbelt es ftdj ja, bie in einförmiger XDieberhoIung über*
liefert ober mißfürlich entftellt morben ift, fonbern um ein Ceben,
bas, immer aufs neue ent3Ünbet, nun mit eigener 5Iamme brennt
KPir bürfen auch hi^ufügen, baß dfyriftus felbft unb bie KpofteB
bavon über3eugt maren, baß bie Heligion, bie B^ier gepftan3t mar,
in gufunft noch (Srößercs erleben unb Cieferes flauen merbe als
in ber <§eit ihrer Stiftung: fic vertrauten bem (Seifte, baß er von
einer Klarheit 3ur anberen führen unb B^öB^ere Kräfte entmideln
merbe, Xüie mir eine pftan3e nur bann vollftänbig fennen lernen,
wenn mir nicht nur ihre Wmc^el unb ihren Stamm, fonbern auch
ihre Hinbe, . ihre Kfte unb Blüten betrachten, fo fönnen mir auch
bie chriftliche Heligion nur auf (Srunb einer voIBftänbigen 3 nbuftion,
bie fich über ihre gefamte (Sefchichte erftreden muß, recht mürbigen,
(Semiß, fie hat eine flaffifche <Epo die erlebt, unb noch mehr, fic
hatte einen Stifter, ber bas mar, mas er lehrte — in ihn fich 3U
vertiefen, bleibt bie Bjauptfache —; aber auf ihn fich 3 U befdjränfen,
hieße ben Kugenpunft für feine Bebeutung 3U niebrig nehmen,
Selbftänbiges religiöfes Ceben moßte er ent3Ünben, unb hat cs
ent3Ünbet; ja bas ift, mie mir fehen merben, feine eigentliche (Sröße,
baß er bie KTenfchen 3U (Sott geführt hat, auf baß fie nun ihr
eigenes Ceben mit ihm Beben — mie fönnen mir ba von ber (Sc*
fchidjte bes (Evangeliums fchmeigen, menn mir fein XDefen fennen
lernen moBIen?
Klan fann einmenben, baß bie fo gefteßte Kufgabe 3U fchmierig
merbe, unb baß ihre Cöfung von vielen Fehlern unb 3 **tümern
bebroht fei. Das foBB nicht geleugnet merben; aber um ber Schmierig*
feiten mißen bie Kufgabe felbft einfacher, b. h* in biefem 5aße unrichtig,
fteßen, märe eine fehr verfehrte Kusfuftft, 5erner aber, mögen auch
bie Schmierigfeiten machfen, bie größer gefteßte Kufgabc erBeichtert
anbererfeits bie Krbeit; benn fie hilft uns, bas IDcf entliehe in
ber (Erfcheinung 3U faffen unb Kern unb Schate 3U unterfcheiben.
8
^ 3efus Cfiriftus unb feine erften 3üngcr haben ebenfo in ihrer
Seit geftauben, mie mir in ber unfrigen ftehen, b. b* fte haben
gefüfjlt, erfannt, geurteilt unb gefämpft in bem fjorijont unb
Nahmen ihres Dolfes unb (eines bamaligen <§uftanbes. Sie mären
nicht ZHenfchen non 5 lei(<h unb Blut, fonbern gefpcnftifdje JPefen
gemefen, menn es anbers märe, freilich, (iebjchn 3ahrhunbertc
hiuburch hat man gemeint, unb niete unter uns meinen es noch,
ber „Zttenfchhcit" 3 ?fu Ch r 'fti, melche auch fte lehren, (ei bereits
genügt, menn man annehme, er habe einen menfcjh liehen £cib unb
eine menfdjliche Seele gehabt. ZIls ob es (o etmas obne inbi«
nibuelle Beftimmtfieit gebe! <£in ZTTenfdi fein h«fjt/erfHich, eine
fo unb (o bestimmte unb bamit begrenäte unb befch/änfte geiftige
Anlage befi^en, unb^meitens, mit biefer Einlage in einem micberum
begrensten unb befcfjränften gefdpchtlichen gufammenhang (tchen.
darüber hinaus giebt es feine „ZTTenfchen". fjieraus folgt aber
unmittelbar, baff nichts, fchtechterbings nichts, non einem ZTtenfchen
gebacht, gefprochen unb gethan merben fann ohne bie. Koef ftsienten
(einer eigentümlichen Einlage unb §eit. ZtTag auch ein cin3etnes
ZDort mahrhaft flafftfd) unb für alle feiten gültig erfdjeinen —
fchon in ber Sprache liegt eine (ehr fühlbare Befchränfung. Hoch
nicl meniger aber nermag (ich bie Cotalität einer geiftigen perfön«
liebfeit (o 3ur T>arftcltung 31t bringen, baff man bie Schranfen, unb
mit ihnen bas 5 rembartige ober bas Konnentionelle, nicht empfinbet,
unb biefe <£mpfinbung mu§ (ich notmenbig (teigern, je mcitcr ber
Betradjtcnbc seitlich entfernt fleht.
5ür ben ffiftorifer, ber bas Züertnotle unb Bleibenbc feftjuftellcn
hat unb bas ift (eine hach fte Zlufgabe — ergiebt (ich aus biefen
Derhältniffen bie notmenbige 5orbcrung, (ich nicht an lüorte 3U
flammern, fonbern bas Züefentliche 3U ermitteln. X>er „gan3e"
Chriftus, bas „ganje" <£pangelium, menn man unter biefer Deoifc
bas äußere Bilb in allen (einen «gügen Perfteht unb 3ur Ztach«
achtung aufftellt, finb ebenfo (djlimme unb täufchenbe Schlagmorte
mic ber „ganse" Cutter u. a. Schlimm (mb (ie, meil fie fnechten,
unb täufchenb finb fte, meil (elbft bie, bie fie ausgeben, nicht baran
benfen, mit ihnen <£rnft 3U machen, unb perfuchten (ie es, fie per«
möchten es nicht. Sie permögen nicht, meil fie nicht aufhören
fönnen als Kinbcr ihrer <§eit 3U empfinben, 3U erfennen unb '3U
urteilen»
<£s ftnb hier nur 3mei ZTtöglichfciten: entmeber bas €uan«
9
geltunt ift in allen Stucfen ibcntifch mit feiner crften 5 ornt: bann
ift es mit ber <§cit gekommen unb mit ihr gegangen; ober aber
cs enthält immer (Eültiges in gefchichtlich mechfclnben formen, Das
Ie^tcre ift bas Hiesige* Die Kirchengefchichtc 3eigt bereits in ihren
Anfängen, baß bas „Urchriftentum" untergeben mußte, bamit bas
„Cbriftcntum" bliebe; fo ift auch fpäter nod? eine HTetamorphofe
auf bie anbere gefolgt* Don Anfang an galt es Formeln ab3u«
ftreifen, Hoffnungen ju korrigieren unb (Empftnbungsmeifen 3U
änbern, unb biefer pro3eß kommt niemals 3ur Hube, (Eben babureb
aber, baß mir, mic ben Einfang, fo ben gan3en Derlauf über«
febauen, verftärken mir unfereh HTaßftab für bas XDefentlicbe unb
mabrbaft IDertvollc.
XDir verftärken ibn — aber mir brauchen ibn nicht erft ber
(Scfchichte ber 5olge3cit 3U entnehmen. Die Sache felbft giebt ihn
an bie Hanb. XDir merben feben, baß bas (Evangelium im (Er>an«
gelium etwas fo (Einfaches unb kraftvoll 3U uns Sprechcnbes ift,
ba§ man es nicht leicht verfemen kann. (Es finb nicht meitfchich?
tige, mefhobifche Knmeifungen unb breite (Einleitungen nötia, um
ben IDeg 3U ihm 3U finben. XDer einen frifchen Blick für bas
Cebenbige unb mahre <Empfinbung für bas mirklich < 5 roßc beftfet,
ber muß es feben unb von ben 3eitgefchi<htlichen Hüllen unter«
feheiben können. Hnb mag es auch an manchen ein3elnen punkten
nicht gan3 leidet fein, Bleibenbes unb Dcrgängliches, prin3ipielles
unb bloß Hiftorifches 311 urtterfcheiben — es foll uns nicht fo gehen
mic jenem Kinbe, melches, nach bent Kerne fuchenb, einen ZDur^el«
ftock fo lange entblätterte, bis es nichts mehr in ber Hanb hatte
unb einfehen mußte, baß eben bie Blätter ber Kern felbft maren.
Kuch Öie (Sefchichtc ber chriftlichen Heligion kennt folche Be«
mühungen; aber fie verfchminben gegenüber ben anberen, burch
melche uns eingerebet merben foütc, hier gebe es meber Kern noch
Schale, meber IDachstum noch Kbfterben, fonbern alles fei gleich
mcrtvoll unb alles bleibenb.
XDir merben bemnad? in biefen Dorlefungen erjilich non bem
(Evangelium 3 cfu Chrifti hanbeln, unb biefe Aufgabe mirb uns am
längften befchäftigen. IDir merben fobann 3eigen, melchen (Einbruck
er felbft unb fein (Evangelium auf bie> erfte (Generation feiner
3üngcr gemacht hat. IDir merben cnblich bie Hauptmanblungen
bes Chrifttichcn in ber (Gefchid]te verfolgen unb bie großen Cypen
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3u erBemten fuchen. Das (Semeinfame in allen biefen (Erfchei*
nungen, BontroEiert an bem (Evangelium, unb wieberunt bie ©runb*
3Üge bes (Evangeliums, BontroEiert an ber ©efd]id]te, werben uns,
fo bürfen wir hoffen, bem Kerne ber Sache nahe bringen, 3 u
bem Halmen einer Dorlefung von wenig Sluttben Bann freilich
überaE nur bas ZDid]tigfte B]ervorgeB]oben werben; aber vieEeid]t
ift es nicht ohne ©ewinn, einmal nur bie ftarBen <§üge unb bie
£]öB]epunBte bes Heliefs ins Kuge 3U faffen unb, unter gurücBfteEung
aEes Sefunbären, ben gewaltigen Stoff in einer Kon3entration 3U
betrachten, Selbft bavon werben wir abfehen unb abfehen biirfen,
einleitenb uns über bas 3ubentum unb feine äußere unb innere
Cage 311 verbreiten unb über bie gried]ifd]*römifd]e XDelt uns aus*
3ufprecB)en. Selbftverftänblid] werben wir nie unfern BlicB ihnen
gegenüber verfd]liefen bürfen — fte müffen uns vielmehr immer
im Sinne fein.—, aber weitsichtige Darlegungen finb hier nicht
nötig. Die prebigt 3 efu u>ir& uns auf wenigen, aber großen
Stufen fofort in eine Z}öB]e führen, auf welcher ihr <§ufammen*
hang mit bem 3 ubentum nur noch als ein locBerer erfcheint, unb
auf ber überhaupt bie meiften 5 äben, bie in bie „< 5 eitgefd]id]te" 3urücB*
führen, unbebeutenb werben. Diefe Behauptung mag 3 huen para*
bo£ erfcheinen; benn gerabe- heute wieber wirb uns mit ber ZHiene,
als hunble es fid] um eine neue (EntbecBung, einbringlid] verfid]ert,
man Bönne bie prebigt 3 efu nicht verftehen, ja überhaupt nicht
richtig wiebergeben, wenn man fie nicht im <§ufammenB]ang ber
bamaligen jübifdjen CeBjren betrachte unb biefe aEcn 3uvor auf*
roEe. Kn biefer Behauptung ift feB]r viel ZDaB]res, unb fie ift bod],
wie fid] 3eigen wirb, unrichtig. DoEenbs falfd] aber wirb fie,
wenn fie fid] 3U ber blenbenben t£B]efe fteigert, bas (Evangelium fei
nur als bie Beligion einer ver3weifelten DolBsgruppe begreiflich;
es fei bie lefete Knftrengung einer becabcnten geit, bie nad] bem
notgeb^ungenen Bericht auf biefe (Erbe nun ben b]immel 3U ftürmen
verfud]t unb bort Bürgerrecht forbert — eine Beligion bes ZHifera*
bilismus! ZTur merBwürbig, baßlbie wirBlid] Bezweifelten fie eben
nicht aufnaB]men, fonbern beBämpften; merBwürbig, ?baß bie 5 üB] s
renben, foweit wir fie Bennen, waB]rlid] nicht bie <§üge fd]rväd]Iid]er
Defperation tragen; am merBwürbigften, ;-baß fie auf biefe (Erbe
unb ihre ©iiter 3war vernichten, aber in bjeiligBeit unb Ciebe einen
Bruberbunb grünben, ber bem großen (Elenb ber ZHenfchbeit ben
Krieg erBlärt. So oft id] bie (Evangelien wieber lefe unb über*
11
fchlage, um fo mehr treten mir bic 3eitgefchichtlichen Spannungen,
in benen bas (Evangelium geftanben B^at unb aus betten es her»
vorgetreten ift, surücB, 3 <S ^roeifTe nicht, bajj fdjon ber Stifter ben
Klenfchen ins Kuge gefaxt B^qt, in tvelcher äußeren Cage er fid?
auch immer befinben mochte^— ben Klenfchen, ber im (ßruttbe
ftets berfelbe bleibt, mag er ftch auf einer auf» ober abfteigenben
finie betvegen, mag er im Heichtum fifcen ober in Krmut, mag er
ftarB ober fchtvach fein im (Seifte* Das ift bie Souveränetät bes
(Evangeliums, ba§ es textlich alle biefe (Scgenfä^e unter ftch tvei§
unb über ihnen fteBft; benn es fucht in jebem ben punBt auf, ber
von allen biefett Spannungen nicht betroffen tvirb. 23 ei paulus ift
bas ganj Blar — tvie ein König befyerrfd)t er innerlich bie ir»
bifchen Dinge unb Derhältniffe unb tvill fie fo beherrfcht fehen,
3ene CB>efe von bem becabenten Zeitalter unb ber Heligiott ber
(Elenben mag geeignet fein, in einen äußeren Porfyof einjuführen;
fie mag auch richtig auf urfprünglich Äormgebenbes htettveifen;
menn fie fid) aber als Schlüffel für bas Derftänbnis biefer Heli»
gion fclbft anbietet, ift fie ab3ulehnen. Sie ift übrigens mit biefern
Knfpruch nur bie Kmvcnbung einer allgemeinen gefchichtlichen
Klobe, bie freilich länger in ber (Sefdjichtfchreibung B^errfdtcn tvirb
als anbere Kloben, tveil mit ihren Klitteln in ber Chat manches
Qnnfle erhellt rverben Bann* Uber an ben Kern ber Sache reichen
ihre 3ünger nicht heran, im ftillcn mutmaßenb, baß es einen
folchen Kern überhaupt nicht giebt
§um Schluß laffen Sie mich uoch einen nichtigen punBt But*3
berühren: abfolute Urteile vermögen tvir in ber ( 5 efchichte nicht
3U fällen, 'Dies ift eine (Einficht, bie uns heute — ich fage mit
Kbficht: h^ute — beutlich unb unumftößlich ift Die ( 5 cfchid)te
Bann nur 3eigen, tvie es getvefen ift, unb auch, u>o tvir bas ( 5 c»
fchehenc burchleuchten, 3ufammenfaffen unb beurteilen, bürfen tvir
uns nicht anmafen, abfolute We rturteile als (Ergebniffe reiner
.gefSichtlichen Betrachtung abftrahieren 3U Bönnen, Solche fd^afft
immer nur bie (Empfinbung unb ber XDille; fie finb eine fubjeBtivc
Chat Die Dertvechslung, als Bönnte bie (ErBenntnis fie er3eugen,
ftammt aus jener langen, langen (Epoche, in ber man vom XDiffcn
unb ber IDiffenfchaft alles errvartete, in ber man glaubte, man
Bönne biefe fo ausbehnen, ba§ fie alle Bebürfniffe bes (Sciftcs unb
b}er3ens umfpannt unb befriebigt Das vermag fie nicht gentner»
12
fcfymer fällt bicfe (Einftdtf in manchen Sturiben Reißer Arbeit auf
unfere Seele, unb bocf? — tote uersmeifelt ftiinbe es um bie
ZTicnfcfyfyeit, wenn ber l}öB?ere Triebe, naefj bem fic verlangt, unb
bie Klgrfycit, Sicfyer^eit unb Kraft, um bie fie ringt, abhängig
mären t>on bem 2 Ttaße bes XDiffens unb ber firfenntnis!
BraBtfe BörlEjitttg.
H)ir hanbeht im erften Bbfd)nitte unferer Darlegung r>oit 5er
Dertünbigung 3 efu nach ihren (Srunbsügen. <§u biefcn
(Srunbsügen gehört aud) bie form, rote er bas uerfünbet hat, roas
er lehrte. JDir roerben fehen, ein roie roefentlicher Ceil [einer (Eigen*
art fyier 31t Cage getreten ift; benn „er prebigte gcroaltig, nicht
roie bie Schriftgelehrten unb pharifäer". Dod) beuor id} auf bicfe
(Srunbjügc eingehe, Ijaltc id} mich für »erpflidjtet, Sie in furjcn
XDorten über bie Quellen 3U orientieren.
Unferc QueEen für bie Derfünbigung 3 efn [tnb — einige
wichtige Bad)rid)ten bei betn Bpoftel paulus abgerechnet — bie
brei erften (Evangelien. 2lEes übrige, roas roir unabhängig uon
biefen «Euangelien über bie <ßefd)id)te unb prebigt 3cfu roiffen,
läßt fid; bequem auf eine Quartfeite fchreiben, fo gering an Um*
fang ift cs. 3nfonberhcit barf bas inerte (Evangelium, welches
nicht von bem Upoftel 3ohanttes herrührt unb herrühren roiü, als
eine gefd)id)tlid)c QueEe im gemeinen Sinn bes tüortes nicht be=
nu^t roerben. Der Derfaffer hat mit fouveräner 5 reiheit geroaltet,
Begebenheiten umgefteEt unb in ein frembes £id)t gerücft, bie
Beben felbftthätig fomponiert unb hohe (ßebanfen burch erbachte
Situationen iEuftriert. Daher barf fein Wert, obgleich ihm eine
roirfliche, roenn aud) fdjroer erfennbare Überlieferung nicht gan,
fehlt, als QueEe für bie <Sefd)id)te 3 efu faunt irgenbroo itt 2 ln=
fprud) genommen roerben; nur roeuiges ift ihm, unb mit Behüt*
famfeit, 31t entnehmen. Dagegen ift es eine QueEe erften Banges
für bie Beantwortung ber 5ragc, welche lebenbige Bnfdjauungen ber
— 14
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Por fed) 3 ig 3a£;rett glaubte D'auib ^riebrich s-
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furjen «gpocfc, btc tot« als bie Paläontologie be 3 eidmen fönnen
,f V w em L &Cr bcmf<m5roerte fc" Fügungen bcr <Sefd)idL baß mir
Pieb fx'l e aUS &ie ^ er r ^ eit Mifeen, menn aud] bie Raffung unb
fk in Öm < te " u « b Bitten «uangelbm nor
tegt, fefunbar . ftnb. Der ein 3 igartige Cbarafter ber iangelien
J 5l Ut ® *?" bcr Kr,hf aßgemein anerfannt. Por allem beben
Lf* ÖUrd? b ' e ^ rt ber €r 3 䥫ng uon aller nacbfolgenben Scbrift-
telt re, ab D.efe litterarifcbe (Sattung, teils mdi XnZaie Z
jubien Celjrer.i&sätyungen, teils burd? bas fatecbetifcbe Sc
»»Ätrr -jsrH
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ffff Sprafc iMfam „„ „ ie d „ ££Ir
>VL tVt'V,» «*0 S«
6 Wra'»e ober ;iim„;,i[cf,c inrikfitterfragen lagt. j> a j
15
tt>ir bier in ber bjauptfachc primäre Überlieferung r>or uns haben,
ift unucrfcnnbar.
2Die feft ber^orm nach biefe Überlieferung mar, bas bezeugt uns
bas britte «Eoangclium. <£s ift, mahrfcheinlich in ber <§cit Domitian’s,
uon einem (Sricchcn gefchrieben, unb in bem 3meiten Ceite feines
IPerJes, ber Kpoftelgefchichte, — übrigens fdjon in ber Porrebe jum
erftcn — bemeift er uns, bag ihm bie 23 ücherfpradie feines Dolfes
ucrtraut mar, unb er ein uortrefflicher 5 tilift gcmefen ift. Kber in
ber euangelifchen «Stählung hat er nicht gemagt, ben ihm überlieferten
t^YPns 3 U »crlaffen: er crjählt in ber Spradjc, ber Sagoerbinbuug,
bem Kolorit, ja in nielcm Detail genau fo mie ÜTarcus unb
ITTafthäus; nur bie gröbften, bem gebilbcten (Sefchmad anftögigen
IDenbungcn unb tüorte hat er mit fchonenber bfanb forrigicrt.
Kber noch etmas ift uns in feinem Euangelium bemerfensmert: er
rcr)ichert im (Eingang, bag er „allem genau" nachgegangen fei
unb oiele Darfteltungen eingefehen habe, prüfen mir ihn aber
auf feine Quellen, fo ftnben mir, baß er fidj hauptfäd)lich an bas
ÜTarcuseoangelium unb an eine Quelle, bie mir auch im K!atthäus=
cuangelium mieber ftnben, gehalten hat. Diefe beiben Schriften
fdjicnen ihm, bem refpeftablen <Sefchid)tfchreiber, als bie uorjitg-
lichften in ber ÜTenge ber übrigen. Das bietet eine gute (Scmähr
für fie. Der Kfiftorifer hat biefe Überlieferung burd) feine anbere
5U erfegen für möglid) ober für nötig befunben.
Knb noch eines — biefe Überlieferung ift, abgefefjen non ber
£cibensgefd)ichtc, nabcju ausfchlieglidj galiläifd). JPenn biefer
gcographifche bjorijont nicht mirflid) ber behcrrfchenbe in ber < 5 e-
fcbicbte ber öffentlichen IDirffamfeit 3efu gemefen märe, hätte bie
Überlieferung nicht fo berichten fönnen; benn jebe ftilifierte <Se»
fdiichtserjählung hätte ihn hauptfächlid) in 3erufalem thätig fein
taffen. So hat aud] bas oiertc (Euangelium erzählt. Dag unfre
brei crften «Euangelien oon 3erufa(ent faft gan3 abfehen, ermedt
ein gutes Dorurteil für fie.
KHerbings, gemeffen mit bem Ülagftab ber „Übereinftimmung,
3 nfpiration unb Dollftänbigfeit", laffen biefe Schriften fefjr uiel 3U
münfchen übrig, unb auch nach einem mcnfchlid)eren Klagftab
beurteilt, leiben fie an nicht menigen KnpoEfommenheiten. §mar
grobe «Eintragungen aus einer fpäteren Seit finben fid} nicht —
cs mirb immer benfmürbig bleiben, bag miebcrum nur bas uierte
€t>angelium ©riechen nach 3efum fragen lägt —, aber hin unb
16
her fpiegcln fict? hoch aucfy in ihnen bie Derbältniffe ber Urgcmehabe
unb bic Erfahrungen, bie fie in fpäterer <§eit gemacht hat. Dod]
ift man heute fchneller mit folchen Ausbeutungen bei ber fjanb als
nötig ift. ferner hat Überjeugung, baß fich in ber (Sefd^ichte
3efu bie altteftamentlichc U)eisfagung erfüllt habe, trübenb auf bic
Überlieferung gewirkt. Enblich erfcheint bas wunberbare Element
in manchen Erjählungen offenbar gefteigert. Dagegen hat tfcfy ^ie
Behauptung von Strauß, bie Evangelien enthielten fehr viel
„UTvthifches", nicht bewahrheitet, felbft weijn man ben fehr unbe*
ftimmten unb fehlerhaften Begriff bes UTythifchcn, ben Strauß in
Anwcnbung bringt, gelten läßt. 5 a ft nur in ber Kinbheitsgefchid)te,
unb auch ba nur fpärlich, läßt es fich nachweifen. Alle biefe Crü*
bungen reichen nicht bis in bas 3^erfte ber Berichte hinein; nicht
wenige von ihnen korrigieren fich für ben Betrad^tenben leicht,
teils burch Dergleidjung ber Evangelien üntereinanber, teils burch
bas gefunbe, an gefchichtlichem Stubium gereifte -Urteil.
Aber bas XDunberbare, alle biefe XDunberberichte! Bicht nur
Strauß, fonbern auch viele anbere haben fich burch fie f° abfchrecfen
laffen, baß fie ihretwegen, bie (Slaubwürbigkeit ber Evangelien runb
verneint haben. XBieberum ift es ein großer 5ortfchritt, ben bie
gefchichtlid^e XDiffenfchaft im leßten Ulenfchenalter gemacht hat, baß
fie jene Er3ählungen verftänbnisvoller unb wohlmoIIenbeV 3U beur*
teilen gelernt hat unb bah<?r auch Xüunberbericfyte als gefchichtlichc
Quellen 3U würbigen unb 3U verwerten vermag. 3 d? bin es 3 h n en
unb ber Sache fchulbig, bie Stellung, welche bie gefchichtliche
XBiffenfchaft heute 3U jenen Berichten einnimmt, fur3 3U properen.
Erftlich, wir wiffen, baß bie Evangelien aus einer <§eit
flammen, in welcher lüunber, man barf jagen, faft etwas Alltäg*
lid^es waren. Ulan fühlte unb fah fich von lüunbern umgeben —
keineswegs nur in ber Sphäre ber Beligion. XDir finb hente, ab*
gefehen von einigen Spiritiften, gewohnt, bie XBunberfrage aus*
fchließlich mit ber Heligionsfrage in Be3iehung 3U feßen. 3a
jener «feit war es anbers. Der Quellen, aus benen XDunber
fprubelten, gab es viele. 3*-'9enb eine (Sottheit würbe allerbings
wohl bei jebem als wirkfam vermutet — ber (Sott thut bas
Ulirakel —; aber nicht 3U jebem (Sott ftanb man in einem reli*
giöfen Derhältnis. Den ftrengen Begriff ferner, ben wir mit bem
IDorte XDunber verbinben, kannte man bamals noch nicht; erft mit
ber Erkenntnis von Haturgefeßen unb ihrer (Seltung hat er fich
eingeftellt. 23is baliin gab es feine ftcfjere «Einfidjt in bas, mas
möglicf) unb unmöglich, mas Kegel unb mas 31usnaf)tne fei. iüo
barüber aber Unflarljeit fjerrfdjt, best», mo biefe 5 rage überhaupt
noef; nid)t fdjarf geftcllt mirb, ba giebt cs feine iüunber im ftrengen
Sinn bes iüorts. (Eine Durchbrechung bes Katurjufammenbangs
fatnt non niemanbent empfunben merben, ber noch nicht meiß, mas
Katursufammenfyang ift. So fonnten bie KTirafel für jene Seit
gar nid)t bie 23ebcutung fjaben, bie fie für uns Ijätten, menn es
tr>c(cf)e gäbe. 5ür fie maren alle Iüunber eigentlid) nur außer»
orbentlicße (Ereigniffe, unb bilbeten fte aud) eine lüelt für fid), fo
ftanb es eben feft, baß biefe anberc lüelt an un 3 äf;ligen Stellen in
bie unfrige gebcimnisooll eingreift. Kid)t nur ©ötterboten, fonbern
audi Klagier unb £f;arlatane beljcrrfcßen einen Ceil ber munber*
baren Kräfte. iüelcße 23ebeutung „lüunbertbaten" fyaben, mar
bafjer eine Kontroucrfe, bie nie 3 ur Kufe fam: halb mertetc ntan
fie feEjr f)od) unb uerfnüpfte fie auch mit bern Kern ber Keligion,
halb fprad) man geringfdjäßig uon if;nen.
Streitens, mir miffett jeßt, baß non Iieroorragenben perfoitcn
Iüunber berichtet morben fmb nid)t erft lange nad) ißrem ©obe,
aud) nid)t erft nad) mehreren 3 af;ren, fonbern fofort, oft feßon am
näcßften Cagc. 23crid)tc lebiglid) besljalb als gans unbrauchbar ju
uermerfen ober in eine fpätere Seit 311 rüden, meil fte aud) iüunber*
er 3 äf)tungen enthalten, entfpringt einem üorurteil.
Drittens, mir finb ber uncrfd)üttcrlid)en Übcrscugung, baß,
mas in Kaum unb Seit gefdjiefjt, bcu allgemeinen ©efeßen ber
Kcmegung unterliegt, baß es alfo in biefem Sinn, b. f;. als Durd)>
bredjung bes Katui^ufammenßangs, feine iüunber geben ^fann.
über mir erfennen aud), baß ber religiöfc Kicnfd) — menn ifjn
mirflid; bie Kcligion burd)bringt unb er nid)t nur an bie Keligion
anberer glaubt —, beffen gemiß ift, baß er nid)t eingefd)toffen ift
in einen blinben unb brutalen Katurlauf, fonbern baß biefer Katur*
lauf fjöfjeren Sieden bient, be 3 m. baß man if)m burd) eine innere,
göttliche Kraft fo 5 U begegnen »erntag, baß „alles 3 unt Keften
bienen muß". Dicfc (Erfahrung — id) möchte fie in bas iüort
3 ufammenfaffen: mir fonnen frei merben uon ber Kiad)t unb uom
Dienft bes uergänglidjen lüefens — mirb an ben cin 3 elnen (Erleb*
niffen immer mieber mie citt iüunber empfunben merben; fie ift
uon jeber I)öt)eren Keligion unabtrennlid): biefe mürbe jufammen*
ftürjen, menn fie fte aufgäbe. 3 cnc (Erfahrung gilt aber ebettfo
ifarncicF, tüefen b. Ctjrijientums. 2
18
für bas £eben bes einäcinen rote für ben großen (Sang her tflenfdj«
hcitsgefchichte. IDic ftreng unb flar muß aber, bann bas DenJen
eines religiöfen ZTTenfchen fein, roenn er troßbem an ber (Erfenntnis
ber Unoerbrüchlichfcit bcs raunt3eitlichen (Sefd]ebcns feftßält! IDer
fann fich rounbern, baß felbft boße (Seiftet bie (Sebiete nicht rein .
511 fdjeiben oer mögen? Unb ba roir alle in crfter £inic nicht
in Begriffen,' fonbern in Knfchauungen leben unb iit einer 3 ilber=
fpracßc — roie läßt es fich. oermeiben, baß roir bas (Söttlidie unb
bas, roas 3ur Freiheit führt, auffaffen als eine mächtige Kraft, bie
in bcn Baturäufammenbang cingreift, ihn burchbricht ober aufbebt?
Diefe Dorfteilung, obgleich fie nur ber phantafie angebört unb bilb=
id) ift, roirb, fo fcbeint es, bleiben, folange cs Beligiort giebt.
Diertens enblid), ber Batur3ufammenhaitg ift unr>crbrüd]ltch;
/ aber bie Kräfte, bie in ihm tbätig finb unb mit anberen Kräften
in IDechfelroirfung fteben, fennen roir längft noch nicht alle. IDir
fennctt noch nicht einmal bie materiellen Kräfte lücfenlos unb ben
Spielraum ihrer IDir lungert; roir roiffen aber nöd] uicl weniger
uon ben pfrdiifchen Kräften. IDir fehen, baß ein fefter IDille unb
ein überzeugter (Staube einroirfen auch auf bas leibliche £ebett unb
(Erfcheinungett fjeruorrufen, öic uns u>ie IDunber anmuten. IDer
hat hier bisher bcn Bereich bes Utöglidtcu unb IDirflidjcn ftdjer
abgemeffen? Biemanb. IDer fantt fagcn, wie, weit bie (£inroir=
fungen ber Seele auf bie Seele unb ber Seele auf ben Körper
reichen? Biemanb. IDer barf noch behaupten, baß all bas, roas
auf biefem (Sebiete an Kuffallenbem 3U Cagc tritt, nur auf £äro
fdjung unb 3 rrtum beruht? (Seroiß, cs gefdieben feine IDunber,
aber bes IDunberbaren unb Uncrflärlidjen giebt cs genug. IDcil
roir bas heute roiffen, finb roir auch »orfichtiger unb im Urteil
jurücfhuttcnbcr geworben gegenüber IDunberberichten aus bem
Kltcrtum. Daß bie (Erbe in ihrem £auf je ftillc geftanben, baß
eine <£felin gefprodjen h<*t, ein Seefturm burch ein IDort gefttllt
worben ift, glauben roir nicht unb werben cs nie roieber glauben;
aber baß £ahme gingett, Blinbe fafjen unb £aube hörten, werben
roir nid)t froher fjanb als 3ßufion abroeifen.
Kus biefen Knbcutungen mögen Sic felbft bie richtige Steh
lung 5U ben euangelifchen IDunberberichten entroideltt unb bas
5acit 3iehen. 3m einzelnen, b. h- bei ber Knroenbung auf bie
fonfreten IDunberer5ähIungen, roirb immer eine geroiffe Unfidjerheit
■nachbleiben. Souiel ich feh«, laffen fich hier folgenbe (Sruppen
19
Silben: f. Wunbcrbcrichte, bie aus Steigerungen natürlicher, ein«
bruefsuotter Vorgänge entftanben finb, 2. Wunberbcrichte, bie aus
Heben unb (Sleichniffcn ober aus ber projeFtion innerer Vorgänge
in bie augenweit entftanben finb, 5 . folche, bie bem 3ntereffe, alt«
teftamentliche Berichte erfüllt 3U fehen, entftammt finb, 4. non ber
gciftigen Kraft 3 efu gcwirFtc, überrafchenbc Reifungen, 5 . Unburch«
brmgltches. Sehr beachtenswert ift es aber, ba§ 3efus felbft auf
feine Wunberthaten nidjt bas entfeheibenbe (Sewicht gelegt bat,
welches fchon ber «Dangelift HTarcus unb bie anberen alle ihnen
beilegen, fjat er hoch Flagenb unb anFIagenb ausgerufen: „Wenn
ihr nicht Reichen unb Wunber feht, fo glaubt ihr nicht!" Wer
biefe Worte gefprodjen hat, Fann nicht ber HTeinung gewefen fein,
ber (Slaubc an feine Wunber fei bie rechte ober gar bie einzige
Brüde 3ur KnerFennung feiner perfon unb feiner HTiffion; er mug
uielmehr über fie wefentlidj anbers gebacht haben als feine «oan»
geltften. Unb bie merfwürbige Chatfache, bie eben biefe «pan«
geliften, ohne ihre Cragweite 3U würbigen, überliefert haben: „ 3 efus
Fonnte bafelbft Fein Wunber thun; benn fie glaubten ihm nicht"
3eigt noch non einer anberen Seite h er , wie • porfidjtig wir bie
Wunberer3ählungen aufsunehmen unb in welche Sphäre wir fie 3U
riiefen haben.
«s folgt aus altcbem, bag wir uns nicht hinter bie coan«
gelifchen Wunbcrberichte perfchansen bürfen, um bem «pangelium
3 U entfliehen. Crog jener Stählungen, ja sum Ceil auch in ihnen
tritt uns hier eine WirFlidjFeit entgegen, bie auf unfere Ceilnahme
Knfpruch erhebt. Stubieren Sie fie unb taffen Sie fid) nicht ab«
fdirecFen burch biefe ober jene Wunbergefchidjte, bie Sie frentb unb
froftig berührt. Was 3 h«en hier unuerftänblid? ift, bas fchieben
Sie ruhig beifcitc. Diclleicht müffen Sie es für immer unbeachtet
taffen, Dielleicht geht es 3 hncn fpäter in einer ungeahnten Bebeu«
tung auf. Hoch einmal fei es gefagt: laffen Sie fiel) nicht ab«
fchrccFen! 3 )ie Wunberfrage ift etwas relatip (Bleichgüttiges gegen»
über allem anberen, was in ben «Dangelien fteht. Bid]t um
UtiraFel hanbelt es fidj, fonbern um bie entfeheibenbe 5 rage, ob wir
hilflos eingefpannt finb in eine unerbittliche HotwenbigFeit, ober ob
cs einen (Sott giebt, ber im Hegimente figt unb beffen natur«
beswingenbe Kraft erbeten unb erlebt werben Fann.
Unfere «Dangelien etählen uns beFanntlich Feine «ntwicFlungs«
2 *
20
gefchichtc 3 efu; fic berichten nur »on feiner öffentlichen Wirffam«
feit. §we i <£»angetien enthalten allerdings eine Dorgefditdjte (< 5 e*
burtsgefd}icf;te), aber mir dürfen fie unbeachtet laffen; denn felbft
mentt fie (ßlaubmürdigeres enthielte als fte mirflich enthält, märe
fie für unfere ^meefe fo gut mie bedeutungslos. Die <£»angeliftcn
felbft nämlich meifen niemals auf fte 3urücf oder laffen 3efunt felbft
fid; auf jene Vorgänge jurüctbejiebcn. jm (Segenteil • fic er«
3äblcn, dag die Butter und (ßefchmifter 3efu »on feinem Auftreten
uöllig überrafdjt gemefen feien und fid) nicht in dasfelbe su ftjtdcn
r>ermod)t - haben. Buch paulus fdjmeigt, fo dag mir gemig fein
fönnen, dag die ältefte Überlieferung die <6eburtsgefd?ichten nicht
gefannt hat- . .
XPir miffen nidjts r>on der (Sefd)id)te 3 e fu in den erften dreißig
3ahren feines £ebens. 3ft bas nicht eine fd)recfliche llngemigheit?
IDas bleibt uns, menn mir unfere Aufgabe mit dem Cingeftändnis
beginnen müffen, dag -mir fein £eben 3efu 3 a fehreiben vermögen?
XPie fönnen mir aber die <Jx'fcl;icbte eines Dtcmnes febreiben, »on
deffen Cntmicfelung mir gar nidjts miffen, und »on deffen £eben
uns nur ein oder 3 t»ei 3al)re befannt find? Hun, fo gemig unfre
(Quellen für eine „Biographie" nicht ausreichen, fo inhaltsreich find
fie doch in anderer Beziehung, und auch ihr Schmeigen über die
erften dreigig 3ahre lehrt uns ctmas. 3nhalfsreidj find fie, meil
fte uns über drei mid)tige punftc 2luffd)lug geben; denn fic bieten
uns erftlid) ein anfdjauliches Bild »on der predigt 3 ß fu,
fomohl in fjinfidjt der (Srund 3 Üge als der 2lnmendung
im einseinen; fie berichten 3 t»citens den Busgang feines
£ebens im Dienfte feines Berufs, und fie fchildern uns
drittens den Cindrucf, den er auf feine 3ünger gemacht
hat und den fie fortgepflanst haben.
Das find in der Chat drei bedeutende, ja es find die ent«
feheidenden punfte. Weil mir hier Har fehen, ift es möglich, ein
Charafterbild 3 efu ju äeichnen oder — befdieidener gefprochen: der
Derfuch ift nicht ausftdjtslos, 3 U erfennen, mas er gemollt hat, mte
er gemefen ift und mas er uns bedeutet.
Was aber jene dreigig 3aB)re des Schmeigens betrifft, fo ent«
nehmen mir unferen <£»angelien, dag 3efus nicht für nötig befunden
hat, feinen 3üngcrn darüber etmas mit 3 uteilen. 2lber negati» »er«
mögen mir hier doch manches 3 « fagen. Crftlich, es ift fehr un«
mahrfdieinlich, dag er durch die Schulen der Babbinen gegangen
21
ift; nirgenbmo fpricht er tote einer, ber jtd? tec^nifd]'tl|eoIogifd]e
Gilbung unb bie Kunft gelehrter <£j:egefe angeeignet hat. Wie
beutlich erfennt man bagegen aus ben Briefen bes Kpoftels pautus,
baß er 3U ben 5ügen theologifcher Cel>rer gefeffen! Bei 3 efus finben
mir nichts I^ieruon, es machte bafyer 2luffehe< bag er überhaupt
in ben Schulen auftrat unb lehrte, 3 u ber heiligen Schrift lebte
unb wehte er, aber nicht mie ein berufsmägiger Cehrer*
5erner, 3U ben (Effenern, einem merfmürbigen jübifchen UTönchs*
orben, fann er feine Be3ichungen gehabt haben* fjätte er j<£ melche
befeffen, fo märe er einer jener Schüler gemefen, bie bie 2 lbB?ängig*
feit r>on ihren UTciftern babürch bemähren, bag fie bas (Segenteil
t>on bem uerfünbigen unb thun, mas fie gelernt haben. Die
Offener hielten auf gcfegliche Bcinheit bis jum Üugerften unb
fdjloffen fich ftrenge nicht nur gegen bie Unreinen, fohbern auch
gegen bie Ca^eren ab* 3 fyre peinliche Kbfonberung, bas Wonnen
in beftimmten Qrtfchaften, iE^re täglichen 3ahlreichen XVafchungen
Baffen fich nur r>on l^ier aus oerftehen* Bei 3efus finben mir ben
sollen (Segenfag 3U bi'cfer Cebcnsmeife: er fud>t bie Sünber auf unb
igt mit ihnen* Schon biefer funbamentale Unterfchieb macht cs
fidler, bag er ben Offenem gan3 fern geftanben hat* 3n ben
Sielen unb Bütteln ift er von ihnen gefchiebcn* Wenn er in
manchen (£in3elanmcifungen an feine 3ünger mit ihnen 3ufammen*
jutreffen fcheint, fo finb bas 3ufällige Berührungen; benn bieBTo»
tiue maren uöllig anberc*
‘ XBeiter, menn nicht alles trügt, liegen Bunter ber uns offen»
baren Seit bes Cebens 3 efu feine gcmaltigen Krifen unb Stürme,
fein Bruch mit feiner Vergangenheit* Birgenbmo in feinen Sprüchen
unb Beben, mag er brohen unb ftrafen ober freunblich loden unb
-rufen, mag er son feinem Verhältnis 311m Vater ober 3ur XVelt
fprechen, bemerft man überftanbene innere Ummäl3ungen ober bie
Barben eines furchtbaren Kampfes* Wie felbftserftänblid), als
fönnte es nidit anbers fein, ftrömt alles bei ihm Bjerbor — fo
bricht ber Quell aus ben Ciefen ber (£rbe, flar unb ungehemmt*
Bun 3eige man uns ben Btcnfchen, ber mit breigig 3 ahren fo
fprechen fann, wenn er heige Kämpfe hinter fich hat, Seelenfälfipfe,
in benen er fchlieglid] bas uerbrannt hot, mas er einft angebetet,
unb bas angebetet, mas er uerbrannt hot! BTan 3eige uns ben
UTenfchen, ber mit feiner Vergangenheit gebrochen hot, um bann
auch *>ie anberen 31m Buge 3U rufen, ber aber babei t>on feiner
22
eigenen Buge niemals fpricht! Triefe Beobachtung fchliegt es aus,
bag fein Ccbert in inneren Kontraften oerlaufen ift, mag es auch an
tiefen Belegungen, an Verletzungen unb <§rocifcIn nicht gefehlt
haben*
<£nblich noch eines — bas Cebcnsbilb unb bie Beben 3 ef u
5eigen fein Verhältnis 3unt (Eriechentum* $aft mug man ftch barüber
rounbern; benn (Saliläa u>ar ooll oon (Griechen, unb griechifch tourbc
bamals in oielcn feiner Stabte gefprochen, etoa u>ie heute infinit*
lanb fchtoebifch* ( 5 ried|ifd|e Cchrer unb philofophen r gab es bafelbft,
unb es ift faum benfbar, bag 3 efus ihrer Sprache gan3 unfunbig
getoefen ift 2lber bag er irgenbane r»on ihnen beeinflugt toorbett,
bag bie (Eebanfen plato’s ober ber Stoa, fei es auch nur in irgehb
mclcher populären Umbilbung, an ihn gefommen finb, lägt ftch
fchlechterbings nicht behaupten* freilich, menn ber religiöfc 3nbi*
mbualismus, (ßott unb bie Seele, bie Seele unb ihr ( 5 ott, toenrt
ber Subjeftioismus, wenn bie solle Selbftoerantroortlichfeit bes
einzelnen, roenn bie £oslöfung bes Beligiöfen oon bem politifchen —
wenn bas alles nur griechifch ift, bann fteht auch 3efus in bem
(Sufammenhang ber griechifchen (Entroicflung, bann hat auch er
reine griechifche Cuft geatmet unb aus ben Quellen ber (Griechen
getrunfen* 2lber es lägt ftch nicht nachtoeifen, bag nur auf biefer
Cinie, nur im Volfe ber Seltenen, biefe (Entroicflung ftattgefunben
hat; bas (Gegenteil lägt ftch vielmehr geigen: äuch anbere Bationen
finb 3U ähnlichen (Erfenntniffen unb Stimmungen fortgefchritten —
fortgefchritten allerbings in ber Hegel erft, nachbem 2lle£anber ber
(Sroge bie Schlagbäume unb <§äune, toelche bie Völfer trennten,
niebergeriffen hatte* Vas griechifche (Element ift genug in ber
Vielzahl ber 5älle ber befreienbe unb förbernbe 5aftor auch für
fie getoefen* 2lber ich glaube nicht, bag ber pfalmift, ber bie
IVorte gefprochen hat: „bjerr, toenn ich nur Vieh habe, frage id?
nicht nach fjimmel unb (Erbe" —\e etwas oon Sofrates ober sott
plato gehört hat*
(ßenug, aus bem Schweigen über bie breigig erften 3 ah^e
unb aus bem, roas bie (Eoangelien oon ber geit feiner Be*
rufstoirff amfeit nicht berichten, lägt ftch XVid|tiges lernen*
(Er lebte in ber Beligion, unb fie roar ihm 2 ltnten in ber
5 urd]t ( 5 ottes; fein gatt3es Ceben, all fein 5 ühlen unb Venfen, mar
in bas Verhältnis 3U (Sott aufgenommen, unb hoch — er hat nicht
23
gefprochen wie ein 5 d\wä rmer unb 5 anatifer, ber nur einen rot*
■glüfjenben punft fieht unb bem bie Welt unb alles, was in iE^r
ift, bestatt oerfchzinbet, (Er B^at feine Prebigten gefprochen unb
in bie IHelt geflaut mit bem frifcfyen unb gellen, Kuge für bas
große unb Heine £eben, bas ihn umgab* (Er uerfürtbigte, baß ber
(Seminn ber gansen iHelt nichts bebeute, wenn bie Seele Schaben
nähme, unb er ift hoch belieb unb teilnefynenb geblieben für alles
Cebenbige, Das ift bas ©ftaunlichfte unb (Srößte! Seine Hebe,
gezöhnlich in döleichniffe unb Sprüche gefaßt, 3eigt alle (Srabe
mcrifchlicher Hebe unb bie gan3e Stufenleiter ber Kffefte, Die
härteften Cöne leibenfchaftlicher Knftage unb 3ornigen (Serichts, ja
felbft bie 3 ^onie, oerfchmäht er nicht; aber fie. müffen. bod> bie
Ausnahme gebilbet fyaben. ©ne ftille, gleichmäßige Sammlung,
alles auf ein <§iet gerichtet, beherrfcht ihn, 3 a ber ©ftafe fpridjt
er niemals, unb ben Con aufgeregter Prophetenrebe finbet man
feiten, H(it ber größten HTiffion betraut, bleibt fein 2 tuge unb ®h r
für jeben ©nbruef bes Cebens um ihn offen — ein Sezeis inten*
fiuer Hube unb gefefyloffener Sicherheit, „Crauern unb ZHeinen,
£ad]en unb Hüpfen, Heichtum unb Krmut, junger unb Dürft, ( 5 e*
fuubBjeit unb Kranfheit, Kinberfpiel unb politif, Sammeln unb <§er*
ftreuen, Kbreife uont f}aus, Verberge unb bjeimfehr, f^ochjeit unb
Cotentrauer, ber Cu^usbau ber Cebenben unb bas (ßrabmal bes
Coten, ber Säemann unb ber Schnitter auf bem 5 elbe, ber WinJet
in ben Heben, bie müßigen Arbeiter auf ben CTcärften, ber fuchenbe
B^irt auf bem 5 elbe, ber Perlen Bjanbelnbe Kaufmann auf ber See
unb zieber baheint bie Sorge bes IHeibes um XHe^enmehl unb
Sauerteig ober um eine perlorene Drachme, bie Klage ber Witwe
oor bem mürrifchen Kmtmann, bie irbifdje Speife unb ihr Her*
gelten, bas geiftige Herhältnis r>on CeBjrer unb Schüler; B)ier Königs*
gian3 unb bjerrfchfucht ber Machthaber, bort Kinbesunfchulb unb
Dienerfleiß — all biefe Silber beleben feine Heben unb machen
)ie anfebaulieb auch für Kinbe.r am < 5 eift, y/ Sie fagen mehr als
nur bies, baß er in.Silbern unb (ßleicbniffen gefproeben hat, Sie
setgen eine innere Freiheit unb ^eiterfeit ber Seele inmitten ber
böcbften Knfpannung, zie fie fein propbet t>or ibm befeffen hat.
Sein Kuge roeilt freunblicb auf ben Slumen unb Kinbern, auf ber
£iüe bes gelbes — Salomo in aller feiner praebt ift nicht alfo
befleibet gerne)ert —, auf ben Högein unter bem bjimmel unb ben
Sperlingen auf bem Dach, Das Überzeitliche, in bem er lebte,
24
3erftörte ihm biefe tüelt nicht; nein, alles in ihr be3og er auf ben
(Sott, ben er fannte, unb fah es in ihm gefchüßt unb betoaB>rt:
„<£uer Dater im fjimmel ernährt fie." X>ic (Sleic^nisrebe ift ihm
bie oertrautefte. Unmerflich aber gehen (Sleic^nis unb ^Teilnahme
ineinanber über. (£r, ber nicht Blatte, ba er fein ijaupt B^inlcgte/
fpricht boch nicht toie einer, ber mit allem gebrochen B^at, nicht toie
ein B^roifcher Büßer, nicht ftoie ein efftatifcher propB^et, fonbern
toie ein 2 Ttann, ber Bufye unb Triebe B^at für feine Seele, unb ber
anbere 3'u erquiefen oermag. <£r fchlägt bie geroaltigften Cönc an;
er fteBBt ben 2T(enfchen oor eine unerbittliche <£ntfchcibung; er läßt
ihm feinen 2lusroeg, unb roieberum — bas <£rfchütternbfte ift ihm
roie felbftoerftänblich, unb er fpricht es toie bas SeIbftoerftänblichc
aus; er fleibet es in bie Sprache, in ber -eine 2 Tlutter 3U ihrem
Kinbe fpricht.
Griffe BnrlEjung.
IDir hoben in ber porigen Porlefung/pon unferen £r>angelien
gefprodjen unb^pon ihrem Sd) tueigen über bie <£nttpidlung 3 efu.
lüir hoben baranjeine furje Chorafteriftif ber prebigttoeife 3cfu
angefchloffen. Wir fabcn, er bat tpie ein Prophet gefprodjen, unb
boct) nicht tpie ein prophct. Triebe, freubigfeit unb (ßeatißheit
atmen feine Worte. £r brängt auf Kampf unb Cntfcheibung —
„Wo bein Schafe ift, ba ift bein fferj" —, unb boct) erfdjeint afles
in bem ruhigen (ßleichmaß ber (ßleichniffe: unter ber Sonne (ßottes
unb bem Cau bes Rimmels foll alles machfen unb rperben bis
3ur <£rnte. <£r lebte in bem fteten Setpußtfein ber (Sottesnäfie.
Seine Speife tuar, ben Wißen (ßottes 3U tf;un. Über — unb bas
fd)ien uns bas (ßrößte unb bas Siegel feiner inneren 5rcibcit —
er tjat nicht tüic ein I;eroifcber Büßer gefprodjen ober tpie ein
Ksfet, ber bie Welt pon fich geftoßen bat. Sein Kuge ruhte
freunblid; auf aßem <£rfd?einenben, unb er faEj es, toie es fich
giebt, in feinen bunten unb tpechfelnben Farben. <£r abelte cs in
feinen parabeln; er fchautc Ijinburd; burd) ben Schleier bes
3rbifd)en unb erfanntc äberaß bie £janb bes lebenbigen (ßottes.
Kls er auftrat, tuar ein atiberer por ihm bereits am Werfe
im jübifdjen Dolfe: 3 of;annes ber Cäufer. Kn ben Ufern bes
3 orban tpar in tuenigen HTonaten eine große Bctpegung entftanben.
Sie mar ganä ucrfchieben pon jenen meffianifchen Betpegungen, bie
bereits feit mehreren (ßencrationen ftoßmeife bas Dolf in Ktem
gehalten batten, gtpar audj biefer Cäufer perfünbigte: „Das Heid;
(ßottes ift nabe", unb bas hieß nichts anberes als ber Cag bes
26
f}errn, bas (Bericht, bas <£nbe fommt nun. Uber 3 ohannes fün*
bete biefen Cag nicht an als einen (Berichtstag, an tnelchem (Bott
enblich bie Vergeltung über bie ^eibentrelt bringen unb fein eigenes
Volf erhöhen rrerbe, fonbern er propB^eite ihn als ben (Berichts*
tag für eben biefes Volf. „XVer hat euch getriefen, baß ihr bem
3ufünftigen gorn entrinnen tr erbet? Venfet nur nicht, baß ihr bei
euch trollt fagen: £Vir haben Abraham 3um Vater. 3 ch fage eud):
(Bott oermag bem Abraham aus biefen Steinen Kinber 3U ertrecfen.
(Es ift fdfon bie Uj:t ben Bäumen an bie tVur3eI gelegt. 7 ' Bicht
bie Ubrahamsfinbfchaft, fonbern rechtfchaffene XVerfc geben ben
Uusfdjlag im (Bericht. Unb er felbft, . ber prebiger, hat mit ber
Buße begonnen unb ihr fein £eben getreiht: in einem Kleibe non
Kamelshaaren fteht er oor ihnen, unb feine Bahrung finb ^eu*
fdireden unb toilber ^onig. Uber Usfeten 3U ererben, barinnen
fteht er feine Uufgabe nicht ober minbeftens nicht oornehmlich.
Un bas gan3e Volf, toie es fich in Beruf, f^anbel unb XVanbel
betoegt, rietet er fich unb forbert es 3ur Buße auf. (Es fcheinen
fehr einfache XVahrheiten 3U fein, bie er ihnt 3U fagen hat: fren
Zöllnern fagt er: „Norbert nicht mehr, als gefegt ift"; ben Königs*
leuten: „tEhut uiemanb (Bemalt noch Unrecht unb laßt euch begnügen
an eurem Solbe"; ben IVohlhabenben: „Ceilt oon eurer Spetfc
mit"; allen: „Vergeffet bie Urrnen nicht". Vas ift bie Betätigung
ber Buße, 3U toelcher er aufruft, unb fie enthält bie Sinnesänbe*
rung, toelche er meint. Bicht um einen einmaligen Uft hanbelt
es fid], bie Bußtaufe, fonbern um ein rechtfehaffenes £eben im Ejin*
blicF auf (Bottes oergeltenbe (Berechtigfeit. Von Zeremonien, ©pfern
unb (Befeßesroerfen hat 3 ehanncs nicht gefprochen; augenfcheinlich
legte er auf fie fein (Betriebt. Die (Befinnung unb bas fittliche
Chun finb allein entfdjeibenb. Um (Berichtstage richtet ber (Bott
Ubraham’s nach liefern ZHaßftabe.
^ Caffen Sie uns hier einen Uugenblid ftille halten. (Es brängen
^ fich an biefer Stelle fragen auf, bie fchon oft beantrrortet trorben
finb unb hoch immer toieber aufgetrorfen toerben. Veutlich ift,
baß ber Cäufer bie Soureränctät (Bottes unb feines heiligen Sitten*
gefeßes rerfünbigt hat Klar ift auch, fraß er feinen Volfsgenoffen
3ugerufen hat: bas UTaßgebenbe, bas allein (Entfcßeibenbe ift bas
Sittliche; ihr bürft feine größere Sorge haben als bie Sorge um
eure innere Verfaffung unb euer fittliches f£hun. Klar ift enblichy
baß nichts Raffiniertes ober Künftliches in feinem Begriff vom
27
Sittlichen enthalten ift: er meint bie gemeine UToral. Uber hier
erheben fich nun bie fragen»
firjHich: Wenn es fich um etmas fo (Einfaches hcmbelte, um
bas einige Hecht bes ^eiligen, marum biefer gan3e Apparat non
bcm Kommen bes (Serichtstages, non ber 2%t an ben Wurzeln ber
Bäume, non bem 5 euer, bas t>er3ehren mirb, unb bgl.?
gmeitens: 3 ff biefc Bugtaufe in ber XDüfte unb biefe prebigt
nom Kommen bes (Berichts nicht einfad) HefTe^ ober probuft ber
politifchcn unb foialen guftänbe, in benen fid) bas Doll bamals
befanb?
drittens: Was enthält benn biefe Derfünbigung überhaupt
Heues, mas nicht im 3 ubentum fdjon früher ausgefprochen morben
märe?
'Diefe brei fragen hangen L aufs innigfte unter fich 3ufammen.
gunächft alfo biefer gan3e bramatifch^eschatologifche Kpparat:
bas Keich ( 5 ottes lommt, bas (Enbe ift nahe, u. f. m. Hun, jebe
ernfte, aus ber Ciefe bes Erlebten quiüenbe Iqinmeifung auf (Sott
unb bas ^eilige — fei es im Sinne ber (Erlöfung, fei es in bem
bes (ßerid]ts — h a h fomeit mir bie (Sefchichte lernten, ftets bie
Äorm angenommen, ba§ bas (Enbe nahe fei. XDie ift bas 3U er*
llären? Die Kntmort ift nicht fchmierig. Die Heligion ift nicht
nur ein Ceben in unb mit (Sott, fonbern auch, eben meil fie bies
ift, bie (Enthüllung bes Sinns unb ber Derantmortlichleit bes Cebens.
XUem fie aufgegangen ift, ber ftnbet, baß ohne fie umfonft nach
biefem Sinn gefudjt mirb, baß ber einzelne fomohl mie bie (Be*
famtheit 3iellos manbelt unb ftür3t. „Sie gehen alle in ber 3 ^e;
ein jeglicher fleht auf feinen IDeg." Der prophet aber, ber (Bottes
inne gemorben ift, erfennt mit Schreden unb Kngft biefes allgc*
meine 3 **en unb bie allgemeine Dermahrlofung. (Es geht ihm
mie einem XDanberer, ber feine (Benoffen blinb einem Kbgrunb
Sueilen fleht unb fie um jeben preis 3urüdrufen mill* (Es ift bie
höchfte geit — noch leimt er fie marnen; noch lann er fie be^
fchmören: „Kehret um"; aber vielleicht fchon in ber nächften Stunbe
ift alles verloren. (Es ift bie höchfte §eit, es ift bie leßte Seit —
in biefen Huf h a l fich öaher bei allen Dölfern unb in allen (Epochen
bie energifche HTahnung 3ur Umlehr gelleibet, wenn ihnen mieber
einmal ein prophet gefdjenft mar. Der prophet burchfehaut bie
(Befchichte, er fieht bas unmiberrufliche (Enbe, unb er ift erfüllt von
gren3enlofem Staunen barüber, baf bei ber (Bottlofigleit unb Blinb»
28
d]eit, bem £eid]tfinn unb ber CrägE]eit nicht fdjon alles längft 3m
famtnengeftür3t unb uernid]tet ift. Daß überhaupt rtod] eine Spanne
übrig ift, in ber bie UmfeE]r möglich, ift il]m bas größte tVunber:
nur ber Cangmut ( 5 ottes ift es 3U oerbanfen. 2Eber gemiß ift, bas
<£nbe farm nicht lange meE]r ausbleiben. So entfteE]t immer aufs
'neue im Vufammenhang mit einer großen Bußbemegung bie Vor*
ftellung uom nahen (Snbe. 3u meld]e formen im einzelnen fie ftd]
f leibet, bas fyängt von 3eitgefd]id)tlid]en Umftänben ab unb ift r>on
untergeorbneter Bebeutung. Hur bie als < 5 ebanfengebilbe fon*
ftruierte Heligion entbehrt ber entfeheibenben «gufpißung auf bas
<£nbe; bie tE]atfächlid]e Religion ift oE]ne fie nicht 3U benfen, mag
fie neu entfacht merben, ober mag fie als ftilles 5euer in ber
Seele glühen,
Kber nun bas Zweite — bie poIitifd]*fo3ialen Vuftänbe als
Urfachen ber religiöfen Belegung. 0 rientieren mir uns fur3* Sie
miffen, bie füllen Seiten ber jübifd]en CE)eofratie maren bamals
Iängft vorüber. Seit 3mei 3 a^r^unberten mar ein Schlag nad}
bem anberen erfolgt; uon ben fd]redlid]en Cagen bes Kntiochus
<£pipfyanes an mar bas Volf nicht meE]r 3ur HuE]e gekommen. Das
Königreich ber Klaff abäer mar auf gerichtet morben; burch innere
Vunftigfeiten unb ben äußeren 5 einb mar es halb mieber baE]in*
gefunfen. Die Hörner maren ins £anb gefallen unb hatten iheiferne
5 auft auf alle Hoffnungen gelegt * Die {Tyrannei bes ebomitifchen
paruenus, bes Königs Fietobes, nahm bem Volfe bie Cebensluft
unb lähmte^ es t an allen (Sliebern. <£s mar nach menfd]lid]cm (£r*
meffen nicht ab3ufel]en, mie je mieber eine Befferung ber £age ein*
treten !önne; bie alten iioxxlxdien Verheißungen fd]ienen £ügen
geftraft — es fchien aEIes aus 3U fein* ZVie nahe lag es, in fold]
einer <£pod]e an allem 3*£>ifd]en 3U uerjmeifeln unb in biefer Der*
5meiftung notgebrungen auf bas 3U reichten, mas einft als uort
ber tEheofratie un3ertrennlich gegolten h a ^e* ZVie nahe Eag es,
bie irbifche Krone, ben politifchen Befiß, KnfeE]en unb Heid]tum,
tfjatfräftiges H an ^eln unb Kämpfen nun für unmert 3U erklären,
bafür aber uom Hiuimel h cr ein gan3 neues Heid] 3U ermarten,
ein Heid] für bie Krmen, bie Vertretenen, bie KraftEofen unb eine
Krönung ihrer fanften unb gebulbigen Cugenben! XJnb menn fchon
feit 3 uh^h un berten ber Volfsgott Israels in einer ZZmmanblung
begriffen mar, menn er bie ZVaffen ber Starfen 3erbrod]en unb
beu prünfuollen Dienft feiner priefter uerfpottet, menn er gerechtes
29
(Bericht unb Barmhcrsigfeit perlangt B)atte — wie perlocfenb war
es, ihn als ben (Sott 311 proflamieren, ber fein Volf im (Elenb fehen
will* um bann ben (Elenben (Erlöfung 311 bringen! 3 ^ ber Chat,
mafi fann mit ein paar Strichen bie Beligion unb ihre Hoffnungen
fonftruieren, bie aus ben geüperhältniffen mit Botwenbigfeit 311
folgen fcheinen — ein BTiferabilismus, ber ficH an bie (Erwartung
eines wunberbarert (Eingreifens (Bottes Hämmert unb fich oorfyer
gleichfant in bas (Elenb hineinroüfylt.
Kber fo gewig bie furchtbaren geitperhältniffe pieles in biefem
Sinn cntbunben unb entwicfelt höben, fie reichen hoch Iängft nicht aus,
um bie prebigt bes Cäufers 3U erflären, wäljrenb man bie wilbcn
Unternehmungen ber falfchen ZTTeffiaffc unb bie politif fanatifchcr
pharifäer leicht aus ihnen ab3uleitert permag. XVohl erflären fie
es, bag bie Coslöfung pon weltlid^en Dingen weitere Kreife erfagte
unb bag man 5U (Sott auffchaute — Bot lehrt beten; aber bie Bot
an fich bringt feine fittliche Kraft;, biefe aber ift in ber prebigt
bes Cäufers bas H au Plgüef gewefen.. 3nbem er an fie
appellierte, inbem er alles auf bie (Srunblage bes Sittlichen unb
ber Verantwortung fegen h*eg, erhob er fich über bie Sd}wäd]= 0
lid]feit ber „Krmen" unb fdjöpfte. nicht aus ber <geit, fonbent aus
bem (Ewigem
(Es finb noch nicht hebert 3 <*h r e her, ba hext nach ber fehreef*
lid]en Bieberlage unferes Vaterlanbes Richte hicr in Berlin feine
berühmten Beben gehalten* XVas that er imi^nen? Bun 3unächft,
er hielt ber Bation einen Spiegel por unb 3eigte ihr ihre Sünbcn
unb beren folgen, ben Ceichtfinn, bie (Sottlofigfeit, bie Selbftgefällig-
feit, bie Verblenbung, bie Schwäche. XVas that er bann? Bief
er fie einfach 3u ben XVaffen? 2 lber eben bie XVaffen permochten
fie nicht mehr 3U führen; fie waren ihnen aus ben fraftlofen Hänbcn
gefdjlagen worben, <§ur Buge unb inneren. Umfehr h a l er fie
gerufen, 311 (Sott unb beshalb 3ur Knfpannung aller fxttlichen Kräfte,
3ur XVahrbeit unb 3urit (Seifte, bamit aus bem (Seifte alles neu
werbe. Unb burch feine fraftpotte perfönlid]feit h^t er im Bunbe
.mit gleichgeftimmten ^reunben ben mädrtigften (Einbrucf lievvov*
gerufen. Die perfchütteten Quellen unfercr Kraft permochte er
wieber auf3ub£cfen, weil er bie Brächte farmte, Port benen H^f c
fommt, unb weil er felbft pon bem lebenbigert XVaffer getrunfen
hatte. (Sewig, bie Bot ber <§eit hat ihn gelehrt unb geftählt; aber
es wäre finnfos unb lächerlich 3U behaupten, 5 icffie r s Beben xpären
30
\
bas probuft bes allgemeinen <£lenbs» Sie flnb ber (Segenfafc 3U
ihm» Hiebt anbers ift über bie prebigt 3ohannes’ bes Käufers
unb — bafl ich es gleich fage — über bie prebigt 3efu fclbft su
urteilen» Dafl fie fleh an bie manbten, bie ton ber Welt unb ber
politif nichts entarteten — ton bem Cäufer ift bas übrigens nicht
bireft berichtet —, bafl fie ton jenen Dolfsleitern nichts miffen
mollten, bie bas Dolf ins Derberben geführt Ratten, bafl fie ben
Hlicf überhaupt ton bem 3*&ifd}en ablenften, bas mag man auch
aus ben «geitterhältniffen ableiten» Kber bas Heilmittel, melches
fie terfünbigten, mar fein probuft berfelben» Hcuflte es nicht tiel*
mehr als ein Derfuch mit untauglichen Hcitteln erfcheinen, lebiglidf
3ur ^gemeinen ZHoral bie Ceute 3U rufen unb ton ihr alles 3U er*
märten? Unb moher flammte'bie Kraft, bie unbeugfame Kraft,
melche anbere be3mang? Dies führt uns auf bie le^te ber 5 ragen,
bie mir aufgemorfen haben»
Drittens, mas ift benn Heues in biefer galten Hemegung ge*
mefen? IDar es neu, bie Souteränetät (Sottes, bie Souteränetät
bes (Suten unb H^igen in ber Heügion gegenüber allem anberen,
mas fleh eingebrängt hcitte, auf3urichten? ZDas hat alfo 3ohannes,
mas hat (Efydflus felbft Heues gebraut, mas nicht fchon längft ter*
fünbigt morben mar? Hleine fyexvcnl Die 5 rage nach bem Heuen
in ber Heligion ift feine 5rage, bie ton folchen geftellt mirb, bie
in ihr leben» Was fann „neu" gemefen fein, nachbem bie Htenfch*
heit fchon fo lange tor ^e\us Chriftus gelebt unb fo tiel (Seift
unb (Srfenntnis erfahren h a ^ c * Der DTonotheismus mar längft
aufgerichtet, unb bie menigen möglichen C^pen monotheiftifchcr
5 römmigfeit maren längft fyiex unb bort, in gan3en Schulen, ja in
einem Dolfe, in bie <£rfcheinung getreten» Kann ber frafttolle unb
tiefe religiöfe 3ttktoibualismus jenes pfalmiften noch überboten
merben, ber ba befannt hat: n £\exx, menn ich nur Dich habe, frage
ich nicht nach Fimmel unb <£rbe"? Kann bas XDort ZHicha’s über*
boten merben: „€s ift Dir gefagt, ZHenfch, mas gut ift unb mas
ber fyexx *>on ®iv forbert, nämlich (Sottes XDort halten unb Ciebe
üben unb bemütig fein tor Deinem (Sott"? 3 ahrh un ^ r lc maren
bereits terfloffen, feitbem biefe XDorte gefprochen maren. Klfo,
„IDas mollt ihr mit eurem <£hriflus?" menben uns namentlich
jübifche (Selehrtc ein; „er hat nichts Heues gebracht»" 3 d? ant*
morte hinauf mit XDellhaufen: (Semtfl, bas, mas 3 ^fas terfün*
bigt, mas 3<>hannes t>or ihm in feiner Hufjprebigt ausgefprochen
31
b { at, bas roar auch bei ben Propheten, bas roar fogar in ber
jiibifchen Überlieferung feiner <§eit 3U finben. Selbft bie pharifäer
Ratten es; aber fie Ratten leiber noch fcB^r oiel anberes ba=
neben. (Es roar bei ihnen befchroert, getrübt, oer3errt, unroirffam
gemalt unb um feinen (Ernft gebracht burch taufenb T>inge, bie
fie auch für Beligion hatten unb fo mistig nahmen roie bie Barm*
hc^igfeit unb bas (Sericht. Klles ftanb bei ihnen auf einer
fläche, alles roar in ein (Seroebe gerooben, bas (Sute unb ^eilige
nur ein (Einfchlag. in einen breiten irbifchen gettel. Bun fragen
Sie noch einmal: „XBas roar benn bas Beue?" 3 n ber mono*
theiftifdjen Beligion ift biefe 5 rage nid]t am plafee. prägen Sie
vielmehr: „U)ar es rein unb roar es fraftooll, roas B)ier oer*
fünbet rourbe?" 3 ch antworte: Suchen Sie in ber galten Beli*
gionsgefchicfyte bes Bolfes 3 ^ael, fuchen Sie in ber (Sefdjichte über*
haupt, roo eine Botfdjaft oon (Sott unb oom (Suten fo rein unb
fo ernft — benn Bein^eit unb (Ernft gehören 3ufammen — geroefen
ift, mie roir fie hier köven unb lefen! Die reine Quelle bes fjei*
ligen roar 3roar längft erfdjloffen, ahev Sanb unb Sch*ltt>u>ar über
fie gehäuft roorben unb ihr XDaffer roar oerunreinigt. £)aß nach*
träglich Babbinen unb Theologen biefes XDaffer beftiüieren, änbert,
felbft roenn es ihnen gelänge, nichts an ber Sache. Bun aber
brach ber Quell frifch h^ r ^ or unb brach fich burch Schutt unb
krümmer einen neuen XDeg, burch jenen Schutt, ben priefter unb
tLfoologen aufgehäuft hätte™/ um ben (Ernft ber Beligion 3U er*
fticfen; benn roie oft ift in ber (Sefchichte bie Rheologie nur bas
BTittel, um bie Beligion 5U befeitigen! Unb bas anbere roar bie
Kraft, pharifäifche CeBjrer hätten oerBünbigt, im (Sebot ber (Sottes*
unb Bächftenliebe fei alles befaßt; begliche XDorte hätten fie ge*
fprochen; fie fönnten aus bem BTunbe 3efu ftammen! Kber roas
hatten fie bamit ausgerichtet? X>aß bas PolB, baß oor allem ihre
eigenen Schüler ben oerroarfen, ber mit jenen XUorten (Ernft machte!
Schroächlid} toar alles geblieben, unb roeil fchroächlich, barum fchäb*
lieh. B)orte thun es nicht, fonbern bie Kraft ber perfönlichBeit,
bie hinter ihnen fleht. <£r aber prebigte geroaltig, „nicht roie
bie Schriftgclehrten unb pharifäer": bas roar ber (EinbrucB, ben
feine 3 üngcr oon ihm geroannen. Seine XDortc rourben ihnen 3U
„XDorten bes Cebens", 3U SatnenBörnern, bie aufgingen unb 5n*cht
trugen — bas roar bas Beue.
2T(it folch einer prebigt hätte 3°hännes ber Käufer bereits
32
begönnert* Uuch er fyatte fich un3meifelhaft fchon in einen (ßegen*
faß 3U ben Führern bes Dolfs geftellt; benn einer, ber prebigt
„Kehret um" unb babei ausfchließlich auf ben ffle g ber Buße unb
bes fittlichen CB^uns vermeift, fommt ftets in einen ( 5 egenfaß 3U
ben offoiellen Gütern ber Heligion unb Kirdje. Uber über bie
Cinic ber Bußprebigt ift 3 o^annes nicht fyinausgegangen.
Da trat 3 efus C^rijtus auf> <Er B^at 3unächft bie Derfünbi*
gung bes Käufers in vollem Umfange aufgenommen unb bejaht,
unb er Bjat ihn fetbft anerfannt, ja es B^at niemanben gegeben, über
ben er in XDorten folcfyer Unerfennung gefprochen B^at mie über
biefen 3 oB^annes. Ejat er hoch gefagt, baß unter allen, bie von
U)cibern geboren finb, feiner aufgefontmen ift, ber größer fei benn
er. ^mmet mieber Bjat er befannt, baß feine Sache von bem
Käufer begonnen morben unb baß biefer fein Dorläufer gemefen
fei. 3 a er hat fich felbft von ihm taufen Baffen unb fich bamit
in bie Belegung hineingeftellt, bie jener entfeffelt hatte.
Uber er ift nicht bei ihr ftehen geblieben. XDohl verfünbete
audi er, als er auf trat: ,,®huet Buße, bas Ueich < 5 ottes ift herbei*
gekommen", aber inbern er fo prebigte, mürbe es eine frohe Bot*
fcbaft. Bichts ift fidlerer in ber Überlieferung non ihm, als baß
feine Derfünbigung ein „(Evangelium" mar unb als eine felige unb
freubenbringenbe Botfchaft empfunben mürbe. UTit gutem Bebacht
bat barum ber (Evangelift Cucas an bie Spiße feiner (Stählung
vom öffentlichen Uuftreten 3 ef u bas U)ort bes Propheten 3 efaias
geftellt: „Der (Seift bes Ejerrn ift bei mir, berhctlben er
mich gefanbt l\at, unb gefanbt 3U verfünbigen bas<Evan*
geliunt ben Firmen, 5U heilen bie 3erftoßenen E)er3en, 3U
prebigen ben befangenen, baß fie tos fein follen, unb
ben Blinben bas (Seficht, unb ben <§er fchlagenen, baß fie
frei unb lebig fein follen, unb 3U prebigen bas angenehme
3 aB)r bes Ejcrrh." 0 ber in 3 efu eigener Sprache:. „Kommet
ber 3U mir alle, bie ihr mühfelig unb belaben feib; id]
mill euch erquiefen. Behmet auf euch mein 3och unb
lernet von mir; benn ich bin fanftmütig unb von Ejer3en
bemütig, fo merbet ihr Buhe finben für eure Seelen."
Diefes tüort fyat über ber galten Derfünbigung unb bem XDirfen
3'efu geftanben; es enthält bas Chema für altes, mas er geprebigt
unb gehanbelt h a i» Dann aber ift fofort offenbar, baß biefe feine
prebigt bie Botfchaft bes 3 ohännes meit hi ntcr fich 5urüd*
33
gelaffen E}at* 3ene, ob fie fdjott in einem füllen ©egenfaß
3U ben prieftern unb Sd}riftgeleE}rten geftanben E}at, ift bod}
nid}t 3U bem entfdjeibenben geid]ert, bem miberfprodjen mürbe,
gemorben* „fallen unb KuferfteEjen", eine neue ZTTenfd^E^eit miber
bie alte, ©ottesmenfdjen, fd}uf erft 3 efus <£E}riftus* (Er trat
fofort ben ofp3ieUen Führern bes Polfes, in iEjnen aber bem ge¬
meinen XHenfdjenmefen überhaupt entgegen* Sie backten fid}
©ott als ben Despoten, ber über bem Zeremoniell feiner b}aus-
orbnung mad}t, er atmete in ber ©egenmart ©ottes* Sie faEjen
iE}n nur in feinem ©efeße, bas fie 3U einem CaE^rintE} uon
Sdpudpen, 3 n:megen unb E}eimlid}en Ausgängen gemalt Ratten,
er faE} unb füllte iE}n überall* Sie befaßen taufenb ©ebote oon
iE}m unb glaubten iE}n besEjalb 3U fennen; er Ejatte nur ein ©ebot
uon iE}m unb bavum fannte er iE}n* Sie Ratten aus ber Heligion
ein irbifd}es ©etoerbe gemacht — es gab nichts KE>fd}eulid}eres —,
«er uerfünbete ben lebenbigen ©ott unb ben Kbel ber Seele*'
Überbauen mir aber bie prebigt 3efu, fo fönnen mtr brei
Kreife aus iE}r geftalten* ^}ebev Kreis ift fo geartet, baß er bie
gan3e Perfünbigung enthält; in jebent fann pe-baEjer uollftänbig
3ur Darftellung gebraut merben:
(Erftlid}, bas Heid} ©ottes unb fein Kommen,
Zweitens, ©ott ber Pater unb ber unenblicfye XPert
ber HTenfdjenfeele,
Drittens, bie beffere ©ered}tigfeit unb bas ©ebot
-ber Ciebe*
Die ©röße unb Kraft ber prebigt 3 efu ift barin befctpoffen,
baß fie fo einfad} unb mieberum fo reid} ift — fo einfad}, baß
fie fid} in jebem X^auptgebanfen, ben er angefdpagen, erfd}öpft,
unb fo reid}, baß jeber biefer ©ebanfen unerfd}öpflid} erfd}eint
unb mir bie Sprüche unb ©leid}niffe niemals auslernen* Kber
barüber E}inaus — Epnter jebem Sprud} fteE}t er felbft* Durd}
bie 3 ciE}rE}unberte Epnburd} reben fie 3U uns mit ber 5nfd}e ber
©egenmart* £}ier bemal}rE}eitet fid} bas tiefe XPort mirflid}: „Spridj,
baß id} bid} feE}e*"
XPir merben in bem ^olgenben fo oerfaEjren, baß mir jene
brei Kreife fennen 3U lernen fud}en unb bie ©ebanfen, bie 3Ü iE}nen
geE}ören, 3ufammen orbnen* 3 ^ iE}nen finb bie ©runb3Üge ber
prebigt 3 efu enttjalten* Dann merben mir uerfudjen, bas <Et>an-
£?arnacf, lüefen b. Ctjriftentums. B
34
gelium in feinen He3iel)ungen 311 einjelncn großen fragen bes
Cebens 3U verftehen,
\* Das Heid) (Sottes unb fein Kommen,
Die prebigt 3 efu. vom Heid)e (Sottes burdjläuft alle Kus*
fagen unb formen non ber altteftamentlid) gefärbten, prophetifdjen
Knfünbigung bes <Serid)tstages unb ber 3ufünftigen fid)tbar ein*
tretenben <Sottesherrfd)aft bis 3U bem (Sebanfcn eines jefet beginnenben,
mit ber Hotfchaft 34 h anfyebenben innerlichen Kommens bes Keines*
Seine Derfünbigung umfaßt biefe beiben pole, 3tvifd)en benen
manche Stufen unb Huancen liegen, Kn bem einen pole er*
feheint bas 'Kommen bes Heid)s als ein rein 3ufünftiges, unb bas
Heid) felbft als eine äußere £)errfd)aft (Sottes; an bem anberen
crfcheint es als etwas 3nnerlid)es unb es ift fd)on vorhanben, heilt
bereits in ber (Segenmart feinen ©n3ug, Sie fehen alfo: meber
ber Hegriff „Heid) (Sottes" nod) bie Dorftellung non feinem
Kommen ift einbeutig, 3 efus hat fie ber religiöfen Überlieferung
feines Dolfes entnommen, in ber fie bereits im Dorbergrunbe
geftanben haben, unb er hat verfd)iebene Stufen gelten taffen, in
benen ber Hegriff lebenbig mar, unb hat neue hü^ugefügt,
Kbgefchnitten hat er nur bie irbifchen, po!itifd)*eubämoniftifd)en
Hoffnungen,
Kud) 3efus ift, mie alle in feinem Dolfe, bie es ernft unb
tief meinten, burd)brungen gemefen non bem großen (Segenfaß bes
(ßottesreid)es unb bes XDeltreid)es, in melchem er bas Höfe unb
ben Höfen regieren fah- Das mar feine blaffe Dorftellung, fein
bloßer (Sebanfe, fonbern lebenbigfte Knfchauung unb (Smpfinbung.
Darum mar ihm aud) gemiß, baß biefes Heid) vernichtet merben
unb untergehen muffe. Dies aber fann nid)t anbers gefd)ef)en als
burd) einen Kampf, Kampf unb Sieg ftehen in bramatifcher
Sd)ärfe unb in großen, fieberen gügen vor feiner Seele, in jenen
<§ügcn, in benen fie bie Propheten gcfchaut hatten. Km Schluffe
bes Dramas fieht er fid) felbft 3U Hechten feines Daters unb feine
3tvölf 3 ünger auf ILfyvonen ftßen unb richten bie 3tvölf Stämme
3 sraels; fo anfd)aulid), fo gan3 in ben Dorfteilungen feiner <§eit
ftanb bas alles vor ihm, HTan fann nun fo verfahren — unb nicht
menige unter uns verfahren fo— baß fie biefe bramatifd)en Hilber
mit ihren harten färben unb Kontraften für bie Hauptfache er*
flären unb für bie (Srunbform ber Derfünbigung 34 u r &er alle
übrigen Kusfagen einfad) unter3Uorbnen feien; fie feien mehr ober
35
mcniger unerhebliche Varianten — nielleicht auch erft burd? bie
fpäteren Berichterftatter B^erbeigefü^rt; maßgebenb fei allein bie
bramatifche gufunftsermartung» 3^h uerrnag mich biefer Betrachtung
nicht an3ufchließen» <£s gilt bod? auch in ähnlichen 5ällen für t>er*
fehrt, h^^norragenbe, mahrhaft epochemachenbe perfönlichf eiten in
erfter £inie banach 3U beurteilen, mas fie mit ihren «geitgenoffen
geteilt haben, bagegen bas in ben fjintergrunb 311 rüden, mas
eigentümlich unb groß an ihnen mar» Die Steigung, möglichft 3U
nivellieren unb bas Befonbere 3U vermifchen, mag bei einigen einem
anerfennensmerten IDahrheitsfinn entfpringen, aber er ift mißleitet
Boch häufiger aber maltet hier, bemüht ober unbemußt, bas Be*
ftreben, bas (ßroße überhaupt nicht gelten 3U Iaffen unb bas <£r*
habene 3U ftür3en» darüber fann fein gmeifel fein, jene Dor*
ftellung non ben 3mei Beichen, bem (Sottesreich unb bem Ceufels*
reich, non ihren Kämpfen unb r>on bem 3ufünftigen lebten Kampf,
in meinem ber Teufel, nachbem er längft aus bem fjimmel aus*
gemiefen, nun auch auf ber <£rbe befiegt mirb — biefe Dorftellung
teilte 3^fus einfach mit feinen geitgenoffen» <£r hat fie nicht
heraufgeführt, fonbern er ift in ihr groß gemorben unb hat fie bei*
behalten» Die anbere Knfchauung aber, baß bas Beich ( 5 ottes nicht
„mit äußerlichen (Sebärben" fommt, baß es fchon ba ift, fie mar
fein mirfliches Eigentum»
5ür uns, meine Herren, finb bas heute fchmer 3U vereinigenbe,
ja faft unüberbrüdbare ( 5 egenfäße, bas Beich (5ottes einerfeits fo
bramatifch unb 3ufünftig 3U faffen unb bann hoch mieber 3U ver*
fünbigen: „es ift mitten unter euch", es ift eine ftille, mächtige
( 5 ottesfraft in ben f}cr3en. Kber mir follen barüber nachbenfen
unb uns in bie ( 5 efd]ichte verfenfen, um 3U erfennen, marum unter
anberen gefchichtlichen Überlieferungen unb in anberen Bilbungs*
formen fyet feine ( 5 egenfäße empfunben mürben, beibes vielmehr
nebeneinanber beftehen fonnte» 3ch meine, nach einigen hunbert
3aB>ren mirb man auch in ben (ßebanfengebilben, bie mir 3urüd*
geiaffen haben, viel XBiberfprud]sr>oIles entbeden unb mirb ftdf
munbern, baß mir uns babei beruhigt haben» BTan mirb an bem,.
mas mir für ben Kern ber Dinge haften, noch manche harte unb
fpröbe Schale finben, man mirb es nicht begreifen, baß mir fo
fur3fichtig fein fonnten unb bas lüefentliche nicht rein 3U erfaffert
unb aus3ufcheiben vermochten» Kuch bort, mo mir heute noch uicht
ben geringften Kntrieb 3ur Sonberung verfpüren, mirb man einft
3 *
36
bas Kleff er anfeßen unb fdjeiben* bjoffen mir, bann billige Hinter
31t finben, bie unfere (Sebanfen nid]t nad] bem beurteilen, mas mir
unmiffentlid] aus ber Überlieferung übernommen unb 311 fontroüieren
nid]t bie Kraft ober ben Beruf befeffen B]aben, fonbern nad] bem,
mas unferem (Eigenften entftammt ift, mo mir bas Überlieferte unb
gemeinhin B}errfd]enbe umgebilbet ober uerbeffert Bjaben*
(Semiß, bie Aufgabe bes bjiftorifers ift fermer unb oerant*
mortungsoott, 3mifd]en Überliefertem unb Eigenem, Kern unb
Sdjale in ber prebigt 3 efu r>om Heieße (Sottes 3U fd]eiben* Wie
meit bürfen mir gefyen? XOix motten biefer prebigt bod] nid]t
iB]re eingeborene Krt unb 5arbe nehmen, mir motten fie bod] nid]t
in ein blaffes moralifdjes Schema uermanbeln! Kber anberfeits —
mir motten ißre (Eigenart unb Kraft aud] nicht verlieren, inbem
mir benen beitreten, bie fie in bie allgemeinen geitnorftettungen
auflöfen! Schon bie Krt, mie 34 U5 unter ißnen unterfeßieben
hat — er hat feine beifeite gelaffen, in ber nicht ein 5unfe
fittlicßer Kraft lag, unb er hat feine auf genommen, melcße bie
eigenfücßtigen (Ermattungen feines Dolfes uerftärfie, — feßon biefe
Unterfcßeibung leßrt, baß er aus einer tieferen (Erfenntnis heraus
gefproeßen unb geprebigt hat* Kber mir befißen uiel fcßlagenbere
geugniffe* XDer miffen mitt, mas bas Heid] (Sottes unb bas
Kommen biefes Heikes in ber Derfünbigung 3 efu bebeuten, ber
muß feine (Sleicßniffe Iefen unb überbenfen* Da mirb ißm auf*
gehen, um mas es fid] ßanbelt* Das Heid] (Sottes fommt, inbem
es 3U ben ein3einen fommt, (Ein3ug in iB]re Seele ßält, unb fie
es ergreifen* Das Heid] (Sottes ift (Sottes ß er rfcßaft, gemiß —
aber es ift bie bjerrfcßaft bes B]eiligen (Sottes in ben einzelnen
I}er3en, es ift (Sott felbft mit feiner Kraft* Kttes Dramaüfcße
im äußeren, meltgefd]id]tlid]en Sinn ift B]ier uerfeßmunben,
uerfunfen ift aud] bie gan3e äußerliche gufunftsßoffnung*
HeB]men Sie meld]es (Sleid]nis Sie motten, oom Säemann, von
ber föftlid]en perle, r>om Sd]aß im Kcfer — bas XPort (Sottes,
(Er felbft ift bas Heid], unb nid]t um (Engel unb ^Teufel, nid]t um
Cßrone unb 5 ürftentümer B]anbelt es fid], fonbern um (Sott unb
bie Seele, um bie Seele unb iB]ren (Sott*
%
ÜBxtxlt BnrlEfung.
Wir haben 3 ulet$t von ber prebigt 3e[u gefprochett, fofern
fie Pcrfünbigung bes Heikes (Sottes unb feines Kommens gemefen
ift. XPir haben gef eben, bajj biefe Perfünbigung alle Kusfagen
unb formen burdjläuft r>on ber altteftamentlich gefärbten, pro*
phetifchen Knftinbigung bes (Berichtstags bis 3 U bem (ßebanfen
eines je^t beginnenben innerlichen Kommens bes Heidjs. XPir
haben enblich 3 U seigen oerfucht, toarum bie lefetere Porfteßung
für bie übergeorbnete 3 U halten ift* 3et>or ich auf fie etmas
näher eingehe, möchte ich aber noch auf 3 tt?ei befonbers nichtige
Kusfagen ^irmoetfen, bie 3 u>ifchen ben polen „(ßerichtstag" unb
„3nnerliches Kommen" liegen.
(Srftlich, bas Kommen bes Keiches (Sottes bebeutet bie ger*
ftörung bes Heichs bes Ceufels unb bie Überroinbung ber Dämonen.
Sie h cri: fd)en bisher; fie haben r>on ben KTenfchen, ja non ben
Pölfcrü 23efi£ genommen unb 3 nnngen fie, ihnen 3 U XPillen 3 U fein.
3cfus erflärt aber nicht nur, baj$ er gekommen fei, bie XPerfe bes
Teufels 3 u 3 erftören, fonbern er treibt auch tbatfächlich bie Dämonen
aus unb befreit bie Plenfchen non ihnen.
(Beftatten Sie mir hier einen fleinen (Sjdurs. nichts berührt
uns in ben (Suangelien frember als bie Dämonengefchichten, bie
fich fo häufig in ihnen finben unb auf roelche bie <£t>angeliften ein
fo hohes (Sermcht gelegt haben. mancher unter uns lehnt fette
Schriften fchon beshalb ab, noeil fie folche unuerftänbige Dinge
berichten. X}ier ift es nun roichtig 3 U roiffen, ba§ fich gan 3 ähn*
liehe (Stählungen in ttielen Schriften jener geit finben, in grie*
chifdiett, römifchen' unb jübifchen. Die Porftellung ber „Befeffen*
38
heit" mar überall eine geläufige, ja fogar bie bamalige Xüiffen*
fchaft faßte einen großen Kreis franffyafter ErfMeinungen fo auf.
(Eben beshalb aber, meil bie Erfdjeinungen fo gebeutet mürben,
baß eine böfe geiftige XHacht non bem XHenfchcn Beftß ergriffen
habe, nahmen bie (Semütsfranfheiten 5ormen an, mie tuenn mirf*
lieh ein frembes XDefen in bie Seele eingebrungen fei. Das ift
nicht parabo£. (Sefeßt ben 5 all, unfre heutige IDiffenfchaft mürbe
erüären, baß ein großer Eeil ber Hervenfranfheiten aus Befeffett*
heit ftamme, unb biefe Erflärung verbreitete fich burch bie <§ei*
tungen im Dolfe, fo mürben mir halb mieber 3afytreidje 5älle er*
leben, in benen (Semütsfranfe mie von einem böfen (Seift ergriffen 3U
fein fcheinen unb glauben. DieCheorie unb ber (Slaube mürben fuggeftiv
mirfen unb „Dämonifche" genau ebenfo unter ben (Seiftesfranfen
er3eugen, mie fie fie 3<*hrhunberte, ja 3<*hrtaufenbe fyinburdj er3eugt
haben. Es ift alfo ungefdjichtlich unb tB)örid)t, bem Evangelium
unb ben Evangelien eine ihnen eigentümliche Dorftellung ober gar
„Cehre" von ben Dämonen unb ben Dämonifchen 3U3ufchreiben.
Sie nehmen nur an ben allgemeinen geitvorftetlungen tleil. freute
begegnen mir biefen formen ber (Seiftesfranfheiten nur noch feiten;
ausgeftorben finb fie jeboch noch nicht. Xüo fie aber auftreten, ift
heute noch rvie bamals bas befte XHittel, ihnen 3U begegnen, bas
XDort einer kräftigen perfönlichfeit. Sie vermag ben „Teufel" 3U
bebrohen, 311 be3mingen unb fo ben Kranfen 3U tyeilen. 3 ^
paläftina müffen bie „Dämonifchen" befonbers 3ahlreicb gemefen
fein. 3 efus erfannte in ihnen bie XHacht bes Übels unb bes X 3 öfen,
unb burch bie munberbare (Semalt über bie Seelen berer, bie ihm
vertrauten, bannte, er bie Kranfheit. Dies führt uns auf bas
gmeitc.
Kls 3 oh<ittnes ber Cäufer im (Sefängnis von gmeifeln bemegt
mürbe, ob 3efus ber fei, „ber ba fommen foll", fanbte er 3tvei
feiner 3ü^9^ r 3 U th m / um ih n felbft 3U fragen. Nichts ergreifenber
als biefe 5rage bes Eäufers, nichts erhebenber als bie Kntmort
bes bjerrn! Doch mir mollen bie Scene felbft nicht überbenfen.
XDie lautet bie Kntmort? „(Sehet fyin unb faget bem 3 oh annß5,
mieber, mas ihr fehet unb höret; bie Blinben fehen unb bie Nahmen
gehen, bie Kusfäßigen merben rein unb bie Eauben hören, bie
Coten ftehen auf, unb ben Krmen mirb bas Evangelium geprebigt."
Das ift „bas Kommen bes Keichs", ober vielmehr, in biefem
Jpjeilanbsmirfen ift es bereits ba. Kn ber Überminbung unb XDeg*
räumung bes (Elenbs, bcr Hot, bcr KranfBjeit, dn biefem thatfäch*
liefert IDirfen foH 3<>hannes fpiiren, baß eine neue <§eit angc*
brochen ift* Die Teilung ber* 3 efeffenen ift nur ein Ceti biefer
fjeilanbsthätigfeit; fie fe 1 bft aber fyat 3 cfus als Sinn unb
Siegel feiner 2 Tciffion bejeic^n.et* Klfo an bie (£1 enben,
Kranfen unb Hrmen B^at er jtdj gerietet; aber nicht als Hcoralift
unb ohne eine Spur wehmütiger Sentimentalität (Er teilt bie
Übel nicht in 5ächer unb ©ruppen ein; er fragt nicht lange, ob
ber Kranfe bie Teilung „verbient"; er ift auch weit entfernt, mit
bem Schmede ober* mit bem Cobe 3U [ympatB^ifieren, (Er fagt
nirgenbwo, baß bie Kranfheit Bjeilfam unb bas Übel geftmb fei*
Hein — er nennt Kranfheit Kranfheit unb ©efunbheit ©efunbheit*
Klles Übet, alles <Etenb ift ihm etwas fürchterliches; es gehört 3um
großen Satansreich; aber er fühlt bie Kraft bes fjeitanbes in ftch*
(Er weiß, baß ein fortfehritt nur möglich ift, wenn bie Schwache
überwunben, bie Kranfheit geteilt wirb*
Kber noch ift nicht bas Ceßte gefagt* Das ©ottesreich fommt,
inbem er Beeilt; es fommt vor allem, inbem er Sünbe vergiebt*
fjier erft ift ber oolle Übergang 3unt Begriff bes Heich'es ©ottes
als ber innerlich wirfenben Kraft gegeben* XOk er bie Kranfen
unb Krmen 3U ftch ruft, fo ruft er auch bie Sünber; biefer Huf
ift ber entfdjeibenbe* „Der Hienfchenfohn ift gefommen 3U fuchen
unb felig 311 machen, ibas verloren ift* 7 ' Hun erft erfcheint alles
Üußerlicfye unb blos <§ufünftige abgeftreift: bas 3ttkini&uunt wirb
erlöft, nicht bas Dolf ober ber Staat; neue Htenfchen fotlen
werben, unb bas ©ottesreich ift Kraft unb <§iel 3ugleich* Sie
fuchen ben verborgenen Schaß im Hcfer unb finben ihn; fie ver*
faufen alles unb faufen bie föftliche perle; fie fehren um unb
werben wie bie Kinber, aber eben baburch finb fie erlöft unb werben
©ottesfinber, ©otteshelben*
3 n biefem gufammenhang ha* 3 efus von bem Heiche ©ottes
gefprodjen, in welches man mit ©ewalt einbringt, unb wieberum
von bem Heiche ©ottes, welches fo ficher unb fo ftill aufwächft wie
ein Samenforn unb frucht bringt* (Es hat bie Hatur einer geiftigen
©röße, einer HTacht, bie in bas 3^mere eingefenft wirb unb nur
von bem 3 rmern 3U erfaffen ift* So fann er von biefem Heiche,
obgleich es auch int Fimmel ift, obgleich es mit bem ©erichts*
tage ©ottes fommen wirb, hoch fugen: „(Es ift nicht hier ober bort;
es ift inwenbig in euch*"
— 40
Die Betrachtung bes Beides, nach bet es im ^eilanbsmirfen
3cfu bereits gefommen ift unb fommt, ift in ber 5oIge3eit non ben
3üngern 3 efu nicht feftgehalten morben: man fuhr vielmehr fort,
non bem Beiche als r>on etwas Iebiglich «gufünftigem 3U fprechen.
2 Iber bie Sache blieb in Kraft; man ftellte fie nur unter einen
anberen Citel. <Es ift h^r ähnlich gegangen mie mit bem Begriff
bes „Uleffias". Kaum (Einer B^at fich, mie mir fpäter noch teh^n
merben, in ber J^eibenfirche bie Bebeutung 3 efu baburch Har ge*
macht, bag er ih'n als „UTeffias" fagte. Über bie Sache ift nicht
untergegangen.
Dös, was ben Kern in ber prebigt vom Beiche gebilbet heit,
blieb begehen. <£s hanbelt fich um ein Dreifaches. (Erftlich, bag
biefes Beich etmas Überzeitliches ift, eine ( 5 abe von Oben, nicht
ein probuft bes natürlichen Cebens; 3meitens, bag es ein rein/
religiöses (Sut ift — ber innere <§ufammenfchlug mit bem leben*
bigen (ßott; brittens, bag es bas XPidgigge, ja bas (Entfcheibenbe
ift, mas ber Ucenfeh erleben fann, bag es bie gan3e Sphäre feines
Dafeins burchbringt unb beherrfdg, meil bie Sünbe vergeben unb
bas (Elenb gebrochen ift.
Diefes Beich, melches 3U ben Demütigen fommt unb fte 3U
neuen, freubigen UTenfchen macht, erfdgiegt erft ben Sinn unb ben
§wed bes Cebens: fo hat es 3 efus felbft, fo haben es feine 3 ünger
empfunben. Der Sinn bes Cebens geht immer nur an einem
Überzeitlichen auf; benn bas (Enbe bes natürlichen Dafeins ift ber
Cob. (Ein bem Cobe verhaftetes Ceben aber ift finnlos; nur burch
Sophismen vermag man fich über biefe Chatfache hi^a?eg3utäufchen.
b^icr aber ift bas Beich (ßottes, bas <Emige, in bie <geit eingetreten.
„Das cm’ge Cicht geht ba hcrein, giebt ber XPelt einen neuen
Schein". Das ift 3 efu prebigt vom Beiche (Bottes. Ulan fann
alles mit ihr in Perbinbung fegen, was er fonft verfünbigt hat;
man vermag feine gan3e „Cehre" als Beichsprebigt 3U faffen. Über
noch fixerer erfennen mir fie unb bas (Sut, melches er meint,
wenn mir uns bem 3tveiten Kreife 3Umenben, ben mir in ber vorigen
Porlefung be^eidtnet haben, um an ihm bie (Srunb3Üge ber prebigt
3efu fortfehreitenb fennen 3U lernen.
2. (Sott ber Pater unb ber nncnbliche VOe rt ber
BTcnfchenfeele.
Unmittelbar unb beutlich lägt fich für unfer heutiges Por*
gellen unb (Empgnben bie prebigt Chrifti in bem Kreife ber (Se=
41 —
bonfcn crf affen, ber burch (Sott ben Pater unb burch bie Per«
fünbigung oom uncnblichen IPert ber KTcnfchcnfeele be3eichnet ift.
.fjier fomnten bie «Elemente 3um KusbrucF, bie ich als bie ruhenben
unb bie Hülfe gebenben in ber Perfünbigung 3 ßfu bezeichnen
möchte, unb bie 3ufammengehalten finb burch ben (Sebanfen ber
(Sottesfinbfcfjaft. 3 d) nenne fte bie ruljenben im Hnterfdjieb uon
ben impulfiuen unb jiinbenben «Elementen, obgleich gerabe ihnen eine
befonbers mächtige Kraft innemohnt. 3 nbem man aber bie gan3e
Perfünbigung 3 efu auf biefe beiben Stüde jurüdfüfjren fann —
(Sott als ber Pater, unb bie ntenfcbliche 5 eele fo geabelt, baß fte
ftd? mit ihm 3ufammen3ufchließen uerntag unb 3ufammenf<hließt —,
3eigt es ft cf 7, baß bas «Euangelium überhaupt feine pofitire Heligion
ift tuic bie anberen, baß es nichts Statutarifches unb partifu«
Iariftifc^es hat, baß es alfo bie Heligion felbft ift. Es ift er«
haben über allen (Segenfäßen uttb Spannungen uon Piesfeits unb
3 enfcits, Pernunft unb «Efftafe, Krbeit unb IPeltflucht, 3 übifchem
unb (Sried^ifdjem. 3 o allen fann es regieren, unb in feinem
irbifchen «Element ift es eingefchloffen ober nottuenbig mit ihm
behaftet. IPir wollen uns aber bas IPefen ber (Sottesfinbfchaft
im Sinne 3 «'[u beutlidjer machen, inbem tuir uier Spruchgruppen
bc3tu. Sprüche uon ihm fürs betrachten, nämlich {■ bas Pater«Unfer,
2. jenes fPort: „freuet euch nicht, baß euch bie (Seifter unterthan
linb, freuet euch aber, baß eure Hamen im bjimmel angefdjrieben
finb", 5 . ben Spruch: „Kauft man nicht 3toei Sperlinge um einen
Pfennig, unb bod; fällt berfeiben feiner auf bie Erbe ohne euren
Pater; alfo finb auch eure bjaare auf bem bjaupte ge3ähtt", 4. bas
H)ort: „JPas hülfe es bem HTenfchen, fo er bie gan3C IPelt ge«
toönnc unb nähme bo«h Schaben an feiner Seele".
d)ucrft bas Pater«Unfer. Es ift in einer befonbers feierlichen
Stunbc uon 3 efus feinen 3 üngern mitgeteilt worben. Sie hotten
ihn aufgeforbert, er möge fte beten lehren, u>ie 3of;annes feine
3 ünger beten gelehrt höbe, hierauf hot er bas Pater«Unfer
gefprochcn. 5ür bie höheren Heligionen finb bie (Sebete bas Ent«
feheibenbe. Piefes aber — bas empfinbet 3 eber, ber cs nicht
gebanfenlos an feiner Seele uorübersiehen läßt — ift gefpro«hen
uon Einem, ber alle innere Unruhe überwunben hot ober fte in
bem Kugcnblicfe überwinbet, ba er uor (Sott tritt. Schon’ bie
Knrebe „Pater" 3eigt bie Sicherheit bcs HTanncs, ber fich in (Sott
geborgen weiß, unb fpriefft bie (Sewißbeit ber Erhörung aus. Er
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betet nicht, um ftiirntifche tPünfdje gen bjimmel 3U fenben ober
um biefes ober jenes irbifche (Sut 3U erlangen, fonbern er betet,
um ficb bie Kraft 3U erhalten, bie er fchon befifet, unb bie (Einheit
mit (Sott 3U fiebern, in ber er lebt tiefes (Sebet fann bafyer nur
gefprochen rverben in tieffter Sammlung bes (Semütes unb bei
voEfommenfter 'Kot^entrierung bes (Seifles auf bas innere Der*
hältnis, auf bas Perhältnis 3U (Sott. KEe anberen (Sebete finb
„leidster"; benn fie enthalten particulares ober finb [0 3ufammen*
gefegt, baß fie bie ftnnliche phantafie irgenbtvie mitbervegen —
biefes (Sebet führt aus KEern heraus unb auf jene l}ö£)e, auf ber
bie Seele mit ihrem (Sott allein ift. Unb hoch verfchrvinbet bas
3 rbifcbe nicht, bie gan3e 3tveite bjälfte bes (Sebets be3iebt ficb auf
irbifche Perhältniffe. Uber fie ftehen im Cichte bes (Ervigen. J KEes
Bitten um befonbere (Snabengaben, um befonbere (Süter, auch
geiftlicbe, fucht man vergebens. „Solches roirb euch UEes 3ufaEen."
Per Barne, ber XDiEc, bas Beich (Sottes — biefe rubenben unb
ftetigen (Elemente finb ausgebreitet auch über bie irbifeben Per*
* hältniffe. Sie fcbmel3en aEes (Eigenfüchtige unb Kleine binmeg unb
laffen nur vier Stüde befteben, beremvegen es ficb lohnt 3U bitten:
Pas tägliche Brot, bie tägliche Schulb, bie täglichen Perfuchungen
unb bas Böfe bes Cebens. (Es giebt nichts in ben (Evangelien,
tvas uns ficberer fagt, tvas (Evangelium ift, unb rvclcbe (Sefinnung
unb Stimmung es er3eugt, als bas „Pater Unfer." Kuch foE man
aEen, bie bas (Evangelium h^mrterfefeen, inbem fie es für ettvas
Ksfetifches ober (Elftatifcbes ober Sociologifcbes ausgeben, bas
Pater Unfer Vorhalten. Bach biefem (Sebet ift bas (Evangelium
c (Sottesfinbfchaft, ausgebetpat über bas gan3e Ceben, ein innerer
<§ufammenfchluß mit (Sottes XPillen unb (Sottes Heid] unb eine
freubige (Setvißhoi* im Befife etviger (Süter unb in Be3ug auf ben
Schüfe vor bem Übel.
Unb ber 3tveite Spruch — tvenn 3 efus fagt: „freuet euch
nicht, baß euch bie (Seifter untertban finb, freuet euch aber, baß
eure Barnen im bjimmel angefebrieben finb," fo ift auch h^ r mit
befonberer Kräftigfeit ber (Sebanfe bervorgehoben, baß bas
Betvußtfein, in (Sott geborgen 3U fein, in biefer Beligion bas (Ent*
febeibenbe ift. Selbft bie größten Cbaten, fogar bie IPerfe, bie in
Kraft biefer Beligion gethan tverben, reichen nicht h er <m cm bie
bemütige unb ftol3e «guverficht, für «geit unb (Ervigfeit unter bem
väterlichen Schufee (Sottes 3U fteB>en. Boch mehr — bie (Echtheit,
43
ja bie IDirflicfyfeit bes religiöfen (Erlebniffes ift lieber an ber Über*
fdjmenglidjfeit bes (8efüE>Is nodj an ficfjtbaren (Brogtljaten 31t
roeffen, fonbern an ber 5reube unb an bem Uneben, bie über bie
Seele ausgegoffen finb, tnelcfye 3U [preßen nermag: „UTcin Dater."
IDeldjen Umfang fyat 3efus biefent (Bebanfen^non ber näter*
lidjen DorfeEjung (Bottes gegeben? f}ier tritt ber britte Spruch
ein: „Kauft man nicfyt 3tt>ei Sperlinge um einen Pfennig? Dod?
fällt berfelben feiner auf bie (Erbe ofyne (Euren Daten Bun aber
finb aud? eure ffaare auf bem Raupte alle ge3äEjlet" Soiueit
fid? bie 5urd^t, ja foroeit ficb bas Ceben erftredt — t>as Ceben bis
in feine lebten fleinen Üußerungen im Baturlauf — foroeit foll
fid? bie gunerfidjt erftreden: (Bott fit$t im Begimente* Die Sprüche
non ben Sperlingen unb von ben Blumen bes Selbes E?at (Er feinen
3üngern 3ugerufen, um ihnen bie 5urd?t t>or bem Übel unb bas
5urdjtbare bes Cobes 3U benehmen; fie merben es lernen, bie f}anb
bes lebenbigen (Bottes überall im'Ceben unb aud? im Cobc 311
erfennen.
(Enblid) — unb bies XDort mirb uns nun nicfyt nteE>r über*
rafdjen — er Ejat bas f}öd}fte in Be3ug auf ben IDert bes UTenfcfyen
gejagt, inbem er gefprocfyen: „IDas b^ülfe es bem IHenfdien, fo er
bie gan3e IDelt getnönne unb näfyme bod? Schaben an feiner Seele?"
XDer 3U bem IDefen, bas fjimmel unb (Erbe regiert, mein Dater
fagen barf, ber ift bamit über fjimmel unb (Erbe erhoben unb bat
felbft einen IDert, ber EjöEjer ift als bas (Befüge ber IDelt Uber
biefe herrliche <§ufage ift in ben (Ernft einer (Ermahnung ein*
gef leibet (Sähe unb Uufgabe in (Einem* XDie anbersUefyrten'
barüber bie (Sriecfyen. (Betrüg, bas Ejofye Cieb bes (Beiftes E>at
fd?on plato gefangen, iEjn non ber gefamten IDelt ber (Erfcfyeinung
unterfchieben unb feinen einigen Urfprung behauptet Uber er
meinte ben erfennenben (Seift, f teilte iE>n ber ftumpfen unb blinben
ZHaterie gegenüber, unb feine Botfdjaft galt ben XDiffenben* 3efus
(£E>riftus ruft jeber armen Seele, (Er ruft Ullen, bie UTenfdjenantlig
tragen, 3U: 3^' 1 feto Kinber bes lebenbigen, (Bottes unb nidjt nur
beffer als niele Sperlinge, fonbern roertnoller als bie gan3e IDelt
3d? Ejabe jüngft bas XDort gelefen, ber IDert bes roafyrEjaft großen
VTiannes beftefye barin, bag er ben IDert ber gan3en UTenfcfyfyeU l
fteigere. 3^' ber Chat, bas ift bie fyöcfyfte Bebeutung grof^r
UTänner, fie fyaben ben IDert ber IHenfd^eit — jener IHenfd^eit;
bie aus bem bumpfen (ßrunbe ber Hatur aufgeftiegen ift — gefteigert,
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b* B>* fortfcfyreitenb in Kraft gcfeßt* Kber er ft burd] 3 efus CBjriftus
ift ber XDert jeber cin3clncn Rlenfdjcnfeelc in bic (Erfdjeinung
getreten, unb bas fann Hicmanb rnefyr ungcfcfyefyen machen, RTan
mag 5U ifym fclbft fielen, roie man u>iE, bie Knerfennung, baß er
in ber <Sefd}id?te bie RTenfcfifynt auf biefe fjöfye geftellt fyat, Bann
ibm Ricmanb uerfagen*
(Eine Umwertung ber IDerte liegt biefer Bjödiftcn IDertfdjäßung
5U (Srunbe* Dem, ber fid? feiner (Süter rüfymt, ruft er 3m „Du
Rarr*" KEen aber fyält er uor: „Hur roer fein Ceben oerlicrt,
ruirb es gettffnncn*" <Er fann fogar fagen: „Hur raer feine 5 eeBe
baßt, u>irb fie bemafyren*" Das ift bie Umroertung ber XDerte, bie
uor ifym manche geahnt, bereu IDaBjrBjeit fie mie burdj einen
Schleier gefdjaut, bereu erlöfenbe Kraft — ein befeligenbes
<SeB)cimnis — fie norempfunben fyaben* (Er 3uerft Bjat es rufyig,
einfach unb fidler ausgefprocfyen, tuie t renn bas eine XDaBjrBjcit
märe, bie man von ben Sträudjern pflüefen fann* Das ift ja bas
Siegel feiner (Eigenart, baß er bas (Eieffte unb (Entfdjeibenbe in
ooEfommener (Einfachheit ausgefprochen B^at, aBs fönne es nicht
anbers fein, als fage er etmas Selbftoerftänbliches, als rufe er nur
5urücf, roas aBIe roiffen, roeil es im (Srunbe ihrer SeeBe Bebt*
3 n bem (Sefügc: (Sott ber Dater, bie DorfeBjung, bie Kinb*
fchaft, ber unenbliche IDert ber RTenfchenfeele, fpricht fid] bas
gan3e <Et>angeIium aus* XDir muffen uns aber flar machen, mie
paraboj: bies alles ift, ja, baß bic parabo^ie ber Religion erft Bjier
3U ihrem ooEcn Kusbrucf fommt* KEcs Religiöfe — nicht nur
bie Religionen — ift, gemeffen an ber finnlichen (Erfahrung unb
bem e^aften IDiffen, paraboj;; es roirb Bjier ein (Element eingeführt
unb für bas tx>id}tigfte erfBärt, toelches ben Sinnen gar nicht er*
feheint unb bem Cfyatbeftanbe ber Dinge ins (Sefidjt fdjlägt* Kber
aEe anbern Religionen finb irgenbmie mit bem XDeltlicfyen fo uer*
flochten, baß fie ein irbifd? einleuchtenbes RToment in fid? tragen,
be3m* bem geiftigen guftanb einer beftimmten (Epoche ftofflied? uer*
roanbt finb* XDas aber fann meniger cinleuchtenb fein als bie
Rebe: (Eure fjaare auf bem Raupte finb ge3äfylet; iB?r habt einen
überzeitlichen *ZDcrt, iB?r fönnt euch in bie fjänbe eines XDefens
befehlen, bas Riemanb geflaut B^at* <Enta>cber ift bas eine finn*
lofe Rebe, ober bie Religion ift B?ier 3U (Enbe geführt; fie ift nun
nicht mehr blos eine BegBeiterfcfyeinung bes finnlichen Cebens, ein
(Eoefficient, eine Derflärung beftimmtcr Ceüc besfelben, fonbern
1
— 45 —
fk tritt hier auf mit bem fotweränen Knfpruch, baß erft fk unb
fie allein ben Urgrunb unb Sinn bes Cebens enthüllt; fk unter-
mirft |ich bie gefamte bunte IDelt ber (Erfcheinung unb troßt ihr,,
ruenn fie [ich als bie allein wirBliche behaupten tx>ill* Sie bringt
nur eine (Erfahrung, aber läßt in ihr ein neues XDeltbilb ent¬
gehen: bas cErx>ige tritt ein, bas Zeitliche tx>irb KTittel 3um gwecB,
ber Klenfch gehört auf bie Seite bes (Ewigen* Dies ift jebcnfalls
3efu BTeinung gewefen; ihr irgenb etwas db$iefycn, heißt fie
bereits 3erftören* 3 nbem er ben Dorfehungs-(SebanBen lijcBcnlos
über IHenfchheit unb XDelt ausbreitet, inbem er bie IDu^eln jener
in bie <EwigBeit 3urücBführt, inbem er bie (SottesBinbfchaft als < 5 abc
unb Aufgabe uerfünbigt, hat er bie taftenben unb ftammelnben
Derfuche ber Heligion in Kraft gefaßt unb 3um Kbfchluß gebraut
2Toch einmal fei es gefagt: 2Han mag fich 3U ihm, man ntag ftch
3U feiner Botfdjaft [teilen wie man will, gewiß ift, baß fid? uon
nun an ber BDert unferes (ßefchlechts gefteigert hat; KTenfchen-
leben, mir felbft finb einer bem anbern teurer geworben* IDirBliche
(Ehrfurcht uor bem KTenfchlicben ift, ob fie’s weiß ober nicht, bic
praftifdie KnerBennung (ßottes als bes Paters*
3 * Pie beffere (SerechtigBeit unb bas ( 5 ebot ber
Ciebe — bies ift ber britte Kreis unb bas gan3e (Evangelium Bann
in biefen 2 Kng gefaßt werben; man Bann es als eine etfyifdje Bot-
fdjaft barftellen, ohne es 3U entwerten* 3 n feinem DolBc fanb
3 efus eine reiche unb tiefe (EthiB vor* (Es ift nicht richtig, bic
pharifäifche KToral Iebiglich nach Bafuiftifchen unb läppifchen (Er-
fcheinungen 3U beurteilen, bie fte aufweift* Durch bie DerfTechtung
mit bem Kultus unb bie Derfteinerung im Hitual war• bie KToral
ber ^eiligBeit gewiß gerabe3u in ibr (Gegenteil vermanbelt, aber
noch war nicht alles hart unb tot geworben, nod) war in ber
Ciefe bes Syftems ztvoas Cebenbiges vorBjanben* Pen ^ragenben
Bonnte 3 efus antworten: „ 3 hr habt' bas < 5 efefe, haltet es; ihr wißt
felbft am beften, was ihr 3U tB)un habt, bie ^auptfumme bes
(ßefeßes ift, wie ihr felbft fagt, bie (8ottes* unb bie 2Tächftenliebe*"
Dennoch Bann man bas «Evangelium 3 cfu in einem ibm eigen¬
tümlichen Kreife ethifcher < 5 ebanBen 3um KusbrucB bringen* VOiv
wollen uns bas an vier punBten Blar machen*
I (Erftlich, 3 cfus löfte mit fcharfem Schnitte bie Derbinbung ber
(EthiB mit bem äußeren Kultus unb ben technifch=religiöfen Übungen*
f<£r wollte von bem tenben3iöfen unb eigcnfüchtigen Betriebe „guter
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Werte" in Verflechtung mit bem gottesbieiiftlichcn Hitual fd)techter-
bings nichts mehr wiffen. Entrüfteten Spott Eiat er für biejenigen,
■bic ben Hächfien, ja ihre Eltern barben taffen, aber bafür an ben
Cempet (Sefchenfe fehiefen. bjicr fennt er feinen Kompromiß Die
£icbe, bie Barmfjerjigfeit hat ihren <§mec! in fich; fie wirb ent¬
wertet unb gefebänbet, trenn fie etwas anbercs als Dienft am
Hächften fein foE.
Zweitens, er geht überaE in ben fütlidjen fragen auf bie IDursel,
b. b. auf bie (ßefinnung surücf. Das, was er „beffere (ßeredjtigfeit"
nennt, ift lebiglich von f^icr aus 3 U verftehen. Die „beffere" (Serech-
tigfeit ift bie (Serecbtigfeit, weld]e befteben bleibt, auch wenn man ben
ZTIaßftab in bie Ciefe bes ^erjens fenft. JDieber fdjeinbar etwas
fet;r Einfaches, Selbftuerftänbliches. Dennoch Ejat er biefc IVahr-
I?eit in bic fdjarfe form gef leibet: „§u ben Ulten ift gejagt wor¬
ben .... 3d; aber jage euch." 2EIfo war es hoch ein Heues;
alfo wußte er, baß es mit foldjcr Konfequcnj unb Souoeränetät
noch nicht au^gefprodjen worben war. (Einen großen Ceit ber
fogenannten Scrg'prebigt nimmt jene Verfünbigung ein, in welcher
er bic eitt 3 elnen großen (gebiete mcnfdilichcr Besiegungen unb
menfd)Iicher Verfehlungen burdjgeht, um überaE bie (ßefinnung
aufsubeefen, bic JVerfe nach ihr 3 U beurteilen unb bjimmel unb
fföfle an fie ju fnüpfen.
Drittens, er führt UEes, was er aus ber Verflechtung mit
bem ©genfüchtigen unb BitueEen befreit unb als bas Sittliche
erfannt hat, auf eine IVursel unb auf ein ZtTotir» surücf, — bie
Ciebe. Ein anbercs fennt er nicht, unb bie Ciebe ift felbft nur
eine, mag ftc als Bächften-, Samariter- ober feinbesliebc cr-
fd)cinen. Sic foE bie Seele gan 3 ausfüEcn; fie ift bas, was bleibt,
wenn bie Seele fich felber ftirbt. Jn biefem Sinne ift bie Ciebe
bereits bas neue Ceben. 3mmer aber ift cs bie Ciebe, bie ba
bient; nur in biefer funftion ift ftc oorhanben unb lebenbig.
Viertens, wir haben gefehen, 3efus hat bas Sittliche heraus¬
geführt aus aEen ihm fremben Verbinbungen, felbft aus ber Ver-
fnüpfung mit ber öffentlichen Religion. Die haben ihn alfo nicht
mißuerftanben, bie ba erflärten, es hanbete fich int Evangelium um
bic gemeine ZTloral. Unb bod) — einen entfeheibenben punft
giebt es, an welchem er bie Beligion unb bie ZlToral 3 ufammen=
binbet. Diefer punft wiE entpfunben fein; er läßt fich nicht leicht
faffen. 3 m fjinblicf auf bie Seligpreifungcn barf man ihn viel-
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leidet am beftcn als bic Demut beseidjncn: Demut unb Ciebe tjat
3 efus in (Eins gefegt, Demut ift feine einseine Cugenb, fonbern
fie ift reine (Empfänglidjfeit, Kusbrud innerer Bebürftigfeit, Bitte
um ©ottes ©nabe unb Dergebung, alfo KufgefdjloffenBjeit gegen*
über ©ott. Don biefcr Demut, meldic bie ©ottesliebc ift, bie mir
5u leiften vermögen, meint 3 efus — benfen Sie an bas ©leidjnis
uont pfjarifäer unb Zöllner —, baj$ .fie bie ftetige Stimmung bes
tönten ift, unb ba§ aus ifyr alles ©ute quillt unb mädjft. „Dcrgieb
uns unfcrc Sdjulb, mie mir vergeben unfern Sdjulbigern", bas ift
bas (Bebet ber Demut unb ber Ciebe 3uglcid}. KIfo fjat aud} bie
Ciebe 3unt Hädjften fyier ifyren QueEpunft; bic ©eiftlid^Krmen
unb bie b^ungernben unb Dürftenben finb aud? bie 5 riebfertigen
unb Barmfycr3igem
3 n bicfem Sinne ift Hcoral unb Heligion burdj ^e\ns per*
fnüpft morben; in biefem Sinne fann man bie Heligion bie Seele
ber HToral unb bie Hcoral ben Körper ber Heligion nennen* Don
liier aus pcrftefjt man, mie 3 efus ©ottes* unb Bädiftenliebe bis
5ur 3bentifi3icrung aneinanberrüden fotinte: bie Hädiftenliebe ift
auf (Erben bie einige Betätigung ber in ber Demut lebenbigen
©ottcslicbe.
3nbem 3efus feine prebigt non ber befferen ©eredjtigfeit
unb bem neuen ©ebot ber Ciebe in. biefen picr bjauptgebanfen
3unt Kusbrud gebracht B^at, tjat er ben Kreis bes <EtE)ifd}en in
einer XDeife umftneben, mie if^n nod} Hicmanb por tm um*
fdjricben fyatte. XDcnn ftd) uns aber 3U perbunfeln brofyt, mas er
gemeint fjat, fo moEen mir uns immer mieber in bie Seligprei*
jungen ber Bergprebigt perfenfen. Sic ent alten feine (Etfjif unb
feine Heligion, in ber XDur3el perbunben unb pon aEem Kujger*
liefen unb partifularen befreit.
Sfmffe BorlBfimg.
2ltn Schluffe ber lebten Dorlefuttg habe id) auf öic Sclig=
preifungen uerroiefeu unb in Kürjc angebeutet, baß fte in befonbers
«inbrucfsooEer Weife bie Üeligion 3efu barfteaen. 3d) möchte Sie
<m eine anbere SteEe erinnern, melchejj! seigt, baß 3efus in ber
Übung ber Bächftenliebe unb Barmherjigfeit bie eigentlicbe Be--
tljätigung ber Üeligion erfannt hat. 3n einer feiner leßten Beben
I?at er nom (Bericht gefprodjen unb in einem (Sleidjniffe es anfdiam
tid? gemacht, nämlich in bem (ßleichniffe t>om Wirten, ber bie Schafe
unb bie Böcfe fdjeibet. Den einzigen Scheibungsgrunb aber bilbet
Sic frage ber Barmberjigteit. Sie mirb in ber form aufgeworfen,
ob bie ülcnfdjen 3h» felbft gefpeift, getränft unb befucht haben,
b. h- fic mirb als religiöfc frage gefteEt; bie paraborie wirb
Sann aufgehoben in bem Säße: „Was ihr bem (Seringften unter
meinen Brübern gethan habt, bas habt ihr mir gethan." Deut-
lieber fann man es nicht oor bie Bugen malen, baß im Sinne
3efu Barmherjigfeit bas «ntfdjeibenbe ift, unb baß bie (Befinnung,
tn ber fte geübt wirb, auch Sie richtige religiöfe fjaltung »cr=
bürgt. 3moiefern? Weil Sie ÜTenfchen in ber Übung biefer
Cugcnb (Sottes Üadtahmer finb: „Seib barmherzig wie euer Dater
im Fimmel barmher 3 ig ift.“ Das ÜTajeftätsrecht (Bottes übt, wer
Barmher 3 igfeit übt; benn (Bottes (Berechtigfeit ooüjieht jtdj nicht
ttadj ber üegel: „Buge um Buge, gähn um Sahn“, fonbern fteEjt
unter ber 2T(ad}t feiner 3armBjer3igfeit*
Caffen Sie uns einen 2lugenbli<f B^ier uermeilen: es mar ein
ungeheurer Sortfchritt in ber (geeichte ber Heligion, es mar eine
49
neue Heligionsftiftung, als einerfeits in <Sried?enlanb burd? Dichter
unb Denfer, anbererfeits in paläftina burd? bie Propheten bie 3bee
ber (Sercdjtigfeit unb bes gerechten (Sottes Iebenbig mürbe unb bie
überlieferte Heligion umbilbete. Die (Sötter mürben auf eine höhere
Stufe gehoben unb r>erftttlid?t; ber friegerifd?e unb unberedjen«
bare 3et}onat) mürbe 3 U einem heiligen IDefen, auf beffen (Bericht
man fid? oerlaffen fonnte, menn aud? in 5urd?t unb gittern. Die
beiben großen (gebiete, bie Heligion unb bie HToral, bisher ge«
trennt, rücften naf?e sufammen; benn „bie (Sottf?eit ift Ejeilig unb
geredet". iDas fid? bamals entmicFelt bat, ift unfre (gefd?id?te;
benn es gäbe überhaupt feine „H 1 enfd?heit", feine „iDeltgefd?id)te"
im höheren Sinn ohne jene entfeheibenbe iüanblung. 3hre nächfte
5 oIge läßt ftd) in bie HTarime sufammenfaffen: „IDas ihr nicht
mollt, baß euch bie Ceute thun, bas thut ihnen auch nicht."
Diefe Hegel, fo nüd?tern unb bürftig fte erfefjeint, enthält bod? eine
ungeheure jtttigenbe Kraft, menn fte auf alle menfehlichen Hejie«
hungen ausgebehnt unb mit Crnft beobachtet mirb.
Kber fie enthält bod? nicht bas Ceßte. Der leßte mögliche
unb notmenbige 5 ortfd?ritt mar erft uol^ogen — mieberum eine
neue Heligionsftiftung! —, als ftd? bie <ßered?tigfeit ber Harm«
her 3 igfeit untermerfen mußte, als ber (Sebanfe ber 23rüberlid?feit
unb ber Aufopferung im Dienfte bes Hächften fouuerän mürbe.
Die Htajcime fd?eint aud? biesmal nüchtern — „VOas ihr mollt,
baß eud? bie Ceute thun, bas thut ihnen aud?" —, unb bod? führt
fie, richtig uerftanben, auf bie £?öf?e unb fchließt eine neue Sinnes«
meife unb eine neue Heurteilung bes eigenen Cebctts ein. Der
(Sebanfe: „lüer fein Ceben »ediert, mirb es gemimten", ift un=
mittelbar mit ihr gefeßt unb bamit eine Kmmertung ber IDerte
in ber (Semißheit, baß bas mahre Ceben nicht an biefc Spanne
geit gefnüpft ift unb nicht am finnlicßen Dafein haftet.
3<h hoff« bamit, menn auch in Kürje, ge 3 eigt 3 U haben, baß
aud? in bem Kreife ber (gebauten 3efu, ber burd? bie „beffere <Se=
rcd?tigfeit" unb bas „neue (gebot ber Ciebe" be 3 eid?net ift, bas
<gan 3 e feiner Cehre enthalten ift. 3n ber Chat, jene brei Kreife,
meld?e mir unterfd?ieben haben — bas Heid? (gottes, <gott als ber
Pater unb ber unenblid?e JDert ber Hienfd?enfeele, bie in ber Ciebe
ftd? barfteUenbe „beffere" (gered?tigfeit — faßen 3 ufammen; benn
bas Heid? (gottes ift leßtlid? nichts anberes als ber Sd?aß, ben bie
Seele an bem emigen unb barmher 3 igen (Sott befißt, unb uon hier
£?arnacf, liefert b. <Et)rijle'ntums. 4
50
aus farm in wenigen Strichen alles cntmicfelt merben, was bie
€BjriftenI]eit als Hoffnung, <51 aube unb Ciebe auf (Srunb ber
Sprüche 3efu erfarmt B^at unb fcftbalten mill*
XDir gelten meiter* Halbem mir bic < 5 runb 3 Üge ber Der*
fünbigung 3 efu feftgeftellt fyaben, verfudjen mir, in bem 3 tveiten
Kbfcbnitte bie f}auptbe 3 iebungen bes (Evangeliums im
ein 3 einen 3 U bebanbeln* it)ir lieben feebs punfte be 3 tv* 5 r<*c$en
bervor, bie, meil fie an ficb bie miebtigften ftnb, auch 3 U allen
feiten als folcbe empfunben unb beurteilt mürben* Unb mag auch
im Caufe ber Kircbengefcbicbte bie eine ober bie anbere Stage einige
^cümefynte btrtburcb in ben f}intergrunb getreten fein, fo febrte fie
boeb immer mieber, unb 3 mar mit verboppelter Kraft, 3 urüd:
Das Evangelium unb bie Welt, ober bie 5rage ber Ksfefe,
2 . Das Evangelium unb bie. Krmut, ober bie fo 3 iale 5rage,
5* Das Evangelium unb bas Hedjt, ober bie 5rage nach ben
irbifeben ®rbnungen,
^* Das Evangelium unb bie Krbeit, ober bie 5rage ber Kultur,
5* Das Evangelium unb ber (5ottesfobn, ober bie 5rage ber
Ebriftologie,
6 * Das Evangelium unb bie Cebre, ober bie 5rage nach bem
Befenntnis*
Kn biefen feebs 5 ^cigett — bie vier erften geboren 3 ufammen,
bie beiben folgenben fteben für ficb — B?offe icb, bie miebtigften
2 Se 3 iebungen ber Derfünbigung 3cfa, freilich nur in Umriffen,
barftellen 3 U fönnen*
\* Das Evangelium unb bic ZDclt, ober bie 5rage ber
Ksf efe*
Es ift eine meitverbreitete UTeinung — in ben fatbolifeben Kir*
eben berrfebt fie, unb viele proteftanten teilen fie beute —, bas Evan*
gelium fei im lebten (5runbe unb in feinen miebtigften Knmeifungen
ftreng meltflüd}tig unb asfetifcb* Die einen verfimbigen biefe „Er*
fenntnis" mit Ceilnabme unb Bemunberung, ja fie fteigern fie bis
3 u ber Behauptung, eben in bem meltverneinenben Ebarafter liege,
mie im Bubbbismus, ber gan 3 e Wett unb bie Bebeutung ber ge*
nuinen cbriftlicben Ueligion befcbloffen* Die anbeten betonen bie
meltffücbtigen Cebren bes Evangeliums, um babureb feine Unver*
51
/
einbarfeit mit ben ntobernen fitttichen (Sruhbfäßett bar 3 uthun unb
bic Hnbrauchbarfeit biefer Hetigion 3 U errveifem (Einen eigentüm*
lid^en Kustveg, eigentlich ein probuft ber Per 3 tveiflung, haben bie
fathotifchen Kirchen gefunbem , Sie ernennen, tvie bemerft, ben
tveltverneinenben (Eharafter bes (Evangeliums an unb lehren bem
entfpredjenb, baß bas eigentliche chriftliche Ceben nur in ber 5orm
bes Hlönchtums — bas ift bie „vita religiosa“ — 3 um Kusbrucf
fomme; aber fte taffen ein „nieberes" Chriftentum ohne Ksfefe als
, r noch ausreichenb" 3 m Piefe merftvürbige Kon 3 effion mag bixev
auf ftch beruhen bleiben: baß bie solle Nachfolge Chrifti nur ben
KTönchen mögtich ift, ift fathotifche Cehre. Heit ihr hat ein großer
Philofoph unb noch größerer Schriftftetter unferes 3ahrhunberts
gemeinfame Sache gemalt: Schopenhauer feiert bas (Ehriftentum,
meit unb fofern es große Ksf eten tvie ben heiligen Kntonius ober
ben heiligen 5 ranciscus ertveeft hat; tvas barüber hmaustiegt in
ber chriftlichen Perfünbigung, erfcheint ihm unbrauchbar unb an*
ftößig* Jn siet tieferer Betrachtung als Schopenhauer unb mit
einer h™reißenben Kräftigfeit ber (Empftnbung unb H1acht ber
Sprache hat jE^XÜoi bie asfetifchen unb rvettftüchtigen <?>üge bes
(Evangeliums ausgehoben unb 3 ur Hochachtung 3 ufammengefaßt
Htan fann auch nicht verfennen/ baß bas asfetifdje 3 beat, tvelches
er bem (Evangelium entnimmt, tvarm unb ftarf ift unb ben Pienft
am Hächften einfehtießt; aber bie XPettftucht erfcheint auch bei ihm
als bas (Eharafteriftifche* Caufenbe unferer „(Sebitbeten" Iaffen
fid^ burd) feine (Er 3 ählungen ah* unb aufregen; aber im tiefften
(5runbe finb fte beruhigt unb erfreut, baß bas (Ehriftentum IPett*
Verneinung bebeutet; benn nun tviffen fte beftimmt, baß es fte nichts
angeht VCixt Hecht finb fie nämlich getviß, baß ihnen biefe XPelt
gegeben ift, um ftch innerhalb ihrer (Süter unb 0rbnungen 3 U
betvähren; verlangt bas (Ehriftentum ettvas anberes, fo ift feine
XPibernatiirtichfeit ertviefem ZPeiß es biefem Ceben feinen «gtveef
3 u feßen, verfchiebt es altes auf ein 3 enfeits, erftärt es bie irbifdjen
(ßiiter für' umvert unb leitet es ausfehtießtid? 3 ur XPettftucht unb
3 u einem befchaulichen Ceben an, fo beteibigt es alte tEhatfräftigen,
ja leßttich alte rvahrhaftigen Haturen; benn biefe finb getviß, baß
uns unfre ^ähigfeiten gegeben finb, bamit rvir fie gebrauchen, unb
bie (Erbe uns 3 ugetviefen ift, bamit rvir fie bebauen unb beherrfchen.
Kber ift bas (Evangelium nicht tvirflich rveltverneinenb? (Es
finb fef>r befannte Stetten, auf bie man fich beruft unb bie eine
4*
52
anbere Peutung nicht jujulaffen fchehten: „ärgert bich bcin Auge,
fo reiß es aus urtb mirf cs Dort bir; ärgert bich beirtc fjanb, fo
ftaue fte ab," ober bie Antmort an ben reichen 3üngling: „(ScE?c
Ijtn urtb oerfaufe altes, mas bu haft, fo mirft bu einen Schaß
im Ejimmel haben/' ober bas IPort non benen, bie fich um bes
£jimmelreid)s mitten felbft nerfchnitten haben, ober ber Spruch: „So
jernanb 3 U mir fommt unb haftet nicht feinen Pater, ATutter, IPeib, c
Kinber, Brüher, Schmeftern, auch ba 3 U fein eigenes £eben, ber fann
nicht mein 3iinger fein." Hach liefen Aborten unb anberen fcfteint
es ausgemacht, baß bas (goangelium burcftaus meltflüchtig unb
asfetifch ift» Aber ich [teile biefer (Lhcfe brei Betrachtungen
gegenüber, bie in eine anbere Aidjtung führen. Pie erfte ift aus
ber Art bes Auftretens 3cfu unb aus feiner £ebensfüt)rung unb -an-
tueifung gemonnen; bie scoeite grünbet ftch auf ben €inbrucf, ben
feine 3 iirtgetr non ihm gehabt unb in ihrem eigenen £eben mieber*
gegeben haben ; bie britte enbiief) murjelt in bem, mas mir über
bie „(Srunbjüge" bes ©Dangeliums ausgeführt haben.
f. 3n unferen ©Dangetien finben mir ein merfmürbiges IPort
3 «fu; es lautet: „ 3 ohannes ift gefommen, aß nicht unb tranf nicht;
fo fagen fie: <£r hat ben Ceufet. Pes ATenfchen Sohn ift gefommen,
iffet unb trinfet; fo fagen fie: Siehe mie ift ber ATenfd? ein Treffer
unb ein IPehtfäufer." Alfo einen Treffer unb IPeinfäufer hat man
ihn genannt neben ben anberen Schmähnamen, bie man ihm gab.
hieraus geht beutlich h^or, baß er in feiner ganzen Ejattung unb
Cebensmeife einen anberen ©nbruc! gemacht hat als ber große
Bußprebiger am porban. Unbefangen muß er ben (gebieten,
auf benen herkömmlich Asfefe getrieben mürbe, gegenüber geftanben
haben, IPtr fehen ihn in ben ffäufern ber Aeicften unb ber Armen,
bei ZHahtjeiten, bei grauen unb unter Kinbern, nach ber ftber=
Iieferung aud) auf einer fjod^eit. <£r läßt ftch bie 5 iiße mafdjen
unb bas löaupt falben. ADeiter, er fehrt gern bei ATaria unb
ATartha ein unb ocrlangt nicht, baß fie ihr £faus nerlaffen. Auch
biejenigen, bei benen er freubig einen ftarfen (glauben finbet, läßt
er in ihrem Beruf unb Stanb. IPir hören nicht, baß er ihnen
3 uruft: (gebt alles preis unb folgt mir nach. Aügenfcheinlid) hält
er es für möglich, ja für angemeffen, baß fte ihres (glaubens an
ber SteEe leben, an bie fie (gott gcftellt hat. Sein 3üngerfrcis
erfdjöpft ftch nicht in ben menigen, bie er 3 U birefter Hachfolgc
auf gerufen hat. (gottesfinber finbet er überall; fte in ber Per-
53
borgcnheit 511 entwerfen unb ihnen ein IHort ber Kraft fagen 3a
bürfen, ift il’in bie böciiftc ^reube. 215 er auch feine 3ünger bat
er nicht als einen HTöncbsorben organifiert: ir>as fie 3U tbun unb
3U laffen haben im teben bes Cages, barüber bat er ihnen feine
Porfchriftcn gegeben. IPer bie ©oangelien unbefangen lieft unb
nicht Silben fiictjt, ber muff erfennen, bafj man biefen freien unb
lebenbigen (Seift nicht unter bas 3 od) ber Hsfefe gebeugt finbet,
unb baff baher bie fPorte, bie in biefe Hichtung meifen, nicht
nerfteift unb uerallgemeinert merben biirfen, fonbern in einem
meiteren «gufammenhange unb non einer höheren tüarte ju beur*
teilen ftnb.
2. <£s ift gemifj, bafj bie 3ünger 3efu ihren HTeifter nicht
als meltftiichtigen Hsfeten uerftanben haben.- iPir merben fpäter
fehen, welche ©pfer fie fiir bas (Euangelium gebracht unb in
melchem Sinne fie auf bie tPelt üerjichtet haben — aber offenbar
ift, fie haben nicht asfetifdje Übungen in ben Porbergrunb gefteilt;
fie haben bie Hegel aufrecht erhalten, bafj ein Arbeiter feines
Cohnes wert fei; ftc haben ihre 5 rauen nicht fortgefchieft. Hon
Petrus mirb uns 3ufällig erzählt, bafj ihn fein IPeib auf feinen
Htiffionsreifen begleitet hat. IPenn mir non bem Berichte über
ben Perfuch in ber ©etneinbe 3U 3 erufalem abfehen, eine 2lrt uon
Kommunismus herzuftelten — unb mir bürfen ihn bei Seite laffen,
ba er un3ur>erläfftg ift unb aujjerbem nicht asfetifchen dliarafter
getragen hat —, fo ftnben mir im apoftolifchen Zeitalter nichts,
mas auf eine ©emeinfehaft prin3ipieller Ksfeten hinbeutet, bagegen
überall bie Überzeugung als bie bcn'fchcnbe, bafj man in feinem
Beruf unb Stanb, innerhalb ber gegebenen Perhättniffe, ein dhrift
fein folt. tPic anbers ift bem gegenüber t>on 2lnfcmg an im
Bubbhismus bie dntmicflung »erlaufen!
3 . — bas ift bas dntfebeibenbe —ich erinnere Sie an bas,
mas mir in Be3ug auf bie leitenben ©ebanfen Jcfu ausgeführt
haben. 3 n ben Hing, ber bureb ©ottoertrauen, Demut, Sünbein
nergebung unb Hächftenliebe bezeichnet ift, fann feine anbere
Hiajüme, am menigften eine gefefcliche, cingefchoben merben, unb
er macht es zugleich offenbar, in melchem Sinne bas ©ottesreich
bie „IPelt" 3U ihrem ©egenfafce hat. IPer ben IPorten: „Sorget
nidjt", „Seib barmherzig mie euer Pater im ijinnnel barmherzig
ift“, 2c. ctmas Ksfetifdjes mit bem 2 lnfprucb auf gleiche IPert*
fchäfcung zuorbnet, ber »erfleht ben Sinn unb bie Roheit biefer
— 54
Sprüche nicht, 5er Iiat bas (Befühl bafiir uerlorcn ober nod} nicht
gemonnen, baß es einen .gufammenfchluß mit (Sott gicbt, ber alle
fragen ber JPeltflucht unb Hsfefe hinter ficf) läßt.
2lus biefen (Sriinben rnüffen mir es ablehnen, bas Euangelium
als eine Potfchaft ber iPeltuerneinung 311 uerftehen*
2 lber 3 efus fpridjt uon brei 5 etnben, unb ihnen gegenüber
giebt er nicht bie Cofung aus, fie 3 U fliehen, fonbern er befiehlt,'
fie 3 U uernichten. Diefe brei feinbe finb ber Mammon, bie) -
5orge unb bie Selbftfucht. Peadtfen Sie mohh non flucht ober 1
Perneinung ift hier nicht bie Hebe, fonbern uon einem Kampfe,
ber bis 3 m Pernid)tung geführt/ merben foll; jene ftnftern HTädjte 0
follen niebergerungen merben. Unter UTammon uerfteht er irbifdjes
(Selb unb (Sut im meiteften Sinn bes JPorts, irbifdjes (Selb unb
(Sut, melches ftdj junt fjerrn über uns unb uns ’ 3 u Cyrannen über
anbere machen miE; benn (Selb ift „geronnene (Bemalt". JPie
uon einer perfon rebet baher 3 efus uon biefem feinbe, mie menn
es fidj um einen gemappneten Hitter ober um einen König, ja
mie menn es fich um ben Ceufel felbft hobelte. 3 hm gegenüber
gilt bas H)ort: „ 3 h r fönnet nicht 3 meien fjerrn bienen." U)o nur
immer irgenb etmas aus öent (Sebiete biefes HIammons einem
HTenfdjen fo mertuoE mirb, baß er fein hjer, baran hängt, baß
er uor bem Perlufte gittert, baß er nicht mehr bereit ift, es miEig
preis 3 ugeben, ba ift er fdjon in Panben gefchlagen. Deshalb foE
ber £h r ift/ menn er biefe (Befahr für fid) fühlt, nicht paktieren,
fonbern fämpfen, unb nicht nur fämpfen, fonbern ben UTammon
abthun. (Semiß, menn Ehriftus heute unter uns prebigte, er
mürbe ba nicht aEgemein reben unb allen 3 urufen: „(Bebt
aEes meg," aber 311 Eaufenben unter uns mürbe er fo fpredjen,
unb baß faunt (Einer fich finbet, ber jene Sprüche bes Euange*
liums auf fid) bestehen 3 U müffen meint, foE uns mohl bebenf«
lieh machen.
Unb bas 3meitc ift bie Sorge. Es mag uns auf benerften:
Blid befremblidj erfdjeinen, baß fie uon 3 efus als ein fo furcht*
barer 5 einb be 3 eichnet mirb. Er rechnet fie 3 um „fjeibentum".
§mar hat auch er im Paterunfer beten gelehrt: „Unfer Prot für
ben morgenben Dag gieb uns Cag um Cag"; aber foldje suuer*
ftchtlidje Pitte nennt er nicht Sorge. Er meint jene Sorge, bie
uns 3 U furchtfamen Sflauen bes Cages unb ber Dinge macht, jene
Sorge, burch melche mir ftücfmeife an bie IPelt uerfaEen. Sie ift
55
i^rrt ein Attentat (Sott gegenüber, ber bie Sperlinge auf bem Padje
erhält; fie 3 erftört bie (Srunbbejiefyung 3 utn ^immlifc^en Pater, bas
f inbliche Pertrauen, unb uernichtet fo unfer inneres IPefen, Und?
in biefem punfte, mie in Be 3 ug auf ben Hfamnton, muffen mir
befennen, nicht ernft unb tief genug 3 U empftnben, um ber prebigt
3efu in uollem Umfang Hecht 3 U geben, Uber es fragt fich, mer
recht £?at — (Er mit bem unerbittlichen „Sorget nichts ober mir
mit unferen Ubfchmächungen —, unb etmas bauon fühlen mir
mohh fraß ein Hlenfch bann erft mirflich frei, fräftig unb unüber*
minblich ift, menn er alle feine Sorge abgeftreift unb auf (Sott
gemorfert hat, Was fönnten mir ausrichten unb melche UTacfyt
mürben mir beftßen, menn mir nicht forgten!
Unb enblich brittens: bie Selbftfudjt. Selbftoerleugnung,
nicht Usfefe ift es, mas 3efus h^r oerlangt, Selbstverleugnung
bis 3 ur Selbftentäußerung, „Ürgert bich bein Uuge, fo reiß es
aus; ärgert bich beine fjanb, fo haue fie ab/' XPo nur immer
ein finnlicher Crieb in bir übermächtig mirb, fo baß bu gemein
mirft ober bir ein neuer fjerr in beiner (Eigenluft entfteht, ba follft
bu ihn uernichten — nicht, meil bie Perftümmelten gottmohlgefättig
finb, fonbern meil bu bein befferes Ceil anbers nicht 3 U bemahren
oermagft, Vas ift ein hartes IPort. (Es mirb auch nicht erfüllt
burch eine generelle Per 3 ichtleiftung, mie bie HTönche fie üben —
nach ih r femn alles beim alten bleiben —, fonbern nur burch
einen Kampf unb bie entfdjloffene (Entäußerung am entfeheibenben
punfte.
Ulten biefert 5einben, bem UTammon, ber Sorge unb ber
Selbftfucht, gegenüber gilt es, Selbstverleugnung 3 U üben, unb
bamit ift bas Perhältnis 3 ur Usfefe beftimmt, Piefe behauptet
ben Unmert aller irbifchen (Süter an fich* Pürfte man aus bem
(Etvangelium eine Theorie entmicfeln, fo mürbe man nicht auf btefe
Cehre geführt; benn „bie (Erbe ift bes fjerrn, unb mas barinnen
ift", Uber nach bem (Stvangelium foll man fragen: Können unb
bürfen mir Beftß unb (Ehre, 5reunbe unb Permanbte (Süter fein,
ober habe ich fie ab 3 uthun? Wenn einige Sprüche 3efu ans hier
in genereller Raffung überliefert unb mohl auch fo gefprochen
finb, fo finb fie nach frem (Sefamtinhalt ber Heben 3 U begren 3 en,
^eilige Selbftprüfung, ernfte XPachfamfeit unb Pernichtung bes
(Segners verlangt bas (Etvangelium, Parüber aber fann fein
gmeifel fein, baß 3efus in xviel größerem Umfange, als mir es
56
gern trabt - haben sollen, Selbftoerlcugnung unb (Entäußerung
»erlangt bat.
Raffen mir 3 ufammen: Hsfctifd? im prinsipieEen Sinn bes
iDorts ift bas (Erangelium nidjt; benn es ift eine 23otfdjaft r>on
bem <ßott»ertrauen, ber Demut, ber Sünbenrergebung unb ber
Sarml^erjigleit: an biefe iföbe reidjt nichts anberes berait, unb
in biefen Hing fann ft dt nidtts anberes einbrängen. iPeitcr, bie °
irbifdjen (ßüter ftnb nidjt bes Ceufels, fonbern (Sottes — „€uer
tjimmlifdjer Dater weiß, baß itjr bies aEes bebürft; er fleibet bie
Cilien unb ernährt bie Dögel unter bem bjimmel." Hsfefe tjat
überhaupt feine 5teEe im (Erangelium; es »erlangt aber einen
Kampf, ben Kampf gegen ben HTammon, bie Sorge unb bie
Selbftfucfjt, unb es »erlangt unb entbinbet bie Siebe, bie ba
bient unb fid) opfert, 3ener Kampf unb biefe Ciebe ftnb bie
„Ksfefe" im erangelifdjen Sinn, unb t»er ber Derfünbigung 3efu
eine anbere aufbiirbet, ber »erfennt es. i£r »erfennt feine fjotjeit
unb feinen <£rnft; benn es giebt nod) cttr>as «Ernfteres als „feinen
Seib brennen taffen unb feine £jabe ben Hrnten geben", nämlidj
Sclbftitcrleugnung unb Siebe.
2. Das «Eraftgelium unb bie Hrmut, ober bie fojiate
5rage.
Dies ift bie streite 23e3iefjung bes <£»angeliums, treldje mir
ins Kuge faffen moEten, unb fie ift mit ber erften naije »ermanbt.
Kudj Ijier trieber begegnen uns in ber ©egenrrart rerfdjiebene
Hnfdjauungen, best». 3 t»ei Knfdjauungen, bie ftd? gegenüber ftefjen.
Die einen fagen uns, bas €»angelium fei in ber ffauptfadje eine
große fosialc Hotfdjaft für bie Krmen getrefen, aEes anbere an
tljm fei ettras Sefunbäres — seitgefdjidjtlidje fjüEen, alte Über»
lieferungen ober Kmbilbungen burdj bie erften (ßenerationeri. 3efus
fei ein großer fosialer Heformer getoefen, ber bie in tiefem <£Ienb
fdjmadjtenben unteren Stänbe fjabe befreien troEen; er ijabe ein
fosiales Programm aufgefteEt, rreldjes bie (ßleidjfjeit aEer HTenfdjen,
bie Befreiung aus mirtfdjaftlidjer Hot unb bie «Erlöfung »on Drud
unb Kbel enthalten fjabe. So aBein, fügen fte f)irt 3 u, fönne man
ifjtt »erftefjen, unb fo fei er getrefen, ober »ieüeidjt — treil t»ir
tftn nur fo »erftefjen fönnen, ift er fo getrefen. Seit 3aljren
merben Hrofdjürcn unb Hüdjer in biefem Sinne über bas <£van-
57
gelium gefcbricben, gutgemeinte Barftellungen, bie 3 efus ©hriftus
auf biefe IBcifc oerteibigen unb empfehlen wollen. Tiber unter
bcnen, welche bas ©oangelium für eine wefentlid; feciale Botfchaft
batten, ftnben ficb aud) folche, bie ben umgefebrten Schluß 3 ief)en;
3 nbcm fte nadtfuweifen fudjen, baß in ber Perfünbigung 3 efu
alles auf eine wirtfdjaftliche Umgeftaltung hinauslaufe, erflären
)ie bas ©oangelium für ein gan, utopifches, unbrauchbares pro*
gramm: 3 efus febaute mit einem fanften, aber blöben BltcF in
biefe IBelt hinein; aus ben unteren unb gebrüeften Stäuben auf*
taudjenb, teilte er ben Tlrgwotjn ber fleinen £cute gegen bie ©roßen
unb Reichen, oerabfeheute alten gewinnbringenben ^anbel unbiBanbet,
oerfannte bie Botwenbigfeit bes ©ütererwerbs unb fpielte bemge*
maß fein Programm barauf hinaus, eine allgemeine JIrmut in ber
;,tBett" — bafür hielt er paläftina — 3 U uerbreiten unb bann im
©egenfaße' su bem irbifefjen <£lenb fein „Himmelreich" 3 « erbauen,
ein Programm, an ftd? unburdjführbar unb fräftige Baturen ab*
ftoßenb. So ungefähr urteilt ein anberer ©eil unter benen, bie
bas ©oangelium mit einer fokalen Botfchaft ibentifoieren.
2 tber biefer ©ruppe, bie, in ber Betrachtung einig, in ber
Beurteilung auseinanber geht, flehen anbere gegenüber, bie einen
gatt 3 entgegengefeßten ©inbrucf oom ©oangclium. aufgenommen
haben. Sie erflären, jebe birefte ©eilnahme 3efu an ben wirt*
fdjaftlichen unb fo 3 ialen <§uftänben feiner §eit, unb noch mehr,
jebe prinjipiellc ©eilnahme an öfonomifchen fragen überhaupt
merbe in bas ©oangelium lebiglidj tjineingelefen; biefes habe mit
nürtfchaftlichen fragen fchledjterbings gar nichts 3 U thun. 3 efus,
fo jagen fic, hat wot)l Bilber unb parabigmen jenen ©ebieten
entlehnt unb hat ftch auch perfönlid) ber ©lenben, Firmen unb
Kranfen beglich angenommen; aber feine rein rcligiöfe prebigt
unb feine Heüanbswirffamfcit habe bie Berbeffcrung ber irbifdjen
Sage jener £eute fd}Ied)terbings nicht ins Tluge gefaßt; man oer-
weltliche baher feine <gwede unb Tlbfichten, wenn man fte auf
fosialc Bert>ältniffe be 3 iehe. 3 a , es giebt nicht wenige unter uns,
bie ihn für einen „Konferoatioen", wie fte felbft ftnb, halten: er
habe als „gottgefeßt" alles refpeftiert, was an fo 3 ialen Unterfchiebcn
unb ©rbnungen bantals oorhanben war.
Sie erfennen, hier finb fct)r oerfchiebcne Stimmen laut ge¬
worben, unb mit Ifartnäcfigfeit unb ©ifer werben bie oerfd)iebenen
Stanbpunfte oertreten. iBenn wir nun oerfudten wollen, bie ben
58
Chatfachen entfprechenbe Stellung 3 u finben, fo haben mir eine
fur 3 e 3 citgefd)ichtlichc Dorbemcrfung 3 u machen.
Die fo 3 ialen Suftänbe, mic fie im Zeitalter 3efu unb fdion
geraume Seit norber in paläftina Eierrfdjten, finb uns nicht hin»
reidjenb befannt. 2lber gemiffe fjaupt 3 üge permögen mir feft 3 u=
ftellen unb fönnen namentlich ein Doppeltes fonftatieren:
Die tjerrfdjenben Klaffen, 3 u meldjen por adern bie pba»
rtfäer unb auch bic priefter gehörten — biefe 5, C. uerbunben mit
bcn irbifdjcn 2Nad)thabern —, befaßen menig fjer 3 für bie Hot
8es armen Dolfes. <gs mag nicht oiel fchlimmer gemcfen fein, als
es bet jenen Klaffen 3 u aden Seiten unb bei aden Dölfern 3 ugeljt,
aber es mar fdjlimm. Unb es fam hier noch h‘n 3 u, baß bas 3n-
tereffe für ben Kultus unb für bie fultifche „(Seredjtigfeit" bic Sei U
nahme für ben Krnten unb bie 23armher 3 igfeit 3 urücfbrängtc. Die
Bebrücfung unb Cyrannei feitens ber Reichen mar längft ein ftehem '
bes unb unerfchöpfliches Shema ber pfalmiften unb ader märmer
€mpfinbenben gemorben. 21 ud) 3efus hätte nicht fo pon ben Heichen ,
fpredjen fönnen, mic er gefprodjen hat, menn fie nicht bamals in
gröblicher JDeife ihre pflichten pernachläffigt hätten.
2. 3n ben Kreifen bes gebrüdten unb armen Dolfes, in biefcr
großen Klaffe non Kot unb Übel, unter jenen 3 ahlreichen Ceuten,
für bic bas U?ort „<£Ienb" oft nur ein anberer 2lusbrucf für bas
JDort „Ceben", ja bas Cebcn felbft ift — in biefem Dolfe hat es,
mic mir ftcher erfennen fönnen, bamals Kreife gegeben, bie mit
3nbrunft unb unerfchütterlicher Hoffnung an ben Sufagen unb
Cröftungen ihres (ßottes hingen, in Demut unb <5ebulb martenb
auf ben Sag, ba ihre «grlöfung fommen merbe. ©ft 3 u arm, um
auch nur bie bürftigften fultifchen Segnungen unb Dorteile ermerben
3 u fönnen, gebrücft unb geftoßen, in Ungerechtigfeit inißhanbelt,
fonnten fie nicht 3 um Ccmpcl auffdjauen; aber fie blicften auf ben
«ott 3sraels, unb heiße (Sebete ftiegen 3 u ihm empor: „fjüter,
ift bie Kadjt fdjier hin?" So mären fie aufgefdjloffen unb em=
pfänglid) für (Sott, unb in manchen pfalmen unb ber ihnen per»
manbten fpäteren jübifdjen Citteratur ift bas XDort „bie 2lrmcn"
gerabe 3 u eine 23e 3 eid?nung für bie «empfänglichen, bie auf ben Sroft
3sraels marteten. Diefen Sprad^gebrauch fanb 3efus por unb hat
fich ihm angefdjloffen. JDir fönnen baher, menn mir in ben <£pange»
üen auf bas füort „bie 2lrmen" ftoßen, nicht ohne meiteres nur
an bie mirtfchaftlich 2lrmen benfcn. Cliatfäd][ich fiel bamals bie
59
v
mirtfchaftlicfye Krmut unb bie religiöfe Demut unb Kufgefchloffem
heit (im (Segenfafc 3 m: fublimen „tEugenbübung" ber pharifäer unb
ifyrer Koutine in ber „(Serechtigfeit' 4 ) in meitem Umfange 3 ufammcn.
War bies aber ber bcrrfcfyenbe «guftanb, bann ift beutlich, ba§ mir
unfere tätigen Kategorien „arm unb reich" nicht ohne Umftänbe
auf jene <§eit übertragen bürfen* Doch follen mir nicht uergeffen,
ba§ in bem U)ort „Krme" in ber Kegel auch bamals bie mirt*
fchaftliche Kot miteingefchloffen mar* XDir merben baher in ber
nächften Dorlefung 3 U unterfudhen heiben, in melcher Hichtung
mir Unterfcheibungen 3 U machen oermögen, be 3 m* ob es möglich ift,
ben. Sinn ber Xüorte 3efu 3 U treffen trot$ ber eigentümlichen
Schmierigfeit, bie in bem Begriff ber „Krmut" liegt Doch fönnen
mir im voraus bie Hoffnung fygm, h^^ nicht im Dunflen bleiben
3 U muffen; benn bas (Euangelium in feinen ( 5 runb 3 Ügeit mirft auch
einen halten Schein auf bas (Sebiet biefer 5 rage +
IBorlBjHng.
3d? habe am Schluß ber lebten Dorlefung auf bas Problem
hmgewiefen, welches bie „Firmen" im <£»angclium bieten. Die
2trmen, bie Jefus in ber Hegel im 2 tuge hat, ftnb auch bie <£mpfäng*
Iid;en, unb bah er ift bas, was »on ihnen gefagt wirb, nicht ohne
weiteres auf Hrme überhaupt anjuwenben. Wir miiffen baljer aus
bem gufammenbang, ber uns Ijier befefjäftigt, alle bie Sprühe
3 efu ausfdjeiben, bie offenfunbig auf bie „geiftliche" Hrmut ftdj
bejiehen. Hierher gehört 3. 23. bie erfte Seligpreifung, mag man
fte nun in ber Raffung bes £ufas ober bes Hlatthäus gelten laffen;
benn bie iBjr 3 ugeorbneten Seligpreifungcn ftellen es ftdjer, baß
3 efus an bie innerlich empfänglichen Hrmen gebacht hat. 2 lber
wir haben nicht bie <§eit, alle einseinen Sprüche burd) 3 ugehen; es
muß genügen, burch einige Hauptbetrachtungen bie wichtiaften
punftc feftjuftellen.
3efus hat ben 23eftß irbifcher (Sütcr als eine fdjwere <Se=
fahr für bie Seele betrachtet, weil er harzig macht, in irbifche
Sorgen »erftrieft unb 3 u gemeinem Wohlleben »erführt. (Ein
Heidjer wirb fdjwerlich ins Himmelreich fomnten.
2 . Die Behauptung, 3efus habe eine allgemeine Derarmung
unb Derclenbang fo 51t fagen gewünfdjt, um bann über biefen
miferablen <§uftanb fein Himmelreich heraufsufüljren — eine 23ebanp=
tung, ber man in »erfcfjiebenen Wcnbungen begegnet —, ift falfdj.
Das (Segenteil ift richtig. <£r hat Hot Hot unb Übel Übel genannt.*
Weit entfernt, fte 3 U begünftigen, hat er bas lebenbigfte unb fräf«
tigfte 23eftreben gehabt, fte 3 U befämpfen unb 3 U befeitigen. Sein
ganses Wirten ift auch in liefern Sinne Heilanbswirfen gewefen,
61
b* Br. ein Kampf gegen bas ftbet unb gegen bie Hot 3a man
formte faft meinen, baj$ er bas niebe^mingenbe (Semicfyt bes
<£Ienbs unb ber Krmut 3 U fyocfy tariert, ba§ er ftd? 3 uniel bamit
abgegeben Bjabe, unb ba§ er ben Kräften, bie biefetn <§uftanbe
gegenüber mirffam fein follett — bem Hlitleib unb ber Barmfye^ig*
feit — eine 3 U große Bebeututtg im (San 3 en ber fittlicfyen Cebens*
bemegung 3 ugefprod)ett Bjabe. ^reilid? aud) bies märe nietet richtig;
benn er fennt eine HTacfyt, bie er nodr für fcfylimmer Bjält als Hot
unb <£Ienb, bas ift bie Sünbe, unb er meiß oon einer Kraft, bie
noefy befreienber ift als bie Barmfye^igfeit, bas ift bie Vergebung*
darüber läßt fein Heben unb fein fjanbeln feinen gmeifel. 5eft
ftefyt alfo: 3 e f U5 fy<*t bk Krmut unb bas filettb nie unb nirgenbs
fonferuieren mollert, fonbern er fyat fte befämpft unb jn befätttpfett
feigen* diejenigen CBjriften, bie im Caufe ber Kircfyengefcfyicfyte
aufgetreten finb, um bie Bettelei 3 U protegieren unb eine allgenteine
Derartnuttg art 3 uraten, ober bie in fentimentaler IDeife mit ber Hot
unb bem (Slenb fofettieren, fönnert ftd? nicfyt mit 5 ug auf ifyn
berufen. IDofyl aber Brat er betten, bie ifyr gatt 3 es Ceben ber Per*
fünbigung bes (Soangeliums unb bem dienfte am IDort meinen
mollen — er verlangte bas nidjt von allen, fonbern er fafy baritt
einen befonberen (Sottesruf unb eine befonbere (Sabe — ifynen fyaf
er befohlen, fte follen ftd? alles Beftßes, alfo aller irbifcfyen (Süter,
entäußern. dodr fyat er fte besfyalb nicfyt auf bas Betteln uer*
miefen. 5ie follen melmeBjr gemiß fein, baß fte ifyr Brot unb iBjre
Hafyrung finben merben. IDie er bas gemeint Brat, bas erfalrren
mir aus einem IDort uort ifym, meld]es 3 ufällig in ben (Eoangelien
nicfyt enthalten ift, meldres uns aber ber Kpoftel paulus überliefert
Bjat. <£r fdjreibt \. Kor. ty: „der I}err Brat befohlen, baß, bie bas
(Soangelium trerfünbigen, jtdj and? uom (Snangelium nähren follen."
Befißlofigfeit Brat er tron ben dienern am IDort, b. Bj. tron ben
HTiffionaren, verlangt, bamit fte gan 3 ifyrent Berufe leben fömten.
(£r Bjat aber nidjt gemeint, baß fte betteln follett. das ift eitt
francisfanifcfyes IHißnerftänbttis, meines oielleicfyt nafye liegt, aber
bod? uont Sinne 34 u abfüB^rt.
(Seftatten Sie mir Brier eine fur 3 e Kbfcfymeifung. diejenigen,
bie in ben cfyrifttidjen Kircfyen profefftonsmäßige (Snangeliften ober
diener am IDort innerhalb ber (Semeinben gemorben ftnb, Bjaben
es in ber Hegel nid?t für nötig gehalten, jene Knmeifuttg bes f}emt,
fid] ber irbifcfyett (Süter 3 U entäußern, 3 U befolgen. Sofern es ftd?
62
um prteftcr be 3 w. paftoren itttb nid?t um ATifftonare £?anbelt, fann
man aud; mit einigem Bed?te einwenben, baß fid? ber Befeljl auf
fte nicht hejielic; benn er feßt bas Amt ber Ausbreitung bes
«Euangeltums uoraus. Alan fann ferner fagen,- baß man aus beu
Anwetfungen bes fferrn über bas (Sebot ber Ciebe hinaus feine
utwerbrüd?lid?en (Sefeße mad?en bürfe, fonft fd?äbige man bie dtrifb
hd;e Freiheit unb uerfdjränfe ber d?riftlid?en Religion bas liohe Aed?t
m ihrer Ausgeftaltung bem (Sange ber (Sefd?id?te unbefangen folgen
5 U burfen. Aber es läßt ftdj bod; fragen, ob bas £l?riftentum nid?t
Augerorbentltdjes gewonnen l?ätte, wenn feine berufsmäßigen Wiener,
bie Altffionare unb bie paftoren, jene Hegel bes fjerrn befolgt
tjätten. ATinbeftens aber foßte es bei ihnen ftrenger (Srunbfaß fein
ftd; um Beftß unb irbifd?e (Sitter nur fo weit ju fümmern, baß fie
felbft md?f anberen 3 ur £aft faßen, barüber hinaus aber ftd? ß?retf
'SU entäußern. Aber id? 3 weifle aud? nid?t, es wirb bie Seit fommen
m ber man wol?IIebenbe Seelforger ebenfowenig mehr »ertragen
wirb, wte man f?errfd?enbe priefter »erträgt; benn wir werben
m btefer Bestehung feinfühliger, unb bas ift gut. Alan wirb es
mdtt mef?r für fd?idlid?, im höheren Sinn bes Wortes, galten, baß
jetnanb beu Armen «Ergebung unb <3ufriebctt[?eit prebigt, ber felbft
wohßiabenb ift unb um bie Derme£?rung feines Befißes eifrig forgt.
,€in (Sefunber mag wof?I einen Kranfen tröften; aber wie foll ber
Beftßenbe ben Befißlofen non bem An wert ber (Süter über 3 eugen?
Die Anweifung bes fferrn, baß ber Diener am Wort fid? bes
trbt)d?en Befißes 5 u entäußern £?at, wirb in ber (Sefd?icf?te feiner
(Senteinbe noefy 511 (£t>ren fommen* »
3. «Ein fojiales Programm in Be 3 ug auf Aberwinbung unb
Beseitigung r>on Armut unb Bot — wenn man barunter gan 3
beftimmtc Anorbnungen unb Dorfd?riften »erfleht — I?at 3efus nid?t
aufgefteßt. «Er f>at fid; nid?t in wirtfd?aftlid?e unb 3 eitgefd?id?tlid?e
Derbältniffc »erftrieft. ffätte er es get£?an, I;ätte er (Sefeßc gegeben,
bie für paläftina nod? fo I?eilfam gewefen wären — was wäre
bamit erreicht worben? Sie wären I?eute riüßltd? gewefen unb
morgen »eraltet, unb fie l?ätten bas «Euangelium belaftet unb »er=
wirrt. Alan muß fid? aud? f?üten, fo!d?en Anweifungen, wie bie:
„(Steb jebem, ber bid? bittet" unb äl?nlid?en, ib?r ATaß 3 u nehmen.
Sic roollcn bod? aus ber <§eit unb ber Situation nerftanben fein*
Sie besiegen fid? auf bie augenblidlid?e Bot bes Bittenben, bie mit
einem Stücf Brot, einem Drurtf Waffer, einem Kleibungsftüd, um bie
63
Hlöge 3 u becfen, gefüllt ift XDir bürfeit nicht vergeffen, mir be*
ftnben uns mit bcm (Evangelium im Drient unb in mirtfchaftlich
3 ientlich unentmicfelten Derhältniffen. 34 U5 ift fein fataler Hefornter
gerne fern (Er formte auch einmal ben Sat$ ausfprechen: „kirnte habt
i^r alle 3 eit bei eudj", unb bamit, mie es fcheint, anbeuten, bajj fich
bie Perfyältniffe nicht mef entlieh änbern mürben* <Erbfd]lichter moHte
er nicht fein, unb taufenb 5 ragen bes mirtfchaftlichen unb Rialen
Cebens mürbe er ebenfo 3 U entfeheiben abgelehnt haben mie bie
Zumutung, eine <ErbfchaftsangelegenB>eit in (Bang 3 U bringen. Unb
hoch hat man je unb je gemagt, aus bent (Evangelium ein fonfretes
fo 3 iales Programm ab 3 uleiten. Und? evangelifche ^B^eologen haben
es verfucht unb verfugen es noch* (Ein Unternehmen, an ftdj h°ff ä
nungslos unb gefährlich, aber vollenbs vermirrenb unb unerträglich,
menn man bie 3 ahlreichen „Cücfen", bie man im (Evangelium finbet,,
burch altteftamentliche (Befere unb Programme „ergäbt".
Hiemals, felbft im Hubbhismus nicht, ift eine Heligion mit
einer fo thaifräftigen Rialen Hotfehaft aufgetreten unb hat [ich fo-
ftarf mit ihr ibentiftjiert mie im (Evangelium. 3nmiefern? Weil
mit bem IDorte: „Ciebe beinen Hächften mie bich felbft 7 ' hier
mirflich (Ernft gemacht ift, meil 34 us mü biefem Worte hinein*
geleuchtet h a t in alle fonfreten Derhältniffe bes Cebens, in bie-
XDelt bes Jüngers, ber Urmut unb bes (Elenbes, enblich meil er
jene Ulajäme als eine religiöfe, ja als bie religiöfe ausgefprochen
hat. 3ch erinnere Sie nochmals an bas (Bleichnis vom jiingften
(Beriet, in melchem bie gan 3 e 5rage nach bem XPerte unb ber
«gufunft ber XTtenfehen von ber Übung ber Hächftenliebe abhängig,
gemacht ift; ich erinnere Sie an bas anbere (Bleichnis von bem
reichen VCiann unb bem armen Ca 3 arus. Unb noch eine (Befchichte
möchte ich anführen, bie menig befannt ift, meil fie in biefer Raffung,
nicht in unfern vier (Evangelien, fonbern im Xfebräerevangelium
fleht. Dort ift bie (E^ählung vom reichen 3nngling alfo überliefert r
„(Ein Heidjer fprach 3 um fjerrn: Uleifter, mas muß ich (ßutes
thun, bamit ich bas.Ccben habe. (Er antmortete ihm: HTenfdj,
halte bas (Befe^ unb bie Propheten. 3ener ermiberte ihm r
Das habe ich gethan. (Er fprach 3 n ihm: (ßehe hin, ver*
faufe alles, mas bu befifeeft, unb teile es ben Urmen aus unb
fomm unb folge mir. Da fing ber Heidje an, fich ben Kopf 3 m
fragen, unb bie Hebe gefiel ihm nicht. Unb ber fjerr fprach 311
ihm: IDie fannft Du fagen, „3dj habe kas <^ e f c fe un b bie pro*-
64
freien gehalten", ba hoch im <5efefc gefchrieben ftefjt: £iebe beinen
Jad,ftcn wie bictj felbft? Siehe, Diele beiner trüber, Söhne
abrabams, hegen in fchmufcigen £umpen unb fterben ffungers,
unb bem ffaus ift t>otl non nieten (Sütern, unb nichts fommt aus
thm ju ihnen heraus." — Sie fehen, wie 3efus bie materielle Hot
ber 2lrmen empfunben unb wie er bie abhülfe folcher Hot aus
bem (ßebot: „£iebe beinen Hächften u>ie bict? felbft", abgeleitet hat.
. x<t ^ oH r en ni . ci?t KOn ^tächftenliebe fprechen, bie es ertragen fönnen,
ba§ neben ihnen HTenfchen im €lenb nerfümmern unb fterben 1
Vas (Enangetium prebigt nicht nur 5otibarität unb ffütfeteiftung
es hat an btefer prebigt feinen wefenttichen 3nhalt. 3n biefem
5innc ift cs tm Ciefften fo 3 ialiftifch, wie es im Ciefften inbmibua=
Itftifch tft, weil es ben unenblichen unb felbftänbigen XDert ieber
em3elnen HTenfchenfecte feftftellt. Seine £enben 3 auf gufammew
fchm§ unb Brüberltchfeit ift nicht fowohl eine jufäßige (Erfcheinung
m feiner (ßefcfjichte ats metmehr bas wcfentliche (Element feiner
Jtgenart. Das (Evangelium will eine (Semeinfchaft unter ben
HTenfchen ftiften, fo umfaffenb wie bas menfchliche £ebcn unb fo
tte «ne bie menfchliche Hot. <£s will, wie man richtig gefagt
hat, ben So 3 taltsmus, ber ba auf ber Dorausfefcung wiberftreitew
ber 3ntereffen ruht, umwanbeln in ben Sozialismus, ber ftch auf
bem Sewußtfein einer geiftigen (Einheit grünbet. 3n biefem Sinne
farm feine fojiate Botfdjaft überhaupt nicht überboterv werben.
TOas ein „menfehenwürbiges Dafein" ift, barüber haben ftch im
laufe ber gelten, (Sott fei Danf! bie Urteile fehr ueränbert unb
»erf entert. aber auch 3efus fanntc biefen Kfaßftab. ffat er hoch
einmal, faft mit Sitterfeit, über feine eigene £age geäußert: „Die
5ud)fc haben (gruben unb bie Dögel unter bem fjimmel haben
Hefter; aber ber Htenfchenfobn hat nicht, wo er fein ffaupt hm=
legt." Die JDohnung, bas jureidjenbe tägliche Brot, bie Heinlich*
fett — alle biefe Bebürfniffe werben »on ihm geftreift, unb er hat
ihre Befragung für notwenbig erachtet, für bie Bebingung bes
trbtfchen Dafetns. Kann einer fte ftch nicht fchaffen, fo follen bie
anbern für ihn eintreten. Deshalb fann barüber fein gweifel
[ em '„ baß 3efus heute auf feiten berer flehen würbe, bie ftch fräftig
bemühen, bie fernere Hotlage bes armen Bottes 3 u finbern unb
ihm beffere Bebingungen bes Dafeins 3 u fchaffen. Der täufchenbc
f? ” on öem f rcien Spielraum ber Kräfte, bem „£eben unb leben
taffen — „£eben unb fterben taffen", hieße es beffer — läuft bem
65
(Evangelium ftracfs entgegen. Unb nicht als unferen Knechten fallen
mir ben Firmen Reifen, fonbern als unferen 3 rübern. (Enblich,
ltnfer Beichtum gehört nicht uns allein. Das (Evangelium hat feine
gefeßlichen Vorfchriften barüber gegeben, mie mir ihn gebrauchen
follen; aber es läßt barüber feinen «gmeifel, baß mir uns nicht als
Beftßer, fonbern als J^aus^alter im Dienft bes Häuften 3U be¬
trachten haben. 3 a, faft fcheint es, als habe 3 efus eine Verbinbung
unter ben HTenfdjen für möglich gehalten, in ber ber Beichtum als
privatbefiß im ftrengen Sinn nicht e^iftiert. Doch bamit haben mir
eine 5rage berührt, bie nicht leicht 3U entfeheiben ift unb bie viel*
leicht gar nicht aufgemorfen merben barf, meil bie (Eschatologie
3 efu unb fein befonberer f^or^ont fyxev htneinfpielen. IVir brauchen
fie auch nicht auf3umerfen; bas (Entfcheibenbe ift bie (Sefinnung,
bie 3 e f U5 ^t^inut unb Bot gegenüber in feinen 3 üngern ent*
3Ünbet hat.
Das (Evangelium ift eine fo3iale Botfchaft von heiligem (Ernft
unb erfdjütternber Kraft; es ift bie Verfünbigung ber Solibarität
unb Brüberlichfeit 3U (Eunften ber Krmen. Kber biefe Botfchaft
ift verbunben mit ber Knerfennung bes unenblidjen IVertes ber
Hlenfchenfeele, unb fie ift eingebettet in bie prebigt vom Beidje,
< 5 ottes. HTan fann auch fagen — fie ift ein mefentlicher Ceil bes
3nhalts biefer prebigt. Kber (ßefeße unb Verorbnungen ober
Knmeifungen, bie jemeiligen Verhältniffe gemaltfam 3U änbern,
ftnben fid] in bem (Evangelium nicht.
5 . Das (Evangelium unb bas Hecht, ober bie 5 rage nach
ben irbifchen ©rbnungen.
Das Problem, in meinem Verhältnis bas (Evangelium 3U bem
Hed^te fteht, umfaßt 3mei Hauptfragen: bas Verhältnis bes <Evan*
geliums 3ur ©brigfeit, 2. bas Verhältnis bes (Evangeliums 3U ben
Bedjtsorbnungen überhaupt, foferrr biefe einen meiteren Spielraum
haben als ber Begriff „©brigfeit". Die Kntmort auf bie erfte
5rage ift nicht leicht 3U verfehlen; bie zweite 5tage ift vermiefetter
unb fernerer; auch ejehen bie Urteile über fie meit auseinanber.
3 efu Verhältnis 3ur ©brigfeit — foH ich noch ausbriicftich
baran erinnern, baß er fein politifcher Bevolutionär gemefen ift,
unb baß er auch fein politifches Programm aufgefteHt hat? (Er
meiß gemiß, baß fein Vater ihm 3tvölf Cegionen (Engel 3ufchiefen
^arnatf, IVefen b. Ojriflerttums. 5
66
t»ürbe, meint er ibn bäte; aber er bat ibn nidit. Als fie ibn gum
Könige machen molltcn, entrind) er. <§ulcßt freilid), als er es für
gut t)ielt, ftd) bem gangen Dolfe als ben UTeffias gu offenbaren —
ber <£ntfd)Iuß unb feine Ausführung ftnb uns bunfel —, ba 50g
er als König in 3 erufalem ein; aber er mäl)lte aus ber proptjetie
bie <£rfd)einungsform, bie uon einer politifcfjen ATanifeftation am
meiteften ablag, unb mie er fein meffianifdjes Ked)t oerftanb, bas
geigt bie Austreibung ber Krämer aus bem ©empel. 3 " biefer
Cempclreinigung manbte er ftd) nid)t gegen bie po!itifd)e ®brig=
feit, fonbern gegen bie, meld)e fid) obrigfeitlid)e Heditc über bie
Seelen angemaßt Ratten. 3 n jebent Dolfe etabliert fid? neben ber
befugten CDbrigfeit eine unberufene, ober uielmeljr 3 m ei unberufene.
3 )as ift bie po!itifd)e Kirche, unb bas finb bie poütifd)en Parteien.
Die politifdje Kird?e, im meiteften Sinn bes IDorts unb unter fe£?r
perfd)iebenen ZTTasfen, mill f;errfd)en; fie mill bie Seelen unb bie
Ceiber, bie (Semiffen unb bie (ßüter. Dasfelbe molten bie poli--
tifd)en Parteien, unb inbem il)re Führer ftd) 3U £eitern bes Dolfs
aufmcrfen, entmideln fte einen ©errorismus, ber oft fdjlimmer ift
als ber Sd?reden föniglidjer Defpoten. So mar es aud) in pa=
läftina 3ur §cit 2)efn. Die priefter unb bie pljarifäer hielten bas
Dolf in tauben unb morbeten ibm bie Seele. (Segen biefe unbe»
rufenc ©brigfeit geigte 3efus eine maB)rf)aft befreienbe unb erquicf enbe
pietätslofigfeit. <£r ift nicht mübe gcmorben — ja er fteigerte fid)
im Kampfe bis 3um fyeiligften 3 orn —, biefe „©brigfeit" 3U be=
fel)beit, ihre füolfsnatur unb il?re ffeudjclei aufgubecfen unb iE>r
bas <Serid?t angufünbigen. An ber Stelle, an ber fie befugt mar,
ließ er fie gelten: „(Sehet I)in unb geiget eud) ben prieftern." So--
meit fie mirflid? bas (Sefeß (Sottes perfünbigten, erfannte er fie an:
„ZDas fie eud) fagen, bas tbut." Aber eben biefen Ceuten f)ieft
er bie furchtbare Strafprebigt Klattt). 23 : „K)et)e eud), Sdjriftge»
lehrtet} unb pljarifäer^, iljr £feud)ler, bie it)r gleid) feib mie bie
übertündjten (Sräber, meld)e ausmenbig Ijübfd) fd)einen, aber in»
menbig ftnb fie polier Cotenbeine unb alles Unflats." (Segenüber
biefer geiftlid?en „©brigfeit" I)at er alfo feine 3ünger mit einer
heiligen pietätslofigfeit erfüllt, unb aud) non bem „Könige" fferobes
l)at er mit bitterer 3 ronie gefprodjen: „(Sel)et fjin unb faget biefem
5 ud?s." Dagegen ber mirf liehen ©brigfeit gegenüber, bie bas
Sd)mert führte, ift feine ffaltung, fomeit mir nad) ben fpärlid)en
Seugniffen 3U urteilen permögen, eine anbere. <£r erfannte %
67
thatfächüches Hecht an unb B;at fich beruf eiben niemals eutjogen.
2 lud) bas Perbot bes <£ibes ift nicht fo ju uerftehen, bajj er ben
©b cor ber ©brigfeit mitgemeint Ejat. mit Hecht bat JPellhaufeu
geurteilt, es gehöre nur ein Körnchen Sal 3 bajn, um ben Sinn bes
Perbots nicht 3 U rcrfeblen. Hnbererfeits mujjj man ftdj hüten, 3 efu
Stellung jur ©brigfeit im. pofttmen Sinne 3 U überfdjäfcen. Plan
beruft jtd; gemöhnlid) auf bas uiel citierte JPort: „(gebet bem Kaifer,
mas bes Kaifers ift, unb (gott, mas (gottes ift." Hllein bies JPort
mirb oft mifjrerftanben. Überall ba mirb es unrichtig gebeutet, tr>o
man ihm ben Sinn geben 3 U bärfen meint, 3efus habe (Sott unb
ben Kaifer als bie beiben irgenbmie nebeneinanber ftefjenben ober
gar innerlich »erbunbenen (gemalten anerfannt. Daran bat er nicht
gebadjt, oietmebr umgefcbrt bie «Trennung unb Sdjeibung ber beiben
KTäcbte ausgefprochen. (gott unb ber Kaifer finb bie fjerren 3 meier
gan 3 uerfchiebener (gebiete. Die Streitfrage, um bie es fich han«
beite, löfte er eben baburd), baff er auf biefe Perfd)iebenbeit htn«
mies, bie fo gro|j ift, bafj ein Konfltft gar nicht entfteben fann.
Das Silberftiicf ift etmas 3rbifd)es unb trägt bas Bilb bes Kaifers;
alfo gebe man cs bem Kaifer; aber — bas ift bod] mobl bie <£r-
gänsung — bie Seele unb alle ihre Kräfte Safran bamit gar nichts
5 u tl;un; fie gehören (gott. Die Permengung ber (gebiete hat
3 efus abmehren mollen: bas ift sunächft bas (Sntfcheibenbe. £jat
man bies allem 3 u»or betont, bann mag man auch binjufügcn,
mic bebeutfam es fei, bafj 3 e f us 3 um (gehorfam gegen bie Steuer«
forberungen bes Kaifers au'fgeforbert hat- (gemifj, bas ift midjtig:
er felbft refpeftierte bie ©brigfeit unb moltte, bafj fie refpeftiert
mcrbe; aber in Bc 3 ug auf ihre JPertfchähung ift bas JPort
minbcftens neutral.
Dagegen bcftfcen mir noch ein anberes JPort 3efu in Besug
auf bie ©brigfeit, melches fehr nie! feltener 3 itiert mirb unb hoch
tiefer in bie (gebanfen bes Jjerrn einführt als bas eben befprodjene.
JPir mollen es fürs betrachten; es mirb uns auch beshalb midjtig
fein, meil cs übcrjulcitcn nermag 3 ur Betrachtung ber Stellung,
bie 3 efus 3 U ben Hechtsorbnungen überhaupt eingenommen hat.
Bei JlTarfus c. \d, ^2 lefen mir: „3efus rief feine 3ünger unb
fprad) 3 U ihnen: „ 3 hr miffet, bafj bie, meldje als Jjerrfdjer
gelten unter ben Pölfern, (gemalt gegen fie brauchen unb bie
Prächtigen unter ihnen JKadjt gegen fie üben. So aber ift’s nicht
bei euch; fonbern mer unter euch örofj merben mill, ber mirb euer
5*
— 68 —
Wiener [ein, urtb mer unter eud? ber erfte fein milt, ber mirb
(foll) ber Knecht aller fern/' £?ier mögen Sie por allem bie
„ Umwertung ber Werte" bemerfen. 3 efus feB?rt oB?ne DorbeB?alt
bas übliche Schema um: (ßroß fein unb an ber Spiße fielen, bas
bebeutet iB?m bienen; feine 3 ünger fallen nid?t B?errfd?en rnollen,
fonbern ftd? jebermann gegenüber 3U Knechten machen* Sobann
aber beachten Sie, mie er bie Wad?tB?aber, b* B?* bie ©brigfeit, mie
fie bamals mar, beurteilt 3^ 5unftionen berufen auf (Bemalt,
unb eben besfyalb fallen fie für 3efus außerhalb einer fittlicfyen
Beurteilung, ja fteB?en berfelben-prinzipiell gegenüber: „fo gef?t es
bei ben Wad?tB?abern 3U." 3 efas fdjreibt feinen 3 üngern por,
es anbers 3U mad?en* £ed?t unb Bed?tsorbnung, bie nur auf
(Bemalt, auf faftifcfycr Wad?t unb iB?rer Ausübung berufen, B?aben
feinen fittlidjen Wert* Croßbem B?at ^z\ns nid?t befohlen, baßN-
man fid] biefer ©brigfeit ent3ieB?en foll; aber man foll fie nad?
iBjrem Werte, b* B?. nad? ifyrern Unmerte fcfyäßen, unb man foll fein
eigenes Ceben nad? anberen (ßrunbfäßen, nämlid? nad? ben ent
gegengefeßten, einrid?ten: nid?t (Bemalt üben, fonbern bienen* Da¬
mit finb mir bereits auf bas allgemeine (Bebiet ber Bedjtsorbnungen
überhaupt Bjinübergetreten; benn allem Hed?te fd?eint es meferttlid?
3u fein, baß es ftd? mit (Bemalt burdjfeßt, menn es in ^rage
geftellt mirb*
2* f}ier begegnen uns nun mieber 3mei perfeßiebene 2 ln-
fdjauungen. Die eine — fie ift in neuerer <§eit befonbers non
SoB?m in Ceip3ig in feinem „Kird?enred?t" behauptet morben, unb
er fommt ber 2luffaffung Coljioi’s fetjr naB?e — leB>rt, bas
<£pangelium ferließe bas Bed?t überhaupt aus, es beurteile alle
Bedjtsorbnungen als unftattB?aft unb perlange iB?re 2 tufB?ebung,
be3m* manble fte in Woral um* SoB?m ift fo meit gegangen, baß
er in feinem Überblid über bie ältefte (Entmicflung ber Kirdje
gerabe3U einen Sünbenfall ber £B?riftenB?eit in bem Womente an*
nimmt, mo fie Bedjtsorbnungen in iB?rer Witte Baum gemälzt
B?at. Colftoi leB?rt, baß ber oberfte (ßrunbfaß bes <£pangeliums
laute, man folle fd?Ied?tB?in niemals auf feinem Bedjte hefteten, unb
Wemanb, aud? bie ©brigfeit nidjt, folle bem Böfen äußeren Wiber*
ftanb leiften* ©brigfeit unb Bed?t B?aben einfad? auf3uB?ören* ©ent-
gegenüber finben mir anbere, meld?e mit größerer ober geringerer
(£ntfd?iebenB?eit hdiauptm, bas <£pangeliunt fdjüße bas Bed?t unb alle
Bed?tsperB?ältniffe, ja B?eilige fie unb B?ebe fie bamit in bie göttliche
o
— 69 —
Sphäre. 2 )ies .jtnb, fürs gefaßt, bie beiben bfauptanfcfyauungen, bie
fid? B}ier gegenüber flehen*
Was nun bie legiere betrifft, fo bebarf es nidjt nieler XDorte*
(Es ift ein JFjoBjn auf bas (Enangelium, 3 U fagen, baß es alles, mas
fict? als Hecfyt unb Hecfytsnerfyältniffe in einem gegebenen HTomente
barftellt, fcfyüße unb ^eilige* (Bemäfyren laffen unb bulben ift
etmas anberes als bekräftigen unb fonfernieren. 3 a man muß
ernftfyaft fragen, ob and? nur non 3)ulbung bie Hebe fein fönne,
unb ob nicfyt Colftoi b^ier ridjtig geurteilt B?at. Hm ber Schmierig*
feit ber Sacfye mitten muffen mir etmas ausfyolen:
_ 3 c *fy* : fyunberte. Bjinburcfy Ratten Hebrücfte unb 2lrtne im Holfe
3srael nad? ifyrent Hechte gefdjrieen* 3 n bexx H)orten ber Propheten
unb aus ben (Bebeten ber pfalmiften nerneBpnen mir Bleute nod?
in ergreifenber XPeife biefen Scfyrei, ber bod? immer mieber über*
B?ört mürbe* (Es gab feine Hecfytsorbnung, bie nid|t unter ber
(Bemalt tvrannifdjer (Semaltfyaber ftanb unb non iB>nen nad? (ßut*
bünfen nerfefyrt unb ausgebeutet mürbe* Wxv bürfen bafyer, menn
mir non Hechtsorbnungert unb *übung fyier fprecfyen unb 3 c f u Her*
Bjältnis 3 U ifynen unterfucfyen, nicfyt fofort an unfere Hecfytsner*
Bjältniffe benfen, bie 3 unt Ceil auf bem Hoben.bes (Efyriftentums er*
mad]fen finb* 34 U5 ftanb in einer Hation, beren größere f^älfte
(Benerationen fyinburd? nergebens ifyr Hed?t nerlangt Blatte unb bie
bas Hecfyt nur als (Bemalt fannte* 3 n hinein folgen Dolfe mußte
mit Hotmenbigfeit Pe^meiflung an bem Hechte überhaupt plaß
greifen; Herjmeiflung fomofyl in He 3 ug auf bie Hcöglicfyfeit, auf
(Erben Hedjt 3 U befommen, als — in untgefebrter Hicfytung — in
He 3 ug auf bie fittlid]e <§uläffigfeit bes Hecfyts* (Etmas non biefer
Stimmung fann man audj im (Enangelium mafyrneBimen* 2lber,
unb bies ift bas <§meite unb forrigiert immer mieber biefe Stimmung:
3 efus ift mit allen mafyrfyaft 5 ^omnten felfenfeft banon über 3 eugt
gemefen, baß (Bott fcfyließlid? Hedjt fdjafft. Schafft er es nicfyt B)ier,
fo fcfyafft er es bort, unb bas ift bie fjauptfacfye* 3 n biefem <§u*
fammenB^ange ift für 3 e f us bxe 3^ee bes Hechts im Sinne ber
gerechten Vergeltung nid]t eine nermerflicfye, fonbern eine Bjofye, ja
befyerrfcfyenbe gemefen. Sie ift bie Hfajeftätsfunftion (Bottes —-
inmiefern fie burd] feine Harmfye^igfeit mobifi 3 iert mirb, banort
fann fyier abgefefyen merben* 2llfo, baß 3efus bas Hedjt als folcfyes
unb bie Hecfytsübung abfcfyäßig beurteilt Bjabe, banon fann feine
Hebe fein* 3ebem foll nielmeBjr fein Hecfyt merben, ja nod? .meBjr:
70
feine 3 ünger merben einft an ber Hedjtfprechung (Bottes teilnehmen
nnb felbft rieten! Hur bas Hed)t, mie es mit (Bemalt unb balier
als Unrecht geübt mürbe, bas Hecht, meldjes mie ein tyrannifches
unb blutiges Derluingnts über bem Dolfe lag, bas hat er beifeitc
gefdjoben. Hn bas mabre Hecht glaubte er, unb er mar aud)
gemi§, baß es fxdj bürchfeßen merbe; er mar beffen fo gemifj, baß er
nid)t meinte, bas Hecht müffe (Bemalt brauchen, um Hecht 3U
bleiben.
Das führt uns auf bas Ceßte. U>ir befißen eine Heiße r>on
Sprüchen 3efu, in beuen er feine 3 ünger angemiefen hat, auf
aöe Hed)tsforberung 3U ©eichten . unb ftd? fomit ihres Hechtes 311
begeben. Sie alle, Fennen biefe Sprüche, jd' erinnere nur an bas
IDort: „ 3 hr foKt nicht miberftreben bem Höfen, fonbern fo bir
jemanb einen Streich giebt auf beinen rechten Haden, bem biete
ben anbern auch bar, unb fo jemanb mit bir rechten mit! unb
beinen Ho cf nehmen, bem tag aud) ben Hlantel." ffier fdjeint
eine 5 orberung aufgeftellt 3U fein, bie bas Hecht oerurteilt unb bas
Hechtsleben auflöft. 3 e unb je hat man ftch baßer auf biefe JPorte
berufen, um fei es bie Unoereinbarfeit bes (Boaugeliums mit bem
mirflicheii Ceben, fei es ben Tlbfall ber Cßriftenßeit oon ihrem
HTeifter bar3uthun. Dem gegenüber ift folgenbes 3U bemerfen:
3 e fus mar, mie mir gefehen haben, oon ber Überseugung burdp
brungen, baff (Bott bas Hecht fcßafftj^ulefet atfo mirb nicht ber Der«
gemaltigenbe fiegen, fonöirn ber Hebrücfte mirb fein Hecht erhalten,
2. irbifcße Hechte finb an fid) eine geringe Sache; fie 3U oerlieren
bebeutet nicht oiel, 3 . bie Derßältniffe finb fo traurig, bie Un=
gerechtigfeit hat auf €rben fo überßanb genommen, baß ber He«
briidte fein Hecht nicht burcßjufeßen oermag, auch menn er es
oerfuchte, — unb bas ift bie fjauptfacße, — mie (Bott feine
(Bered;tigfeit mit Harmher3igfeit burcßmaltet unb feine Sonne über
(Bute unb Höfe fcßeinen läßt, fo foH ber 3 ünger 3 efu feinen (Begneru
Ciebe bemeifen unb fie burd? Sanftmut entmaffnen. Das finb bie
(Bebauten, melcße jenen hoben Sprüchen 3U (Sruube liegen unb bie
ihnen 3ugleid) ihr HTaß geben. Unb ift bie forberung, bie fie ent«
halten, mirflicß eine fo überirbifcße, unmögliche? iDeifen mir nicht
and) im Kreife ber 5 amilie unb ber .freunbfcbaft bie Unfrigen an,
fo 3U ©erfahren unb nicht Hofes mit Höfem unb Scheltmort mit
Scheltmort 3U 'oergelten? IDekße Familie, melcßer Hunb fann
beftehen, menn jeber in ihr nur fein Hed)t ©erfolgen moltte, menn
m
— 71 —
er nicht lernte, auf basfelbe, felbft bet einertiAngriff, 3 U reichten?
3efus fielet feine 3ünger als einen Kreis von ^reunben an, urtb er
blieft über ihn hinaus auf einen Hruberbunb, ber fich ausgeftalten
unb erweitern roirb* Aber foll man aud| bem 5einbc gegenüber
in allen fällen auf bie Verfolgung feines Hechts Berichten, foll man
ausfchließlich bie IVaffe ber Sanftmut brauchen? Soll, um mit
Colftoi 3 U reben, bie (Dbrigfeit nicht ftrafen (unb bamit überhaupt
uerfcfyunnben), follen bie Völ!er nicht für I^aus unb J^of eintreten,
wenn fie freventlich angegriffen tverben 2 c*? 3 ^? mage 3 U behaupten,
baf$ 3efus bei jenen IVorten an folcfye 5älte gar nicht gebadet h a h
unb baß bie Ausbeutung in biefer Hichtung ein plumpes unb
gefährliches HTißverftänbnis bebeutet: 3 c f U5 h at immer nur ben
ein 3 elnen int Auge unb bie ftetige (Sefinnung bes ^er 3 ens in ber
Ciebe* Vaß biefe bei Verfolgung bes eigenen Hechts, bei getuiffen--
hafter Hechtfprechung unb bei ernftem Strafr>oÜ 3 ug überhaupt nicht
beftehen fönne, ift ein Vorurteil, für tvelches man fich vergebens
auf ben Huchftaben jener Sprüche beruft, bie hoch nicht (Sefefee^
alfo Hechtsorbnungen, fein toollen* Vas aber muß hi n 3 u 9 e fÜ9t
roerben, um ber Roheit ber euangelifchen ^orberung nichts ab 3 U*
3 iehen: ber 3nnger 3 c f u foll imftanbe fein, auf bie Verfolgung
feines Hechtes 3 U ve^ichten, unb er foll mitarbeiten, baß ein Volf
von Hrübern roerbe, in rvelchem bas Hecht fid] nicht mehr mit
(Setvalt burchfeßt, fonbern burch ben freien (Sehorfam bes (öuten,
unb roelches nicht burch Hechtsorbnungen verbunben ift, fonbern
burch Vienft in ber Ciebe*
©ürlBfiuui.
5)as Verhältnis bes <£uangeliums ju bent Hechte unb bcn -
Heditsorbnungen I;at uns in ber lebten Vorlefung befcfjäftigt. JVir
Ijaben gefetien: 3 efus ift ber Überzeugung, baff (Sott bas Hecht
fdjap unb fd? affen mirb. IVeiter, mir erfannten, bajj er oon (einen
3üngern forbert, fie (oben auf if?r Hecht oerjid^ten fönnen. 3nbem
er_biefe 5 orberung ausfpricht, hat er nicht alle Verbältniffe feiner
Seit im 2 tuge, noch uiel meniger bie uerroicfeiteren einer fpäteren,
(onbern ihm [teilt nur ein einziges Verhältnis nor ber Seele, bie
Se 3 iehung jebes Hienfchen 3 um Heidje (Sottes. fVeil ber Htenfd?
alles uerfaufen (oll, um bie föftliche perle 3 U faufen, fo foU er
auch bie irbifchen Hechte fahren- laffen fönnen, fo foll alles jenem
höchften Verhältnis untergeorbnet merben. 3 m Sufammenhange
aber mit biefer Verfünbigung eröffnet 3efus bie Husficht auf eine
Verbinbung ber HTenfchen untereinanber, bie nicht burd? eine Hechts*
orbnung 3 ufammengehalten ift, fonbem in meldjer bie Ciebe regiert
unb in ber man ben 5einb burdj Sanftmut uberminbet. <£s ift
ein hoh^, botrlidjes 3 beal, melches mir hier non ber (Srunblegung
unferer Heligion her erhalten haben, ein 3beal, melches unferer ge*
fdjichtlidjen <£ntmicflung als Siel unb Ceitftern »orfchmeben foll.
®b bie 2 Tienfd;heit es je erreichen mirb, mer fann es fagen ? aber
mir fönnen unb follen uns ihnt nähern, unb heute fühlen mir
bereits •— anbers als noch oor 5 mei= ober breihunbert 3 <fhren —
eine fittliche Verpflichtung in biefer Hidjtung, unb bie 3 arter unb
barum prophetifd? unter uns «Smpfinbenben blicfen auf bas Heid?
ber Ciebe unb bes 5riebens nicht mehr mie auf eine blofje
Utopie.
o
— 73 —
(Srabe besB]a!b aber ergreift Bjeute manchen unter uns eine
fd]tvere «^roctfclfraae mit verboppelter (Semalt: mir feB]en einen
garten Stanb im Kampfe für fein Hed]t ober vielnteBjr, mir feBjen
iB]n ringen, feine Hed]te 3 U ermeitern unb 3 U vernteBjren* 3 ft bas
mit d]riftlid]er (Sefinnung vereinbar, verbietet bas (Evangelium einen
folgen Kampf nidjt? Ejaben mir >nid]t gehört, man folle auf fein
Hed]t ver 3 id]ten, gefdjmeige meijr Hed]t 3 U erlangen fud]en? 2Ufo
muffen mir als (£B]riften bie Arbeiter vom Kampf für ifyre Hechte
abrufen unb müffen jte Iebiglid] 3 ur (Sebulb unb (Ergebung er*
mahnen?
Das problent, um meines es fid] B]ier Bjanbelt, mirb and] in
ber 5 ortn einer leifen KnBlage gegen bas (£B]riftentum laut (Ernfte
HTänner in ben Kreifen 3 * 23. ber HationabSosialen unb vermanbter
Kid]tungen, bie ftd] gerne von 34 us <£B)riftus meifen Baffen moBIen,
Blagen, baf$ bas (Enangeliunt jte an biefem punBte im Stiche laffe‘
es B>alte ein Stvchm nieber, beffen 23ered]tigung jte mit gutem (Se*
miffen empfinben; mit feiner 5orberung ber unbebingten Sanftmut
unb (Ergebung cntmaffne es jeben, ber Bämpfen mill, unb narBoti*
jiere- gleid]fam alle Iebenbige CBjatBraft* Sie fagen es mit 23ebauern
unb Sd]nter 3 , anbere mit (SenugtBjuung* Diefe erBIären: mir B]aben
es immer gemußt, bas (Evangelium ift nid]t für bie gefunben unb
ftarBen Htenfdjen, es ift für bie 23leffierten; es mei§ nichts bavon
unb mill es nid]t miffen, bafj bas Ceben, 3 untal bas moberne, ein
Kampf ift, ein Kampf für bas eigene Hed]t* IDeldje Kntmort follen
mir' iB]nen geben?
- 3d? meine, bie fo fpredjen ober Blagen, B>aben ftd] nod] immer
nid]t Blar gernad]t, um mas es fid] im (Evangelium B]anbelt, unb
be 3 ieB)en es vorfd]neII unb ungehörig auf irbifcfye Dinge* Das
(Evangelium richtet fid] an ben inneren 2T(enfd]en, ber immer ber*
felbc bleibt, mag er gefunb ober vermunbet, mag er in (SIücBslage
ober im Unglücf fein, mag er in bem irbifd]en Ceben Bämpfen ober
(ßemonnenes ruB]ig behaupten müffen* „ Hiebt Heid] ift nid]t von
biefer H)elt"; bas (Evangelium richtet Bein irbifd]es Heid] auf*
Diefe IDorte fd]lief$en nid]t nur bie politifd]e CB]eoBratie aus, meld]e
ber, papft aufrid]ten mill, unb jebe meltlid]e JB}errfd]aft; jte reichen
nod] viel meiter;gfe verbieten jebes bireBte unb gefe^lid]e (Eingreifen
ber Heligion in pbifd]e DerB]ältniffe* pofitiv . aber fagt uns bas
(Evangelium: Wc r bu aud] fein magft unb in meld]er Cage nur
immer bu bid] beftnben magft, ob Kned]t ober freier, ob Bämpfenb
74
ober ruhenb — bcinc eigentliche Aufgabe bleibt immer biefelbc; es
giebt nur ein Dcrbältnis unb eine (Sefinnung für bicfj, bie un=
oerhnicblk'h bleiben foEen, unb ber gegenüber bie anberen nur
wechfelnbe JEfüEen unb Hufsügc finb: ein Kinb (Sottes unb Bürger
feines Heidjes 3 U fein unb Ciebe 311 üben. Dir unb beiner Freiheit
ift es überlaffen, wie bu im irbifdjen Ceben bich 3 U bewähren ha ft
unb in meiner IDeife bu beinern Hächften bienen wiEft. So hol
ber Hpoftel paulus bas Eoangelium oerftanben, unb ich glaube
nicht, baff er es mifjoerftanben hot. 2 llfo fämpfen wir, ftrebeu wir,
fchaffen wir bem Hnterbriicften Hecht, orbnen wir bie irbifdjen Der»
hältniffe, wie wir es mit gutem (Sewtjfen fönnen unb wie es uns
für unferen Hächften am heften fcheint; hoch erwarten wir babei
non bem Eoangelium feine birefte ffülfc, oerlangen wir nichts in
' eigenfüchtiger fDeife für uns felbft unb oergeffen wir nicht, baff bie
iDelt oergeht, nicht nur mit ihrer £uft, fonbern auch mit ihren
(Drbnungen unb (Sütern! Hoch einmal fei es gefagt: bas Eoan--
gelium fennt nur e i n <§ie[ unb eine (Sefinnung, unb es oer»
langt, baff ber HTeitfch fie niemals bei Seite fefce. Critt in ben
fDorten 3*d u bie (Ermahnung 3 unt De^icht in herber Einfeitigfeit in
ben Dorbergrunb, fo foE uns bamit bie Souoeränetät unb 2 lusfd]Iieg»
lidjfeit bes Derhältniffes 3 U (Sott unb bie Ciebesgefinnung einbring»
lid) oor 2 lugen gefteüt werben. '"Das Eoangelium liegt über ben
fragen ber irbifchen Entwicflungen; es fümntert fidj nicht um bie
Dinge, fonbern um bie Seelen ber Hlenfchen.
Damit finb wir bereits 3 U ber nächften 5 rage, bie uns befd;äf=
-tigen foE, übergegangen unb hoben fie fdjon 3 ur bfälftc beantwortet:
Das Eoangelium unb bie Hrbeit, ober bie 5 rage ber
Kultur. ,
Es fotnmen hier wefentlid; biefelben (Sefichtspunfte in Betracht,
bie wir in ber eben betrachteten 5 rage geltenb gemacht haben; balier
oerntögen wir uns fürser 3 U faffen.
3e unb je, oor aEem - aber in unferen Cageii, hot man au
.ber prebigt 3 e f u bas 3 nt ereffe für 3 wedooEe Berufsarbeit unb
jben Sinn für aEc bie ibealen (Süter oermifjt, bie burch bie Hamen
Kunft unb IDiffenfchaft be 3 eidjnet finb. Hirgenbwo, fo fagt man,
forbere 3efus 3 ur Hrbeit unb 3 U fortfehreitenber Betbätigung auf;
• oergeblid; fudje man in feinen iDorten nach bem Husbrucf ber
75
5 reube an frifdjer Chätigfeit, unb jene ibcaleit (Suter lägen ganj
außerhalb feines (Seftchtsfreifes» 3 n feinem lebten, verhängnisvollen
Buche: „Der alte unb ber neue (Slaube" B^at Davib 5 rieb rieh
Straufp biefem Dermiffeu einen befonbers gerben Kusbrucf ver=
liefen* (Er fpricht von einem funbantentalen Btangel im (Evan»
geliunt unb B^ält es fcfyon beshalb für veraltet unb unbrauchbar,
weil es feine Fühlung mit ber Kultur unb ihrem ^ortfehritt habe»
Cange vor Strauß h a * hier aber bereits ber pietismus etwas #hn=
liches entpfunben unb einen eigentümlichen Kusweg gefucht. Die
pietiften gingen bavon aus, 3 efus trtüffe bireftes Dorbilb fein fönnen
für alle Blenfchen, welchem Berufe auch immer fie bienen mögen;
er müffe fich in allen menfehlichen Derhältniffen bewährt h a ^en.
Sie gaben nun 3 U, bajj bei flüchtiger Betrachtung biefe iorberuttg
in bent Ceben 3 e f u nicht erfüllt fei; aber fie meinten, wenn man
genauer 3 ufähe, fänbe man, baj$ er wirflich ber befte Bfaurer, ber
befte Schneiber, ber befte Bichter, ber befte (Selehrte.u* f. tv. gemefen
fei unb alles am vor 3 Üglid}ften gemußt unb verftanben fyahe.
Sprüche unb Chatcn 3 c f u brehten unb rvenbeten fie fo lange, bis
fie bas (Semünfchte ausfagten unb betätigten» Das mar ein finb=
liches Unternehmen, aber bas Problem, welches fie entpfanben, war
ein ernfthaftes: fie felbft fühlten fich burch (Sewiffen unb Beruf an
eine beftimmte Chätigfeit unb Aufgabe gebunbert; fie waren fich
barüber flar, baß fie feine UTönche werben follten; aber fie wollten
bod? bie Bachfolge Chrifti in vollem Sinne üben; alfo muß er in
benfelben Derhältniffen geftanben blähen wie fie felbft, unb fein I^ori*
3 ont muß berfelbe, gemefen fein wie ber ihrige»
XDir haken b[kv benfelben 5 all, nur erweitert, ben mir im
vorigen Kbfchnitt behanbelt haben: immer mieber entfteht ber ^vrtum,
als be 3 Öge fich bas (Evangelium auf irbifd>e Derhältniffe unb ntüffe
gefeßliche Dorfchriften für fie geben. Zugleich maltet hier bie alte
unb faft unausrottbare Beigung ber UTenfchen, fich ih r er 5^eiheit
unb Derantmortlichfeit in höheren Dingen 3 U entäußern unb ftd}
einem (Eefeße 3 U unterwerfen» (Es ift in ber Chat viel bequemer,
unter irgenb einer Autorität, fei es auch ber bärteften, leben als
in ber 5 ^eihcit bes (Sutert» Doch bavon abgefehen — cs bleibt
noch immer bie 5rage übrig: 5ehlt bent (Evangelium nicht mirflich
etwas, weil es für bie Berufsarbeit fo wertig Ceibtahme verrät,
unb weil es feinen Kontaft hat mit bent „ Rumänen " im Sinne ber
IDiffenfchaft, ber Kunft unb ber Kultur überhaupt?
76
antroortc crfiens, mas märe beritt gemomten morbett, wenn
es biefen „BTangel" nicht gehabt hätte ? Angenommen, es märe
lebhaft auf jene Begebungen eingegangen, hätte es fich nicht in
ihnen nerftriefen muffen ober minbeftens ben gefährlichen Schein auf
fid? gezogen, in ihnen nerftridt sn fein? Arbeit, Kunft, JPiffenfchaft,
Kultnrfortfehritt eriftieren nicht in abstracto, fonbern immer nur in
ber beftimmten phafe einer <geit. 2TEit ihnen hätte fidt bas <2oan«
gelium alfo nerbinben ntü|fen. 2 tber bie phafen änbern fich. bPir
erleben heute an ber römifdidatholifdjen Kirche, 5 U meid? einer
ferneren £aft bie Perbinbung mit einer beftimmten Kulturepoche für
bie Beligion mirb. 3m HTittelalter mar biefe Kirche »oll Teilnahme,
forntgebenb, gefefcgebenb auf atte fragen bes 5 ortfd?ritts unb ber
Kultur eingegangen. Itnuermerft hat fie aber ihr heiliges <£rbe
unb ihre eigentliche Aufgabe mit ben Crfenntniffen, Hfapimen unb
3 ntere)fen, bie fie bamals gemomten hat, ibentifoiert. Hun ift fie
gleichfant feftgenagelt auf ber philofophie, ber Hationalöfonomie,
für, auf bem gan 3 en Kultu^uftanb bes Blittelalters! IPie »iel hat
im (Segenfah basu bas <£»angelium baburd? ber B7enfd?beit geleiftet,
ba§ es bie Cöne ber Beligion in mächtigen 2tfforben angefdjlagen
unb jebe anbere HTelobie »erbannt hat!
fgmeitens, 2trbeit unb fortfehritt ber Kultur finb gemiß merfoolle
Pinge, in benen mir uns ftrebenb bemühen fallen. 2 tber bas höchfte
3beal liegt nidit in ihnen befchtoffen; fie uemtögen bie Seele nicht
mit mirfticher Befriebigung ju erfüllen, IPobl fdjafft bie 2 trbeit
£uft, aber bies ift boch nur bie eine Seite ber Sache: ich habe
immer gefunben, baß über bie £uft, meldte bie Arbeit gemährt, bie»
jertigen lauter fpredjen, bie fid? felbft nicht alhuoiel anftrengen,
mährenb bie bei ihrem preife Hmftänbe machen, bie in ununter«
brochener heißer 2Irbeit ftehen. 3n ber Chat, es läuft ba fet>r
»iel leeres (Serebe unb ffeudtelei mit unter. Dreimertel ber 2trbcit
unb mehr ift nichts als ftumpfmadjenbe Blühe, unb mer mirflich
hart arbeitet, fühlt ben fehnfüchtigen 2lusblid bes Dichters auf ben
2 lbenb nach:
Das ^\awpt f bie 5 ü§’ unb bjänbe ,
5trtb frofy, ba§ nun 3 um <£nbe
3)te Arbeit fommen fei*
2 lber auch bie Crgebniffe! JPenn man fertig ift, möchte man
jebe 2 trbeit noch einntal machen, unb bas Stücfmerf fällt fdjmer
auf bie Seele unb bas < 5 emiffen. Hein, mir leben nicht fomel als
77
mir arbeiten, fottbern fooiel als mir uns ber Ciebe anberer er«
freuen unb felbft Ciebe üben! Unb fo hat 5auft recht: Arbeit, bie
nichts als Arbeit ift, mirb 3 um (Sfel: „ 2 T lan fehnt fidi nach bes
Cebens Hädjen, ach, nach bes Cebens Quelle fyn."
Arbeit ift ein fchäßensmertes Dentil, meines mir brauchen gegen«
über größeren Flöten; aber fie ift an fich fein absolutes (Sut, unb mir
fönnen fie nicht mit unfern ^boakn 3 ufammenftellen, ähnliches g$t
von bem Kulturf ortfehritt. (Semiß, er ift 3 U begrüßen* Uber mas freute
ein 5 ortfchritt ift, beffen mir uns freuen, mirb morgen etmas
Klechanifches, bas uns falt läßt, Der tiefer füfylenbe KTenfch
nimmt banfbar entgegen, mas ihm bie fortfdjreitenbe (Entmidflung
ber Dinge bringt; aber er meiß auch, baß feine innere Situation —
bie fragen bie ihn bemegen, unb bie (Srunbuerhältniffe, in
benen er ftefjt — nicht mefentließ, ja faum unmef entlieh, burch bas
alles geänbert mirb, <£s fcheint immer nur einen Kugenblicf fo,
als fäme nun ein Heues unb man fei mirKich entlaftet, Kleine
Herren! H)enn man älter gemorben ift unb tiefer ins Ceben fielet,
ftnbei man fich, menn man überhaupt eine innere XDelt befißt,
burch ben äußeren (Sang ber Dinge, burch ben „Kulturf ortfehritt",
nid}t geförbert. Klan finbet fich oielmehr an ber alten Stelle unb
muß bie Kräfte auffucfyen, bie auch bk Dorfahren aufgefucht haben,
Klan muß fid? heimifch machen in bem Heiche (Sottes, in bem Heidje
bes (£migen unb ber Ciebe, unb man r>erfte£>t es, baß 3 e f us ^hrifü 15
nur uon biefern Heiche ^eugen unb, fprechen mollte, unb baitff
es ihm,
Uber b r i 11 e n s, 3 efus hatte ein Iebenbiges unb ficheres Hemußtfein
oott bem Kggreffioen unb Dormärtstreibenben feiner prebigt, „ 3 d? bin
gefommen, ein 5 euer an 3 U 3 Ünben auf <£rben, unb" — fügte er
hin 3 U — „ich mollte, es brennte fchon." Das 5euer bes (Berichts
unb bie Kräfte ber Ciebe mollte er b^crauffü^rert, um eine neue
KTenfchheit 3 U fchaffen. U)enn er uon biefen Ciebesfräften in ber
einfachen ZDeife gerebet hat, mie fie ben nächften Derhältniffen ent«
fprach — hungrige fpeifen, Hadte fleiben, Kranfe unb (Befangene
befudjen —, fo ift hoch flar, baß ihm eine ungeheure innere Uni«
mäl 3 ung ber KTenfchheit, bie er in bem Spiegel bes Keinen
paläftinenfifchen Dolfes fah, uorfchmebte: „(Einer ift euer KTeifter, ihr
aber feib alle Brüber," £s ift bie leßte Stunbe, aber in biefer
lebten Stunbe foH noch ein Haum aus Keinem Samenforn auf«
machfen, ber feine <§meige meithin ausbreitet, Unb noch ein anberes:
78
(Erkenntnis (Bottes offenbarte er unb mar gemig, baß fte bie
Unmünbigen reifen unb bie Schwachen ftählen unb su gelben (Bottes
machen merbe* (Botteserkenntnis ift ber Horn, ber bas unfruchb
bare Selb beleben unb Ströme lebenbigen H>affers fliegen Iaffen tt>irb*
3n biefem Sinn hat er non ik?r gefprod?en als bem höchften unb
bem einzigen notwendigen (But, als ber Bebingung aller (Erhebung
unb, mir bürfen and? fagen, alles wirklichen IHerbens unb Sort*
fd?reitens* (Ertblich, an feinem b?ori 3 onte lag nicht nur bas (Bericht,
fonbern auch ein Heid? ber (Bered?tigkeit, ber Ciebe unb bes Sriebens,
gemig vom J^immel ftammenb, aber bod? für biefe (Erbe* Wann
es kommt, w>eig er felbft nicht — bie Stnn^ ift nur bem Dater
befannt —; aber mie es fid> verbreitet unb moburch, bas meig er,
unb neben ben bramatifd?en unb farbenreichen Bilbern, bie burd?
feine Seele sieben, ftefyen and? unverrückbar unb ftd?er ruhige Kn*
fchauungen: Der XDeinberg (Bottes auf biefer (Erbe, (Bott ruft feine
Arbeiter hinein — felig, mer einen Huf empfängt! —; fte arbeiten
in bent H)einberg, fteB?en nun nicht mehr mügig am HTarfte, unb
empfangen sulegt ihren Cohn* ©ber jenes (ßleichnis von ben
pfunben, bie ausgeteilt tverben, bamit man mit ihnen arbeite, bie
man alfo nicht im Schtveigtud? bervat?ren foll* (Ein Cagetverf,
Arbeiten, Hermehren, SortfBreiten, aber alles in ben Dienft (Bottes
unb bes Hächften geftellt, vom £id?te bes (Emigen umfloffen unb bem
Dienft bes vergänglichen XHefens erttrüdt!
Helmten mir bas alles 3 ufantmen, mas mir hier nur anbeuten
fonnten — ift bie Klage berechtigt, von ber mir am Knfange biefes
Kbfchnitts ausgegangen finb? Sollen mir mirflid? munfehen, bas
(Evangelium hätte ftd? bem „Kulturproseg" angefchmiegt? 3d?
benfe, bag mir es auch an biefem punkte nicht su meiftern, fonbern
von ihm su lernen haben* Hon ber wirklichen Krbeit, welche bie
HTenfchheit 3 U leiften hat, künbigt es uns, unb mir follen uns biefer
Hotfd?aft gegenüber nicht fyntev unfre kümmerliche „Kulturarbeit"
verfd?ansen. „Die (Erfd?einung Chrifti", fagt ein neuerer bjiftorifer
mit Hecht, „bleibt bie alleinige (Brunblage aller fittlidjen Kultur, unb
in bem HTage, in welchem biefe (Erfcheinung mehr ober meniger
beutlid? h^burchsubringen vermag, ift auch bie fittliche Kultur
unferer Hationen eine grögere ober geringere"«
79
5. Das (Evangelium unb ber ( 8 ottesfohn, ober bie Frage
ber <£Bjriftologie»
U)ir treten fegt aus bem Kreife ber fragen, bte mir bisher
behanbelt haben, heraus* 3 ^ vier gingen alle aufs engfte unter*
einanber 3 ufammen» Überall, mo man bte richtige Untmort ver*
fehlt B^at, lag ber <5runb barin, bag man bas «Evangelium nicht
hoch genug genommen, bag man es hoch irgenbmie auf bas Niveau,
irbifcher fragen B^erabge 5 ogen unb mit ihnen verflochten B^ai 0 ber
anbers ausgebrüdt: ©ie Kräfte bes (Evangeliums besiegen ftch auf
bie tiefften (Srunblagett menfetlichen Xüefens unb nur auf fie;
lebiglich B|ier fegen fie bett bjebel an* U)er baBjer nicht auf bie ZDu^eln
ber 2 TBehfcB}B}eit 3 urüd 3 ugehen vermag, mer fie nicht empfinbet
unb erfennt, ber mirb bas (Evangelium nicht vergehen, mirb es
3 U profanieren verfuchen ober ftch über [eine Unbrauchbarfeit
beflagett»
Zinn aber treten mir an ein gatt 3 neues Problem Bjeratt^
meiere 5teIBung B^at [ich 3e[us [elbft, inbem er bas (Evangelium
verfünbete, 3 U biefer feiner 23otfchgft gegeben, unb mie moUte er
[elbft auf genommen [ein? Wiv fptechen noch nicht bavon, mie ihn
[eine 3 ünger erfagt, ins f}er 3 gefchloffen unb beurteilt B)aben, [onbern
lebiglich von [einem Selbfoeugnis» Uber and) [cfyon mit bie[er
Unterfuchung treten mir in ben grogen unb viel umftrittenen Kreis
von fragen, bie bie Kirchengefchidge [eit bem erften 3 a h r h u rtfrert
bis 3 ur ©egenmart bebeden» Um einer ZTuance millen fünbigte man
ftch B^ier bie brüberlidje ( 5 emeinfchaft unb finb Caufertbe gefchmäht,.
vermorfen, in Ketten gelegt unb fyingemorbet morben» <Es ift eine
fchaurige (Sefchichte* Uuf bem Boben ber „(EB^riftologie', B^aben bte
UTenf d?en ihre religiö[en CeBjren 3 U furchtbaren IDaffen gefhmiebet
unb Furcht unb Schreden verbreitet» ©iefe Haltung bauert noch immer
fort: bie (Efyriftologie mirb behanbelt, als böte bas (Evangelium feine
attbere Frage, unb ber Fanatismus, ber fie begleitet, ift auch heute
noch lebenbig* ©ag bas Problem, von einer [oldjen Caft ber
(Sefchichte bebrüeft unb ben Parteien ausgeliefert, verbunfelt ift —
mer follte [ich barüber munbern? Unb hoch, mer mit unbefangenem
23lid in unfre (Evangelien fchaut, für ben ift bie Frage bes Selbft*
3 eugniffes 3 e[u feine unlösbare» Was aber in ihr bem Perftanfr
bunfel unb geheimnisvoll bleibt, bas follte im Sinne 3efu unb uach
ber ZTafur bes Problems fo bleiben unb fann nur in Bilbern vor
80
uns 3 ur Kusfagc gebraut »erben. „Es giebt Erfcheinungen, bie
m ben Porftellungsfomplef bcs Perftanbes gar nicht ohne Symbol
etngereiht »erben formen."
§wd fjauptpunfte fmb 3 unäd?ft fefeuftelten, beuor mir ba^
5 eIbfaeugnis 3 efu unterfucheu: Erftlid], er wollte feinen anberen
<Blauben an ferne perfon unb feinen anberen Knfdjluß an fie als
ben, ber in bem Raiten feiner (Sebote befdjloffen liegt. Selbft im
merten Epangelium, in »eichem bie perfon 3 efu oftmals über ben
Jnl^alt bes Epangehums hinausgehoben erfehemt, ift boch ber (Se-
banfe noch fefjarf formuliert: „Oebet % mich, fo galtet meine <Se.
bote." Er fjatte fäon felbft »ährenb feines JPirfens erfahren
muffen, baß «Etliche ii]n perehrten, ja ihm Pertrauten, aber fief? um
ben 3 nf!alt feiner prebigt nidjt fiimmerten. 3 Einen fiat er bas
ftrafenbe iPort 3 ugerufen: „Es »erben nicht alle, bie 3 ü mir „fferr,
^err" fagen, tn bas fjimmeiretd) fommen, fonbern nur bie, »elcbe
ben ^rüen meines Paters tfjun." Klfo lag es gan 3 außer feinem -
toejtctytsrmfe, unabhängig Dort feinem ^oaitaelium eine , «ebre"
über feine perfon unb feine JPürbe 3 u geben. Zweitens' ben
*jerm fftmmels unb ber Erbe trat er als feinen (Sott unb Pater
als ben Größeren, ats ben allein (Suten be 3 eid;net. (Er ift ge»iß'
«lies, »as er traf unb »as er ausridtfen foll, pon biefem Pater 3 u
haben* Su thm betet er, feinem Wxüm orbnet er fich unter: in
fynßem Hmgert fud)t er ibn 3 u erforfdjen unb 3 u erfüllen. §kl,
Kraft, <£mftd?t, «Erfolg unb bas harte PTüffen — alles fommt ibm
Pont Pater. So fteEjt es in ben Eoangelicn; ba ift nichts 3 u breben
unb 3 u beuteln. Pies empfinbenbe, betenbe, banbeinbe, ringenbe
unb letbenbe 3 d! ift ein KTenfd?, ber fid) aud? feinem (Sott gegen,
über mtt anberen 2 Tienfchen sufammenfchliegt*
Piefe beiben Erfenntniffe «sieben gleichfam bie (Sren 3 linien, um
bas (Sebiet rtd)ttg 3 u umfehreiben, auf »eldjem bas Selbft 3 eugnis
Jefu hegt, pofit» ift für basfelbe freilich nod) nichts gewonnen.
tr faffen es aber alsbalb in feinem innerften Kerne, »emt »ir
bte beiben Selbftbe 3 eichnungen 3 efu näher betrachten: Sohn (Sottes
unb Kleffias (Papibsfohn, KTenfdjenfohn).
. ^ ? enc 23e3eid,nun9 ' ma 3 P« auc h urfprünglid? mefftanifd] ge.
bad)t fein, hegt heute unferem Perftänbnis fehr piel näher als biefe*
benn 3 efus felbft hat bem begriff „(Sottesfohn" einen 3 nhatt ge’
«eben, burd? ben er faft aus bem mefftanifchen Schema Eierausfällt
ober hoch 3 u feinem Perftänbnis biefes Schemas nicht notwendig
81
bebarf. Dagegen ift uns bie Be3eichnung „XHefftas", wenn wir uns
nicht mit einem toten XDort begnügen wollen, 3unächft gan3 fremb.
XDir uerftehen nicht ohne weiteres, ja wir uerftehen als nicht*
3 uben überhaupt nicht, was biefe XDürbe befagen foll unb welchen
Umfang unb welche X}öhe fte hat (Erft wenn wir ihren Sinn burch
gefchidjtliche Unterfüchungen ermittelt haben, fönnen wir fragen, ob
bem XDort eine Bebeutmtg 3ufommt, bie irgenbwie beftehen bleibt,
auch nachbem bie jübifcfypolitifche 5orm unb Schale 3erbrochen ift*
Betrachten wir 3unächft bie Be3eidjnung „Sohn (Sottes". 3 efus.
hat es uns in einer feiner Beben befonbers beutlich gemacht, warum
unb in welchem Sinne * er ftch ben „Sohn (Sottes" genannt hat.
Bei UTatthäus, nicht etwa bei 3 ohannes, fteht &as XDort: „Biemanb
formet ben Sohn, benn nur ber Dater, unb niemanb f erntet ben
Dater, benn nur ber Sohn,^ unb wem es ber Sohn will offenbaren."
Die (Sotteserf enntnis ift bie Sphäre ber (Sottesfohnfdjaft. (Eben
in biefer (Sotteserfenntnis hat er &as heilige XDefen, welches Qimmel
unb €rbe regiert, als Dater, als feinen Dater fennen gelernt. Sein
Bewufttfein, ber Sohn (Sottes 3U fein, ift barum nichts anberes *
als bie praftifche 5 olge ber <£rfenntnis (Sottes als bes Daters unb
feines Daters. Hecht oerftanben ift bie (Sotteserfenntnis ber gan3e
3nhalt bes Sohnesnamens. Uber ein Doppeltes ift hnt3U3ufügett:
3 efus ift über3eugt, (Sott fo 3U fennen, wie feiner r>or ihm, unb
er wei§, baft er ben Beruf hat, allen anberen biefe (Sotteserfennt*
nis — unb bamit bie (Sottesfinbfchaft — burch XDort unb Chat
mit3uteilen. 3 n biefem Bewufttfein weift er ftch als ber berufene
unb r>on (Sott eingefe^te Sohn, als ber Sohn (Sottes, unb barum
fann er fprechen: HTein (Sott unb mein Dater, unb er legt in
biefe Unrufung etwas h^eia, a>as nur *h m 3 u fteht* K?ie er 3^
biefem Bewufttfein ber (Ein3igartigfeit feines Sohnesuerhältniffes
gefommen ift, wie er 3U bem Bewufttfein feiner Kraft gelangt ift
unb ber Derpjlichtung unb Uufgabe, bie in biefer Kraft liegen, bas
ift fein (Seheimnis, unb feine pfychologie wirb es erforfdjen. Die
<§uoerficht, in ber ihn 3 °hannes 3 um Dater fprechen läftt: „Du
haft mich geliebt, ehe benn bie XDelt gegrünbet war", ift ftcherlich
ber eigenen (Sewiftheit 3 efu abgelaufcht. £jier hat alle ^orfchung
fülle 3U halten. Uuch bas uermögen wir nicht 3U fagen, feit warm
er ftch als ber Sohn gewuftt unb ob er ftch kann gan5 unb gar
mit biefem Begriff ibentifoiert hat, ob fein 3 d? mit bemfelben uer*
fd^mol3en war ober ob hier noch eine Spannung unb innere Uuf*
ßarnarf, Wefcn b. (Efyriftentums. 6
82
gäbe für ihn beftanben bat. Ergriinben fömxte hier nur einer
eirras, her eine annäbernbe (Erfahrung gemacht hat. (Ein prophet
mag oerfuchen, ben Schleier 3a heben; mir aber muffen uns be=
gnügen, feftufteßen, baß biefer 3efus, ber Sclbfterfenntnis unb
Demut, gelehrt, bod? fich unb fich allein ben Sohn (Sottes ge»
nannt hat. <£r meiß, baß er ben Pater fennt, baß er biefe Er»
fenntnis aßen bringen foß, unb baß er bamit bas Werf (Sottes
felber treibt. Es ift bas größte unter aßen Werfen (Sottes, giel
unb Enbe feiner Stopfung. 3hm ift es übertragen, unb er mirb
es in (Sottes Kraft burchführen. SIus biefem Kraftgefühl heraus
unb im Kusblicf auf ben Sieg hat er bas Wort gefprodjen: „Kße
Dinge ftnb mir übergeben non meinem Pater." 3e unb je
finb in ber Wenfchheit Wärmer (Sottes aufgetreten mit bem fieberen
Pemußtfein, eine göttliche Potfchaft 3U beftßen unb fie, moßenb ober
nicht moßenb, oerfünbigen 3U müffen. Kber immer mar bie Pot»
fchaft unooßfommen, an biefer ober jener Steße brüchig, mit poli»
tifchem unb mit partifularem oerflochten, auf einen augenblicflichen
Suftanb berechnet, unb ber Prophet beftanb fehr oft bie probe
nicht, felbft bas Erempcl feiner Pot fchaft 3U fein, fjter aber mirb
bie tieffte unb umfaffenbfte Potfdjaft gebraut, bie ben Wenfchen
an feinen Wuseln faßt unb, im PaEimen bes jübifchen Polfs, fich
an bie gatt3e Wenfchheit richtet — bie Potfchaft oon (Sott ' bent
Pater. Sie ift nicht brüchig, unb ihr eigentlicher 3 nf;alt löft fich
leicht aus ben notmenbigen ffüßen seitgefdjichtlicher formen. Sie
ift nicht oeraltet, fonbern triumphiert noch heute ftarf unb lebenbig
über aßes (Sefchehen. Unb ber fie oerfünbigt hat, hat noch feinem
feine Steße abgetreten unb giebt noch heute bem Ceben ber Wenfd;cn
einen Sinn unb bas 3iel — er, ber Sohn (Sottes.
Damit finb mir bereits 3U ber anberen Selbftbe3eichnung 3 efu
übergegangen: Weffias. Peoor ich fie fürs 3U erläutern oerfuche,
ift cs mir Pflicht 3U ermähnen, baß bebeutenbe (Selehrte — unter
ihnen Wellhaufen — es be3meifelt haben, baß 3 efus fich felbft
als Weffias b 05 ei dm et hat. 3cb permag bem aber nicht beyu»
ftimmen, ja ich finbe, baß man unfere eoangelifchen Perichte aus
ben Kngeln beben muß, um bas (Semünfchte 3U erreichen. Pereits
ber Kusbrucf „Wenfdjenfohn" fdteint mir nur tneffianifch oerftanben
merben 3U fönnen — baß ihn aber 3efus felbft gebraucht hat, ift
nid)t 3U be3meifelu —, unb, um oon anberem 3U febmeigen, eine
(Sefd)ichte mie bie bes Einzugs Ebrifti in Jentfalcm müßte
l
man
83
einfach [treidln, um bie C^cfc burd^uführen, er habe fich nicht
für ben verheißenen ZHeffias gehalten unb auch nicht bafür gelten
möllern Da3u kommt, baß bte formen, in benen 3 ^fns fein Selbft«
bemußtfein unb feinen 23 eruf 3um Kusbruck gebracht hat, <jan3
unverftänblich merben, menn fie nicht burch bie mefftanifche 3 &ee
beftimmt gemefen finb. (Enblich, ba bie pofitiven (Srünbe, bie man
für jene Knficht beibringt, fehr fchmache be3m. hächft fragmürbige finb,
fo bürfen mir 3uverfichtlich bei ber Annahme bleiben, baß
fich felbft ben ZHeffias genannt hat.
Das ZHejfiasbilb unb bie meffianifchen Dorftellungen, mie fie
im Seitalter 3 efu Iebenbig maren, hatten fich auf 3mei kombinierten
Cinien entmickelt, auf ber £inie bes Königs unb auf ber bes pro«
pheten; ^ a 3U hatte noch manches 5 ^ntbartige eingemirft, unb ver«
klärt mürbe alles burch bie uralte (Ermartung, baß (Sott felbft
fichtbar bie fjerrfchaft über fein Pol! antreten merbe. Die £)aupt«
3Üge bes 2 TteffiasbiIbes maren bem israelitifchen Königtum ent«
nommen, mie es in ibealem (SIan3e ftrahlte, nachbem es unter«
gegangen mar. 2 lber bie (Erinnerungen an ZHofes unb bie großen
Propheten fpidten hi ne i n * £Pie fich kie mefjtanifchen (Entartungen
bis 3um Spalter 3 ^fu ausgeprägt hatten, unb mie er fie aufge«
nommen unb umgebilbet hat, merbett mir in ber folgenben Dor*
lefung in Kür3e barftellen.
Jtrfjte 20 ö rleJung.
Sie mcfftatxtfdjen festen im iübifd?en Dolfe im Zeitalter lefu
Zki* f kme 'f^ri mat ‘ f ^ aUd? “’ aren [ie nicf!t mit ben jfceng aus«
gebtlbeten gefe^en Dorfdjriften uerfnüpft, fonbern fie bilbeten
cmen wefenthdjen Beftanbteil ber religiöfen unb Politiken gufunfts*
füffeT^b V rf S5 ' ? Ur in a “ 9emcinen «runblinien ftanben
LJ DrlT! uT US • ^ errfcf!ten 9ro & e ^föieben^eiten. Die
J ProP^ten Ratten m eine Ijerrüdje «gufunft ausgeblidt in
meiner (Sott felbft erfechten, bie 5 einbe 3 sraels uernicbten unb
eredfhgfett Triebe unb Sreube fcfaffen werbe. (Sleicfoeitig Ratten
Lt Cr * Ufhetm einC£ ^ en «* m*Än iSS
aus Darnb s Efaufe nervigen, ber ben I^errlicfcn «guftanb beraub
fuhren werbe. «nbltdj Ratten fie bas Dolf 3 srael feibft als beit
aus ber Dolfermelt ermatten 5 oI ? n (Sottes be 3 eicf>net. Diefe brei
(omente fmb für bte 2 lusbilbung ber mefftanifdjen 3 been in ber
5 oIge 3 eit maßgebenb geworben. Die Hoffnung auf eine herrliche
fbf-Tr l V0lh5 3smd blkb ber Saljmen für alle «rwartungen
Zl Tmt b * 6eiben 3a ^ unöerte « »or £I;riftus nod)
ZJt V ber Erweiterung bes gefdpchtlidjen fjorgontes würbe
bas 3 ntereffc ber 3 uben für bie Dölferwelt immer lebenbigei bie
9 j™teni „DTenf^eil ftellt fiel? ein, unb bas «nbe^ alfo
^ ij, Ä)lrfcn öes Meffias wirb auf fie be 3 ogen- bas (Sericbt
J UnÖ Öer meffias ^M^rrfcfcr unb widjter 2 2 bt
eme ftttü^e Cauterung bes Dolfes Ejatte man fdjon früher im Bin
5 embe 3 sraels erfefpen bodj als bie ifauptfache; nun aber würbe
m utelen bas (Sefüld ber fittlidjen Derantwortlicfjfeit unb bie <£r<
85
fenntnis (Sottes als bes ^eiligen lebenbiger; bie nteffianifche Seit
verlangt ein betliges Holf, unb bas (Sendet mirb baBjer notmenbig
and) ein (Sericht über einen tEeil non 3 ^rael felbft fein muffen*
5* Der 3 n ^i r> ^ ua ^ 5mu5 tnurbe fräftiger, unb bemgentäß trat bie
23 e 3 iefyung (Sottes auf ben einjelnen in ben Dorbergrunb: ber ein3elne
3sraelit entpftnbet fich inmitten feines Dolfes, unb er beginnt fein
Holf als eine Summe non ei^elnen 3U beurteilen; ber inbmibuelle
Dorfefyungsglaube tritt neben ben politifchen, oerbinbet fich mit bent
XDert* unb Herantmortungsgefühh unb es hämmert bie Hoffnung
auf ein einiges Ceben unb bie furcht nor einiger Strafe im <§u*
famtnenhang mit ben enbgefchichtlichen (Ermartungen auf — bas
perfönlicfye J^eilsintereffe unb ber Kuferftehungsglaube finb bie
(Ergebniffe biefer inneren (Entmicflung, unb bas gefdurfte (Semiffert
nermag bei ber offenbaren Unfyeiligfeit bes Dolfes unb ber HTacfyt
ber Sünbe auf eine fyerrlidye Sufunft für alle nicht mehr 3U hoffen;
nur ein Heft toirb gerettet; bie <§ufunftserinartungen merben
immer mehr transcenbent; fie merben immer ftärfer ins Hbernatür*
lid?e unb Itbermeltliche umgefeßt; nom Fimmel fommt etmas gan3
Heues auf bie (Erbe, unb ein nöllig neuer XDeltlauf löft ben alten
ab; ja felbft bie nerflärte (Erbe ift nicht mehr bas letzte Siel; bie
3 bee einer abfoluten Seligfeit, beren Stätte nur ber £jimmel felbft
fein fann, taucht auf; 5 * bie perfönlichfeit bes ermarteten Hteffias
gren3t fid) fdjärfer mie gegen bie 3 ^ee eines irbifchen Königs, fo
gegen' bie bes Dolfes als gan3en unb gegen bie (Sottes ab: ber
Hc-efftas behält faunt noch irbifche <§üge, obgleich er als HTenfch
unter HTenfchen erfcheint: feit ben Cagen ber Ur3eit ift er bei (Sott,
fommt nom fjintmel hernieber unb richtet mit übertnenfetlichen Hlitteln
fein IDerf aus; bie fittlichen Süge in feinem Hilbe treten B^ernor:
er ift ber oollfommene (Serechte, ber alle (Sebote erfüllt, ja felbft
bie Dorftellung bringt ein, baß feine Herbienfte ben anbern 3U
gute fomnten; allein bie 3^e eines leibenben Hlefftas — burdj
3efaias 53, mie man benfen fotlte, naBje gelegt — mirb nicht ge*
monnen*
2 llle biefe Spefulationen vermochten aber bie älteren einfacheren
Kuffaffungen nicht 3U nerbrängen unb ben urfprünglichen patriotifch*
politifchen 0rientierungspunft bei ber großen HTeB^ahl bes Polfes
nicht 3U nerrüden* (Sott felbft nimmt bas Sccptev in bie f}anb,
oernichtet feine (Segnef unb begrünbet bas israelitifche XDeltreich;
er bebient fich ba3U eines föniglichen gelben; man fißt nun unter
86
feinem Feigenbaum unb feinem IDeinftorf unb genießt ben Frieben
mbern man ben Fuß auf ben Harfen feiner Feinbc hält — bas mar
bod; mot)[ nod) immer bic populärfte Dorftellung, unb fie mürbe
audj non folgen feftgel^alten, bie baneben Eueren Knfdjauungen
nadjgmgen. Kber in einem Ceil bes Dorfes mar unjmeiferfaft ber
5 mn bafür gemerft, baß bas Heid; (Sottes eine entfpred,enbe fitt*
hebe Derfaffung norausfeße, unb baß es nur 3 u einem geregten
Dorfe fommen fönnc. Die einen fudjten biefe (Berechtigte« auf bem
Wege ber pünftlichften (Befeßesbeobachtung 3 u ermerben unb fonnten
€ifer um f ie 9*™9 tt)un; anbere, uon tieferer
Selbfterfenntms bemegt, begannen etmas banon 3 u ahnen, baß jene
^etß erfehnte (Berechtigte« felbft nur, aus (Sottes ffanb fommen
forme baß man göttlicher ffülfe, göttlicher (Snabe unb Sarmheräg*
feit bebürfe, um bie Caft ber Sünbe - benn ein inneres Sfinben-
gefubl mürbe in ihnen quatnoll lebenbig — los 3 u merben.
So mogten im Zeitalter Chrifti fomohl gan 3 bisparate Stint*
mutigen als fonträre theoretifche Dorfterfungen, auf einen punft
bezogen, milb burd ? einanber. Dierfeicht niemals in ber (Sefd;id ? te
mteber unb bet feinem anberen Dorfe lagen bie dußerften (Segen*
faße uon ber Heltgion 3 ufammengehalten, fo nahe bei einanber.
Halb erfchemt ber £fori 3 ont fo eng mie ber Kreis ber Serge bie
Jerufalem umgeben, halb umfaßt er bie gan 3 e DTenfchheit. Bier
tft alles auf bte fföhe einer geiftigen unb fittlid?en Knfdjauung er«
hoben unb bort, bidjt baneben, fdjeint bas gan 3 e Drama mit ‘einem
poIthfd?en Stege bes Dolfes fchließen 3 u follen. hfier entbinben ftdr
alle Kräfte bes (Bottnertrauens, ber Suuerftcht, unb ber Fromme'
ringt ftd; 3 u einem heiligen „Dennoch" burcf?, bort hält ein fittlid?
ftumpfer patriotifeßer Fanatismus jebc religiöfe Hegung nieber.
Das Silb, melches man ftd? uom DTefftas machte, mußte fo
mtberfpruchsnolt fern mie bie Hoffnungen, benen es entfprcchen
follte. Dicht nur bie formalen Dorfterfungen uon ihm fd,manften
unfidjer hm unb her — mie mirb feine Hatur befchaffcn fein? —
fonbern uor altem fein inneres IDefen unb fein Beruf erfdnenen
tu gan 3 uerfchiebenem Od)te. Kber bei allen benen, in meldien
bte fitttichen unb mahrhaft religiöfen (Elemente bie ©berbanb 3 u
gemmneu begannen, mußte bas Bilb bes politifchen unb bes friege*
rtfehen Königs 3 urürfmeichen unb bas Bilb bes Propheten, melches
immer fefjon teife auf bie Dorfterfungen eingemirft hatte, an bie
Stelle treten. Daß ber Hieffias (Sott nahe bringen, baß er irgenbmie
87
<Sered)tigfcit fdjaffeu, baf er r>on ben quälenben inneren £aften
befreien werbe, würbe erhofft. T>af es im jübifchen Wolfe bamats
(Staubige gegeben Ejat, bie einen folgen Hteffias erwarteten ober bod)
nicht Pön pornherein abtebnten, 3eigt uns bereits bie (Sefcbicbte
3 obannes’ bes Cäufers, wie wir fie in unferen (Evangelien tefen.
IDir erfahren aus ihr, baf einige geneigt gewefen finb, biefen
3 obannes für ben HTeffias 3U halten. 3 X>ie etaftifcb müffett bie
nteffianifeben Borfteltungen gewefen fein unb wie ftarf rnüffen fie
fid) in gewiffen Kreifen non ihren Urfprüngen entfernt haben, wenn
man biefen ganj unfönigticben Bufprebiger im 2 Ttantel non Kamels^
haaren, ihn, ber bem entarteten Dotfe lebiglid) bas nabe (Scricht
anfünbigte, für ben Hlefftas felbft hatten fonnte! itnb wenn wir
weiter in ben (Evangelien tefen, baf nicht wenige im Botfe 3 ef U5
für ben Ztfeffias gehalten haben, nur weit er gewaltig prebigte
unb burch lüunberthaten heilte — w>ie grünblich erfcheint ba bas
ntefftanifche Bilb geänbert! freilich, fie fahen in biefem £jeitanbs=
wirfen nur ben Hnfang, fie erwarteten, baff biefer £Dunbertt)ätcr
nun halb bie tefte liütle ab werfen unb „bas Heid) auf richten"
werbe; aber fd)on bies genügt hier, baff fie einen ZTTann, beffen
fferfunft unb bisheriges Ceben fie fannten unb ber nod) nichts
gethan batte als Hufe 3U prebigen, bie Habe bes bfimmetreidjs'
3U verfünbigen unb 3U beiten, als ben Derheifenen 3U begrüfen
vermochten. Hiemals werben wir ergrünben, burd) welche innere
«Entwicflung 3 efus von ber (Sewifheit, ber Sohn (Sottes 3U fein,
übergegangen ift 3U ber anberen, ber verheif ene Hieffias 3U fein.
2tber bie <£inftd)t, baf bamats auch bei anberen bie Porfteltung
vom Hteffias burd) eine langfame Umwanbtung gans neue <§üge
erhalten batte unb fid) aus einer politifdpreligiöfen 3bec in eine
gciftig=retigiöfe umfefte — biefe <£infid)t befreit bod) bas problent
aus feiner völligen 3 f ol ierurtg. Daf 3 ° bann cs ber (Täufer, baff
bie 3wölf 3ünger 3efus als ben HTeffias anerfannt haben, baff fie
nicht biefe 5orm für bie abfolute tt>ertfd)äfung feiner perfon vcr=
worfen, fonbern fie fid) vielmehr in eben biefer Sorm feiert haben,
ift ein Beweis bafür, wie beweglich bie meffianifdjc 3 ^ec bamats
gewefen ift, unb erftärt es baher aud), baf Jielüs felbft fie auf*
nehmen fonnte. Robur in infirmitate perficitur: baf cs eine gött=
liehe Kraft unb £jerrlid)feit giebt, bie feiner irbifchen HTacht unb
feines irbifchen (Stabes bebarf, ja fie ausfd)tiefft, baf es eine
Htajeftät bes ^eiligen unb ber £iebe giebt, bie biejenigen, welche fie er=
88
& üns s?
Etz a,s ^ ”°" «** kw„ 3«„.r:„:"
ift ^ 3CfUS 3 “ bem £>er ZKefftas 3 u fein, gelanat
t*« 5 ü ! rm0 ^n mir nid* 3U ergaben, aber einigl '*£
IS TÄ S ,"S ! ”' f " * ta9 ' (,el *' ' 5 ""‘" »« »<•* Wen«
&en Beginn feines öffentlichen mir?™* <=,;„ 7J1 ' • Je ’ u Dor
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Süis
2! Crf l u "^ etöeutl 9 e mefftantfcfje ifanblung »ar auch feine
lefete - b,e Dornenfcone nnb bas Kreu 3 folgten % ^ f
-ff *rT ^ Ben gefa0t ' es f ßi »aWeinltcf), ba§ ~s e f us ah , 5r
*** **“* ***' *»»* M etf in"ber r 5 beitlbl £
89
Befiegung jeglidjen XPiberftanbes entmideln. IPelch eine Slunbe
muß es gemefen fein, in ber er fich als ben ernannte, von bem bie
Propheten gerebet Ratten, als er bte gan3e < 5 efchid?te feines Polfes
non 2 lbraham unb BTofes an im Od^te feiner eigenen Senbuttg
fah, als er ber (Erfenntnis nicht mehr aus3umeichen oermochte, er
fei ber oerheißene Blefjtas! Bicht mehr aus3umeichen oermochte —
benn mie läßt es fich anbers norfteilen, als baß biefe (Erkenntnis
3unächft als bie furchtbarfte Caft non ihm empfunbert merben mußte?
Poch, mir finb fd?on 3U meit gegangen: mir vermögen nichts mehr
3u fagen. Hur bas nerfteB^en mir non fyier aus, baß 3 o^annes
red)t B^at, wenn er 34 U5 immer mieber B^eugen läßt: „ 3 d? B^abe
nicht non mir felber gerebet, fonbern ber Pater, ber mich gefanbt
B^at, B^at mir ein (Sebot gegeben, mas ich tBjun unb reben foll,"
unb: „ 3 ch bin nicht allein; benn ber Pater ift bei mir/'
XPie mir immer über ben Begriff „XHefjtas" benfen mögen —
er mar hoch bie fcfyledjtBjin notmenbige Porausfe^ung, bamit ber
innerlich Berufene innerhalb ber jübifdjen Beligions*
gefehlte — ber tiefften unb reifften, bie ein Polk erlebt Bjat, ja
mie bie <gufunft 3eigen follte, ber eigentlichen Beligionsgefdachte ber
Btenfchheit — bie abfolute Anerkennung 3U geminnert
oermochte* Piefe ^$bee ift bas VCixiie l gemorben, um ben, ber
fich als ben 5 ohn (8ottes mußte unb bas XPerf ( 5 ottes trieb, mirflich
auf ben CB>ron ber (Befchichte, 3unächft für bie Gläubigen feines
Polfes, 3U fe^en. Aber eben barin, baß fie bies leiftete, mar auch
ihre Aufgabe erfdjöpft. Per „ATeffias" mar 34 U5 unb mar es
nicht, unb 3mar beshalb nicht, meil er biefen Begriff meit hinter
fich ließ, meil er ihn mit einem 3rch<*lt erfüllt' hatte, ber ihn fprengte.
XPobl nermögen mir heute noch an biefem uns fo frembert Begriff
eüt3elnes nad^uempfinben — eine 3 ^ee, bie ein gan3es Polk 3 ahr*
hmtberte lang gefeffelt unb in ber es alle feine 3^eale niebergelegt
hat, kann nicht gart3 unnerftänblich fein. XPir ernennen in bem
Ausblick auf bie meffianifche Seit bie alte Hoffnung auf ein golbenes
Seitalter mieber, jene Hoffnung, bie, oerfittlicht, bas Siel jeber
kräftigen Cebensbemegung fein muß unb ein unoeräußerliches Stück
jeber religiöfen (8efd?ichtsbetrachtung bilbet; mir feBjen in ber (Er*
martung eines perfönlichen Aleffias ben Ausbruck ber (Erkenntnis,
baß bas fjeil in ber ( 5 efchichte in ben perfonen liegt unb baß,
menn eine (Einheit ber Alenfchheit in ber Übereinftimmung ihrer
90
‘‘! r|k ’", Krd ^ c unö I 5 ö ^)' tcn diele .piftanbc fommen foll, eben biefe
Wenfchhetf in ber Knerfcnnuttg eines fferrn unb Weifters geeinigt
|em muß. Kber barüber hinaus nermögen mir ber mcffianifdien
j£j „7? r UUb d,K <5cItU " 9 " id?t 3 « geben; 3 efus
)db[t r?at ftc ifyr genommen.
r„ 3 " Öe ! 2 tnerfennung 3 efu als bes iTceffias war für jeben
g aubtgen Juben bte mmgfte Derbinbung ber 33 otfchaft 3 cfu mit
ferner perfon gegeben: in bem Wirfen bes Weffias fommt (Sott
felbft 3 « fernem Polte; bem Weffias, ber (Bottes Wert treibt unb
® 0ltC5 r f Öcn Wolhn Rimmels fißt, gebührt
a^rn <■ Wle ** fidl 3efUS m 3U t' cincm «^ngelium
gefteHt, nimmt er eine Stellung in ihm ein? Wir haben hier eine
negatwe unb eme pofit'iue Antwort 3U geben.
f 1 Z QS , f mn ^ lium if* w öen Werfmalen, bie mir in ben
fruherm Porlefungen angegeben haben, erfdiöpft, unb nichts Srentbc*
foa ftd, embrdngen: (Sott unb bie Seele, bie Seele unb ihr (Sott.
3 efus hat baruber feinen Reifet gelaffen, baß (Sott im (Sefefc unb
ben Propheten gefunben werben fann unb gefunben worben ift.
'f S J* ötr gefügt, Wenfch, »as bir gut ift unb was bein (Sott
uon btr forbert, nämlich (Bottes Wort halten unb Siebe üben unb
bentuhg fein nor beinern (Sott." Per Zöllner im (Tempel, bas Weib
am (Sottesfaften, ber uerlorene Sohn finb feine parabigmen; fte
aüe unffen nichts uon einer „Cljriftologie", unb bod? hat ber Zöllner
brlbt Tn? f Tn ne, s Ök ® md ^P red ? u "9 f°^gt- Wer baran
rw!' in f '. ber DenDun bet bie Schlichtheit unb (Stöße ber
prebtgt Jefu an einer ihrer wichtigen Stellen. <£s ift eine uer=
zweifelte Annahme, 3 u behaupten, im Sinne 3 efu fei feine gan 3 e
piebtgt nur etwas Porläufiges getuefen, alles in ihr müffc nach
fernem Cobe unb feiner Kuferftehung anbers uerftanben, ja einiges
gletd)fain als ungültig befeitigt werben. Pein — biefe Perfürtbigung
tft einfacher, als bte Kirchen es wahr haben wollten, einfacher, aber
barum auch unmerfaler unb ernfter. Wan fann ihr nicht mit ber
C . ntrmnen ; 3d; nermag mich in bie „Chrijtologie" „idjt
We?*!n’b ÖarUn i lt /‘ efC Preb ‘ 9t nid!t für mid ?- 3efns hat ben
Wertfdjett bte großen fragen nahe gebracht, (Softes (Snabe unb Samt.
herjigfeit »erfaßen unb eine «nifcheibung uerlangt: (Sott ober ber
ST° n -Tf irbi f d ?<* CcBen, Seele ober Seih, Demut ober
Sclbftgeieditigfcit, Siebe ober Selbftfudit, Wahrheit ober Süge. 3 n
91
bent Hing biefer fragen ift alles befchloffen; ber ein3elue foll bie
frohe Hotfchaft non ber 23 armher 3 igfeit unb ber Kinbfchaft hören
unb fich entfdjeiben, ob er auf bie Seite (Sottes unb ber (Ewigfeit
tritt ober auf bie Seite ber XPelt unb ber Seit. (Es ift feine para*
bo^ie unb wieberum and) nicht ,Rationalismus" fonbern ber ein*
fache Kusbrud bes CBjatbeftanbes, wie er in ben (Evangelien vor¬
liegt: Hicfyt ber Sohn, fonbern allein ber Pater gehört in
bas (Evangelium, wie es 3 ^f U5 verfünbigt B^at, hinein.
2. Kber fo, wie er beit Pater fennt, B^at ihn noch nientanb er*
f annt, unb er bringt ben anbern biefe (Erfenntnis; er leiftet bamit
„ben vielen" einen unvergleichlichen Pienft. (Er führt fie 311 (Sott,
nicht nur burch fein XPort, fonbern noch mehr burch bas, was er
ift unb tB)ut, unb textlich burch bas, was er leibet. 3 n biefent Sinn
hat er fowohl bas XPort gefprochen: „Kommet her 3U mir alle, bie
ihr mühfelig unb belaben feib; ich null euch erquiden", als auch bas
anbere: „Pes XTüenfchen Sohn ift nicht gefomtnen, baß er fich bienen
Iaffe, fonbern baß er biene unb gebe fein Ceben 3ur Cöfung für
viele." (Er weiß, baß eine neue Seit jeßt burch ihn beginnt, in
ber bie „Kleinften" burd? ihre (Sotteserfenntnis größer fein tverbert
als bie (Srößten ber Por3eit; er weiß, baß Caufenbe an ihm ben
Pater finben unb bas Ceben gewinnen werben — eben bie XHüh*
feligert unb Helabenen —; er weiß fich als ben Säemann, ber ben
guten Samen ftreut: fein ift bas Kderfelb, fein ber Same, fein bie
5 rud)t. Pas finb feine bogtnatifchen Cebrert, noch weniger Crans*
formationen bes (Evangeliums felbft ober gar brüdenbe ^orberungen
— es ift bie Kusfprache eines Chatbeftanbes, ben er fchon werben
fieht unb mit prophetifcher Sicherheit vorausfdjaut. Pie Slinben
fehen, bie Cahnten gehen, bie Cauben hören, ben Firmen wirb bas
(Evangelium geprebigt — burch 3 h n - an biefer (Erfahrung geht
ihm unter ber furchtbaren Caft feines Berufs, mitten im Kampfe,
bie Iqerrlichfeit auf, bie ihnt ber Pater gegeben h a ** Unb was er
jeßt perfönlich leiftet, wirb burch fein mit bent Cobe gefröntes Ceben
eine entfeheibenbe, fortwirfenbe Chatfache bleiben and] für bie < 3 u*
funft: (Er ift ber XPeg 3um Pater, unb er ift, als ber vom
Pater (Eingefeßte, auch ber Hidjter.
X}at er fich geirrt? XPeber bie nächfte v?olge3eit noch bie (Se=
fdjichte h a * ih m unrecht gegeben. Hiebt wie ein 23 eftanbteil gehört
er in bas (Evangelium hinein, fonbern eriftbieperfönlichePer*
wirflichung unb bie Kraft bes (Evangeliums gewefen unb
92
ro ' rÖ no J tmmcr aIs etitpfunben. .fener cntjünbet ftdj
XTi T's PaN ? S £eben nur «" perfönlichen Kräften.
Wiv laffen alles bogmatifdie Klügeln beifeite unb überlaffen es anbern
epflufme Krtetle 311 fällen; bas «gpangelium behauptet nicht, baß (Sottes
v Uf ^t.f! nbUnS 3e{u [5c ^ ränft aber lehrt
efchtchte: bte BTuhfeiigeit unb Beiabenen führt <£r 3U (Sott
unb tmeberum _ bie Blenfchheit hat (Er auf bie neue Stufe
gehoben, unb ferne prebtgt tft noch immer bas fritifche Reichen: fte
bcfeltgt unb rtcf]tet.
• f 5a -’ : r " 3d? bin bcr 5 ohit (Sottes", ift non 3 efu felbft nicht
m fein (Euangeltum emgerüctt morben, unb mer ihn als einen Safe
neben anderen bort einfteltt, fügt bem (Euangelium etmas fpmu. Kber
u>er btefes aufnimmt unb ben 3 u erfennen ftrebt, ber es gebracht
hat, trnrb bezeugen, ba§ hier bas (göttliche fo rein erfreuen ift,
v T■ erfd?Cinm ^ UUÖ mirö ^Pfiahen, baß
Jefus felbft für bte Semen bie Kraft bes <£uangeiiums gemefen ift.
Was fte aber an ihm erlebt unb erfannt haben, bas haben fie
nerfunbtgt, unb biefe Perfünbigung ift noch lebenbig..
6. Pas «uangelium unb bie £ehre, ober bie Ärage nach
bem 23 efenntitis*
• s W Z ! ÖnnCn 11,15 I?ier fur5 HK ba bas iPefentlichfte bereits
m ben beengen Betrachtungen erschöpft ift.
. ® a f «wngelium ift feine theoretifefje Cchre, feine iPeltmeis«
Jett -eqre ift es nur mfofern, ats es .bie IPirfiichfeit (Sottes bes
Paters lehrt. <2s tft eine- frohe Botfcfjaft, bie uns bes einigen
£ebens uerpehert unb uns fagt, mas bie Pinge unb bie Kräfte
mert fmb, mit benen mir es 3 u fhun haben. 3nbem es nom
emtgenCcben hanbelt, giebt es bie Kümeifung für bie rechte £ebens«
fuhrung. Reichen JPert bie menfchtiche Seele, bie Pemut, bie
Barmher3tgfett, bte Bereit, bas Kreu ä haben, bas fagt es, unb
melchen Knmert bie «seitlichen (Süter unb bie ängftiiehe Sorge um
trol aSst f W 1 t n £ebmS ■ ^ e5 9iebt bie 3 »f« 0 e, ba 6
t f 5ncÖe ' unb innere Un 3 erftörbarfeit
b^e rechte £ebensfuhrung frönen merben. iPas fann unter folchen
Bebtngungen „Befennen" anbers heißen, als ben IPiüen (Sottes
thun m ber (Semißheit, baß er ber Pater unb ber Pergeiter ift?
Pon feinem anberen „Befenntnis" hat 3 efus jemals gefprochen.
93
Kucfy u>enn er fagt: „IDer mict} befennet por ben HTenfcfyen, ben
rotn idj aud? befennen por meinem fyimmlifcfyen Dater", benft er
an bie Ha erfolge unb meint bas Befenntnis in ber (Seftnnung
unb in ber tEB>at XOie rueit entfernt man fid? alfo pon feinen
(Sebanfen unb pon feiner Kmpeifwtg, wenn man ein „cfyriftolo*
gifdjes" Befenntnis bem (Epangelium poranftellt unb lefyrt, erft
müffe man über Cfyriftus richtig benfen, bann erft fönne man an
bas (Epangelium Bjerantreten! Das ift eine Derfefyrung* Über
(Efyriftus permag man nur bann unb in bem ZHaße „richtig" 5U
benfen unb 3U lehren, als man nad? feinem (Epangelium 3U leben
begonnen fyat Kein Dorbau ftefyt por feiner prebigt, ben man erft
3U burcfyfcfyreiten, fein 3ocfy, bas man allem 3UPor auf ftd? 3U nehmen
Rätter bie (Sebanfen unb ^ufagen bes (Epangeliums finb bie erften
unb finb bie lefeten; jebe Seele ift unmittelbar por fie geftellt
Hod? toeniger aber fefet bas (Epangelium eine beftimmte Hatur*
erfenntnis poraus ober ift mit ifyr perfnüpft — nidjt einmal im
negatipen Sinn Iä§t ftd^ bas behaupten* <Es B^anbelt ftd? um He*
ligion unb um bas Sittliche; bas (Epangelium bringt ben lebenbigen
(Sott Das Befenntnis 3U ifym — im (Stauben unb in ber (Erfüllung
feines Willens — ift aud? Bjier bas ein3ige Befenntnis: fo fyat es
3 efus (Efyriftus gemeint Was fid^ an (Erfenntniffen auf (Srurtb
biefes (Slaubens ergiebt — unb es finb geroattige —, bas bleibt
bod] immer perfcfyieben nad? HTajggabe ber inneren (Enttpicflung
unb bes fubjeftipen Derftänbniffes* 2 ln bas (Erlebnis, ben f}errn
Rimmels unb ber (Erbe 3um Dater 3U traben, reicht nichts Bjeran,
unb bie ärmfte Seele fann biefe (Erfahrung erleben unb be3eugen*
(Erleben — nur bie felbft erlebte Heligion foll befannt roerben;
jebes anbere Befenntnis ift im Sinne 3 ^f u fyeucfylerifd} unb per*
Nberblid?* XDie ftd] in bem (Epangelium feine breite „Heligionslefyre"
finbet, fo nod? piel roeniger bie Kmpeifung, eine fertige Cefyre allem
3UPor an3uneB}men unb 3U befennen* «Entfielen unb roaebfen follen
(Slaube unb Befenntnis aus bem entfdjeibenben punft ber Kbfefyr
pon ber IDelt unb ber gufefyr 3U (Sott heraus, unb bas Befennt*
nis foll nichts anberes fein als ber tE^aterrpeis bes (Slaubens*
„Der (Slaube ift nicfyt jebermanns Ding", fagt ber Kpoftel paulus,
aber jebermanns Ding foHte es fein, toaBjrfyaftig 3U bleiben unb
fid] in ber Heligion por bem (Sefcfyrpä^ ber Cippen unb bem leicht*
fertigen Befennen unb <§uftimmen 3U Brüten* „(Es B>atte ein HTamt
3tpei SöBjne unb ging 3U bem erften unb fprad?: Hiebt Sofyn, gefye
94
f)tn unb arbeite beute in meinem XDeinberg. <g r antwortete: Berr
ja unb. gmg md?t f?in. Unb er fprad? 3 um Ruberen greid? alfo'
unb er antwortete: 3cf? will es nicfjt tfjun; barnacf? reu'ete es ibn
uno gmg fyru" —
^lermit tonnte id? fd?ließen; aber es brängt mid? nod), auf
einen «Entwurf 3 u antworten. Ulan fägt wof?I, bas ©oangelium
]et ergaben unb groß unb fei gewiß eine f?eilfame Kraft in. betf
cfd]telfte gemefen, aber cs fei untrennbar nerfnüpft mit eindm
angft uberwunbenen XDelt- unb ©efd?id?tsbilbe; best?alb, fo fd,mern
ltd? bas fei unb obgleid? wir 5 eff eres „icf?t an bie SteEe 3 u feßen
nerntogen I?abe es feine ©ültigfeit eingebüßt unb fönne für uns
mdjts mefjr bebeuten. darauf mödjte id? ein Doppeltes erwibern:
B ©ewtß, es ift ein gan 3 anberes JDetb unb ©efd?id?tsbilb
a 5 ft.* unfeige, mit welcfjem bas ©uangelium nerbunben ift unb
wir tonnen unb woEen biefes Bilb nid?t wieber äurücTrufen; 7 aber
" untrennbar" ift es nid?t mit il?m oertnüpft. 3d? [?abe 3 u 3 eigen
nerfudjt weidjes bie wefentlidjen ©lemente im ©nangelium finb,
unb biefe Zemente ftnb „ 3 eittos". Kber nid?t nur fie finb es; aud?
ber "ZTienfd?", an ben fid? bas ©nangelium ridjtet, ift „ 3 eitIos"
b. b. es ift ber BTenfd?, wie er, troß aEem 5 ortfcf?ritt ber «Entwich
lung m feiner inneren Derfaffung unb in feinen ©runbbe 3 iebungen
3 ur Jußenweft immer berfefbe bleibt. iDeit bem fo ift,. barum
bleibt biefes ©nangelium auef; für uns in Kraft.
2 . Das (Enangeliunt unb bas ift bas ©ntfdjeibenbe in
feinem JDelb unb ©e|d?td?fsbtlbe — ruf?t auf bem ©egenfaße non
©etft unb 5 fetfd?, ©oft unb Welt, bem ©uten unb bem Böfen.
, un , nocf ? «s öen Deutern troß f?eißem Bemüf?en nid?t ge=
lungen, eine befrtebigenbe unb ben tiefften Bebürfniffen entfprecf?enbe
(Ettjif auf bem Boben bes KTonismus aus 3 ubilben. <£s wirb nid?t
gelingen. Dann aber ift es leßtlid? wefentiid? gleichgültig, mit
wetten Barnen wir ben «gwiefpalt be 3 eid?nen woüen, um ben es
ßd? für ben fittlid? empfinbenben UTenfdjen tjanbelt: ©ott unb JDelt
Dicsfeits unb 3 enfeits, 5 id?tbares unb itnfid?tbares, DTaterie unb
©cift, Cnebleben unb 5 reil?eit, pf?yfif unb ©tfjif. Die ©inbeit
ann erlebt, eines bem anberen unterworfen werben; aber bie
©mt?eit fommt immer nur burd? Kampf 3 uftanbe in ber 5 orm einer
unenblid?en, nur annät?ernb 3 u löfenben Aufgabe, nid?t aber burd?
Verfeinerung eines med?anifd?en pro 3 effes. „Don ber ©ewalt, bie
95
alle IDefen binbet, befreit ber ZUenfdj fid), ber fid? überminbet",
biefes Bjerrlidje IDort ©oetfye’s brüeft bie Sacfye aus, um bie es
fid) b^ier Bjanbelt* Sie bleibt, unb fie ift bas XDefcntlicfye in ben
bramatifcfyen, 3citgefd)id]tlid}en Silbern, in mcld]en bas ©oangeliunt
ben ©egenfaß ausbrüdt, beffen Überminbung es gilt. 3 d} meiß
aud] nidjt, wie uns unfere fortgefdjrittene Haturerfenntnis Bjinbern
follte, bie IDafyrfyeit bes Befenntniffes 3U bejeugen: „Die XDelt oer*
gcfyet mit ifyrer Cuft, mer aber ben IDiHen ©ottes tb^ut, bleibet in
©migfeit?" Um einen Dualismus Bjanbelt es fid], b^ffert Urfprung
yn\ x nid jt jenjxen; aber als fittlidje H)efen finb mir iiberjeugt, baß
er, mie er uns gefegt ift, bamit mir iB }n bei uns überminben unb
3ur (Einheit führen, jo aud? auf eine urfprünglicße «Einheit 3urüd*
meift unb leßtlidj feinen Uusgleid) im ©roßen — in ber oermirflicßten
bjerrfcßaft bes ©uten — finben mirb*
Cräume, fagt man; benn mas mir oor Uugen fefyen, bietet
uns ein gan3 anberes Bilb; nein, nid^t Cräume — mmgelt bod)
bie ©£iften3 unferes magren Cebens b^ier —, mofyl aber Stüdmerf;
benn mir oermögen unfere rauni3eitlid]en ©rfenntniffe mit bem 3 n *
Bjalt unfers 3 nnenlebens nidjt in bie (Einheit einer HMtanfdjauung
3u bringen* Hur in bem Rieben ©ottes, ber BjöBjer ift als alle
Dernunft, afynen mir biefe ©infyeit*
Dod] bereits fyaben mir ben Kreis unferer näcfyften Kufgabe
ocrlaffen* Das ©oangelium mollten mir in feinen ©runb3Ügen unb
in feinen mießtigften Be3iefyungen Bennen lernen* 3 d? f|<*bc £>er*
fucfyt, biefer Aufgabe 3U entfpred]en; ber leßte punft führte uns
über fie B|inaus. H)ir feeren 3U ib^r 3urüd, um im 3meiten Ceile
ben ©ang ber cßriftlicßen Heligion burd? bie ©efcßid]te 3U oer*
folgen*
i
l&tuntt ©orlBfung.
•« s Un lfL ai I f3<,bC mnCrf?aIb öcr 3«>dten fjälfte btefer Porlefungen
f '! r f Cfd?,C 5 tC öei ' <*vmäm Religion in ihren ^auptmomenten
barjuftellen unb 3 u unterfuchen, mie fte ftdj im apoftoiifdjen Seit«
alter, tm Katholtjtsmus unb im proteftantismus entmitfelt hat.
Mt if;ri|fIM;e Beltgtmt im ap-oftolififjim Jetfalfer.
- engeren 3 üngerfreife, aus ber (gemeinfdjaft jener
Smolf bte 3efus um ftch gefammeit hatte, bilbetc fid| eine <5e«
“f?"?.*' W ^ at eine W« ‘nt Sinne eines orgcmifierten
gottesbtenfthdjen Vereins nicht geftiftet - er mar lebiglidj ber
?fl re rl b ! e c 3U " 9Cr Ö,ß 5d?Üter Siefen —; aber bie Chatfache,
ber Sd)ü lerfreis in eine (Bemeinbe uermanbelt bat
if für bte ganje Solgejeit grunbtegenb gemorben. tDoburd; mar
“f ^jarafterifiert? iüenn id? recht febje, burd? brei
Elemente: \. burd) bte Knerfennung 3efu als bes Iebenbigen
^ 2 v öaburd? ' öa & i^er ein 5 elne in ber neuen (Bemeinbe —
aud, bte Knechte unb KTägbe - bie Religion mirflich erlebte
unb ftdj tn eine tebenbtge üerbinbung mit (Bott gefegt mußte,
l Urd! i ,n IjeiI ‘ 9es £eben in Feinheit unb Brüberlidjfeit unb
ChrifJi. a'tung beoorftehenben KKeberfunft
3 n biefen brei Momenten läßt ftch bie «igenart ber neuen
(ßemetnbe erfaffen. JDk haben fte genauer 5 u betrachten.
r , l ' 3 efu5 ^^tftus ber fjerr — in biefem 23 efenntnis fefet
ftdj junadjft bte Knerfennung fort, ba§ er ber maggebenbe Cehrer
— 97 —
tft, baß fein Wo rt bie Hichtfchnur bes Cebens feiner 3 nnger bleiben
folt, baß fie galten motten „alles, mas er ihnen geboten
2lber barin ift ber Begriff „ber Ejerr" nicht crfchöpft, ja feine
(Eigentümlich feit noch $ar nicht getroffen* Die Urgemeinbe nannte
3 efus ihren Qerrn, meil er bas Opfer feines Cebens für fte ge*
bracht blatte, unb meil fie ixberjeugt mar, baß er, aufermedt, nun
3ur Hegten (Bottes fißc* <£s gehört 3U ben ficherften gefchichtlichen
^hatfachen, baß nicht etma erft ber Kpoftel paulus bie Bebeutung
bes tEobes dhrifti unb bic Bebeutung feiner Kuferftehung fo in
ben Porbergrunb gefdjoben, fonbern baß er mit biefer Unerfennung
gan3 auf bem Boben ber Urgemeinbe geftanben hat* „ 3 ch B^abc
euch überliefert", fd^reibt er ben Korinthern, „mas ich (burch Über*
Lieferung) empfangen b^abc, baß (Ehriftus geftorben ift für unfre
5 ünben, unb baß er am britten Cage aufermeeft morben ift*"
Paulus hat allerbings ben Cob unb bie Kuferftchung (Ehrifti jutn
(Begenftanb einer befonberen Spefulation gemacht unb bas ganse
(Eoangelium in biefe (Ercigniffe foufagen eingefchmo^en, aber bereits
für ben perfönlichen ^ixnqexhcxs 3 ß fu unb bie Urgemeinbe galten
fie als grunblegenb. UTan barf behaupten: bie bleibenbe Kner*
fennung unb bie Derebrung unb Knbetung 3ef u Chrifti hat fycv
ihren b}alt empfangen* Kuf bem (Brunbe jener beiben Stüde ift
bie gan3e (Ehnftologie ermachfen* <Es ift aber fchon in ben erften
3mei HTenfchcnaltern alles non 3^f U5 Chtiftus ausgefagt morben,
mas Ulenfchen fyofyes überhaupt 3U fagen oermögen* XBeil man
ihn als ben Cebenbigen mußte, pries man ihn als ben 3ur Hechten
<Bottes Erhöhten, als ben Überminber bes Cobes, als ben dürften
bes Gebens, als bie Kraft eines neuen Dafeins, als ben H)eg, bie
XPahrhcit unb bas Ceben* Die mcffianifchen PorfteHungen ge*
fiatteten es, ihn an ben Q>ron (Bottes 3U ftellen, ohne ben Hlono*
theismus 3U gefäbrben* Über oor allem — man empfanb ihn als
bas mirffame prin3ip bes eigenen Cebens: „Hicht ich lebe, fonbern
<Ehnftus lebet in mir"; er ift „mein" Ceben, unb burch öen tEob
3U ihm b^Öurd)3ubringen ift (Beminn* Wo hat ftch in ber (Be*
fchichtc ber Ulenfchheit etmas ähnliches ereignet, baß bie, melche
mit ihrem Uleifter gegeffen unb getrunfen unb ihn in ben gügen
feiner UTenfchlichfeit gefehon haben, ihn nicht nur oerfünbigten als
ben großen Propheten unb Offenbarer (Bottes, fonbern als ben
göttlichen Cenfer ber (ßefchid}te, als ben „Knfang" ber Schöpfung
<ßottes unb als bie innere Kraft eines neuen Cebens! So haben
£?artta <f, XOcfen b. Ctirijlentums. 7
Hluhameb’s 3 üngcr non ihrem Propheten nicht gcrebet! £s g C «
niigt aud; nicht, 5U fagen, man babc bie meffianifchen präbifatc
einfach auf 3 c f us übertragen, unb non ber erwarteten tBieberfunft
in fjerrlidjfeit aus, bie ibjre Strahlen rüdwärts warf, fei alles ju
erflären. (Sewig, in ber fidleren bfoffnung auf bie tBieberfunft
falj man über bie „Hnfunft in Biebrigfeit" hinweg; aber ba§ man
biefe fidjere Hoffnung 3U faffen unb fefouhatten r>ermod)tc, baß man
tro^ £eiben unb Cob in 3 hm ben Derbeigenen HTeffias erblidte,
unb tnie man in unb neben bem nulgären meffianifd;en Bilbe 3hn
als ben gegenwärtigen fjerrn unb fjeilanb empfunben unb ins
fjers gcfd)Io|fen bat — bas ift bas <£rftauntid;e! Hnb hier eben
ift es ber Cob „für unfre Sünben" unb ift es bie Huferwedung
gewefen, bie ben an ber perfon gewonnenen Cinbrud befeftigteu
unb bem (Stauben ben fieberen fjalt boten: er ift als ein ©pfer
für uns geftorben, unb er lebt.
Pielcn finb beute biefe beiben Stücfc febr fremb geworben,
unb jtc fteben ihnen teilnabmtos gegenüber — bem Cobe, bentt
wie fann man einem einseinen (Ereignis biefer 2trt eine folche Bc-
beutung beinteffen? ber Huferwedung, benn etwas Unglaubliches
wirb hier behauptet. " s
€s ift nid)t unfre Aufgabe, jene Beurteilung unb biefe Bor-
ftcltung 3U oerteibigen, wobt aber ift es Pflicht bes bjiftorifers, beibe
fo DoIIftänbig fennen 311 lernen, bag er bie Bebeutung naefouem-
pfinben cermag, bie fte gehabt haben unb nod; hauen. Sag jene
Stüde für bie ttrgemeinbe fjauptftüde gewefen finb, hat nod; nie-
manb be 3 weifelt; aud; Straug hat es nicht in Hbrebe geftellt, unb
ber groge Kritifer Serbinanb Chriftian Baur hat anerfannt,
bag fxdi bie ättefte Chriftenheit auf bem Befenntnis 3 u ihnen auf^
erbaut hat. Sann mug es möglich fein, ein nadjempfinbenbes Ber-
ftänbnis für fie 5U gewinnen, ja oielteicht nod; mehr: wenn man
in bie Ciefe ber Beligionsgefd]ichte einbringt, fo erfennt man bas
an ben iBur 3 eln bes (Staubens liegenbe Hecht unb bie iBahrbeit
uon Borftellungen, bie an ber ©berfläche fo parabop unb unan-
rtefymBar erfcfyeinerL
IBir betrachten 3unächft bie Borftettung, ber Cob 3 efu am Kreus
fei ein ©pfertob gewefen. (Sewig, wenn wir in äugertichen ober
formalen Speculationen ben Begriff „©pfertob“ erwägen wollten,
wären wir halb am <£nbe unb jebes Berftänbnis würbe aufhören;
99
»olfcnbs aber auf einen loten Strang würben roir geführt, trenn wir
uns in Spefulationen barüber einliegen, u>clche Hotwenbigfeit für bie
©ottheit beftanben hat, einen folchen 0pfertob 311 »erlangen* XDir
molten uns erftlid] einer gan3 allgemeinen religionsgefchichtlichen
Chatfache erinnern* Die, treidle biefen Cob als 0 pfertob beur*
teilten, hörten halb auf, noch irgenb welche blutige 0 pfer (Sott
bar3ubringen* Die ©eltung ber blutigen 0 pfer war 3war fdjon
feit ©enerationen in Zweifel geftellt unb in einem Hüdgang be*
griffen; nun aber erft »erf djwanben fte gät^lich* Hiebt fofort unb
mit einem Schlage — bas braucht uns fyet nicht 3U fümmern —,
wohl aber in fünfter 5rift unb nicht erft feit ber <§erftörung bes
jübifchen Cempels. XDeiter aber, wohin bie chriftliche prebigt in
ber ^olgeseit fam, ba »eröbeten bie 0pferaltäre unb bie 0pfertiere
fanbert feinen Käufer mehr* Der Cob Chrifti — barüber fann
fein Zweifel fein — hu* ben . blutigen_0pfern in ber Heligions*
gefehlte ein Cnbe gemacht. ©in tiefer religiöfer ©ebanfe liegt
ihnen 3U ©rurtbe, wie fchon ihre Derbreitung bei fo nieten Dölfern
beweift, unb fte bürfen nicht non falten unb blinben Hationaliften
beurteilt werben, fonbern non lebenbig fühlenben XHenfchen* Wenn
es nun offenbar ift, bag fte einem religiöfen Hebürfniffe entfprochen
haben, wenn es ferner gewig ift, bag ber Crieb, ber 3U ihnen
geführt hat, xn bem Cobe Chrifti feine Befriebiguug unb barum
fein ©nbe gefunbeit hat, tuenn enblich ausbrüdlich be3eugt worben
ift, wie wir bas im Xjebräerbrief lefen: „XTTit einem 0pfer hat
er in ©wigfeit nollenbet, bie geheiligt werben" —, fo wirb uns
bie Dorftcllung nicht mehr fo frembartig berühren; benn bie ©e*
fd]id)te hat ih r recht gegeben, unb wir beginnen fte nach3uem*
pfinben* Diefer Cob hatte ben Wett eines 0 pfertobes; benn fonft
hätte er nicht bie Kraft befeffen, in jene innere Welt ein3ugreifen,
aus ber bie blutigen 0pfer B^rnorgegangen ftnb; aber er war fein
0pfertob wie bie anberen, fonft hätte er ihnen nicht ein ©nbe
machen fönnen: er fyob fte auf, inbem er fte abfehlog* Hoch mehr
bürfen wir fagen — bie ©eltung ber bin glichen 0pfer über*
haupt ift burd] ben Cob Chrifti abgethan worben* XDo immer
ein3elne Chriften ober gartje-Kirchen 3U ihnen 3urüdgefehrt finb,
ba war es ein Büdfall: bie alte Chriftenheit hat es gewugt, bag
nun bas gan3c 0pferwefen befeitigt ift, unb wenn fie Hechenfdjaft
geben follte, woburch, fo nerwies fie auf ben Cob Chrifti*
Zweitens: XD er in bie ©efdjichte Buueinfdmut, ber erfenrtt,
7 *
100
5 ^°" ? CS ® cred?tcn u,,b teilten'bas llcil in ber <Scfd?tdtfe
tft, b. h- baß ntdit »orte, fonbent traten, aber auch nicf?t Cbatcu
fonbern nur aufopferungsvolle Ojaten, aber trieft bloß aufopferung^
»oüc dürfen, fonbem nur bic fjingabc bcs Cebens über bie großen
^ortfdjrttte trt ber <Scfd?id?te entfeheibet. 3 u biefem Sinn glaube
teb baß, fo fern uns alle SteUvertretuugs f b c 0 r i c n liegen mögen
od; nur wenige unter uns fein werben, bic bas innere Hedjt üttb
te iüaiu'bctt einer Ausführung wie bie 3 cfaj. c. 55 verfemten •
„ 5 urwa^r er trug nufere MranHjeit unb lub auf fid ? unfre Schillerten "
,,Htemanb bat größere Gebe, beim baß er fein Ceben läßt für feine
d m ? C r ~ |0 [ ‘ at man D0 " Anfang an ben Hob Cbrifti betrachtet.
Je fttt ,cb 3 arter jemanb fütjlt, um fo fidlerer wirb er überall in
ber ©efchichte, wo Großes gefcheben ift, bas fteüoertrctenbe Ccibcn
empftnben unb auf fid? bejiehen. £fat Cutter im Kloftcr nur für
fid; gerungen, hat er nicht für uns alle mit ber Seligion, bie ibm
überliefert war, gefämpft unb innerlich geblutet? Aber bas Krem
Jefu Chnfti ift cs gewefett, an welchem bie KTotfdibcit bie ATadit
ber tm Cobc fid? bewährenben Scinheit unb Ciebc fo erfahren hat,
baß ftc cs mdjt mehr oergeffen fann, unb baß biefe (Erfahrung eine
neue «poche ilirer (Scfdiichtc bebeutet.
(Enbtid; drittens: Keine „vernünftige" Kcflerion unb feine
„verftanbige" (Erwägung wirb aus ben fittrichen Jbccu ber ATcttfch-
hett bte Kberjcugung austilgcn fönnen, baß Unrecht unb Sünbc
Strafe verlangen, unb baß überall, wo ber (gerechte leibet, fuh eine
befdiämcnöc unb reinigenbe Sühne vollsicbt. UnÖurchbringlich ift
btefc Uberjeugung; beim fic ftammt aus ben Siefen, in benot wir
m 5 n^ fÖt!lcn ' unb aus öcr *><*, bte hinter ber
U)elt bei «rfdjctnung liegt. Perfpottet unb verleugnet, als wäre
fte langft nicht mehr vorhanben, behauptet fid? biefe «Einficbt umerftör-
bar tm ftttlichen cEmpfinbett ber Ulenfchen. Das finb bic (Scbanfcn
bte von Unfang an burd? ben Cob Sftfti erweeft worben finb unb
ihn gleidifam umfpült haben. €s finb noch anbere entfeffclt
worben mmber bebcutenbc unb bodj 3 citweilig fehr wirffatne_
aber biefe würben bic mächtigften. Sic haben fid, 3 u ber feften
Uberjeugung vertieftet, baß (Er burch fein Sobesleiben etwa- ©, t .
fcheibenbes gethan unb baß (Er cs „für uns" Methan bat. Wollten
wir verfuchctt, cs ausjumeffen unb 3 u regiftrieren, wie man es fehr
halb verfocht hat, fo fämen wir 3 u abfehreefenben paraborien
aber nachempfmben fönnen wir es mit ber Freiheit, mit ber es
101
ursprünglich empfunden morbeit ift. Behüten mir aber noch E?itt3U/
baß 3^fns felbft feinen €ob als einen Dienft be3eid]net h^/ &en
er ben Dielen leifte, unb baß er ihtn burd] eine feierliche hanblung
ein fortmirfenbes (Sebctchtnis geftiftet fyat — ich fehe feinen (Srunb,
biefe Chatfache 3U bestueifeln —, fo uerftehen mir es, mie biefer
Cob, bie Schmach bes Kreuzes, in ben HTittelpunft rüden nutzte,
Kber als „ber fjerr" ift er nicht nur beßhalb nerfünbigt morben,
meil er für bie Sünber geftorben ift, fonbern meil er ber Kufermedte,
Cebenbige ift IDenn biefe Kufermedung nichts anberes befagte, als baß
ein erftorbener Ceib non 5 Ieifch unb Blut mieber lebenbig gemacht
morben fei, fo mürben mir alsbalb mit biefer Überlieferung fertig
fein.) Kber fo fteht es nicht. Das Heue Ceftament felbft unter*
fcheibet 3mifd^en ber 0 fterbotfhaft von bent leeren (Srabe unb ben
Erfheinungen 3efn einerfeits unb bem 0fterglauben anbererfeits.
CDbfchon es ben haften IDert auf jene Botfchaft legt, uerlangt
cs ben 0 fterglauben auch ohne fie. Die (Sefchichte bes Chomas
mirb ausfehlieblich 3U bem §mede er3ählt, um eu^ufchärfen, baß
man ben 0ftergIauben h a ^ ßn folle, auch ohne bie 0fterbotfd}aft:
,..Selig finb, bie nicht fehen unb hoch glauben." Die 3 nnger, bie
nach Ammans gingen, merben gefcholten, meil ihnen ber (Staube
an bie Kufermedung fehlt, obgleich fie bie 0fterbotfchaft nod]
gar nicht erhalten h a ^ ß n. Der fjerr ift ber (Seift, fagt paulus,
unb in biefe (Semißheit mar feine Kufermedung mit eingefchloffeit.
Die 0 ft erbot fd^aft berichtet non bem munberbaren Ereignis im
(Sarten bes 3 ofcph non Krimathia, bas hoch fein Kuge gefehen
bat, non bem leeren (Srabe, in bas einige grauen unb 3 nnger
bineingeblidt, von ben Crfcheinungen ^es £jerrn in nerflärter
(Seftalt — fo oerberrlicht, baß bie Seinen ihn nicht fofort erfennen
fonnten —, halb auch non Heben unb Chaten bes Kuferftanbenen;
immer nollftänbiger unb 3imerfichtlid]er mürben bie Berichte. Der
0ft er glaube aber ift bie Über3eugung non bem Siege bes (5efreu3ig*
ton über ben Cob, non ber Kraft unb ber (Serechtigfeit (Sottes unb
von bem leben beffen, ber ber (Erftgeborene ift unter nieten Brübern.
5 ür paulus maren bie (Srunblage feines 0 fterglaubens bie (Semiß*
beit, baß „ber 3meite Kbant" nom fjimmel ift, unb bie (Erfahrung,
baß (Sott ihm feinen Sohn als lebenbigen offenbart fyaho auf
bem XDege nach Damasfus. (Er h<*t ihn „in mir" offenbart, fagt
er, aber biefe innere ©ffenbarung mar mit einem „Schauen" r>er*
102
bunben gewefen, fo überwältigenb wie niemals fpäter wicber. ©b
ber Kpoftel bie Botfdjaft »om leeren (grabe gefannt E?at? Km
gefe^ene ©heologen bejmeifcln es, mir ift es wahrfchcinlid?; aber
eme »ÖHige Sid?erbeit lägt fid; nicht gewinnen. Sicher ift,
oafj er unb bie 3 ünger oorihm nicht auf ben Bcfunb bes
Grabes, fonbern auf bie «rfdjeinungen bas entfdjeibenbe (Scwidjt
gelegt haben. über wer fann unter uns behaupten, baß er fid?
nad;^ ben Stählungen bes paulus unb ber SEoangclicn ein beut-
Itctjes 23 itb non biefcn <£rfd;einungen machen fönne, unb wenn bas
unmöglich unb feine Überlieferung einäelner Vorgänge abfolut fid?er
tft, wte will man ben ©fterglauben auf fie griinben? Cntwebcr
man muß fid? entfd?ließcn, auf Schwanfenbcs, auf etwas, was immer
- K>ieöer neuen Zweifeln ausgefeßt ift, feinen (glauben 3 u ftcllcn, ober
man muff biefe (grunblagc aufgeben, mit il?r aber aud? bas jtnnlidje
iüunber. bin ben tt)ur 3 eln ber (glaubensuorftcllungcn liegt auch
^ier bie XOaEjrljeit unb U)irflid?feit. füas fid; aud? immer am
(grabe unb in ben <£rfd?einungen jugetragen haben "mag — eines
ftcljt fcft: uon biefem (grabe her hat ber un 3 crftörbarc
(glaube au bie Überwinbung bes Cobes unb an ein
ewiges Ceben feinen Urfprung genommen. Ulan oerweife
md?t auf plato, nicht auf bie pcrftfdje Heligion unb bie fpätjübifdien
(gebanfett unb Schriften. ©as alles wäre untergegangen unb ift
untergegangen, aber bie (gewißbeit ber Kuferfteljung unb eines
ewigen Cebens, bie fid] an bas (grab im (garten bes 3 ofcpt? fuüpft,
ift nid]t untergegangen, unb bie Überzeugung, 3 cf us lebt,
begrünbet nod) beute bie Hoffnungen auf bas Bürgerrecht in
einer ewigen Stabt, bie bas irbifdje Ceben lebenswert unb erträglich
machen. „Sr hat bie crlöft, fo burd] 5 urd?t bes Cobes im ganjen
Ceben Kned?tc fein mußten# — befennt ber ©erfaffer bes Hebräer-
briefs. ©as ift es. Hub — mag’s aud? nid?t ausnahmslos gelten:
wo heute noch miber alle Sinbrücfc ber Batur ein ftarfer (glaube
an ben unenblidfen Wert ber Seele üorl?anbcu ift, wo ber Cob feine
Schrecfen uerlorcn hat, wo bie Ceiben biefer Seit gemeffeu werben
au einer 3 ufünftigen Herrlichfeit, ba ift biefe Cebenscmpfinbung
gefnüpft an bie Über 3 eugung, baß 3 efus Cl?riftus burd' ben Cob
hinburchgebrungen ift, baß (gott ihn erweeft unb 3 u Ceben unb
Hehrlidjfeit erhoben hat. Unb wie fann man cs fid; anbers
»orftellen, als baß aud? für bie erften 3 unger ber' leßte (grunb
ihres (glaubens an ben lebenbigen Herrn bie Kraft gewefen ift,
103
£>ie r>on ibm ausgegangen war? Unjerftörbares Ceben liatten
jte als non ilpn ausgebenb entpfunben; nur eine fur3C Spanne
Ijiitburd) fonntc fte fein Dob erfd)üttern; bie Kraft bcs Eferrtt fiegte
über aEes: (Sott bat itju nid)t im Cobe 3ertreten; er lebt als ber
«rftting ber <£ntfd)lafcnen. Bidjt burd) pbilofopf)ifd)c Spekulationen,
fonbern burd) bie Kufd)auung bes Ccbens unb Sterbens 3 efu unb
burd; bie €mpfinbung feiner unnergänglidjen ©nfjcit mit (Sott f)at
bie KTenfdjtieit, foweit fte überhaupt baran glaubt, bie (Sewißßeit
eines einigen Cebens, auf bas fie angelegt ift unb bas fte aljnt,
gewonnen — eines ewigen Ccbens in ber Seit unb über ber Seit.
Damit ift erft ber (Slaubc an ben lüert perfönlidjen Cebens fidjer
gefteEt. Von aEen Derfudjen aber, bie (Sewißljeit ber „Unfterblidp
feit" burd; Beweifc 311 begrünben, gilt ber Saß bcs Dichters: .
„Du mußt glauben, bu mußt wagen, benn bie (Sötter teil) n feilt'
pfanb." Kn ben lebenbigen Ejerrn unb an ein ewiges Ceben 311
glauben, ift bie Cf[at ber aus (Sott geborenen Ärcitjctt.
Kls ber (Sefreu3igtc unb Kuferwecfte war 3 efus ber Ejerr.
3 n biefem Befenntnis fprad) ftd) bas ganse Derßältnis 3U ibm
aus; aber es bot ber Knfdjauung unb Spefulation einen uner*
feßöpflidjen 3nl)alt. Das nielgeftaltige ETCeffiasbilb würbe mit eim
gcfd)loffen in biefen Begriff „Ejerr" unb aEe altteftamenttidicu Der*
fjeißungen besgleid)en. Kbcr ausgefiiljrte firdiltdic „Cclircn" über
ibn gab cs nod; nid)t: wer Ein als ben Ejerrn befannte, gehörte
3ur (Serrtctnbe*
2 . Die erlebte Beligion — bas jweitc Stücf, welches bie
Urgcmeinbe cßarafterifiert, ift, baß jeber ein3elne in ibr, and) bie
Kneditc unb ETiägbe, (Sott erleben. Das ift merfwürbig genug;
beim 5unäd)ft foEte man benfen, baß bei biefer Ejingabe an Cbriftus
unb bei biefer unbebingten Derefjrung für il)n fid) aEe ^römmigfeit
in ber pünftlid)ften Unterorbnung unter feine EDorte unb öcsbalb in
einer Krt uon freiwiEiger Kned)tfd)aft ißm gegenüber f)ätte äußern
muffen. Kber bie paulinifdien Briefe unb bie Kpoftelgefd)id)te
bieten uns ein anberes Bilb. §voar bie unbebingte Ejodißaltung
ber EDortc 3 <*fu be3eugen ftc, aber fte ift uid)t ber l;cruorfted)enbfte
Sug in bem Bilbc ber älteften Cßriftenfjcit. Biel djarafteriftifdjer
ift, baß bie einzelnen _(£l)riften, bewegt uom (Seifte (Sottes, in ein
lebenbiges unb gan5 perföitlicßes Behältnis 3U (Sott felbft oerfeßt
fiitb. EBir fiabcn tieiterbings ein fd)önes Bud? erl)alten uon
104
"?' e roirtm 9 £n öcs (Seiftes unb ber (Seiftet im na*,
apo tollen Scitalte^ <£s blidt an uielcn Stellen an bJa^
. öe, * a “f 3umcF unb füt?rt bas weiter aus, was (Sunfel
m fetnet y^anblung übct ben ^eiligen (Seift fo einbrucfstoH für
ö cfc Seit bargelegt hat. lüeinel bat bic »ernachläffigtcn pro-
Weme, tu meinem Umfange unb in welchen formen bei- (Seift"
J -'' 1 ’“' 1 '" 1 «■(*.ntitiu,ci! jo feurteilen fioö, oortaffli* er,
mm. Dos rorteomdkiji: ,*,„i, c iii gm< 6 ei|i 4 f<1 „ 41 “
m« Z 7' 1 -T tebm ‘ mi eim imm »«».Song
m.t (Sott ber als b.e maditigfte U>irflid,fcit gefpürt mürbe wie
man fie Ui ber cntfdjloffenen Unterorbnung unter bic Autorität
3 efu ntdjt erwartet (Sottesfinbfc^aft unb Begabung mit f“
T) a fe 5i, a mt f r , er -^üngcrfdocift Cbrifti einfach 3«fammcn.
b ^m f i 0 f f aft " Ur Öann tDirfIid J »orhanben ift, wenn
b,V ? fl? ^ <SdftC <Sottcs ^rchmaltct ift, weif noch
®eifes P °ba t 9C ? ?te v ™ kL SiC 2 lu£ 3 ie§ung bes heiligen
©e.ftes hat fre an bie Sptfee ihrer «gelungen geftellt. Ihr
Berfaffer ,ft ^d, bewußt, baß bie chri|Ui*e Heligion nicht bie
lehtc unb h°djfte wäre, wenn nicht jeber einzelne burd) fie
nnmittdbar „ob fcbmMg m i, <5 0 „ oerboobeo „s„.
3 nemanber ber »ollen gchorfamen Unterorbnung unter ben
„fjerrn unb ber Freiheit im (Seifte ift bas mid)t:gftc UTerfmal
cer Eigenart btejer Religion unb bas Siegel ihrer (Stöße. Pie
UOtrfungen bes (Setftes jeigten fich auf allen (Sebieten, in bem
ganzen Beretdje ber fünf Sinne, in ber Sphäre bes iPotlens unb
r A n, ttd! ® ,c eIer «entaren Kräfte ber religiöfen Unlaae
bur* Sehgtonslchren unb fultifdje 3 eremonie*n niebergebaften'
u“b Kraftth r U " 0 0ffenBarten ^ *« ®flafen, in Reichen
Z ! m 5te,3eranscn aHer 5 unftionen bis 3 u patL
logtfchen unb bebenfiiehen guftänben. Uber unoergeffen blieb bic
ft lft - ’T/" 1 ’ Td“ ä “ »“»»«" toi**. »»1 fie lg“
jcm ftormifchen unb wunberbaren <£rfd)einungen
btmbueQe feten, baß es aber neben ihnen JPirfungen bes (Seiftes
ik f / T 9Cfd?enft merben unö niemanb miffen fann.
„Die 5 rucht aber bes (Seiftes", fchreibt ber Upoftel paulus ift
ic e, cfrcubc, Triebe, (Sebulb, 5 reunblicbfcit, (Sütigfeit, Staube,
105
Sanftmut, Kcufd^eit / 1 Das ift bas anbcrc UTerfmal ber (£igcn=
drt unb (Stöße btcfer Kcligion, baß fic bie elementare Kräftigfeit,
melche fic entbunben h<*t nt*t überfchäßte, baß fie ihren geiftigen
3 nhalt unb ib^re Sucht triumphieren ließ über alle (Sfftafcn, unb
baß fie fich in ber Überzeugung nicht erfchüttern ließ, ber (Seift
(Sattes, mie er auch immer fich offenbaren möge, fei ein (Seift ber
Ejeiligfeit unb ber Ciebe. Damit finb mir bereits 5 U beut britten
Stücf, mclches bie älteftc (Ehriftenheit charafterifiert, übergegangen.
3. Das heilige £eben in Hcinheit unb Brüberlichlcit unb
in ber (Erwartung ber nahe beuorftehonben XDieberfunft (Eh r ^ — 4
ber (Sang, ben bie Kirchengefchichtc genommen h a h h a * C5 h cr ^ ß ^ 5
geführt, baß man im Heuen Ceftament uiel mehr bie bogmatifchen
Ausführungen h cn >orgefucht unb erörtert h a * als bie Abfchnitte, in
benen uns bas Ceben ber älteften (Ehriften gcfchilbert mirb unb
fittliche (Ermahnungen gegeben merben. Unb hoch füllen biefe nicht
nur einen großen (Teil ber neuteftamentlichen Hriefe, fonbern auch
nicht menige fog. bogmatifchc Abfchnitte finb lebiglich um )ittlichcr
Abmonition millen gefchrieben. Sie in ben Dorbergrunb 3 U rüden,
bat 3efus feine 3üuger angemiefen, unb bie ältefte (Ehriftenheit
mußte es noch, baß ihre erfte Aufgabe im Ceben fei, ben EDillen
(Sottcs 3 U thun unb fich als eine heilige (Semeinbe bar^uftellen.
3 bre gan 5 e (Stifte^ unb ihre Uliffton beruhte barauf. < 3 mci Ejaupt-
ftücfe ftanben ihr nach ben Sprüchen 3efu babei in erfter £inie,
unb fic umfaßten im (Srunbc alle fittliche Betätigung: bie Hein-
beit unb bie Brüberlichf eit. Hcinheit im tiefften unb um-
faffenbfteit Sinn bes Worts als ber Abfchcu r>or allem Unheiligen
unb als bie innere 5 reube an Cautcrfeit unb EPahrheit, an allem,
mas lieblich ift unb mobllautct. Keinbeit au* in E 3 e 3 ug auf ben
£cib. „EDiffct ihr nicht, baß euer £eib ein (Eempel bes heiligen
(Seiftes ift, ber in euch ift? Darum preifet (Sott an eurem Ceibc."
3n biefent h°h cn Bcmußtfein haben bie alten (Ehriften ben Kampf
aufgenommen gegen bie Süttben ber Unreinheit, bie im Ejeibcntum
gar nicht als Sünbcn galten. Als Kinber (Bottes unfträflich „mitten
unter bem unfchla*tigen unb uerfchrten (Befehlest, unter melchcnt
ihr fcheinet als fichter in ber U)elt /; — fo follten fie fich bemähren
unb haben fie fich bcmäbrt. heilig fein mie (Sott, rein fein als ^nnqor
vEhrifti — barm ift auch bas UTaß t>on Bericht auf bie Eöelt ge¬
geben, melches biefe (Semeinbe fich auf erlegt hat. „Sich *>oit ber
106
Ä)clt unbejfecft bellten", bas ift bie Ksfcfe, bie fic trieb unb for-
bcrtc Das anbcrc aber ift bie Drübcrtichfeit. «inen neuen
Sunb bcr JtTenfcfjen untereinanber Ejat fchon 3 efus felbft ins Kug'c
gcfa§t, wenn er m feinen Sprächen bie (Sottesliebe unb bie Dädiften-
liebe m eins gebunben E?at. Die ätteften Triften haben #1 DC r=
Janben. Sie haben ficfj nicht nur in Porten, fonbern auch in
traten — in lebenbiger Dermirftichung — uon Anfang an ah
ein Druberbunb fonftituiert. 3 nbem fie ficb „Drüber" nannten,
empfanben fte aEe Derpftichtungen, bie biefer Dame aufcrlcgt, unb
fugten ihnen 3 u entfprecfcn, nicht burd) gefegliche Deftimmungen,
fonbern burch freimütige Dienftleiftung, ein jeber „ad, DTaggabe
feiner Kräfte unb (Saben. Dag man in 3 erufalem fogar bis 3 u
einer fretmiEtgen (Süfergemeinfchaft norgefchritten fei, er 5 äbtt bie
Kpoftclgefchtchte; paulus fagt nichts barüber, unb wenn ber um
flarc Den# mtrflich 3 uuertäffig fein foflte, fo haben hoch meber
blc ^etbendjriftlichen (Semeinben bas Unternehmen für
Heue äugere ©rbnungen ber Ccbcnsuer-
haltntffe fchtenen nicht geforbert unb nicht ratfam. Die Drüber-
Iidjfeit, meldje „bie Efeiligen" pflegen foEtcn unb pflegten, mar
öurch 3mei (Srunbfägc be 3 eid)net: „ 5 o ein (Stieb leibet, fo foEen
te anberen mitleiben", unb „<£iner trage bes anbern Caft fo
tx>crbet ifyr bas (Sefe£ (Efyrifti erfüllen".
Bxfyn fe BorlEfung.
Die Urgemciitbe glaubte an 3efus als ihren fjerrn unb braute
in biefent Bekenntnis ihre unbebingte Eingabe unb bie <§ur>erficht
3U ihm <als bem dürften bes Cebens 3um Kusbrucf; feber einzelne
C^rift ftanb in einer unmittelbaren Derbinbung mit (Sott burch ben
<Seift — priefter unb Vermittelungen maren nicht mehr nötig;
enblich, biefe „^eiligen" maren jufammengefchloffen 3U Derbänben,
bie ft di 3U einem jittenftrengen Ceben in Heinheit unb Brüberlich 5
feit verpflichteten* <§u biefem lebten punft noch ein fur3es Wort
(£5 ift ein Bemeis für bie 3 nrt erlichkeit unb bie ftttlidje Kraft
biefer neuen prebigt, ba§ tro£ bem Enthufiasmus, ber aus bem
(Erlebnis ber Heligion hervorbradj, extravagante <£rfMeinungen unb
ftürmifdic Belegungen verhältnismäßig feiten 3U bekämpfen maren*
(Es mag fein, baß fie häufiger gemefen finb, als bie bireften Kn*
gaben unferer Quellen vermuten taffen, aber bie Hegel bilbeten
fie nidit; auch ift ber Kpoftel paulus gemiß nicht ber ein3ige ge=
mefen, ber beforgt mar, fie, wenn fie auftauchten, 3U beruhigen»
<§mar ben „(Seift" motlte er nicht bämpfen; aber wenn ber En=
thufiasmus 3ur Krbeitsfcheu 3U führen brohte mie in Cbcffalonich;
ober menn bas Heben in ber Efftafe fich h eri)or ^ r dngte mie in
Korinth, ba h Q t w nüchtern ermahnt: „XVer nicht arbeitet, foll
auch nicht effen" unb „ 5 ünf verftänbliche, 3ur Erbauung bienenbe
XVorte finb mehr mert als 3ehntaufenb unverftänbüch h crr)0rtf
gefprubelte"* Kber noch beutlidier tritt bie gefamntelte Buhe unb
bie Kraft ber Ceitenben in ben fittlichen Ermahnungen tyevvox, mie
mir fie nidit nur in ben paulinifchen Briefen, fonbern 3. B. auch
im petrusbrief unb im 3<*kobusbrief lefen* 3n ben einfachen
108
groBcn (Snm^e^äffntffe,, bes „tenfchlichcn Ccbcns foll ftd? 5er
clnftltcfjc dbaraffcr bcmähren; fic follen gcftärft mcrben uni follen
getragen unb burd)Ieud)tct fein uotr 5em (Seift. 3n 5en ienc-
Vm? ?-? ' “ Ktnbern, ber fferren 3 u ben Knechten, ferner in
öent Verhältnis 3 ur ©brigfeit, 3 ur umgebenben hcibnifchcn Welt
unb mteberum 511 ben Wttmcn unb Waifen foß ftd) ber (Sottes-
fcSte , a, ° kaben ® ir M* ci " Seifpiel in ber <Se=
2 | eme Jeltgton einfefet mit foId ? er Kräftigfeit bes über*
• I ’ d!en J 3 etüu fe ^ cln5 un£> sugieid) bic fittlidjen (Srunblagen 6 cs
!«« ” ,< ’ 6cf ' f " 9 ' ‘> a ‘ ” ie »«Htaw.
f t i' tlC ®Iaubensprebigt ber neuteftamentlid?en Schrift,
fttöcr nicht innerlich ergreift, ber muß bod? im Ciefftcn belegt
ZTT bm 2 ' eid?tum ' öer Kraft «"*> ber gart*
1 r Öe Ir-l Itd!m l£rfenntnis ' ® cIcf?e it ! rcn Ermahnungen einen um
rcrgIetd]Itd]eTi Wevt vevleifyen.
TU ZZZ WeitCVCS m ° mmt ift *> icr 5» achten. Sie älteften
^hnften lebten in ber «Ermartung ber nahen Wieberfuuft CEirifti.
©tefe ^ffnung mar cm außerorbcntlid? ftarfcs KTotiu, meltlicbe
S’t b Z ^T 6 ^ €rÖe ' 0eri "9 3» ^ten. Sie haben
)teh m ’hrer «rmartung getäufd?t - bas ift ohne Klaufcl ctmu-
raumen —, aber fic ift bod, ein f?öcf?ft mirffamer ffebel gemefen
Z ^ k « f dt 3U “***"' “™ Pe i lehren, bas KleS ft
1 (T b N ba5 ?° ßC 3C ° 6 3u ,,cl,men ' etliches unb «Emigcs 3 u
n erfd?eibcn. <£s tft eine fid? miebcrf?olenbe <£rfd?einung in ber
Kel g,onsgefd?td,te, baß ftd? mit einem neuen, großen religiöfen
m °w\ r e ? C 5 s an f ftd? fd? ° n burd ?l d ?Iagcnb mirft, ein Kocffgient
uerbmbet ber biefe Wirfung noch erhöht unb befeftigt. Weid,
an ffcbcl ift immer mteber feit ben Sagen Kuguftin’s, fo oft ftd)
bas reltgtofe «Erlebnis uon Sünbe unb ©nabe erneuerte, ber prS
rlj fma 59 c e i. an / C 9Ctt,efen ' öer öod i feinesmegs aus bem <&. i
Icbnts felbft gefchopft ift! Wie hat bas «rmählungsbemußtfcin
hie Scharen Crommell’s begeiftert unb bie Puritaner biesfeits unb
icnlcits bes Oceans gefräftigt, unb aud) biefes Bemüßtfein mar
nur cm Kocffatent! Wie hat bie Kr mutslehre öie neuc r römmic . s
eit unferftütjt, mcld)e fid) aus bem religiöfen Erlebniffc bes hei«
tgen ^ranetsfus tnt KTiftelalter entmiefeit hat, unb bod? ift fic eine
1 vZ , ^.T efCn! ® icfe Koeffizienten - man fall im
apoftoltfd?cn Zeitalter aud, bie llber 3 eugung, ben fferrn nad? feinem
109
Krcuäcstobe mirflid? geflaut 3U fyaben, unter biefen (Befidjtspunft
[teilen — lehren, baß aud? bas 3nnerlid}fte, bie Religion, nid?t
frei unb ifoliert aufftrebt, baß [ie [o3ufagen in Hinben mädjft
unb iB>rer bebarf, 5 ür bas apoftolifcfye Zeitalter aber ift bie (Ein*
fid]t t>on H)id]tig!eit, baß nid}t nur troß bem (Entfyufiasntus, fonbern
aud] troß ber gefpannten escfyatologifcßen Hoffnung bie Aufgabe
nid]t uernad|läf[igt mürbe, bas irbifd^e Ceben 3U ^eiligen,
Die brei Elemente, welche mir als bie mießtigften 3ur (EBjaraf* °
teriftif ber älteften (Efyriften fyeroorgefyoben traben, fonnten 3ur Plot
aud? im Halmen bes 3 ubentums unb in Perbinbung mit ber
Synagoge burcßgefüfyrt merben, Platt fonnte aud) bort ^}e\ns als
ben l^crrn atterfennen, bas neue (Erlebnis mit ber üäterfidjen
Heligion oerbinben unb ben Bruberbunb als einen jübifeßett Kon*
uentifel ausbilben, 3 n bev Cfyat fyaben bie erften (Semcinben in
paläftina in biefen formen gelebt Kber jene neuen (Elemente
miefen, fräftig entfaltet, bod? über bas 3ubentum hinaus: 3c[us
(Efyriftus ber Xrjerr— nießt nur ^svaeVs] er ift ber bjerr ber (Se*
fd]id]te, bas Pjaupt ber XHenfcßfyeit, Das neue (Erlebnis ber um
mittelbaren Perbinbung mit (Bott — es maeßt ben alten Kultus
mit [einen Permittelungen unb prieftern unnötig. Der Bruber*
bunb — er überragt alle anberen Perbinbungcn unb entwertet fie.
Die innere (Entmicflung, bie oirtueH in bem neuen Knfaß befcßloffeit
lag, begann fofort, Hießt erft paulus ßat fie begrünbet; feßon r>or
unb neben ißm B^aben uns unbefannte, namenlofe Cßriften ßin unb
ßer in ber Diafpora Reiben in ben neuen Perbanb aufgenommen
unb bie partifularen unb ftatutarifeßen Beftimmungen bes (Beferes
bureß bie (Erflärung befeitigt, man müffe fie rein geiftig oerfteßen
unb als Symbole beuten, 3 rc einem <§meige bes 3 u ^entums außer*
ßalb paläftina’s mar biefe (Erflärung längft — freilich aus anberen
(ßrünben — geübt morben, unb es mar bort eine <Entfd)ränfung
ber jübifeßen Heligion bureß bas XHittel pB^ilofopI^ifdjer Deutungen
im XPerfe, bie fie ber Xföße einer geiftigen XPeltreligion 3ufüßrtc,
Diefe (Entmicflung fonnte mie eine Porftufe bes (Eßriftentums er*
[deinen unb mar in mancher X}inficßt mirflicß eine folcße, 3 cn ^
Cßriften gingen auf fie ein, 2 luf bie[em XPege fonnte allmäßlicß
eine Befreiung t>on bem ßiftorifeßen 3 u ^ ßn Bum unb feinen über*
lebten Beligionsgefeßett erreießt merben. Kber fidler mar biefes
(Enbergebnis nießt Solange es unausgefproeßen blieb, bie frü*
110
l)cre Schgton i)t abgetan, mußte ftets Befürchtet »erben baß
Seb n <ße " cmtion bie Kimmungen in »ört'lüLr
Sebuitung bod) mteber beruortreten. Wie viele Dußenbe non Kn
faßen 3«gt Bte Seltgtonsgefchichte, baß eine überlieferte form ber
-e£>re unb bcs Kultus, bie innerlich überitmnben ift nun hrfst'
fX?7 f °rl!' BC|C ? i0t ^ tMd! baS mitt(! ^rHmbeutung Es
fchetnt auch 3U gelingen; Stimmung unb Erfenntnis finb bem "zieuin
gunftig, aber |iehe ba! halb ftellt ff* irtu s , ,
nicht 5 U fchaffen uerrnag, bann fid] nidjt behaupten unb aebt mlb
unter. Es giebt fein fonfernatberes unb laberet Xbifb!' r
»erfaßte Religion; foH fie einer höheren Stufe meidjen fo muß ffe
fuTitL”!? 0 ““r r p ° liw “
ober bie alte Religion ihm anjunähern Es * 3
»"6 alte „ ,„,J C ““fteSünS
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Ä-:*' £ srs& f £*E
111
als bie < 8 efd]id]te, bie ifyt nur als HTiffionar £l]rifti fennt, unb-
tuet! fein eigenes XPort flar be3eugt, was er fein wollte unb war,
faffen wir ifyx als 3 ünger 3 ^fu, als ben Kpoftcl, ber ,nid]t nur
meijr gearbeitet, fonbern aud] (Srößeres gelben f]at als bie
anberen alle.
paulus ift es gewefen, ber bie d]riftlidie Heligion aus bem
3 ubentum fyerausgefüfyrt l]at. XPie bas gefc^e^en ift, werben wir
erfernten, wenn wir folgenbes erwägen:
paulus ift es gewefen, ber bas Epangelium beftimmt fo-
gefaxt ^at, baß es bie Hotfdjaft ift non ber gef dienert Erlöfung.
unb bem bereits gegenwärtigen ^eil. Er perfünbigte ben
gefreu3igten unb auferftanbenen Efyriftus, ber uns ben Zugang.
3U (Sott unb bamit (Sered]tigfeit unb Triebe gebracht fyat.
2 . Er ift es gewefen, ber bas Epangelium ficfyer als etwas
Heues beurteilt fyat, bas bie (Sefeßesreligion aufl]ebt.
5 . (Er t>at erfannt, baß biefe neue Stufe bem ei^elnen unb
bat>er aßen gehört, unb l$at in biefer Öber3eugung bas Epangelium
mit pollem Hewußtfein in bie Pölferwelt getragen unb uom 3 uben*
tum auf ben gried]ifd]*römifd]en Hoben Ininübergeftellt. Hid]t nur
follen fid] (Sricd]en unb 3 uben au f (Snmbe bes Epangeliums
pereinigen, nein, bie geit bes 3 ubentums ift jeßt porbei. paulus
perbanft man es, baß bas Epangelium aus bem (Drient, wo es
aud] fpäter niemals red]t l ]at geheimen fönnen, in ben ©ccibent
perpflanst worben ift.
Er ift es gewefen, ber bas Epangelium in bas große
Schema (Seift unb 5 Ieifd], inneres unb äußeres Ceben, Cob unb
Ceben fyneingeftellt E]at; s er, ber geborene 3 ube unb exogene
pB>arifäer, bat i£>m bie Sprache perliefyen, fo baß es nid]t nur
ben (Sriecfyen, fonbern ben Hlenfcfyen perftänblid] würbe unb mit
bem gef amten geiftigen Kapitale, welches in ber (Sefd]id]te erar¬
beitet war, nun in Herbinbung trat.
3 n biefen Elementen, auf bereu inneren gufantmenfyang id]
I]ier nid]t näfyer ein3uget]en permag, liegt bie religionsgefd]id]tlid]e
(Sröße bes Kpoftels befd]loffen. 3 n He3ug auf bas erfte möd]te
id] an bie tPorte bes bebeutenbften Heligionstyftorifers unferes
Zeitalters erinnern. tHeltBjaufen fdjreibt: ,,£>urd] paulus befonbers
fyat fid] bas Epangelium Pom Heid] in bas Epangelium pon
3 efu Cl]rifto perwanbelt, fo baß es nid]t meJ]r bie XDeiffagung bes
Hcid]s, fonbern bie burd] 3 efus £f]riftus gcfd]el]ene Erfüllung.
112
Dicfcc Weiffagung ift. ©ntfprechenb ift ihm aud? bie (Erlöfung aus
etoas .gufünftigcm etwas bereits ©efdjehencs unb ©egenwärtiges
geworben. (Er betont weit mehr ben ©tauben als bie fjoffnung,
er empfinbet bie 3 ufünftigc Seligfeit uoraus in ber gegenwärtigen
Kinbfchaft; er überwinbet ben Cob unb führt bas neue Ceben
fetjon ^ienieben. (Er preift bie Kraft, bie in ben Schwachen mächtig
tft; bte ©nabe ©ottes genügt ihm, unb er weiß, bajj feine gegcif;
wärtige noch 3 ufünftigc ©ewatt ihn feinen Krmen entreißen famt,
bag benen, bie ©ott lieben, alte Dinge 3 um heften bienen." Unb
rncldje <Einfid)t, <3unerfid]t unb Kraft gehörte ba 3 u, um bie neue
Heligion if;rem mütterlichen Robert 3 u entreißen unb auf einen
gan 3 neuen 3 u t>erpflan 3 en! Der 3slam, in Arabien entftanben,
ift arabifdjc Heligion geblieben, wobin er auch immer aefomnten
xft. Der Dubbbismus bat 3 u allen feiten feine Stärfc in 3nbien
gehabt. Diefe Religion aber, in patäftina geboren unb non ihrem
Stifter auf bem jübifchen Doben feftgebatten, ift bereits nach wenigen
Jahren oon ihm losgetöft worben, pautus bat fie ber israelischen
üefigion entgegengefefct: „©hriftus ift bes ©efefces <Enbe" Sie
bat bie <£ntwur 3 elung unb ben Übergang nicht nur ertragen, fon-
bern es 3 eigte ftdj, baß fie auf biefen Übergang angelegt war.
Sic bat bann bem römifdjen Heiche unb ber gefamten abcnbläm
btfdjcn Kulturwelt ffalt unb Stühe geboten, fjätte, fagt Henau
mit Hcd^t, jemanb im erften 3ahrhurtbert bem Kaifer mitgeteilt ber c
fteine 3uöe, ber non Kntiodjien als Miffionar ausge 3 ogen, fei fein
befter Mitarbeiter unb er werbe bas Heid; auf haltbare ©runb.
lagen ftcEen, man hätte ihn für wahnfinnig gehalten, unb hoch
batte er bie Wahrheit gefagt. paulus hat bem römifdjen Keidjc
neue Kräfte 3 ugefüf)rt unb bie abcnblänbifdpchriftliche Kultur be=
grunbet. Das Wert Kleranber’s bes ©rogen ift 3 erfallen, bas
Wcrf bes paulus ift geblieben, preifen wir aber ben Mann, ber,
ohne fidj auf ein Wort feines fjerrn berufen 3 u fönnen, aus bem
©elfte heraus wiber ben Suchftaben bas fühnfte Unternehmen wagte
fo burfen wir nicht minber jene perfönlid,en 3ünger 3efu ^rebren
bte nach fdjweren inneren Kämpfen ftd) 3 ulefet ben ©runbfäfeeu
bes paulus angefchloffen haben. Don petrus wiffen wir bas be=
ftimmt; non anberen hören wir, baf; fie fie wenigftens anerfannten.
<£5 tt>ar ruafyrlicf} nichts (geringes, ba§ bie, benen jebes XDort ihres
2Tceifters rtocfy im ©£>re flang unb in beren Erinnerung bie forn
freien ,§ügc feines 23übes lebten — bag biefc treuen 3üngcr eine
113
Perfünbigung anerfannten, bie ftch von ber urfprünglichen prebigt
in mächtigen Stücfen 3U entfernen fdjien unb einen Umftur3 ber
Beligjon 3 sraels bebeutete. fjier B^at einmal bie (Sefchidjte felbft
mit unverfennbarer Deutlichfeit unb in fünftem pro3effe geseigt,
tjpas Kern unb was Schale mar, Schale ivar bie gan3e jübifche
Bebingtheit ber prebigt 3 efu; Schale maren auch fo beftimmte
XPorte mie bas: „ 3 S bin nicht gefanbt, benn nur 5U ben ver¬
lorenen Schafen aus bem l}aufe 3 srael", 3 n Kraft bes (Seiftes
<E£)rifti B^abeu bie 3 ünger öiefe Sdjranfen burdjbrochen, Die per*
fönlichen 3 ünger (El|rifti — nicht erft bie 3meite ober britte (Sene*
rgtion, als bie unmittelbare (Erinnerung an ben fjerrn fdjon ver*
blaßt mar — fyahen bie große probe beftanben, Das ift bie
benfmürbigfte Einfache bes apoftolifchen Zeitalters,
Paulus h<*t bas (Evangelium, ohne feine mef entliehen, inneren
Züge — bas unbebingte Vertrauen auf (Sott als ben Pater 3 ef u
Cfyrifti, bie Zuverficht auf ben fjerrn, bie Sünbenvergebung, bie
(Semißheit eines ervigen Cebens, bie Beinheit unb Briiberlichf£it —
3U verleben, in bie univerfale Beligion venvanbelt unb ben (Srunb
3U ber großen Kirche gelegt, Kber inbem bie urfprüngliche Be=
fchränfung megftel, mußten fid? neue Schranfen einftellen, melche
bie (Einfachheit unb Kraft einer innerlichen Bemegung möblierten,
Kuf biefe BTobififationen h a fon mir bei ber Betrachtung bes
apoftolifchen Zeitalters 3unt Schluß unfere Kufmerffamfeit 3U
lenfen,
1, Der Bruch mit ber Synagoge unb bie (Srünbung gan3
felbftänbiger religiöfer (Semeinben hatten einfehneibenbe 5 olgen,
BTan hielt 3tvar bar an feft, baß bie (Semeinbe (£h*üfti/ frie „Kirche",
etrvas Überfinnltches, bjimmlifches, rveil etrvas 3unerliches fei, aber
man mar über3eugt, baß fie in jeber (Ein3elgemeinbe 3ur Erfcheinung
fomme, unb ba man mit ber alten (Semeinfchaft gebrochen hatte
ober überhaupt nicht an fie anfnüpfte, erhielt bie Bilbung gart3
neuer Perbinbungen folgerecht eine befonbere Bebeutung unb be*
fchäftigte bas 3ötereffe aufs lebhaftefte, 3efus fonnte in feinen
Sprüchen unb (Sleichniffen, unbefümmert um alles Kußerliche, lebig*
lieh ^ie £jauptfache treiben — mie unb in melchen formen bas
Samenforn machfen mürbe, bas befchäftigte ihn nicht; er fah bas
Polf 3 ^rael in feinen gef Sichtlichen 0 rbnungen vor fich unb badjte
nicht an äußere Knberungen, Der Zufammenhang mit biefem
Polfe mar nun aber burchfehnitten, unb förperlos farm feine
l^arnacf, IVefen b. £fyriftenmms. 8 *
114
religiöfe Bemegung Bleiben. Sie muß formen ousbilben für bas
gemetnfchaftltche Ceben unb ben gemeinfchaftlichen (Sottesbienft.
oId|e formen aber tmpromjtert man nicht; ein Ceil bilbet fich
lang am aus ben fonfreten Bebürfniffen heraus, ein anberer mirb
öcr Umgebung unb ben beftehenben Perhältniffen entnommen. Sie
„hetbenchrtflltchen" (ßemeinben haben fid, in biefer Weife einen
ST 5 '/? K6rper 9«fa«ffenj fie haben bie formen teils
fclbftanbtg unb allmählich gebilbet, teils unter Anlehnung an bas
(Dcgcbenc gewonnen*
^ öcnformen haftet aber ftets eine befonbereWertfchäßung;
f ® tC f^ a l f “ r Öt£ ^ ufredjte ^ aItu ng her üerbinbung ftnb,
mer 9 f? 'J^u***' n>eId,cr f ic & i«nen, unuer»
auf fie felbft über, ober es ift menigftens ftets (Sefahr
oortianben, baß bies gefehlt Siefe (Befahr liegt aud, besteh
fo nal|e, metl ftd; bte (Einhaltung ber formen fontroffieren beim
cr 3 mtngen laßt, mäljrenb fid? bas innere Ceben einer fid,eren Kon»
trolle ent$\eqt
Hnjmetfelhaft mar es eine Botmenbigfeit, ber jübifdjen üolfs-
gcmcmfdiaft, nad,bem man mit it,r gebrochen J?atte, eine neue (Be»
membe entgegen 3 ufeßen - bas Setbfibemußtfein unb bie Kraft ber
d,nfttd,en Bemegung 3 eigte fid, in ber Schöpfung ber „Kirche"
bt J ?* 5 35rad ^ Kirien Inb
te Ktrdje auf (Erben gegrunbet mürben, trat ein gan 3 neues 3n=
S r ll C !! n; . b r em innerlichen f teatc f id ? äußerliches 3 ur Seite-
ed?t, Stsctpltn, Kultus» unb CeBjrorbnungen bilbeten fid? unb be=
gannen ftd, nad, eigener Cogif geltenb 3 u machen. Sie Wert-
fjaßung, bte ber Sache galt, blieb nicht mehr bie ein 3 igc Wert»
fchaßung, unb btefe felbft mürbe unuermerft mit hunbert unficht»
hären fabert in bas Beß ber (Sefchidjte getnüpft.
• n r 2, ^ ^ahen barauf hmgemiefen, baß bie Bebeutung bes
r U ^ f al5 f £ef l rer uor altem in feiner (O,riftologie beftanben hat.
f l *** f (f 9e i a B f — burd, feine Beleuchtung bes Kremes»
•ff “ff“ 2tuferfteE!un9 ' aIs öurcf ! feine (ßleichfeßung „ber Berr
tft ber (Seift" —, baß bie «rlöfung als oollbracht unb bas Beil als
«ne gegenwärtige Kraft erfd?eint. „Wir ftnb burd, Cbriftus her»
fohnt mit ®ott", ,,3ft jemanb in Chrifto, fo ift er ‘eine neue
reatur , „Wer null uns fdjeiben oon ber Ciebe (Sottes?" Ser
S %f katatt l V ber Vision ift bamit ans Od?t ge»
fteHt. Kber aud, hier fann man fagen, jebe formulierung hat
(
— 115 —
ifyrc eigene £ogif unb ihre eigenen (gefahren. (Segen eine Gefahr
hat ber Kpoftel felbft fämpfen muffen; baß man bie «Erlöfung.
geltenb machte, ofjne bas neue £eben 51t bewähren, Den Sprüchen
3efu gegenüber fonnte biefe Gefahr unmöglich auf tauchen; aber
bie Formulierung bes pauius mar nicht cbenfo ftcfjer gegen jte
gefd)ü%t. Cs mußte in ber Folgeseit ein ftefjenbes Cfjema für alle
ernften prebiger werben, fidj nidjt auf bie ,;€rlöfung", auf Sünben«
uergebung unb Geredjtfprecfjung, ju uerlaffen, wenn bodj ber 8 h-
fcfjeu wiber bie Sünbe unb bie Badjfolge Cfjrifti fehle. H)er fann
»erfennen, baß bie £efjren uon ber „objeftiuen Crlöfung" 3U fdjweren
Derfudjungen in ber Kirchengcfdjidjte geworben ftnb unb galten
Generationen Bjtnburdj ben «Ernft ber Religion uerbecEt haben?
Der Begriff ber „(Erlöfung", ber gar nicht fo ohne weiteres in
bie prebigt 3efu eingeftellt werben fann, ift 3um FaEftricf ge«
morben. Gewiß, bas Cfjriftentum ift bie Religion ber «Erlöfung
aber ber Begriff ift ein jartcr unb barf niemals ber Sphäre per«'
fönlichen «Erlebens unb ber inneren llmbilbung entrüeft werben.
Kber noch eine sweite enguerbunbene Gefahr tauchte auf:
wenn bie «Erlöfung auf bie perfon unb bas ZDerf Cfjrifti 3urüd«
5ufübrcn ift, fo feheint alles barauf ansufommen, biefe perfon famt
ihrem Werfe richtig 3U erfennen. Die rechte £efjre uon unb über
Cfjriftus broht in ben Blittelpunft 3U rüden unb bie Klajeftät unb
bie Schlichtheit bes «Euangefiums 3U uerfehren, Wieberum fleht
es fo, baß biefe Gefahr bei ben Sprüchen 3 efu nidjt auffommen
fann — man lefe felbft ben 3ohannes, „£iebet ihr mich, fo hallet
meine Gebote." Kber bei ber Raffung, bie pautus ber Befigions«’
lehre gegeben hat, fann jte allerbings entftefjen unb ift entftanben.^
Wie lange hat es gebauert, ba lehrte man in ber Kirche, es fei'
bas KEermicfjtigfte, 3U wiffen, wie Cfjriftus als perfon befdjaffen
geweferi fei, welche Batur er gehabt habe u. f. w. pauius felbft
ift baoon noch »eit entfernt — wer Cfjriftum ben fjerrn heißt,
rebet aus bem heiligen Geift —, aber unuerfennbar hat bie ®rb«
nung ber rcligiöfen Begriffe, wie jte feine Spefulation beftimmt -
bat, audj in uerfefjrtcr Bidjtung gewirft. Daß es aber rdrfefjrt
ift, mag für ben Derftanb bie Knorbnung noch fo uerlocfenb fein,
bie Cfjriftologie 3um grunblegenben 3 «halt bes Coangeliums 3a
machen, bas lehrt bie prebigt 3efu, bie überall bei bem «Entfdjei«
benben einfeßt unb jeben ohne Kmfcfjweife uor feinen Gott fteEt.
Das Bedjt bes pauius, alles in bie prebigt uon Cfjriftus bem.
8 *
116
(gepredigten 3ufammen3ufaffen, wirb baburd) nicht befd)ränft,
benn (gottes Kraft unb (gottes £t)eisf)eit seigtc er hier unb
entjünbete an ber Ciebe Clirtfti bas (Scfübl für bie Ciebe (gottes.
So pflogt fict? noch Ejeute in Caufenben ber chriftliche (Staube fort,
nämlich burcf) «Ojrtftus. Das ift aber etwas anberes, als bie
ftimmung 3U einer Heif)e non Säfeen über bie perfon Cferifti forbern.
2tbcr nod; etwas fommt hier in Hetracht. paulus, oon ber
mefftanifdjen Dogmatif geleitet unb burd) ben (Einbrucf dferifti
beftimmt, hat bie Spefulation begrünbet, baß nicht nur (Sott in
(Ojriftus gewefen ift, fonbern baß Chriftus felbfi ein eigentümliches
himmlifdjes JDefen befeffen feat. Hei ben 3 uben brauchte biefc Dor=
ftellung ben Hatimen ber mefftanifd)en 3 bee nicht 3U fprengen, aber bei
ben ©riechen mußte fte gans neue (Sebanfen entfeffeln. Die <£ r f d) e i»
n u n g Ctjrifti an ftd), ber (Eintritt eines göttlichen JDefens in biefe
IDelt, mußte als bie bjauptfacfee, als bie <£rlöfungsthatfad)e an
fidj gelten, paulus felbft hat fic bod) nicht fo betrachtet: Kreu3estob
unb Huferwecfung jtnb ihm bas (Entfcfeeibenbe, unb ben «Eintritt
ift bie XDelt faßt er unter fitttichem (Sefichtspunft unb als Dorbilb
für unfer Chun („<£r warb arm um unfretwillen"; er bemütigtc
ftd), entäußerte ftd)). Dabei fonnte es nicht bleiben. Die Cf)at=
fache fonnte auf bie Dauer nicht an 3weiter Stelle fteljen, ba3u
war fte 3U groß. 2lber an bie erfte Stelle gerücft, bebrohte fte
bas (Euangelium felbft, weil fte Sinn unb 3 ntereffe con ihm ab-
lenfte. XDer fann angeftd)ts ber Dogmengefd)id)te leugnen, baß
bies gefchehen ift? JDir werben in ben folgenben Dorlefungen
fehen, in welchem Umfange.
3 . Die neue Kirche hat ein heiliges Huch, bas Klte Ceftament.
paulus, obgleich er lehrte, bas (Sefefe fei ungültig geworben, fanb
hoch einen lüeg, bas gan3e Klte Ceftament 3U fonferuieren. HMd)
einen Segen hat biefes Hud) ber Kirche gebracht! 2lls (Erbauungs*
buch, als Hud? bes Croftes, ber XDeisfjeit unb bes Hates, als
Hud) ber (Sefd)id)te hat es eine ura>ergleid)lid)e Hebeutung für
bas Ceben unb bie Hpologetif gehabt! tüeld)e ber Heligionen, mit
benen bas Chriftentum auf gried)ifd)»römifd)em Hoben 3ufammem
traf, fonnte ftd) eines ähnlichen Hefifees rühmen? Unb bennod) *ift
biefer Heftfe ber Kirche nicht in jebem Sinne heilfam geworben;
benn, erftlid), auf uielen Hlättern biefes Huchs ftanb eine anbere
Heligion unb eine anbere Sittlid)feit als bie d)riftlid)e. HTodjte
man fie aud) nod) fo entfd)loffen burd) Deutungen uergeijiigen
117
»nb »erinnerlichen — ber urfprüngliche Sinn liefj jich baburdj
nicht »ollfommen beseitigen. (£s mar ©efafjr »orfjanben, unb fie
trat tcirflich ein, baff burch bas Ulte Ceftament ein inferiores,
übermunbenes (Element in bas Christentum einbrang. <£s gilt bas
nicht nur non (Edelheiten — bas gan3c ,§iel mar ein anberes,
unb bie Neligion ftanb bort außerbem in engfter Derbinbung mit
einer politifchen ©röfje, bem Dolfstum. H>ie nun, menn man ftd?
verleiten lief, mieberum eine folche Derbinbung 3U fliehen, 3t»ar
nicht mehr mit bem 3 ubentum, aber mit einem neuen Dolf, unb
nicht mit bem alten Dolfsgefefce, aber mit einem analogen? Unb
menn felbft ein paulus altteftamcntlichc ©efefce, menn audi in alle*
goriieher Umgeftaltung, bann unb mann noch für mafgebenb erflärt
hat, mer mirb feinen Nachfolgern bie ©renje 3iehen, menn fie auch
noch anbere ©efefe, in jeitgemäfjer Umformung, als gültige ©ottes*
geböte proflamieren merben ? Das führt uns auf b,as <3 m e i t e:
mochte felbft bas, mas mau bem Ulten Ceftament an mafgebenben
Neftimmungen entnahm, inhaltlich unanftöfig fein — es bebrohte
bie djriftliche Freiheit, fomohl bie innerliche als auch bie Freiheit
ber firdilichett ©emeinbebilbung unb ber fultifdien unb bisciplinären
©rbnungen.
3 ch habe an3ubeuten »erfucht, baff, nadjbem bie Derbinbung
mit bem 3nbentum serfdjnitten mar, bie Befchranfungen bes
«Evangeliums bod) nicht aufhörten, baf vielmehr neue Sdjranfen
fidj einftellten. Sie entftanben aber an eben ben punften,
an meldien ber notmenbige Sortfchritt ber Dinge, be3t». mie
bei bem Ulten Ceftament, ein unveräußerlicher Befife
haftete. Uud> h»er merben mir alfo baran erinnert, baß es in
ben gefchichtlichen Derhältniffen, fobalb bie Sphäre ber reinen
3nnerlichleit »erlaffen mirb, feinen Sortfdjritt, feinen (Erfolg unb
überhaupt fein ©ut giebt, bas nicht feinen Sd;attcn hat unb Hach*
teile bringt. Der Upoftel paulus h«t flagenb ausgerufen: „Unfer
IDiffen ift Stüdmerf." Das gilt in noch riiel höherem ©rabe von
unferent lianbeln unb von allem, mas ba gefchief)t. 3"viter muß
man „auf Hoffen" hanbeln, nicht, nur fchlimme folgen auf fid?
nehmen, fonbern auch „miffenb, fchauenb, unvermanbt", bas eine
vernachläfftgen, um bas anbere 3U erreichen. Uüdt bas Heinfte
unb Efeiligfte, menn es aus ber 3 nn erlicbfeit heraustritt unb ftd?
in bie ID eit ber ©eftaltungen unb bes ©efehehens begiebt, ift von
118
£>er Segel nicht ausgenommen, baß eben bie ©eftaltung, bie feine
Slfat ift, auch feine Sdjranfc toirb. \
2tls ber große Apoftel unter bem Hichtbcil Hero’s im 3abre
61; fein leben befchloß, burfte er uon ftd) fagen, mas er !ur 3 311 =
uor einem treuen ©enoffen gefchrieben Ejatte: ,, 3 d) habe meinen
lauf »ollenbet; idj habe Glauben gehalten." Welcher STiffionar'
prebiger unb 5eeIforger fann ftd) ihm Dergleichen, fomohl mas
bie ©röße ber Dollcnbeten Aufgabe als mas bie heilige (Energie
in ihrer Ausführung betrifft! Seit bem lebenbigften Wort hat er
geruirft unb ein 5 euct ange 3 ünbet; mie ein Sater hat er geforgt
unb mit allen Kräften feiner Seele um bie Seelen gerungen; bie
pflichten bes lehrers, bes päbagogen, bes ©rganifators hat er
3 ugleid) erfüllt. Als er fein Werf burd) ben ©ob befiegelte, mar
bas römifdje Heid) uon Antiochien bis Horn, ja bis Spanien oon
chriftlichen ©emeinben befeßt. Sicht Diele „©emaltige nach bem
5 leifd;" unb Pornehmc maren unter ihnen 3 U finben, unb bod?
maren fie „mie lichter in ber Hielt", atnb ber 5ortfd]ritt ber Hielt»
gefd)id)te beruhte auf ihnen. Sie mären menig „aufgeflärt", aber
fie hatten ben (Slauben an ben lebenbigen «Sott unb an ein emiges
leben gemonnen; fte mußten, baß bie menfd?lid)e Seele einen um
enblichen Wert hat, unb baß ftd; biefer Wert nach bem Perhältnis c
3 U bem Hnfid)tbaren beftimmt; fte führten ein leben in.Hcinheit
unb 23rüberlid)f eit ober ftrebten bod) nach einem folchen. 3 n 3 cfus
©hriftus, ihrem ffaupte, 3 U einent neuen HoIFc 3 ufammengefd;Ioffen,
maren fie Don bem hohen 23emußtfein erfüllt, baß 3uben unb
©riechen, ©riechen unb Sarbaren burd) fie bie (Einheit empfangen
unb baß bie legte unb h°d)ftc Stufe in ber ©efd)id)te ber HTenfdp
heit nun erreicht fei.
Griffe Bnrfefung.
Das apoftolifdjc Zeitalter liegt hinter uns. Xüir haben ge«
feigen, baß bas <£uangelium in bemfeiben r>on bem mütterlichen
23oben bes 3 ubentums losgclöft unb auf ben weiten plan bes
griednfctKÖmifdien Heich* geftellt roorben ift. Der Apoftef paulus
ift cs »ornehmlich gewefen, ber bies oolljogcrt unb bantit bas
Ctjriftcntum in bie tüeltgefchichte übergeführt hat. ^ie neue Per*
binbung, bie es empfing, bebeutete an fich feine Hemmung; im
(Segenteil, bie chrifttiche Heligion mar barauf angelegt, fich in ber
HIenfchheit — nnb biefe ftellte fich bamals im orbis Romanus
bar _ 3 U nermirflichen. Aber neue formen mußten fich nun ent*
micfeln, unb fte bebeuteten auch eine Hefdjränfung unb Helaftung.
XOw merfcert btefer (Srfermtnis rtäfyer treten, tnenn mir nun
rfjrtpitdjB Ifeligtmt in tfjrrr (BttfnMImtg f.m
betrad|ten.
Das «uangelium ift nicht als ftatutarifche Heligion in bie
IDelt getreten, unb es fann bafjer auch in feiner form feiner
intelleftuellen unb gefellfchaftlichen Ausprägung, auch nicht in ber
erften, feine flaffifche unb bleibenbe «rfcheinung haben. Diefen
Ejauptgebanfen muß fich ber JEfiftorifer ftets gegenwärtig halten, ber
cs unternimmt, ben (Sang ber chriftlichen Heligion r>om apoftolifdjen
Zeitalter burd] bie 3 ahrhunberte hlnburd) ju »erfolgen. JDeil
biefc Heligion über ben (Segenfäßen r>on Diesfeits unb 3enfeits>
£eben unb Cob, Arbeit unb tüeltflucht, Dernunft unb <£fftafe,
3ubentum unb (Sriechentum ftcht, fo uerrn&g fte auch unter ben
120
»crfditebenftcn Bebingungen 3 U ejdftieren, tote fie urfprünglid? ifjrc
Kraft unter bent Schutt ber jiibifchen Religion entfaltet hat. Kber
ftc fann cs nicht nur — fie muß cs, wenn anbers fie bie Beligion
öer Cebenbigen fein will unb felbft lebenbig ift. Sie hat, als
«»angelium, nur ein giel, baß ber lebenbige (Sott gefunben werbe,
&aß jeber einzelne ihn ftnbe als feinen (Sott unb an if)tn Starte
unb 5reube unb Triebe gewinne. Wie es biefes Siel burch bie
3afjrf!unberte fortfehreiienb erreicht, ob mit bem Koeffoienten bes
• 3üi>tfcf)en ober bes Griechifd?en, ber XDeltflucht ober ber Kultur,
bes (Snofticismus ober bes Kgnofticismus, einer Kirchenanftalt ober
emes gan 3 .freien Vereins ober was cs fonfl nod; für Binben geben
mag, bte ben Kern fdjüßen unb in benen ber Saft auffteigt, bas
alles ift Bebenfadhe, ift bem IDechfel unterworfen, gehört ben 3 al)r«
bunberten an, fommt mit ihnen unb gefjt mit ihnen.
Die größte JDanblung nun, welche bie neue Religion je er»
lebt bat, beinahe noch größer als bie, burch welche bie {jeibem
chriftliche Kirche entftanb unb bie paläftinenftfehen (Semeinben in
ben ffintergrunb rüeFten — bie größte IDanblung fällt in bas
zweite 3abrbunbert unferer Seitrechnung unb fomit in ben Kreis
unferer blutigen Betrachtung.
Behmen wir unferen Stanbort um bas 3ahr 200 , etwa
100—120 3ahre nach, bem apoftolifcfjen Zeitalter. Drei ober »ier
Generationen waren feit feinem Kblauf »ergangen, nicht mehr —
wcldien Knblid gewährt bie chriftliche Beligion nun?
Hlir fehen ein großes firchlidppolitifches Gemeinwefen, baneben
zahlreiche „Seften", bie ftd; djriftlid) nennen, benen aber biefer
Barne abgefprochen wirb unb bie bitter befämpft werben. 3encs
große firchlidppolitifche Gemeinwefen fteHt ftd; als ein bas Beid?
umfpannenber Derbanb »on einseinen Gemeinben bar. 3ebe ift
felbftänbig, aber fie ftnb wefentlich gleichartig »erfaßt unb mit=
einanber burch ein unb basfelbe £el;rgefeß unb burd; fefte Begeln
für bie 3nterfommunion »erbunben. Das Cehrgefeß fdjeint auf
ben erften Blicf wenig umfangreich 3 U fein, aber jeber feiner Säße
ift »on weittragenbfter Bebeutung; 3 ufammen umfd;Iießen fie eine
Sülle metaphTfifcher, fosmologifcher unb gefd)id;tlid;er Sragen,
beantworten fie beftimmt unb geben Kuffd;Iuß über bie Gntwicflung'
ber Blenfdjheit »on ber Schöpfung bis 3 U ihrer 3 ufünftigen <£r«
iften 3 form. Die Knweifungen 3 efu für bie Cebensführung ftnb nicht
in bies £ef;rgefeß aufgenommen; fie werben als „Begel ber Dis=
121
äiplin" »on ber „(Slaubeusregel" fdjarf uuterfchieben. 3 ebe Kirche
(teilt fiel) aber auch als eine Kultusanftalt bar, in welcher (Sott
nach einem feierlichen Hitual rcrebrl wirb. (Ehoraf teriftifd} tritt
in biefer Kultusanftait bereits ber Unterschieb uon prieftern unb
£aien heruor; gewiffe gottesbienftliche Ufte fann überhaupt nur ber
priefter oolljiehen; feine Vermittlung ift burchaus notwenbig. Uber
überhaupt — nur burd) Vermittlungen foll man ftch ®ott nahen,
burdj Vermittlung ber rechten Celjre, ber rechten ©rbnungen unb
eines heiligen Ruches. Der lebenbige (Slaube jeheint ftch in ein
3U glaubenbes Bef’enntnis uerwanbelt 3U haben' bie Eingabe an
©hriftus in Ctjriftologie, bie breitnenbe Hoffnung auf bas „Heich"
in Unftcrblichfeits» unb Vergottungslehre, bie prophetie in gelehrte
€jegefe unb theologifdje IViffenfchaft, bie (Beiftesträger in Klerifer,
bie Br über in beuormunbete Caien, bie IVunber unb Teilungen in
nichts ober in priefterfunftftücfe, bie heißen (Sebete in feierliche Hymnen
unb Citaneien, ber „(Seift" in Hecht unb gtnang. Dabei ftehen
bie einädnen (Ojrifieu mitten im weltlichen Ceben, unb bie brennenbfte
5 rage lautet: fVieuiel non biefem Ceben barf man „mitmachen",
ohne feinen (£h r iftenftanb einsubüßen? 3 n f 20 3 a h ren h<K fieh
biefc ungeheure IVanblung »otogen! IVir fragen erftlid;: IVie
ift bas geworben? fobann: ffat ftch bas <£uangelium unter biefem
IVechfel ber Dinge 3U behaupten uermoebt, unb wie h at es fidt
behauptet?
Beuor wir biefe beiben fragen 3U beantworten fudjen, habe«
wir uns aber einer Unweifung 3U erinnern, bie ber ffiftorifer nie»
mals uernachläffigen barf. fVer ben wirf liehen fVert unb bie Be»
beutung einer großen <£rfd;einung, einer mächtigen fferoorbringung
ber (Sefchichte, feftftellen will, ber muß allem suoor nach ber Urbeit
fragen, bie fic geleiftet, besw. nach ber Uufgabe, bie fte gelöft
hat. IVie jeber einseine »erlangen fann, baff er nicht nach biefer
ober jener Dugenb ober Untugenb, nicht nach feinen (Sahen ober
nad; feinen Schwächen beurteilt werbe, fonbern nach feinen
Ceiftungen, fo muffen auch bie großen gefchid^tlidjen (Sebilbc, bie
Staaten unb bie Kirchen, in erfter Cinie — man barf oielleicht
fagen, ausfchließlich — nad) bem gefchäßt werben, was fte geleiftet
haben. Die Hrbeit entfeheibet. 3 n jebem anberen £aEc fommt
man 31t gan3 uagen, halb optimiftifchcn, halb peffimiftifdjen Urteilen
unb 3U gcfchicbtlichen Kannegießereien. So haben wir auch hier
122
.tn 23 cjug auf bic 511m Kathol^ismus cntwicfelte Kirche allein
3u»or 311 fragen, worin tfat ihre Arbeit beftanben, welche Aufgabe
f?at ft« gelöft, was E?at fie geleiftet? 3d; ftelle bic Antwort
an bic Spißc. 5 ic bat ein Doppeltes geleiftet: erftlid?, fie E;at
ben Saturbienft, ben Polytheismus unb bie politifche Heligion be-
Mmpft unb mächtig 3 urücfgebrängt; sweitens, fie hat bie bua=
Xtftifche Scligionsphilofophie überwunben. Die Kirche am Knfang
bcs britten 3 al)rh un öerts hätte auf bie DorwurfsDolle 5 rage: „Wie
fonnteft bu bidj pou beinen Anfängen fo weit entfernen, was ift
aus bir geworben?" antworten fönnen: „Ja, fo bin id? geworben;
nielcs habe id; abwerfen muffen, Dieles auf mich nehmen; id? habe
fämpfen muffen, mein Ceib ift coli Sarben unb mein (ßewanb ift
mit Staub bebecFt; aber id; habe Siege erfochten unb habe gebaut;
tch habe ben Polytheismus 3 urücfgefchtagen; id? habe bie poIitifd?c
Religion entwertet unb biefe Spottgeburt nalje3u »ernidjtet; id? habe
ben Derlocfungen einer tieffinnigen Seligionsphilofophie fein (gehör
gefd?cnft unb habe ihr ben allmächtigen Schöpfergott ftegreid; ent<
gegengeftellt; td; habe enblich einen großen Sau gesimmert, eine
5 eftung mit Cürmen unb Sollwerfen; in ihr bewache ich meine
Schäße unb fd?üße bie Schwachen." So hätte fie antworten fönnen
unb hätte bie Wahrheit gefprochen. Uber, wenbet man ein, Kampf
unb Sieg gegenüber bem Saturbienft unb bem Polytheismus war
etwas (geringes; fie waren fd;on morfd? unb hohl geworben unb
befaßen nur noch t»enig Kraft. Der «inwanb ift nid?t rid;tig.
<Sewiß, niele Kusgeftaltungen biefer Krt non Seligion waren
r>on ber Seit überholt unb bem Untergang nahe; aber fie felbft,
bic Saturreligion, war ein gewaltiger (gegner. XXodi heute
r>ermag fie unfre Seelen 3U berüefen unb mächtig bic'Saiten unferes
(gemütes 3U rühren, wenn ein begeifterter prophet fie uerfünbet_
wie Diel mehr bamals! Das hohe Cieb oon ber Sonne, bie allem
Cebenbtgen Ceben giebt, hat felbft einen (goethe 3 eitlebens mit
reltgtofer (gemalt ergriffen unb ihn 3 u einem Sonnenanbeter gc=
macht. Wie hinreißenb aber war biefer fjymnus in jenen Zagen,
ba bie Wiffenfchaft bie Katur noch nicht entgöttert hatte! Das
Chriftentum hat bie Saturreligion überwunben, überwunben nicht
nur für biefen ober jenen ei^elnen — bas war immer gefdjeben —
fonbern fo, baß nun eine große, feftc (gemeinfehaft ba war, bie
burd; einbrucfsDoIIe Cehren ben Saturbienft unb Polytheismus
wtberlegte unb ber tieferen rcligiöfen Stimmung loctlt unb Stüße
123
bot Unb bie politifdie Beligion! Die ganse Ufad)t bes Staates
ftanb hinter bem Kaiferfult, unb cs fdjien fo leidet unb ungefähr*
Eid}, mit ifym 3U paftierert — aber bie Kirctje Ejat feinen Schritt*
breit nacfygegeben; fie fyat bie faiferliefen StaatsgÖ^en abgetfyan.
Das Blut ber Ulärtyrer ift gefloffcn, bamit eine unoerrüdbare
(Breite entftänbe 3mifd}en ber Beligion unb ber politif, 3mifcfyen
(Sott unb bem Kaifer. Cnblid), bie Kirche Ejat fid) inmitten einer
t'eligionspEjilofopfyifd} tief bewegten <§eit gegenüber allen bua*
liftifcfyen SpefuEationen behauptet unb ifynen, bie oft ifyren eigenen
Uufftellungen fdjeinbar fo nafye famen, in fyeißent Bingen bie
monotfyeiftifcfye Betrachtung entgegengefeßt. £)ier aber mar ber
Kampf um fo fdjmerer, als oiele unb 3mar gerabe fefyr hernor=
ragenbe unb begabte Cfyriften mit bem (Segner gemeinfame Sache
machten unb fetbft DuaEiften mürben. Die Kirche blieb feft.
Bimmt man nun noch h™3 u / baß fie troß biefer (Segenbemegungen
gegen ben griechifd}*römifchen (Seift es hoch uerftanben E^at, eben
biefen (Seift an fid? 3U f eff ein — anbers als bas 3 ubentum, von
beffen XDirfen auf bas (Sriechentum bas XDort gilt: „Du fyaft bie
Kraft mich an3U3iehn befeffen, hoch mich 3U galten E^aft bu feine
Kraft' —, nimmt man ferner hhi3u, baß im 3meiten 3 afyrE}unbert bic
(Srunblagen für altes „Kirchliche" bis auf ben heutigen Cag gelegt
morben finb, fo fann man nur ftaunen über bie (Sröße ber Ceiftung,
bie bamaEs oollbracht morben ift.
U>ir feE>ren 3U ben beiben fragen 3urüd, bie mir aufgemorfen
haben: „Wie E^at ftch bie große IDanblung t>oIl3ogen ?“ unb
„f}at ftd) bas Coangelium unter biefem XDechfel ber Dinge be=
Rauptet, be3m. mie Ejat es fich behauptet?"
Cs finb, menn ich recht fehe, brei ^auptmomente, bie ben
großen Umfchmung E|erbeigefüE)rt unb bie Bilbung neuer formen
bemirft E^aben. Das erfte entfpricht einem allgemeinen (Sefeße in
ber Beligionsgefchichte; benn mir treffen es in ber Cntmidlung
jeher Beligion. XDenn bie 3meite unb britte (Seneration vorüber*
gegangen ift, menn bjunberte ja Caufenbe nicht mehr burch Be*
fefjrung, fonbern burd? Überlieferung unb (Seburt 3U ber neuen
Beligion gehören — droß CertuHians XDort: fiunt, non nascuntur
Christiani — , menn neben bie, melche ben (Slauben ergriffen biaben
mie einen Baub, in großer <§ahl fold^e treten, bie ihn fefthaEten
mie ein äußeres (Semanb, bann tritt ftets ein Umfchmung ber Dinge
124
em. Kus ber Seligion ber lebenbigen (Empfmbung un b bes hjer 3 ens
rotrb bte Religion ber 5 itte unb barum ber form unb bes eßefeße^.
€me neue Religion mag mit ber größten Kraft, bem höchften <En*
ttjuftasmus unb gewaltigen inneren (Erfäfitterungen einfeßen,' fic
mag babei bie geiftige ^reibjeit noch fo fe^r betonen — wo ift
bas altes jemals lebenbiger 3 um Kusbrucf gefommen als in ber
Dcrfunbigung bes pautus? —, bennod?, felbft wenn man bie (ßläw
btgen 3 ur «helofigfeit 3 wingt unb nur «Erwachfene aufnimmt, wirb
ber pro 3 eß ber üerbichtung unb Dergefeßlidjung nicht ausbleiben.
-ofort erftarren bann bie formen ber Seligion; fte erhalten
eben burch bie «rftarrung erft wirfliche 23 ebeutung, unb neue
formen treten hmju. Sie befommen nid]t nur ben lüert uon
Segeln unb eßefeßen, fonbern unoermerff werben fte fo angefdjaut
als umfdfßffen fie ben 3nhalt ber Seligion felbft, ja wären ber
Jnhalt. Die, weiche bie Seligion nid?t empfinben, muffen fie fo
anfehauen; benn fonft hätten fie überhaupt nichts, unb bie, welche
wtrfltch noch tn ber Seligion leben, müffen fie fo hanbhaben; benn
fonft oermögen fie auf bie anbern nicht ein 3 uwirfen. 3ene finb
fetneswegs notwenbig feuchter. Die eigentliche Seligion ift ihnen
freilich oerfchloffen; bas wichtigfte (Element ift ausgeftrömt. Kber
man permag, ohne in ber Seligion 3 u leben, fte hoch aus oer-
fchtebenen (ßefichtspunften 3 u fchäßen. Die Schulung fann eine
moraltfche fein ober eine poIi 3 eiIid?e, fie fann oor allem auch «tue
afthetifche fein. Kls am Knfang-biefes 3 al)rhunberts ber Kat£)o*
It 3 tsmus bei uns unb in franfreidt burch bie Somantifer wieber
3 urudgeführt würbe, ba war es oor altem Chateaubrianb, ber
ftch in ber Derherrlidjung besfetben nicht genug tljun fonnte unb
ftch gan 3 ats Kathotifen 3 u empfinben meinte. Kber ein fcharf«
bliefenber Kritifer erflärte, fjerr (Ehateaubrianb irre fich in feiner
(Empfinbung; er glaube ein wirtlicher Kathotif 3 u fein; in JDahrheit
ftehe er oor ber alten Suirte ber Kirche unb rufe aus: „©, wie
fchon!" Das ift eine ber formen, in benen man eine Seligion
idjäßen fann, ohne ihr innerlich an 3 ugehören; es giebt aber noch
otele anbere, unb unter ihnen finb auch folche, bie bem wirtlichen
3 nhalt berfetben näher flehen. Sie alle aber haben bas (Semeim
fame, baß bas eigentliche (Erlebnis ber Seligion nicht mehr erlebt
wirb ober nur unftcher unb gebrochen. Dagegen werben ihre ab-
geleiteten «Meinungen unb IDirfungen hod ? gehalten unb forgfam
gtyutet Das, was in ben Cefyrcn, Regeln, (Drbnun^en unb ful*
125
tifdjen 21usgeftaltungcn 3um 21 usbrucf fommt, mirb als bie Sache
fclbft bemäntelt. Siefes alfo ift bas erfte Hioment in ber ISanb«
lung bcr Singe: ber urfprüngliche gnthufiasmus, im großen
5 inn bes ISorts, ftrömt aus, unb alsbalb entfteht bie Heligion
bes (Sefeßes unb ber formen.
2. 21ber es ftrömtc im £aufe bes 2. 3al}rhunberts nicht nur
ein urfprünglidjes (Element aus; es ftrömte auch ein anbercs ein.
ISenn biefe jugenblidie Heligion bas Banb nicht 3erf dritten hätte,
bas fie mit bem 3ubcntum uerbanb, auch bann batte fie, ba ftc
ficb bauernb auf bem Hoben ber gried}ifd)-römifd}en ISelt nicber«
ließ, affisiert merben muffen non bem (Seift unb ber Kultur ber*
felben. 3 u mie oiel höherem (Srabe aber ftanb fie biefem (Seifte
offen, nadjbem fte ficb mit fdjarfem Schnitt uon ber jübifchen He=
ligion unb bem jübifchen Solle getrennt batte! Körperlos mie ein
luftiges ISefen fdimebte fie über ber €rbe, förpertos unb einen
Körper fudjenb. Ser (Seift baut ficb Öen £eib, geroiß — aber er
baut ibn, inbem er ftd} bas affimiliert, mas um ibn ift. Sas
ginftrömen bes (Sriedjentums, bes gried)ifd}en (Seiftes,
unb bie Serbinbmtg bes guangeliums mit ibm ift bie größte Cbat=
fache in ber Kird)engefd}id)te bes 3meiten 3 al}rhunberts, unb fie
feßte ficb, grunblegenb »ot^ogen, in ben folgenben 3ahrhunberten
fort. Klan fann brei Stufen unterfdjeiben, in benen bas (Srie=
cbifdje auf bie dirifttiche Heligion eingemirft bat, unb ba3U eine
S^rftufe. Sie Souftufe haben mir in einer früheren Sorlefung be=
reits ermähnt. Sie liegt in ben Krfprüngen bes goangeliums unb
ift gerabe3U eine Hebingung feiner gntftehung gemefen. grft unter
ben gan3 neuen Serhältniffen, bie 211 eranber ber (Sroße gefebaffen
batte, erft nachbem bie <pune niebergeriffen maren, meldje bie
Sölfer bes ©rients uoneinanber unb oon bem (Sriecbentum trennten,
erft bamals tonnte ftd} bas 3ubentum entfdjränten unb ber <£nt=
midlung 3ur ISeltreligion 3uftreben. Sie Seit mar erfüllt, als
man auch im ©rient gried}ifd;e £uft atmen fonnte unb ber geiftige
£fori3ont ftd} über bas eigene Sol! hinaus ausbehnte. Sod) !ann
man nid}t fagen, baß in ben älteften djriftlidjen Schriften, gefchmeigc
im goangelium, ein griedjifdies glement in irgenb erheblichem
Hiaßc 3U finben ift. ISitt man es fud)en, fo muß man es — non
einigen bei paulus, £ufas unb 3 obannes heruortretenben Spuren
abgefehen — in ber möglich!eit ber grfcheinung ber neuen Helb
gion felbft fudien. Sarauf ift hier nicht meiter ein3ugehen. Sie erfte
Stufe eines jxnrflicfjen ©nfirömens beftimmtcr griehifher (Sebanfen
unb griechifhen Cebcns ift auf bie gcit um bas 3atir \50 anju=
fefeen. damals begann bie griehifhe Hetigionsphilofophie eins'u.
ttröme.H unb erreichte fofort bas Centrum ber Heligion. Sie fuct|te
ben innern Kontaft mit itir, unb umgefehrt ftrecfte ftcf? and) bie
cbriftlidje Heligion fclbft nach biefer Hunbesgenoffiit aus. Don ber
gried]ifdfen philofophie ift bie Hebe; nichts oon HTythotogie,
griechifchem Kultus u. f. m. ift noch 3« fpiiren; nur bas große Ka=
pital, meldjes feit Sofrates non ber philofophie erarbeitet morben
mar, roirb oorftchtig unb unter Häuteten uon ber Kirche aufge=
nomntcn. <£tma ein 3ahrhunbert fpäter, um bie 3<*h re 220 / 30 ,
tritt bie jmcite Stufe ein: jeßt mirfen griehifhe HTyfterien unb
griehifhe ^>iuitifation in ber Hreite ihrer Cntmicflung auf bie
Ktrd?e ein, jeboch noch immer nicht bie HTythotogie unb ber poly*
thcismus, 2tber, mieberum ein 3ahrhunbert fpäter, ba etabliert
fid; bas ganäe (Sriedientum mit altem, mas es in fich ausgebilbet
hat unb befißt, in ber Kirche. natürlich fehlen auch hier bie
Häuteten nicht, aber fie beftehen oietfad] nur in einem tücchfel
ber Ctifetten; bie Sache fetbft mirb unoeränbert rccipiert, unb im
bjeiligenbienft cntfteht gerabe 3 u eine diriftlidje Heligion nieberer
©rbnung. HTit ber jmeiten unb brittcn Stufe haben mir cs an
biefer Stelle nicht 3U tljun, fonbern nur mit jenem ©nftrömen
bes griechifhen (Seiftes, melches burd? bie 2 tufnahme her grie,
dpfchen philofophie, cornehmtid) bes ptatonismus, bejcidpiet ift.
H)cr fann leugnen, baß fid? hier mahbermanbtc Ctemente sufammem
gefchloffen haben! 3n ber religiöfen Cthif ber (Sriedjen, mie fie
in heißer 2 trbcit auf Cr unb non inneren (Erfahrungen unb mcta=
Phyfifhen Spefutationen gemonnen mar, fpradj ftch fooicl Ciefe
unb Zartheit ber Cmpfinbung, fouiet Crnft unb iüürbe unb _
nor allem — eine fo ftarfe monotheiftifche 5römmigfeit aus,
baf' bie d)riftlid)e Heligion an biefem Sdjaßc nicht teitnahmtos
uorübcrgehen fonnte. gmär fehlte unb befrembcte in ihm manches:
es fehlte eine perfönlichfeit, an metdjer biefe Ctbif als mirfliches
£eben angefdjaut merben fonnte, unb es befrembete ber noch immer
beftefjenbe gufammenhang mit bem „Oämonenbienft", bem poty=
theismus; aber im gansen unb im einsefnen cmpfanb man bod?
Dermanbtes unb nahm es auf.
Heben ber <£tf)if aber ift es auch ein fosmologifdjer Hegriff
gemefen, ben bie Kirche bamals recipierte, unb ber nah mcnigen
127
3 afyr 5 efynten in Cehre eine beherrfchenbe Stellung erlangen
folltc — ber Cogos, Das griechifche Denfen mar non ber Be*
traefetung ber tPelt unb bes 3 ™enlebens aus su bem Begriff einer
mirffanten Eentralibee gelangt — in meieren Stufen, fann
hier uner örtert bleiben, 3 n biefer Eentralibee erbtiefte man bie
(Einheit bes oberften prinsips ber Welt, bes Denkens unb ber
(Etfyf, 3ugleich aber bie (Sottfyeit felbft als fchaffenbe unb mirfenbe
int Unterfchieb r>on ber rufyenben. Es mar ber roid)tigfte Schritt
innerhalb ber chriftlichen Cehrgefchichte, ber je gethan morben ift,
als am Anfang bes 2, 3ahrhunberts chriftliche Apologeten bie
(Bleichung voll3ogen: ber Cogos ift Ehriftus, Schon vor
ihnen Ratten alte Cehrer unter ben vielen präbifaten, bie fie
Ehriftus gaben, ihn auch „ben Cogos" genannt; ja einer von
irrten, 3 ofyamtes, Blatte bereits ben Safe aufgeftellt: „ber Cogos ift
3 efus Ehriftus"; aber er hatte biefen Safe noch nicht 3um 5 unba*
ment ber gan3en Spefulation über ihn gemacht; im (Brunbe mar
auch ihm „Cogos" nur ein präbifat 3 ^fet aber traten Cebrer
auf, bie vor ihrer Befeurung Anhänger ber platonifd^ftoifcfeen
pBtilofopB^ie gemefen mären, unb benen beshalb ber Begriff tf Cogos "•
ein unveräußerliches Stüd ihrer XBeltanfcfeauung bilbete, Sie ver*
fünbigten, baß 3 efus Ehriftus bie leibhaftige Erfcheinung bes Cogos
gemefen fei, ber fid] vorher nur in Kraftmirfungen offenbart habe.
Statt bes gatt3 unverftänblichen Begriffs „ZMefftas" mar mit einem
Schlage ein verftänblicher gemonnett; bie in ber 5 üllc ihrer Aus*
jagen fchmanfenbe (Ehriftologie empfing eine fefte 5 orm; bie XPelt*
bebeutung (Ehrifti mar ficher gefteBIt, fein geheimnisvolles Perhältnis
5ur (ßottheif gef Bart, Kosmos, Pernunft unb ©hi! in eine (Einheit
gefaßt, 3n ber Chat eine munbervotte formet! unb mar fie nicht
vorbereitet, ja geforbert burch bie meffianifchen Spefufationen, mie
fie ber ApofteB pauBus unb anbere alte Cehrer bargeboten hatten?
Die Erfenntnis, man muffe bas (Söttliche in Ehriftus als ben Cogofs
faffen, eröffnete eine 5 üIIe von Problemen unb gab ihnen hoch 3U s
gleich gan3 beftimmte (Bre^Iinien unb Direftiven, Die Ein3ig=
artigfeit Ehrifti allen Bivalen gegenüber fchien auf bie einfachfte
XPeife fidler geftellt, unb hoch gemährte ber Begriff bem Denfen
Soviel 5 *eiheü unb Spielraum, baß je nach Bebarf Ehriftus einer*
feits als bie mirffame (Sottheit felbft, anbererfeits noch immer als
ber Erftgeborene unter vielen Brübern, unb als ber Anfang ber
Schöpfung (Bottes, angefchaut merben fonnte.
128
iüeld; ein Beweis für ben Cinbrucf ber prebigt non £f)riftus
ift cs, baß griedpfche plilofcpben ihn mit bem Cogos 5U ibenftjt»
jieren uermochten! Durch nichts war es »orbercitet, in einer
gefchidjtlichen perfon bie 3nfarnation besfelBeti 3U fonftatieren, üie=
mals ift es einem fpefulierenben 3 uben eingefallen, ben Bieffias
unb ben Cogos 3U ibentifeieren; niemals ift einem pfjilo 5. 23 . biefe
(Sleichfeßung in ben Sinn gefommen! Sie gab einer gefd)icht>
lidien Chatfache metap£)vfifdie Bebeutung; fie 30g eine
in Baum unb geit erfdjienene perfon in bie Kosmologie
unb Bcligionsphilofophie; inbem fie aber eine perfon fo
aus3eid;nete, führte fte bie (ßefdjicfyte überhaupt auf bie £jöhc ber
XPeltberoegurtg.
Die 3bentifi3ierung bes Cogos mit £f)riftus würbe ber ent
fdjeibenbe punft für bie Öerfdjmeisung ber griedjifchen philofophic
mit bem apoftolifchen Erbe unb führte bie benfenben (Sricchen 3U
biefent. 5ür bie BTehrsahl unter uns ift jene 3bentift3ierung un*
annehmbar, weü bas Denfen über B)elt unb Ctljif uns überhaupt
nid)t auf einen wefenljaften Cogos fütjrt. Kber man müßte blinb
fein, um 3U uerfennen, baß für jenes Zeitalter ber Cogos bie
3wecFmäßige Formel gewefen ift, um bie chriftliche Beljgion mit
bem griecfyifcben Denfen 3U »erbinben, unb es ift auch beute nod?
nidjt fdjwer, ihr einen haltbaren Sinn ab3ugcwinnen. Bber lebiglid)
ein Segen ift fie nicht gewefen. 3n noch weit höherem <Srabe als
bie älteren <£h«ftusfpefu!ationen hat fie bas 3ntereffe abforbiert,
ben Sinn uon ber (Einfalt bes Cuangeliums abge30gen unb es in
fteigenbem Blaße in eine Beligionsphilofophie uerwanbelt. Der
Saß: ber Cogos ift unter uns erfchienen, hatte eine beraufchenbe
B>irfung; aber ber Siitlntj'iasmus unb ber Buffdjwung ber Seele,
ben er heruorrief, führten nicht ftcher 3U bem (Sott, ben 3 efus
£h r iftus »erfünbigt hat.
3 . Das Busftrömen eines urfprünglichen «Elements unb bas
Cinftrömen eines neuen, bes griechifchen, erflärt ben großen JDanbel,
ben bie diriftliche Beligion im 2. 3 ahrhunbert erlebt hat, noch nicht
oollftänbig. Bfan muß fich brittens bes gewaltigen Kampfes erinnern,
ben fie innerhalb ihrer eigenen (Sre^en bamals gefämpft hat
parallel nämlich mit bem langfamen «Einftrömen bes gried)ifch=
philofophifchen Clements gingen auf ber galten Cinie Derfuchc,
bie man fursweg als „afute fjellenifierung" be3eid;nen fann. Sie
bieten uns bas großartigfte gefdjichtlidie Schaufpiel; in jener Epoche
— 129 —
felbft aber waren fie bie furdjtbarfte ©efaE]t\ Das 3weite 3 a^r<
Ejunbert ift bas 3al?rl}unbert ber Ueligionsmifdjung, ber ©Ejeofrafie,
rote fein anberes oor if]m. 3 n biefe follte bas ©Ejriftentum als
ein Element neben anberen, wenn aud] als bas wid]tigfte, E]inein«
ge3ogen werben. 3^er „EjelEenismus", ber bas oerfud]te, E]atte
bereits alle UTvfterien, bie orientalifdje KultweisE]eit, bas Sublimfte
unb bas Ubfurbefte, an fid] ge3ogen unb es burd] bas nie oer*
fagenbe Mittel ber pE]ilofopE]ifd]ert, b. E]. ber allegorifdjen 'Deutung
in ein fd]immernbes ©ewebe oerfponnen. Zinn führte er ftd] —
man muß fid? fo ausbrüden — auf bie d]riftlid]e Derfünbigung.
©r würbe oon iE]rer ©rE]abenE]eit ergriffen; er beugte fid] oor
3 ^fus ©E]riftus als bent H)eltE]eilanbe; er bot biefer prebigt alles
3um ©efcfyenfe an, was er befaß, alle Sd]äße feiner Kultur unb
feiner XDeisEjeit; aber gelten laffen follte fie es. Uls bie JE}errfd]erin
follte fie ein3ieE]en in eine fertige IDelt* unb BeligionsleEjre, in bie
KTvfterien, bie für fie bereitet waren. We Id) ein Beweis für ben
©inbrud, ben biefe prebigt gemacht E]at, unb weld] eine Der*
fud]ung! Diefer „©nofticismus" — fo nennt man bie Bewegung —,
in einer 5ülle oon Heligionse^perimenten lebenbig, etablierte fid]
unter bem Hamen ©Ejrifti, empfanb aud] mand]e d]riftlid]e ©ebanfen
fraftooH unb nacf]E]altig, fud]te bas nod] Ungeftaltete 3U geftalten,
bas äußerlid] Unfertige ab3ufd]ließen unb ben gan3en 5 trom ber
d]riftlid]en Bewegung in fein Bett 3U lenfen. Die U1eE]r3aE]l ber
©laubigen, oon iE]ren Bifd]öfen geleitet, ging auf biefe Derlocfungen
nid]t ein, fonbern naE]nt ben Kampf mit iE]nen auf, über3eugt, baß
E]ier eine bämonifd]e Derfud]ung laure. Kämpfen aber E]ieß in
biefem 5 alle fid] abfdjiießen, b. E]. bie ©ren3en bes (£E]riftlid]en mit
fefter f}anb 3ieE]en unb alles, was fid] nid]t in iE]nen Ejalten wollte,
für E]eibnifd] erflären. Der Kampf mit bem ©nofticismus
E]at bie Kird]e genötigt, iE]re £eE]re, iE]ren Kultus unb
iE]re Dis3iplin in fefte 5 ormen unb©efeße 3U faffen unb
jeben aus3ufd]ließen, ber iE]nen nid]t ©eE]orfam leiftete.
Über3eugt, baß fie überall nur bas Überlieferte fonfermere unb
fd]äße, E]at fie feinen Uugenblid baran ge3weifelt, baß ber ©eE]or*
jam, ben fie forberte, nid]ts anberes fei als bie Unterwerfung unter
ben göitlid]en XDillen felbft, unb baß fie in ben £eE]ren, bie fie ben
©egnern gegenüber ftellte, bie Heligion felbft ausgeprägt E]abe.
Be3eid]net man unter ,,fatE]olifd]" bie £ef]r* unb ©efeßesfird]e,
fo ift fie bamals, im Kampfe mit bem ©nofticismus, entftanben.
£}arnacf, Wefen b. Cfyriftentums. 9
130
Um iBpt abjumeBjren unb 311 beftegen, B]at fte einen teuren preis 3aB]len
müffen; faft fanrt man fagen: „Victi victoribus legem dederunt.“
Den Dualismus unb ben afuten Hellenismus B]at fie abgemeBjrt;
aber inbem fie eine ( 5 emeinfd]aft mit einer ausgefüBjrten CeBfre,
einem beftimmten äußeren Kultus 2C, mürbe, naB]tn fie notgebrungen
formen ,an, bie jenen analog marett, bie fie bei ben (Enoftifern
bekämpfte* VTian tritt in bas Schema bes (Segners über, wenn
man ftücfmeife feinen CBjefen anbere entge^enfeßt! Unb mieniel
non iBjrer urfprünglicfyen 5 reiB]eit B]at fie eingebüßt! 3 eßt mußte
fie erflären: Du bift fein CBjrift, bu fannft überhaupt nid)t in Be*
3ieB]ung 3U (8ott treten, wenn bu nicfyt allem 3unor biefe CeBjren an*
erfannt, jenen ®rbnungert ( 5 eB]orfam geleiftet unb beftimmte Per*
mittlungen auf gejuckt Haft* Und] foE feiner irgenb ein religiöfes
Erlebnis für legitim galten, bas nid]t non ber richtigen CeB^re
approbiert unb non ben prieftern gutgeB^eißen ift* (Einen anbern
U)eg, anbere Ulittel fanb bie Kircfye itid]t, um ftd] gegen ben
(Snofticismus 3U behaupten, unb was 3um Schüße nad] außen feft*
geftellt morben mar, mürbe 3um paEabiunt, ja 3um ^unbamente
im 3 nnern* (ßemiß, biefe gan3e (Entmicflung märe maB]rfd]eirtlid]
aud] ofyte jenen Kampf eingetreten — bie beiben non uns an
erfter SteEe befprodjenen (Elemente hätten fie aud] B]erbeigefüB]rf—,
aber baß fie fo rapib eintrat unb ftd] fo fid]er, ja brafonifd]
ausgeftaltete, ift eine 5 olge bes Kampfes, in meldjent es ftd] um
bie (E£iften3 ber überlieferten Heligion geBjanbelt B]at* <San3 ab3U*
meifen aber ift bie oberf!äd)lid]e Uleinung, baß ber perfönlid]e
(EB]rgei3(Einiger bie( 5 efeßlid]feit unb bas ganseprieftermefen begrünbet
B]abe* Bereits bas Uusftrömen bes urfprünglid]en, lebenbigen
(Elements erflärt iB]r Uuffommen B]inreid]enb* La mediocrite fonda
Tautorite. U)er bie Heligion nur als Sitte unb ( 5 eB]orfant fennt,
ber fd]afft ben‘priefter, um einen mefentlid]en Ceil ber Derpflid]tungen,
bie er füB]lt, auf iBpt ablaben 3U fönnen; er fd]afft aud] bas (Sefeß,
benn ein (Sefeß ift ben falben bequemer als ein (Enangelium.
Die 2 Kontente, meld]e bie große BDanblung B]erbeigefüB]rt
B]abett, B]aben mir 3U ff gieren nerfud]t* (Es erübrigt uns noch,
bie 3tneite 5 rage 3U beantmorten: f^at ftd? bas (Enangelium unter
biefem U)ed]fel ber Dinge beB]auptet, be3tn* mie B]at es ftd?
beB]auptet? Daß es unter gatt3 neue DerB]ältniffe getreten ift, ift be*
reits offenbar; mir merbett fie aber nod] genauer fernten lernen müffen*
©orlBfung.
U)er bie innere Cage ber £fyriftenE}eit am Anfang bes britten
3 aEjrE)unberts mit ber oergleidit, in ber fie fid }*\20 3 aE)re 3Ut>or
befunben Ejat, mirb non fonträren ©npftnbungen unb UrteiEen be*
megt ©nerfeits ftefyt er bemunbernb t>or ber fraftootten Ceiftung,
bie fid} in ber Schöpfung ber XatEjolifdjen Kircfye ’barftellt, bemun*
bernb aud? nor ber Energie, mit ber fid) biefe Kird)e nad? allen
Seiten ausgebaut unb betätigt Ejat, anbererfeits nermi^t er mit
{Teilnahme fo nieles Unmittelbare, 5 reie, aber innerlich (Sebunbene,
mas bie ältefte <§eit befaß* © muß banfbar fonftatieren, baß
biefe Kirche atle Derfudje, bie cfyrifttidje Heligion einfad} in bie
geitnorfteHungen 3erfließen 3U laffen, abgemefyrt unb baß fie ficE}
‘miber bie „afute bfelEenifterung" gefd}üßt E}at; aber er fann bod}
nid}t »ernennen, baß fie einen E}oE}en preis für iE}re SelbftbeEjaup*
tung be5aE|Een mußte. U)ir motten bie Peränberung, bie ftd} an
iE>r noEl3ogen E}at unb bie mir fdjon berührt E}aben, nod} etmas
genauer feftjiellen:
\. 3 m Porbergrunb fteE}t bie (SefäEjrbung ber 5 reiE}eit unb
Selbftänbigfeit in ber Keligiou. Keiner foXI ftd} aEs <£E}rift, b. E}.
als ( 5 ottesfinb, fügten unb beurteilen bürfen, ber nid}t junor feine
religiöfe ©faE}rung unb ©fenntnis ber KontroEIe bes fird}Iid}en
Befenntniffes untermorfen E}at. Dem „Cßeiji" finb bie engften
Scfyranfen ge3ogen, unb es mirb iE}nt oerboten, 3U mirfen mo unb
mie er milt. 3 a nod} mefyr, ber ein3eEne foEE, befonbere 5äEEe ab*
geregnet, nid}t nur mit ber Unmünbigfeit unb bem fird}lid}en (Se*
E}orfam anfangen, er foll aud} nie gan3 münbig merbert, b. E}. er
foEE bie 2 lbE}ängigfeit t>on ber £eE}re, bem priefter, bem Kultus unb
9*
132
bem „Huch" niemals verlieren* Was mir noch fyeute fpe3iftfch s
fatholifche ^römmigfeit im ilnterfchieb uon eoangelifcher nennen,
s hat bamals feinen Urfprung genommen* Die Unmittelbarfeit ber
Religion hat einen Sprung befommen, unb bem einseinen ift W
außerorbentlich ferner gemalt, fte für fid? mieber her3uftellen*
2* Die afute ^ellenifierung mürbe abgemehrt, aber ber grie«
chtfch’Philofophifche (Eebanfe, baß bie malere Heligion in erfter Cinie
„ Cehre" fei unb 3mar Cehre, bie fich über ben gef amten Kreis bes
IDiffens erftrede, fanb immer mehr (Eingang in bie (Efyriftenljeit
(Es lag gemiß bartn ein Hemeis für bie innere Kraft ber chrift*
lieben Heligion, baß biefer (ßlaube „ber Sflauen unb alten XDeiber"
bie gan3e griechifche ( 5 ott 4 DeIt=philofophie an ficb 30g unb als
feinen eigenen 3nhalt umsufchmelsen unb mit ber prebigt von
3^fus (Ebnftus 3U oereinigen unternahm; aber eine Derfchiebung
bes (Erunbintereffes ber Heligion unb eine ungeheure Helaftung
mußten bie 5 oIge fein* Die 5 rage: „IDas muß ich tbun, baß ich
felig merbe", bie 34 us £h r iß U5 unb bie Upoftel noch feh r fürs 3U'
hcantxvoxten oermochten, erhielt nun eine fehr meitläufige Untmort,
unb mochten auch bie Caien noch mit für3eren Untmorten bebaut
merben — in bem Hcaße galten fte als bie Unoollfommenen, bie
auf ben (Sehorfam ben XDiffenben gegenüber angemiefen feien*
Die chriftliche Heligion hat fdjon bamals jene Hichtung auf ben
3ntelleftualismus erhalten, bie ihr in ber ^otgeseit geblieben ift*
Wenn fte ftch aber als ein „lang, breit ausgereeft Ding" barftellt,
als eine furnierige unb meitfchidjtige Cehre, fo ift fte nicht nur
belaftet, fonbern ihr (Ernft broht auch 3U fdjminben; biefer haftet
baran, baß bas erfchütternbe unb bas befeligenbe (Element unmittel*
bar 3ugänglich erhalten mirb* (ßemiß hat biefe Heligion ben tErieb
in ftch, ftch mit allen (Erfenntniffen unb mit bem gefamten geiftigen
Ceben auseinanber3ufeßen, aber menn bas, mas h^r gemonnen
mirb — uorausgefe^t felbft, es entfprädje ftets ber EDirflichfeit unb
Wahrheit —, für gleich oerbittblich gilt mie bie eoangelifche Hot*
fchaft ober gar für ihre Dorausfeßung, fo leibet bie Heligion
Schaben* Diefer Schabe ift bereits am Unfang bes 3 * 3 ah^hmi*
berts unoerfennbar*
3 * Das Kirchen in fft tut erhielt einen befonberen, felbftänbigen
XDert; es mürbe 3U einer religiöfencSröße* Urfprünglich lebig*
lid? Uusgeftaltung ber Hrubergemeinbe, Stätte unb £orm für bie
genteinfame (Eottesoerehrung, unb geheimnisoolle Ubfchattung ber
133
himmlifchen Kirche, mürbe es nun als 3nftitut 3U etwas Unum¬
gänglichem in bcr Heligiom 3 » &iefes 3 nftitut, fo lehrte man,
hat bcr (Seift cEB^rifti alles fyneingelegt, mas ber cinselne bcbarf;
er ift beshatb nietet nur in ber Oebe, fonbern auch im (Stauben-
gan3 an basfelbe gebunben; ber (Seift mirft nur t^ier, unb alle feine
(Snabengaben finb bat^er nur B|ier 3U ftnbem Paß in ber Hegel
ber ein3elne Ct^rift, ber fich nid?t bem firchlichctt 3^ftitut unter-
orbnete, ins ^cibcntum 3urücfftcl, in fchlimme 3 rr ^ rcn geriet ober
unjtülicfy mürbe, mar freitict? eine Ct|atfad]c* Sie Blatte im gufamnten-
hang mit bem Kampf gegen bie (Snoftifer bie. XPirfung, baß jenes
3 nftitut~fgmt allen feinen (Einrichtungen unb formen mettf unb mehr
mit ber „Hraut cEB^rifti /y , bem „magren 3 ^rufalem // in f* m* ibenti-
fixiert mürbe unb fich bemgemäß felbft als bie unantaftbare Schöp¬
fung (Sottcs unb als bie irreformable Knftalt bes heilen (Seiftes
proflamierte. folgerecht begann es, alle feine Knorbnungen für
gleich heilig aus3ugebem VOe Iche Hclaftung bie bcr Hcli-
gion baburch erlitt, braucht nicht ausgeführt 3U merbem
^ (Enblich — es ift im 3meiten 3 a h r fy un ^t bas (Evangelium
nicht mit berfeiben Kraft mie im erften als frohe Hotfchaft ver-
fünbet morbem Pie (Srünbe bafür finb mannigfacher Krt ge-
mefen, teils mar bas eigene (Erlebnis nicht fo ftarf, mie es ein
paulus unb mie es ber Perfaffer bes inerten (Evangeliums em-
pfunben h^t, teils blieb bie vorherrfd]enbe eschatologifche (Ermartung,
bie jene Cehrer burch eine tiefere prebigt befdjränft hätte™/ burch-
fchlagenb. furcht unb Hoffnung treten in bem Chnfümtum
bes 3mcitcn 3 a h r ^ un kerts ftärfer h^ üor ctls bei Paulus, unb nur
fcheinbar ftet)t jenes bamit ben Sprühen 3 ef u näher als biefcs;
benn in ber Perfünbigung 34 u ' x % ^ WIV 9 e feh ß ™ haben, bie
prebigt von (Sott als bem Pater bas fjauptftücf* Pas ift aber,
mie Hötm 8 bemeift, eben bie (Erfenntnis, bie paulus in feiner Per¬
fünbigung vom (Slauben 311m Kusbrucf gebracht h a ^ 3 n ^ ßm nun
in bem Ehriftentum bes 3meiten 3 a h r ^ un ^ er t 5 furcht einen
größeren Spielraum erhielt — unb biefer Spielraum ermeiterte fich,
je mehr fich bie urfprüngliche Cebenbigfeit abftumpfte unb bie
IPeltförmigfeit ftärfer um fich griff —, mürbe bie (Ethif unfreier,
gef etlicher unb rigoriftifcher* Per Higorismus ift ja ftets bie Kehr¬
feite ber IPeltlichfeiü Pa es aber unmöglich erfchicn, eine rigo-
riftifche (Ethif allen 3U3umuten, fo ftellte fich fd)on in bem merbenben
Katholi3ismus bie Hnterfcheibung einer vollfommenen unb einer
134
eben noch ausreidjenben SittlidjFeit eilt. Dag bie iDurselit biefcr
Hnterfcheibung noch weiter surüdreichen, Fann hier auf ftch beruhen
bleiben; verhängnisvoll ift fie erft gegen Enbe bes jtneiten 3 alir=
hunberts geworben. 2lus ber Hot geboren unb 3m: Cugenb ge=
mad)t, würbe fie halb fo wichtig, bag bie Erifteuj bes Chriftentums
als Fatholifcher Kircbe non ibr abhing. Die EinheitlichFeit bes d)rift-
licken 3beals würbe burch fie verwirrt unb eine quantitative He=
trad)tung ber fittlichen Ceiftung nabe gefegt, bie bas «Evangelium
nicht Fennt. lüolil unterfebeibet es ftarFen unb fdjwacben (Blauben
unb grögere unb geringere fittlidje Ceiftung, aber ber (Seringfte im
Heidje (Sottes Fann in feiner 21 rt vollFommen fein.
3n biefen HTomenten 3ufammen ftnb bie wefentfidjen Deränbe*
rungen bejeichnet, welche bie chriftliche Heligion bis sum Anfang
bes britten 3ahrhunberts erlebt bett unb burd? welche fte mobiftjiert
worben ift. Bat fid? bas «Evangelium bennoch behauptet, unb wie
lagt fid) bas Fonftatieren? Hun, man vermag auf eine ganje Heilie
von HrFunben su verweifen, bie, foweit gefchriebenes JDort ein geug*
nis vom inneren, wahrhaft chriftlichen £eben ablegen Fann, biefes
aufs reinfte unb in ergreifettber IDeife beFunben. 3 n ZtTärtvreraFten
wie bie ber perpetua unb Felicitas, ober in (Bemeinbebriefen wie
ber von Cyon nach Kleinafien, fprid?t fid; ber chriftliche (ßlaube
unb bie Kraft unb Zartheit ber fittlidien Empfinbung fo herrlich
aus wie nur in ben Cagen ber (Srunblegung; alles bas aber, was
barin fid? in ber äugeren 2 fusgeftaltung ber Kirche vollzogen hat, Fommt
gar nicht 3um Kusbrud. Der H)eg 3U (Sott ift ftcher gefunben,
unb bie Einfalt bes inneren Cebens erfcheint nicht verwirrt ober
belaftet. nehmen wir ferner einen SchriftfteHer wie ben chriftlichen
Heligionsphilofophen Clemens Klejattbrinus, ber um b. 3. 200
gelebt hat. 21 n feinen Schriften empfinben wir noch jegt: biefer
(Belehrte — obgleich gan3 eingetaucht in SpeFutationen unb als
DenFer bie chriftlidie Keligion in ein uferlofes KTeer von „Cegren"
verwanbelnb, hfeHene bis in bie legte fafer — hat bocf; an bem
Evangelium Triebe unb 5 rcube gewonnen, unb er vermag auch aus*
Siifprechen, was er gewonuen hat, unb Fann 3eugen von ber Kraft
bes lebenbigen (Sottes. Er erfdieint als ein neuer KTenfd? unb ift
burd) ade philofophie, burd? 2 lutorität unb 5 peFuIation, burd] bie
ganäe äugere Heligion hinburchgebrungen 3ur herrlichen Freiheit ber
Kinber (Sottes. 2 llles, fein DorfeI?ungsglaube, fein (Slaub’e an
Chriftus, feine 5 reit?eitslehre, feine EthiF, ift in JDorten ausgebrüdt,
135
bie ben (Sriedien jeigen, unb alles ift bod? neu unb wahrhaft chriftlidf
Uergleicht man ifyt aber weiter mit einem £briften dattj attberenSdllages,
nämlich mit feinem geitgenoffen tEertuHian, fo ift leicht 3m jeigen:
was ihnen in ber Religion gemeinfant ift, ift bas, was
fie am <£rangelium .erfahren haben, ja ift bas <£rangelium
fetb ft. Unb trenn man CcrtuHian’s Auslegung bes Daterunfer lieft
unb überbenft, fo erfennt man, baff biefer heißblütige Kfrifaner, biefer
ftrenge Keßerbeftreiter, biefer erbii(offene Vertreter ber „auctoritas“
unb „ratio“, biefer redjtljaberifcbc Kbrofat, biefer Kirchenmann unb
(Enthujxaft 5ugleich — bod) ein tiefes (Scfülil für bie £)auptfache im
<£rangelium unb aud) eine gute <£rfenntnis bcsfelben befeffen hat.
Diefe altfatljolifdje Kird?c liat bas (Srangelium mabrlid) noch nicht
erbrüdt!
Weiter, fie hat aud) nod; ben entfeheibenben (Sebanfcn, baß
fid) bie d)tiftlid)e (Scnteinfchaft als werftf)ätiger 23 ruberbunb bar«
ftellen ntüffe, in (Kraft erhalten unb in einer bie folgenbcn (Seite«
rationen in ber Kirche bcfchämenben Weife 3um Kusbrucf gebracht.
<2nblid), barüber fann fein gweifet fein, unb ein fo wahr«
beitslicbenber Wann wie (Urigenes beftätigt es uns, aber auch
heibnifdje SdjriftfteHcr, wie Cucian, be3eugcn es: bie £)°ff nun 9
eines ewigen Ccbens, bas rolle Vertrauen auf Ctjriftus, (Dpfcr--
willigfcit unb Sittenreinfjeit, troß aller 5d]träten, bie aud^'tjier
nicht fehlten, waren nod; immer bie w irfliehen Werfmale biefes
23 unbes. (Urigenes fann feine Ijcibnifdjen (Segnet aufforbern, fie
mögen bod) irgenb eine Stabtgemeinbe mit einer Ctjriftengemeinbe
Dergleichen unb urteilen,' wo bie größere fittlidie Cüdjtigfeit 3U finben
ift. (Sewiß, um biefc Heligion hatten ftd) bereits eine Schale unb
ein Wantet gebilbet; es war fdjwerer geworben, su ihr fclbft burch«
3ubringen unb ben Kern 3U erfaffen; fie hatte aud) manches non
ihrem urfprünglichen £eben cingebüßt. Über bie (Saben unb 2 luf«
gaben bes <£rangeliums würben noch immer in Kraft erhalten, unb
ber Kufbau, ben bie Kirche , um biefe ge3immert hatte, biente bod)
aud) Wanchem als Stufen, auf benen er 3ur Sache felbft gelangte. —
Wir gehen weiter unb betrachten nun
W\t tfjrtJIIirfjE IMigimt im gmdjifrfjErt Kaffmltjtetmt«.
3 d) muß Sie aufforbern, fofort mit mir um riete 3 ahrf)unberte
hinunte^ufteigen unb bie griechifdje Kirdie 3U betrad)ten, wie
136
fic heute ift unb mie fie fid) fd)on feit mehr als einem 3ahrtaufenb
mefentlid) unocränbcrt behauptet. Xüir feigen 3mifd)en bem britten
unb bem neun3el)nten 3 aljrhunbert in ber Kird)engefd)id)te bes
©rients ttirgenbmo einen tiefen <£infd)nitt. (Eben beslialb bitrfen
mir unfern Stanbort in ber (Segenmart nehmen. H?ir ftcllen aber
mieberum folgenbe brei fragen:
Was Ejat biefer gried)ifd)e Katholizismus geleiftet?
IDoburd) ift er djaraJtcrificrt?
lüie ift bas (Enangeliunt in ihm mobifoiert morben, unb mie
hat es fid) behauptet?
Was hat tiefer gried)ifd)e Katlnolijismus geleiftet? HTan
barf t)ier auf ein doppeltes ucrmeifen: (Erftlid), er hat in bem
großen (ßcbieto, meldjes er einnimmt, in ben £änbern bes öftlidjen
HTittelmeers unb hinauf bis ans (Eismeer, bem ffeibentunt unb bem
Polytheismus überhaupt ein <£nbc gemacht, ©er entfdjeibenbc
5 ieg hat ftd) uont 3 , bis 3um 6. 3 al)rhuwbcrt uolljogen unb fo
uoIl3ogen, baß bie (Sötter (Sricd)cnlanbs mirflid) untergegangen finb,
fang» unb flanglos untergegangen. Hid)t in einer großen Kata»
ftrophe, fonbern ohne einen erheblichen lüiberftanb 3U leiften, finb
fte an «Entfräftung geftorben. ©aß fie einen beträchtlichen Ceil
ihrer Kraft oorher ben fir'chlidjen fjciligen abgegeben haben, mag
hier nur angebeutet fein. ■ 2 Ttit ben (Söttern, unb bas roilt mehr
fdgen, ift aber aud) ber Heuplatonismus, bie leßte große Ifer»
oorbringung bes gric<hif<hen philofophifchen (Seiftcs, iibermunben
morben. ©ie fird)Iid)c Heligionsplfitofophie ermics fid) ftärfer als
biefe. ©er Sieg über ben ffeüenismus ift eine (Broßthat ber
öftlichen Kirche, uon ber fie nod; immer gehrt, gmeitens, biefe
Kirdje hat es Perftanben, fid) mit ben einzelnen ©ölfern, bie fie in
fid) hineingejogen hat, fo 3U »erfchmehen, baß ihnen Heligion unb
Kirche 3U nationalen pallabien gemorben finb, ja 3U ben paüabicn.
(Sehen Sie / 3U ben (Sried;en, 3U ben Hüffen, 3U ben Armeniern ec. —
überaQ merben -Sic finben, baß Kirche unb Polfsfum nicht su trennen
finb, unb baß bas eine (Element nur in unb mit bem anberen ejiftiert.
5ür ihre Kirche taffen ftd) bie Angehörigen biefer Hationen, menn es
fein muß, in Stüde hauen, ©as ift nicht nur bie .folge bes ©rüdes ber
feinblichen HIad)t bes 3 slam; aud) bei ben Hüffen, bie bod) nicht
unter biefem ©rüde flehen, ift es nicht anbers. Wk innig unb feft
bas ©erhälfnis 3mifchen Kirche unb ©olf bei ihnen ift, troß ber „Selten",
meld)e auch hier nicht fehlen, lehrt nicht etma nur bie mosfomitifd)e
137
preffe; man muß — um ein Beifpiel heraus3ugreifen — bie „Dorf*
gefehlten" Colftoi’s Iefen, um fich bavon 3U über3eugen. XDahr*
haft ergreifenb tritt bem Cefer ^ier entgegen, mie tief bie Kirche
mit ihrer prebigt t>om (Ewigen, non ber Selbftaufopferung, bem
2 Tcitleiben unb ber Briiberlich.feit in bie Dolfsfeele eingebrungen ift.
Die niebrige Stufe, auf meiner ber Klerus ftefyt, unb bie ZHiß*
achtung, mit ber ihm vielfach begegnet wirb, bürfen barüber nicht
tauften, baß er als Bepräfentant ber Kirche eine unvergleichlich
fyofye Stellung einnimmt, unb bas 3 beal bes BTönchtums haftet tief
in ber Seele ber öftlichen Dölfer.
3n biefen beibett Momenten ift aber and? erfchöpft, was fich
über bie Ceiftungert biefer Kirche fagett läßt. IDemt ntan fyn3ü*
fügt, fie B^abe eine gewiffe Gilbung verbreitet, fo muß man fdjon
einen fehr geringen BTaßftab anlegen. Kuch ift ihr bem 3^lcxm
gegenüber bas nfcfyt mehr gelungen, was fte bem Polytheismus
gegenüber erreicht hat unb noch immer erreicht. Diefen überwinben
bie Bliffionen ber ruffifchen Kirche auch h^ c noch; an ben 3 ^l am
aber firtb große (Sebiete verloren -gegangen, unb bie Kirche h a *
nicht mieber erobert. Der 3 slam ift ftegreid} bis an bas abriatifche
BTeer unb nach Bosnien vorgebrungen; er hat 3ahlreiche albanefifche
unb flavifche Stämme, bie eirtft chriftlid) waren, für fich gewonnen.
<£r 3eigt fid? biefer Kirche gegenüber mirtbeftens gewachfen, wenn
auch nicht vergeffen werben barf, baß im h er 3 cn feines (Sebietes
djriftliche Nationen ihr Befenntnis feftgehalten l\abon.
2. IDoburch ift biefe Kirche charafterifiert? Die Kntwort ift
nid]t leidet; benn biefe Kirche ift, wie fie fich bem Befchauer barftellt,
ein h^chft fompli3iertes (Sebilbe. Die (Empftnbungen, bie Super*
ftitionen, bie (Erfenntniffe unb bie Kultusweisheit von 3<^h r h un berten,
ja von 3cth^taufenben finb in fie eingebaut. Kber weiter, wer biefe
Kirche von außen betrachtet mit ihrem Kultus, v ihrem feierlichen
Bitual, ber 5 ülle ihrer Zeremonien, ihren Beliquien, Bilbern, prieftern,
Blondiert unb ihrer Blyfterienweisheit, üitb fte bann einerfeits mit
ber Kirche bes 3^h r h un b^ts, anbererfeits mit ben h^lfentfchen
Kulten in ber §e\t bes Beuplatonismus vergleicht — ber muß ur*
teilen, baß fie nicht 3u jener, fonbern 3U biefen geB>ört. Sie er*
fcheint nicht als eine ehr ift lieh e Schöpfung mit einem
griechifchen (Einfchlag, fonbern als eine griechifche
Schöpfung mit einem chrtftlichen fiinfchlag. Die (Ehnfteit
bes erften 3cthrhunberts mürben fie ebenfo befämpft h a ^ n / f* c
<
138
bett Kultus ber RTagna RTater unb bes «geus Soter beBämpften,
5 ür urt3ä^Itge (Elemente irt biefer Kird^e, bie ebcttfo heilig erachtet
tucrbcrt wie bas Eoattgelium, giebt cs in bcm ältcftcn dfyrifteit-
fum nid?t einmal einen KnfaßpunBt, Rlit bem gan3ert Dolbqtg bes
J^auptgottesbienftes, ja felbft mit oielen bogmatifchert Ce^ren fteht es
fchließlid? nicht anbers: man ftreid?e einige tDorte, wie „(E^riftus^ 2c,
heraus, unb nichts erinnert mehr an bas Rrfprüngliche, Diefe
Kirche ift als (8 ef amt er fcheinung nach außen Iebiglid] eine
^ortfeßung ber griechifchen Religionsgefd]ichte hinter bem
fremben Einfluß bes (Efyriftentums, wie ja fo r>iel ^rernbes auf
fie cittgewirBt hat* R 7 an fönnte auch fagert: biefe Kirche ift als
äußere Kirche bas RaturprobuBt ber Berbirtbung bes felbft fdjon
orientalifch 3erfeßten (8riechentums mit ber chriftlicheit prebigt; fie
ift bas, tr>as bie (Befchichte auf „natürlichem" XDege aus einer
Religion macht, he$xx>. was fte 3wifcheit bem 3 , unb 6 ; 3 aB?rB?unbcrt
aus ihr machen mußte — in biefent Sinne ift fie natürliche
Religion, Unter biefent begriff Bann ein doppeltes uerftanben
werben: gewöhnlich uerfteht man unter ihm etwas Kbfttaftes,
nämlich frie Summe ber elementaren Empfhtbungen unb Vorgänge,
welche in aBBcn Religionen nachweisbar ftnb, Es ift inbes fraglich,
ob es fotdje giebt, be3W, ob fie fo beutlich unb feft ftnb, baß fie
3 ufammengefaßt werben Bonnen, Keffer gebraucht man bett Begriff
„natürliche Religion" für bas EnbprobuBt einer Religion, welches
entftanben ift, nachbetp bie „natürlichen" Kräfte ber (Befchichte ihr
Spiel an ihr beenbigt hfiben, Diefe ftnb überall im Ießten (Brunbe
bief eiben, wenn auch ,in ben Kuf3Ügen oerfchieben, unb fie bilbeit
[ich frie Religion, bis fie ihnen bequem liegt: ^eiliges, (Ehrfnrd7t^
gebietenbes unb bcrgleichen ftoßeit fie nicht aus, aber fie weifen
ihnen ben plaß unb ben Spielraum an, ben fie für ben richtigen
halten, unb fie tauchen alles in ein einheitliches RTebium, jenes
RTebium, welches wie bie Cuft bie erfte Bebingung ihrer „natür¬
lichen" Epiften3 ift, 3 a biefent Sinne nun ift bie griechifche Kirche
natürliche Religion: Bein prophet, Bein Reformator, Bein (Benins
hat in ihrer (Befdachte feit bem 3 , 3 ahrhmtbert ben natürlichen
Kblauf ber (Einbürgerung ber Religion in bie gemeine (Befchichte
geftört, Diefer Kblauf war im 6,3 a h^h un ^ ßr B beenbigt unb behauptete
ftch im 8, unb 9 * 3 ahrfjuitbert gegen ftarBe Angriffe fiegreich* Seit*
bem ift Ruhe eingetreten, unb ber bamals erreichte < 5 >uftanb ift nicht
wefentlich, ja nicht einmal unwefentlich mehr geänbert worben*
139
Kugenfcbeinlich haben bie Pölker, tvelche btcfcr Kirche angehören,
fcttbcrrt nichts erlebt, tvas fie ihnen unerträglich unb reform*
bebürftig erfcheinen liege* Sie verharren baher noch immer bei
biefer „natürlichen 7 ' Beligion bes 6* 3ahrh u nöctds*
Kber mit Bebacht habe ich son ber Kirche in ihrer äußeren
(Erfcheinung gefprochen, (Es gehört mit 3U ihrem kompilierten
Charakter, baß man aus bem Süßeren nicht einfach auf bas 3 nnere
[fließen kann* (Es genügt baher nicht, bic richtige Beobachtung
aus3ufpredjen, biefc Kirche gehöre in bie griechifche Beligionsge*
[deichte* Sie übt hoch XDirfungen aus, bie nicht leidet von hier
aus verftanben tverben können* £Pir muffen, um fie richtig 3U
tvürbigen, naher auf bie (Elemente eingehen, bie ftc charakterifieren*
guerft begegnen uns hier bie Crabition unb ber (Sehorfam
gegen fie* Das ^eilige, bas ( 5 öttlid]e ift nicht in freien XDir*
fungen vorhanben — tvelche (Einfchränkungen biefer Saß erleibet,
tverben mir fpäier fehen—, fonbern es ift aufgefpeichert in 5orm
eines ungeheuren Kapitals* Kus biefem Kapital ift alles 3U ent**
nehmen, unb es tvill genau fo ausgemün3t fein, tvie bie Pater es
ausgemün3t haben* (Einen getviffen Krtfaßpunft für biefen (Eebanfen
bietet -allerbings fdjon bie ältefte Seit* IPir lefen in ber Kpoftel*
gefd]id)te: „Sie blieben in ber Kpoftel Cehre*" XDas aber ift aus
biefer Übung unb Perpflichtung getvorben? (Erftlid], es ift alles
als „apoftolifch" be3eid?net tvorben, tvas fich im Caufe ber nächften
3 ahrhunberte fyiev angefeßt hat; ober vielmehr: tvas bie Kirche
nötig 3U haben glaubte, um fich ber gefchichtlichen Cage an3upaffen,
bas nannte fie apoftolifch, rveil fie ohne basfelbe nicht e^iftieren 3U
können meinte, ^ unb — tvas für bie (££iftcn3 ber Kirche nottvenbig
ift, muß eben apoftolifch fein* «gtveitens, es ift als unverbrüchliche
(Erkenntnis feftgeftellt tvorben, baß bas „Bleiben“ im Kpoftolifchen
fich in erfter Cinie auf bie pünktliche Befolgung aller rituellen
Kntveifungen be3ieht; bas fjeilige haftet an bem tPortlaut unb
ber 5 orm* Beibes ift nun burchaus antik gebacht* Daß bas
(Göttliche fo3ixfagen binglich aufgefpeichert ift, unb baß bie (Gottheit
vor allem bie pünktliche (Einhaltung eines Bituals verlangt, roar in
ber Kntike ber geläuftgfte unb fid?erfte (Eebanke. Die Crabition unb
bie Zeremonie finb bie Bebingungen, unter benen bas bjeilige allein
e^iftierte unb 3ugänglich rvar* (ßehorfam, Befpekt, pietät tvaren
bie rvid]tigften Beligionsempfinbungen; gerviß finb fie ber Beligion
unveräußerlich, aber nur als Begleiterfcheinungen einer lebenbigen
140
©mpfinbung gan3 andrer 2lrt haben ftc einen religiöfen IDert,
unb habet ift noch norausgefeßt, baß bas (Dbjeft ein miirbiges ift.
Der ©rabitionalismus unb ber mit ihr eng nerbunberte Hitualismus
charafterifieren bie griechifche Kirche in h^imorragenbem ZlTaße, aber
eben baraus geht fyvvov, mie fehr fie fich r>on bent ©mngeljum
entfernt hat*
Das 3 tr» e i t e Stüct, melches bie ©genart biefer Kirche be*
ftimmt, ift ber XDert, ben fie auf *bie ©rtbobo^ie legt, auf bie
richtige Cehre* Sie h<*t &iefe Cehre aufs genaueftc ausgebilbet unb
umfebrieben, unb fie b<*t fie oft genug 3um Schreden anbersgläu*
'biger ZHenfchen gemacht* Hur mer bie richtige Cebre h a */ ? ann
felig merben, mer fie nicht bat, ift aus3uftoßen unb foll aller Hechte
uerluftig geben; ift er ein Dolfsgenoffe, fo foH er mie ein Kusfäßigcr
bebanbelt merben unb jeben «gufammenhang mit feiner Hation
verlieren* Diefer 5 auatismus, ber auch fyv,te noch fykv unb bort
in ber griechif dien Kirche emporlobert unb prin3ipielt nicht auf ge*
geben ift, ift nicht griechifch — obgleich eine gemiffe Heigung nach
biefer Seite ben alten ©riechen nicht gefehlt h a * —> er ift noch
meniger römifd)*recbtlid^en Urfprungs; er ift vielmehr bas probutt
mehrerer 5aftoren, bie in unglücklicher Bereinigung auftraten* Zlls
bas römifd^e Heich cbriftlicb mürbe, mar ber fernere ©jriftenjtampf
ber Kirche mit ben ©noftifern noch nicht uergeffen; noch meniger
rnaren bie festen blutigen Derfolgungett ber Kirche uergeffen, bie
ber Staat in einer Krt non Ber3meiflung verhängt h^tte* Hereits
biefe beiben ZHomente erflären es, mie bie Stimmung, ein Hecht
auf Hepreffaliert $u l\db$n unb 3ugleich bie Häretiker unterbriideit
3U miiffen, in ber Kirche auffam* Hun aber trat noch an
Stelle bie orientalifdfe abfolutiftifche Zluffaffung uoit bem unbe*
fchräntten Hecht unb ber unbefchränkten Pflicht bes ^errfchers
feinen „Untertanen“ gegenüber feit Diotletian unb Konftantin
hinju* Das mar ja bas Berhängnisuolle bei bem großen Umfchmung
ber Dinge, baß ber römifche Kaifer bamals gleichseitig unb faft in
einem ZUoment chriftlicher Kaifer unb orientalifcher Defpot
gemorben ift* 3e gemiffenhafter er nun mar, befto intoleranter
mußte er fein; bettn ihm hat bie ©ottheit nicht nur bie Ceiber,
fonbern auch bie Seelen übergeben* So entftanb bie aggreffme unb
abforptine ©rthobo^ie bes Staats unb ber Kirdje ober vielmehr
ber Staats!irche; altteftamentliche Heifpiele, bie immer 3ur £janb
ftnb, uoHenbeten ben projeß unb gaben ihm bie ZDeihe*
141
Die 3 tttoIerart 5 tft etwas Heues auf bem Hoben ber (ßriecfyen
uitb fann ifynen nicfyt einfach 3ur Caft gelegt werben; aber wie
bie Cefyre ausgebilbet würbe, näntltcfy als große (Sott * tDelt * Pfyilo*
foppte, bas ift- unter ifyrem (Einfluß gefcfyefyen, unb baß bie Beligton
iiberEjaupt mit ber Cefyre gerabejü ibentifijiert worben ift, ift eben*
falls ein XDerf ifyres (Seiftes. Alle J^inweife auf bie <Hebeutung,
welche bie £efyre fcfyon im apoftoIifd)en Zeitalter befeffen Ejat, unb
auf bie Anfäfce, fie in fpefulatine 5 orm 3U bringen, genügen fyer
nid>i Sie finb nielmeEjr, wie id? in ben früheren Dorlefungen ge*
3eigt 3U Ejaben Ejoffe, anbers 3U nerfteEjen. Der 3tttelleftualismus
fyebt erft im 2. 3afyrfyunb.ert bei ben Apologeten an unb, unterftüfet
burd? ben Kampf gegen bie (Snoftifer unb burdj bie alejranbrinifcfyen
BeligionspEjilofopfyen ber Kirche, fefet er fiefy burdj*
(£s genügt aber nidjt, bie Cefyre ber griecfyifcfyen Kirdje nur
nadj ifyrer formalen Seite 3U würbigen unb 3U fonftatieren, in
welcher Art unb in welchem Umfang fie ftdj barftellt unb wie Ejodj
fie gewertet wirb* XDir müffen and] fad}Iidj auf fie eingefyen; ,benn
fie f befifet 3wei (Elemente, bie iEjr gan3 eigentümlich finb unb fie
non ber griechifdjen BeligionspE>ilofophie unterfcheiben — ben
S d|öpfungsgebanfen unb bie CeEjre non ber (Sottmenfchheit
bcs (Erlöfers. Von ihnen werben wir in ber nächften Dorlefung
hanbeln, ferner non ben beiben anberen (Elementen, welche bie
griechifd>e Kirche neben ber Crabition unb ber Cefyre charafterifteren
nämlid] bem Kultus unb bem UTöndrtum*
iüir E^aBcit bisher feftgefteEt, baß ber gried?ifd}e Katt^lijismus
als Seligion burd; zwei Elemente djaraftcrifiert ift, burcf) ben ©rabi*
tionalismus unb ben 3ntelleftualismus. 2^tact? bem Drabi»
ttonalismus ift bie pietcitsooEe unb jebe Heuerung abwclirenbc
Sewaljrung bes überlieferten (Erbes niefjt nur etwas XDidjtiges,
fonbern bereits bie Betätigung ber Seligion felbft. Das ift ganj
antif gebadet unb ift bem (Epangeliunt fremb; benn biefes weiß
fd)Iedjterbings nidjts bauern, baß an bie pietät gegen eine Übcr=
lieferung an fldj ber Berfefr mit ber (Soweit gebunben ift. Kber
audj bas zweite (Element, ber 3 nteHeftuaIismus, ift griedjifdjer fjer*
funfi Die Kusfpinnung bes (Euangeliums 3U einer großen (Sott*
EDelbpEjilofopEjie, in weiter alle benfbaren KTaterien beljanbclt
werben, bie Überzeugung, baß, weil bie djrijHidje Seligion bie ab.
folute ift, fie aucfi auf alle fragen ber ÜTetapEjvftf, Kosmologie unb
(Sefdßdjte Kusfunft geben muffe, bie Setraddung ber (Offenbarung
als einer unüberfefybaren ülenge pon Cebrevt unb Kuffdjlüffen, aEc
gleidj . heilig unb widrig — bas ift gried)ifd;er 3 nteEeftualismus.
SacE; iE;m ift ja bie «Erkenntnis bas bjödjfte, unb ber (Seift ift
nur (Seift als erlennenber: alles Üfttietifdje, <£tl)ifd)e unb Seligiöfe
muß umgefeßt werben in ein JDiffen, bem bann ber JDille unb bas
Ceben mit 3 id?erE>eit folgen werben. Die «Entwidlung bes djrift-
lid,en (Slaubens 3U einer aEes umfpannenben Dbeofopbie unb bie
3bevttifi3ierung pon (Slaube unb (Slaubenswiffen ift ein Beweis,
baß bie djriftlidje Seligion auf gried}ifd)em Boben in ben Sann*
Ireis ber bort Ejeimifd^en Sefigionspl|ilofop^ie cingetreten unb in
tm perblieben ift.
143
Uber innerhalb biefer großen (BotbXPelbphilofophie, bie als
„ 3 n^alt ber Pffettbarung" unb als „ortfyobo^e Cehre? einen abfo*
luten XPert befißt, finb es 3tvei Cleinertte, bie fie non ber fonft fo
vermattbtett griechifchen Ueligiortsphilofophie burchgreif enb unter*
fcheibett unb ihr einen gatt3 eigentümlichen (E^arafter verleihen,
3ch meine nicht bie Berufung auf Pffenbarung— benn auf (Dffett*
barung beriefen ftch auch bie XXeuplatonifer—, fonbern ben Schöp*
fungsgebanfert unb bie Cehre non ber (Bottmenfchh^it bes
Crlöfers, 5 ie burchbrechen bas Schema ber gried]ifd]en Heligiotts*
pfyilofopfyie an 3tvei entfcheibenben punftert unb finb baher and]
ftets t>on ben echten Pertretern berfelben als fremb unb unerträglidj
empfunben morben.
Über ben 5 d|öpfungsgebanfen fönnen mir uns Iur3 f affen,
Cr ift un3tx>eifelfyaft ein ebenfo mistiges mie beut Cvangelium ent*
fpred]enbes Clement, Purd] ihn ift bie Perffechtung von (Sott unb
XPelt aufgehoben unb bie XDirflidjfeit unb Kraft - bes lebenbigen
(Bottes 311m Uusbrud gebracht, &voa r haben auch bei d^rifllid^cit
Pertfern auf griechifehern 23 oben — eben meil fie (ßriechen maren —
bie Perfuche nicht gefehlt, bie (BottEjeit lebiglich als bie einheitliche
Kraft bes XPeltgefüges, als bie Cinheit in ber Pielheit unb als bas
Siel ber Pielheit 3U faffen. Sogar bie Kirchenlehre trägt fyutc
noch einige Spuren biefer Spefulation; aber ber Schöpfungsgebanfe
hat hoch triumphiert, unb bamit hat bie (Ehriftlichfeit einen mirflichett
Sieg erfochten.
Piel’fchmieriger ift es, über bie Cehre von ber (ßottmenfdjheit
bes Crlöfers ein richtiges Urteil 3U gemimten. Sie ift utt3meifelhaft
bas b}er3ftüd ber gan3en griechifchen Pogntatif, Port ihr aus ift
bie Crinitätslehre gemortnen, unb beibe 3ufammen bilben nach $rie*
djifcher Uuffaffung bie chriftliche Cehre in nuce, XPenn ein grie*
djifcher Kirchenvater einmal gefagt hat: r/Pie (Bottmenfchh^ü (bic
UTertfchmerburtg) ift bas Heue unter beut Ueuen, ja bas ein3ig Heue
unter ber Sonne-", fo hat er bamit nicht nur bas Urteil aller feiner
Konfeffionsgenoffen richtig miebergegebett, fonbern 3ugleich in tref*
fenber XPeife ihre XTüeinung ausgebrüdt, baß alle übrigen Stüde
ber Cehre ftch bei gefunben Sinnen unb ernftent Hadjbenfen von
felbft ergeben, biefes aber barüber hinaus liegt, Pie Cheologett
ber griechifchen Kirche finb bavon über3eugt, baß d?rift s
liehe (Slaubenslehre unb natürliche philofophie fich cigent*
J(id| nur baburch unterfcheiben, baß jene bie Cehre von
144
ber Sotimenfcfyfyett (unb ber ^Trinität) umfaßt Ejöchftens ber
Schöpfungsgebanfe fann baneben nod? in Betracht fommen*
3 ft bem fo, bann ift es non burchfdjlagenber Bebeutmtg, ben
Etrfprung, ben Sinn unb ben Wett jener Cetjre richtig ju f affen*
3 n ihrer Ausführung muß fie jebem, ber non ben (Evangelien B^er
an fie herantritt, gan3 frernb anmuten* Diefer (Einbrud dann auch
burch feine gefchidjtliche Beflepion übermunben merbeit — ber gan3e
Bau ber firchlicken (E^riftologie fte^t außerhalb ber fonfreten
perfönlichleit 34 u grifft —; aber gefchichtliche (Ermägungen
vermögen hoch nicht nur ihren Etrfprung 3U erflären, fonbern and] bis
311 einem getniffen (ßrabe bie Formulierung felbft 3U rechtfertigen*
Derfuchen mir es, uns bie l^auptpunfte flar 3U machen*
XPir haben in einer früheren Dorlefung gefehen, mie es ba3u
gefommen ift, baß ftd] bie firchlichen Cefyrer ben Begriff bes Cogos
enoählten, um bas XDefen unb bie tDürbe (Ehrifti fidler 3U ftelten*
Da ber Begriff „ZTCefjtas" für fie gan3 unverftänblich, alfo nichts*
fagenb mar, unb ba man Begriffe nicht 3U improvifieren nermag,
fo hatten fie nur bie XDahh entmeber ftch (Ehriftus als vergotteten
Alenfchen (alfo als Qeros) vor3uftelIen ober fein XDefen nach bem
Schema eines ber griechifchen (8ötter 3U benfen ober es mit bem
Cogos 3U ibentifoieren* Die beiben erften AlÖglichfeiten mußten
abgelehnt werben, bentt fie maren „heibnifch" ober erfchienen fo*
<Es blieb alfo ber Cogos* XDie 3wedmäßig biefe Formel nach vielen,
Seiten mar, haben mir bereits hervorgehoben — ließ fich hoch auch
ber Begriff ber (Sottesfohnfchaft unge3mungen mit ihr vereinigen,
ohne auf bie anstößigen Cheogonien 3U führen, unb ber BTono*
theismus fchien nicht gef ähr bet 3U fein —, aber bie Formel hatte
and? ihre eigene Cogif, unb biefe führte nicht 3U (Ergebniffen, bie
in jeber Ejinficht unbebenflich maren* Der Begriff bes Cogos mar
fehr verfchiebener Ausprägung fähig; trot$ feinem erhabenen 3^halt
lonnte er auch fo gefaßt merben, baß fein Cräger feinesmegs tvahr*
haft göttlichen XDefens fei, fonbern eine halbgöttliche Batur habe*
Die Frage nach bet näheren Beftimmung ber Batur bes Cogos*
(Ehriftus hätte nun in ber Kirche nicht bie ungeheure Bebeutung
erlangen fönnen, bie fie befommen hat, unb man hätte ftch bei
mannigfaltigen Spefulationen beruhigt, menn nicht gleid^eitig eine
fehr präsife Dorfteilung von ber (Erlöfung ben Sieg gemonnen unb
eine peremptorifche Forberung geftellt hätte* Unter allen ben mög*
liehen (Erlöfungsvorfteltungen — Dergebung ber Sdbulb, <Erlöfnng
145
aus ber Xfiadit ber Päntonen u» f» m» — trat nämlich im 5. 3(*h r *
hunbert biejenige fouoerän in ber Kirche tu beit. Porbergrunb,
u>elcf]e bie chriftliche (Erlöfuttg als (Erlöfuitg uont Cobe unb
kantit als (Erhebung 3U göttlichem Ceben, alfo als Per*
gottung, faßte» Piefe Porftellmtg fy** int (Euangeliunt 3mar einen
fieberen Knhaltspunft unb in ber paulinifchen Geologie eine Stüße;
in ber (Seftalt aber, in ber fie nun ausgebilbet mürbe, ift fie ihnen
fremb unb ift grieeffifeh gebacht: bie Sterblichfeit an fich gilt
als bas größte Übel unb als bie Urfache aller Übel, ber
( 5 iiter höchftes aber ift, emig 3U leben» XPie ftreng griechifch
bas gemeint ift, geht baraus heruor, baß \» bie (Erlöfung uom Cobe
gan3 realiftifd] als pharntafologifcher pro3eß oorgeftellt mürbe —
bie göttliche Statur muß einftrömen unb muß bie fterbliche Hatur
untbilben — unb baß 2» emiges Ceben unb Pergottung ibentifaiert
mürben» X^anbelt es fich aber um einen realen (Eingriff in bie
Konftitution ber mettfchlichen Statur unb um ihre Pergottung, fo
muß ber (Erlöfer felbft (Sott fein unb XHenfch merben» ££ur
unter biefer 23 ebingung ift bie ^h a: tfäci?ltchfeit bes munberbaren Por-
gangs uorftellbar» XPort, Cehre, ein3elne Chaten vermögen h* er
nichts — ober fann man burch Knprebigen einem Steine Ceben
geben, einen Sterblichen unfterblich machen? —; nur menn bas
(Söttliche felbft leibhaftig in bie Sterblichfeit eingeht, fann biefe trans-
formiert merben» Pas (Sörtliche aber, b. h* emiges Ceben, unb 5mar
fo, baß er es 3U übertragen oermag, h<*t nicht ber Ejeros, fonbern
nur (Sott felbft» Klfo muß ber Cogos (Sott felbft fein, unb er muß
mahrhaft IHenfch gemorben fein» 3f* liefen beiben Sebingungen
genügt, bann ift bie reale, naturhafte (Erlöfung, b» h* bk Pergottung
ber ZHenfchheit, mirflich gegeben» Pon h^r aus erflären fich bk
ungeheuren Streitigfeiten um bie Statur bes Cogos^cEhnßns, melche
mehrere 3 ahrhunberte angefüllt h a ^ ßn » Pon h^ r aus erflärt es
fich, marunt Kthanafius für bie Formel, ber Cogos-Chriftus fet
eines XPefens mit bem Pater, fo geftritten h<*f/ nls h a nble es fich
um Sein ober Hichtfein ber chriftlichen Heligion» Pon h^ cr aus
mirb es beutlich, marum anbere griechifche Kirchenlehrer febe (Se*
fährbung ber oollen (Einheit von (Söttlichem unb XTlenfetlichem in
bem (Erlöfer, jebe Porftellung einer bloß moralifchen Perbinbung
mie eine Kuflöfung bes (Ehriftentums betrachtet hüben» Sie h^bett
ihre Formeln burchgefeßt, bie für fie nichts meniger als fcholaftifche
begriffe maren, fonbern 23 efchreibung unb Sicherftellung eines Chat-
f?a'rna cf, lOefcn b. (Ehriftentums. 10
- 146
beftanbes, ohne melchen bie chriftliche Heligion fo ungenügenb märe,
rote alle anbeten. Die lehren r>on ber mefensgleidjen Crinität —
mie es 3ur CeEire t>om fjeiltgett (Seift gefommen i[t, mag fiter auf
fief; berufen — unb non ber (Sottmenfcfjfjeit bes <£rlöfers entfpredjen
genau ber eigentümlichen Dorfteilung r>on ber «Srldfung als einer
mefenfjaften Dergottung burdt Hnfterblichleit. ©fjne biefe Dorftellung
märe es niemals 3U jenen Formeln gefommen; aber fie ftefjcn unb
fallen auch mit ihr. Sie haben fich aber nicht burchgefeßt um ihrer
Derroanbtfchaft mit ber griechifchen pfnilofopbiic mitten, fonbertt int
(Segenfaß 3U ihr. Die griediifdie ptjilofophie hat nie gemagt unb
nie baratt gebacht, bem iDunfcße nach Unfterblidjfeit, ben fie fo
lebhaft empfanb, itt irgettbmie ähnlicher IDeife bureß „(Sefcßichtc"
unb Spelulation entgegen3ufommen. ( 5 anj mYtßologifcß unb aber»
gläubifch mußte fte es anmuten, einer gefcßichtlichen perfönlicßleit
unb ihrem <£rfd;eineu einen foteßen Eingriff in beit Kosmos bei»
3ulegen unb ihr eine Umtranblung bes ein für allemal (gegebenen
unb emig ^ließenben 3U5ufcßreiben. Das „allein Heue unter ber
Sonne" mußte ihr als bie fchlimmfte 5abel erfcheinett unb ift ihr
fo erfeßienett.
Die griechifche Kirche ift heute noch baoon überzeugt, in biefen
Ceßren bas tüefen bes (Eßriftentums als (Seßeimnis unb als ent»
ßütttes (Seßeimnis 3ugleich 3U befißen. DieKritif biefer Behauptung
ift nicht feßmer. Knerfannt fott merben, baß jene Sehren mächtig
ba3U beigetragen haben, bie chriftlicße Heligion nor bem gcrfließett
in bie griechifche Heligionspßilofopßie 3U feßüßen, ferner, baß
ber abfolute (Eßaratter biefer Heligion an ihnen einbrucfsoolt beut»
ließ mirb, meiter, baß fie ber griechifchen «SrlöfmtgsDorftettung mir!»
lid} entfprechen, enblicß, baß biefe Dorftellung felbft eine ihrer
JDurjeln im <£r>angelium hat. Kber barüber hinaus läßt ftch nkßts
anerf ernten; es ift vielmehr 3U fagen: bie Dorftellung oon ber
tfrrlöfung als Dergottung ber fterblicßen Hatur ift untercßriftlicß,
meil ihr fittliche ZTiomente im beften 5all nur angefügt
merben fönnen, 2. bie gaii3e Sehre ift unannehmbar, meil fie
mit bem 3efus (Eßriftus bes €uangeliums faum 3ufammenhängt,
unb ihre Formeln auf ihn nicht paffen; fie entfpricht alfo nicht
bem ZDirflicßen, 3 . fte führt, meil fie nur bureß unfießere 5 äben
mit bem mirflicßen (Lßriftus 3ufamtnenhängt, r>on ihm ab: fte erhält
nicht fein 23 ilb Icbenbig, fonbern fie verlangt, baß man biefes Dilb
lebiglich in angeblichen Dorausfeßungen erlernte, bie in
147
tfyeoretifdjen Säuert 3um Kusbrucf gebracht ftuDaß bte
XDirfurigen biefer Subftitution nicfyt fo fd?limnte urtb gruttbftür3enbe
finb, ift roefentlief? bte So Ige bat>ort, baß bie Kirdje bte <£t>angeltert
bo d\ nid}t unterbrächt B?at, urtb biefe fid] mit eingeborener Kraft
geltenb machen. KTan mag and? jugefte^ert, baß bie Dorfteßung non
bent menfdigemorbenert (Sott nid]t überaß nur mie ein beraufdjettbes
KTvfterium mirft, fonbern 3U ber beftimmten unb reirten Über3eu*
guttg: (Sott mar in (EBjrifins, überleiten fantt. Klart mag eitblid?
eirträumett, baß ber egoiftifcfye XDurtfd? ttad? unfterblidjer Dauer
innerhalb ber cfyriftlicfyen Sphäre eine fittlicfye Reinigung erfahren
mirb bnrd? bie SeBjnfucfyt, mit unb in (Sott 311 leben urtb
untrennbar mit feiner Ciebe nerbunben 3U bleiben. Kber aße biefe
gugeftänbniffe fönnett bie (Sinfidjt rticfyt megfdjaffett, baß in ber
gried]ifd]en Dogmatif bie nerB?ängnisnoßfte Derbirtbuttg gefcfyloffett
ift 3tr>ifd]en bent arttifen XDurtfcfye nad? unfterbliefern Ceben unb ber
d)riftlid]en Derfürtbigurtg. Kud? fanrt niernartb leugnen, baß biefe
Derbinbung, eingefteßt in bie griedfifdfe HeligiottspfyilofopBjie urtb
ib>ren 3 nteßeftualismus, 3U Formeln geführt B?at, bie unrichtig firtb,
einen erbacfyten (Efyriftus an Stefle bes mirflicfyen feßen unb außer*
bem ber Selbfttäufcfyung Haunt geben, baß man bie Sacfye fyabe,
mentt man nur bie richtige Formel b eftfee. Selbft menn bie cfyrifto*
logifcfye Formel bie tfyeologifd} 3utreffenbe märe — mie meit B>at
ftd? bie Kircfye nom (Snangelium entfernt, bie ba behauptet, mart
fönne 3U 34 ns (Efyriftus fein Derfyältnis gemittnen, ja mart ner*
fünbige ftdj an iB?m urtb merbe Bjittausgeftoßen, menn mart nicfyt
. aßent 3uoor arterfertne, baß fv eine perfort mit 3mei Naturen urtb
3tr>ei XDißertsertergieert, je einer göttlichen urtb einer menfcfylicfyen, ge*
mefen fei? 3 is 3U folcfyer 5 orberurtg B?at fid? ber 3 nteßeftualismus
ausgebilbet! Darf ba noch bas (Snangelium nont fananäifcfyen
EDeibe ober notn Ejauptntann 3U Kapernaum gelefen merben?
2Tcit bem Crabitiortalismus unb 3ttteßeftualismus ift aber noch
ein meiteres (Element uerbunben; bas ift ber Hitualismus. 5 teßt
jtdj bie Heligiort als eine überlieferte, meitfehichtige CeB^re bar, bie
nur menigen mirflich 3ugättglich ift, fo nerntag fie nur als EDeiBje bei
ber 2TüeB^r3aB^X ber (Släubigen praftifch 3U merben. Die CeBjre mirb
appli3iert in ftereotypen Formeln, bie non f^mbolifchett
Efanblungert begleitet finb. So lägt fie ftd? 3tnar nicht innerlich
nerftehett, aber es läßt fidj etmas (SeB^eimnisnoßes babei empftnbett.
10 *
148
y
(Eben bte Vergottung, toelche man non ber gufunft ermattet unb
bie an ftdr? etwas Hnbefd]reiblid]cs unb Uitfajjliches ift, mirb fd]on
jet^t mie ein Kugelt burd] iVeihehaublungen appl^iert* Die (Erre*
gung ber phantafie unb Stimmung ift bie Dispofition für ihren
(Empfang unb bie Steigerung jener (Erregung bas Siegel besfelben*
So empfinben es bie griechifd]*fatholifchen Cfyriften. Der Verfemt
mit (Sott poHsicfyt fid] burd] einen Büyfterienhxltus, burd] Ejunberte Port
Heineren unb größeren roirffamen^ormeln, Reichen, Bilbern unbXVeihe*
hanblungen, bie, trenn fic pünHIid] unb gehorfam beobad^tet merben,
göttliche (Snabe mittcilen unb auf bas etoige Ccben rorbereiten* Kud]
bie £ebre als folcbe bleibt rrefentlid] unbekannt: in liturgifdjen Sprühen
tritt fie allein in bie (Erfcheinutxg* 5 ür neununbneun5ig pro3ent biefer
(Ehriften ift bie Beligion nur als geremonienritual porhanben unb
in ibm peräußerlid]t* Kber auch für bie geiftig geförberten Cbriften
finb alle biefc XVeihehanblungen fd]led]thin notroenbig; beim bie
£ebre erhält nur in ihnen bie rechte Kmrenbung unb ben rechten
(Erfolg*
Bid]ts ift trauriger 3U fehen als biefe Umtranblung ber chrift*
liehen Beligion aus einem (Sottesbienft im (Seift unb in ber tVahr*
beit 3U einem (Sottesbienft ber Reichen, Formeln unb 3 bole! Blau
braucht gar nicht bis 3U beh religiös unb intellektuell pöllig per*
trahrloften (Sliebern biefer (Ehriftenheit, 3U Kopten unb Kbeffyniern
bcruntcr3ufteigen, um biefe EnttricHung fchaubernb 3U er fernen —
auch bei Syrern, (Sriechen unb Buffen fteht es im gan3en nur um
meniges beffer* £Vo aber ift in ber Verfünbigung 34 h aud] nur
eine Spur bapon 3U finben, baß man religiöfe XVeihen als
gebcimnispolle Kpplifationen über fid] ergeben laffen foll, ba§ man
ein Bitual pünftlid] befolgen, Silber aufftellen unb Sprüche unb
Formeln in porgefebriebener tVeife murmeln foll? Hm biefe Krt
pon Beligion auf5ulöfen, h a * fid] 3 efus (Ehriftus ans
Kreu3 fd]lagen laffen; nun ift fie unter feinem Barnen unb
feiner Autorität mieber auf gerichtet! Die „Hlyftagogie" ift nicht nur
neben bie „HTathefis" (bie Cebre) getreten, burd] treld]e fie ja
berporgerufen ift, fonbern in IVahrheit ift bie „CcBjre" — wie
fie aud] befd]affen fein mag, fie ift bod] ein geiftiges (Element —
in ben Boben gefunden, unb bie Zeremonie beberrfd]t alles* Damit
ift ber BüdPfaü in bie antife $orm ber Beligion nieberfter ©rbnung
be3eiebnet; ber Bitualismus b^t auf bem treiten Boben ber gried]ifd] s
orientalifeben (Ehriftenheit bie geiftige Beligion nahe3u erftieft* Sie
149
hat nicht nur etwas XDefentliches eingebüßt, nein fie ift auf ein
gan3 anberes Hmeau geratenste ift auf jene Stufe ^erabgebrücft,
auf ber ber Saß gilt: Heligion ift Kultus, nichts anböres»
Das griechifch*orientalifche (£B|riftentutn Birgt jeboch ein Gtement
in fich, bas 3 afyrl}unberte hinburch fähig gemefen ift, bent t>er*
bünbeten Crabitionalismus, 3ntetteftualismus unb Hitualismus einen
gemiffen XDiberftanb 3U leiften, ja ihn Bleute noch B^ie unb ba
leiftet — bas ift bas Hlönchtum. Der griechifche cEB>rift ant*
mortet auf bie 5 ^ge, mer Cfyrift im höchften Sinn bes tPortes
fei: ber HTönch* XDer fich int Sd]meigen übt unb im Heinfein,
mer nicht nur bie XDelt fließt, fonbern auch bie IDelttirdje, mer
nicht nur bie falfche CeBjre uermeibet, fonbern auch bas Heben
über bie richtige, u>er ba faftet, fontempliert unb unnerrücft märtet,
Bis feinem 2 Buge ber £idjtglan3 Gottes auf geht, mer nichts für
mertooll B^ält als bie Stille unb bas Had]benBen über bas Gmige,
mer 'nichts t>om Ceben oerlangt als beu Cob, mer aus folcher
oollfommenen SelbftBofigBeit unb Heinheit' HarmhersigBeit Terror*
quellen läßt — ber ift ber dfyrifL 5 ür ihn ift auch bie Kirche
nicht fd}Ied}tfyin notmenbig unb bie IDeiB^e, bie fie fpenbet. Die
gatt3e geheiligte IDeltlichBeit ift einem folchen entfchmunben. 3 n
biefen KsBetcn hat bie Kirche fort unb fort Grfcheinungen erlebt
non folcher Kraft unb Zartheit ber religiöfen Gntpfinbung, fo er*
füllt non bem Göttlichen, fo innerlich thätig, fich nach gemiffen
<§ügen bes Bilbes (Ehrifti 3U bilbett, baß man mohl fageit barf:
hier lebt bie Heligiort, unb fie ift bes Hamens (Eh*#* nicht Ults
mürbig. XDir proteftanten bürfen uns nicht fofort an ber 5ornt
bes Htönd)tums ftoßen* Die Hebingurtgen, unter benen urtfere
Kirche entftartben ift, h a ^ ßn uns ein h cr & e5 unb eirtfeitiges
Urteil über basfelbe auferlegt. Unb ob mir auch berechtigt fein
mögen, es für bie Gegenmart unb unfern Aufgaben gegenüber
feft3uhalten auf anbere Derbältniffe bürfen mir es nid>t ohne
meiteres anmenben. Gin Ferment unb ein Gegengemicht innerhalb
jener trabitionaliftifchen unb ritualiftifchen EDeltBird^e, mie es bie
griechifche Kirche gemefen ift unb noch ift, Bonnte nur bas Hüönch*
tum fein. Ejier mar ^rcih^tt, SelbftänbigBeit unb lebenbige (Erfahrung
möglich; behielt bie GrBenntnis ihr Hecht, baß in ber Heligion
nur bas Grlebte unb bas 3 nnerliche IDert t\at
2 lber — bie mertoolle Spannung, bie innerhalb biefes Geils
150
ber 3wifchen ber XBeltfirche unb bem HTönchtum beftanben
hat, ift Ieiber faft gatt3 uerfchwunben, unb bcr Segen, ben es
geftiftet ^at, ift faunt mehr 3U fpürem Bidjt nur bie IDeltfirche
hat fich bas Hlönchtum unterworfen unb es überall unter ihr goch
gebeugt, fonbern auch bie lüeltlichfeit ift in befotiberent ZHaße in
bie KBöfter einge3ogem 3 n ber Hegel finb bie gried}ifd)cn unb
orieittalifchen ZTEöncfye Bleute bie (Drgane für bie nieberften unb
fchlimmften jmnftionen ber Kirche, für ben Bilber* unb Beliquien*
bienft, ben fraffeften Aberglauben unb bie blöbefte gauberei*
Ausnahmen festen nicht, unb noch immer muß ftch bie Hoffnung
auf eine beffere gufunft an bie 2Tcöitche flamntern; aber ab3ufehen
ift nicht, wie einer Kirche Befferung werben foBI, bie, mag fte Beßren
was fte wiBB, ftch babei beruhigt, baß ihre HTitglieber gewiffe gere*
mottien richtig beobachten — bas ift ber chriftliche <31 aube —
unb bie haften richtig enthalten — bas ift bie chriftliche SittBichfeit
IDir fragen fchließBich: XDie ift bas (Eoangeliunt in biefer Kirche
mobiffoiert worben, uitb wie hd: es ftch behauptet? Butt 3unächft
habe ich feinen IBiberfpruch 3U erwarten, wenn idh antworte:
biefes offtgeBBe Kircherttum mit feinen priefterrt unb feinem KuBtus,
mit alten ben (Befaßen, Kleibern, ^eiligen, Bitbern unb Amuletten,
mit feiner ^aftenorbnung unb feinen heften B>at mit ber Heligiott
Chrifti gar nichts 3U thun. Vas aBBes ift aittife Heligiott, am
gefnüpft an einige Begriffe bes (Evangeliums, ober beffer, bas ift
bie antife Beligion, welche bas (Evangelium aufgefogeit h a B» Die
religiöfeit Stimmungen, bie fyev er3eugt werben, ober bie biefer
Art von Heligion entgegenfommen, finb unter chriftliche, fofern fte
überhaupt noch religiös genannt werben föttnen. Aber auch ber
Crabitionalismus unb bie „(Drthobo^ie" haben mit bem (Evangelium
wenig gemein; auch fte finb nicht von ihm her gewonnen ober von
ihm ab3uleitem Korrefte Cebre, pietät, (Sehorfant, Schauer ber
(Ehrfurcht fönnen wertvoBBe unb erhebenbe (Büter fein; fte vermögen
ben einzelnen 311 binben unb 3U 3ÜgeBn, 3umal wenn fte ihn in
bie eßemeinfehaft eines feften Kreifes hütein3iehen; aber mit bem
(Evangelium h a ^en fte fo Bange nichts 3U thun, aBs ber ein3elne
nicht bort gefaßt wirb, wo feine Freiheit Biegt unb bie innere (Ent*
fcheibung für ober wiber (Sott Dem gegenüber ift in bem VTiö.nd}*
tum, in bent (Entfdjluffe, (Bott burd] Asfefe unb Kontemplation 311
bienen, immerhin ein ungleich XDertvoBBeres enthalten, weil Sprüche
151
(Ojrtfti, fei es auch in einfeitiger unb befchränfter Kmnenbung,
bod] als Bid]tfchnur bienen unb bie 2TcögIid}feit, baß ftd] fclbfläu«
biges, inneres Ce Ben cntsünbct, fyer näher liegt
^icr näher liegt — fie fehlt, (Sott fei ®anf, auch in bem
oben (5el]äufe biefes Kirchentumes bod] nicht gan 3 , unb auch bie
SprücheyC^rifti [drallen an bas 0B)r ber Kird]enbefud]er, Über bie
Kirche als foldje trat ihrem gan 3 en Apparate läßt fid] nichts
(Sünftigeres fagen, als roas gefagt roorben ift: aber bas XDertnollfte
ift, baß fie, roenn auch in befcheibenem Klaße, bie
Kenntnis bes (Evangeliums aufrecht erhält Pas IDort
3 efu, wenn and] nur gemurmelt von ben prieftern, ftel]t and] in
biefer Kirche an oberfter 5telle, unb bie fülle Kliffion, bie es übt,
tuirb nicht unterbrüdt Ziehen bem gan 3 en gauberapparate unb
ber Überfd]tr>änglid]feit, bereu corpus mortuum bie geremonie ift,
fielen bie Sprüche 3efu; fic tverben gelefen unb vorgelefen, unb
bie Superfütion vermag it]re Kraft nicht aus 3 utilgen* T)ic
5 rud]t fann nicmanb verkennen, ber fyier etwas genauer
hineingefchaut l^at Kud] unter biefen Cl^riften, prieftern unb
Caien, finbet man folche, bie (5ott als ben Pater ber Barmhe^ig*
feit unb als bett Ceiter ihres Cebens fennen gelernt fyaben unb
bie 3 efum Cfyriftum lieb fyahen — nicht tveil fie ih(n als bie
geheimnisvolle perfon von 3 *vei Baturen fennen, fonbern tveil ein
Strahl feines IPefens aus bem (Evangelium in ifyr £]er 3 gebrungetx
unb biefer Strahl ihnen £id]t unb IPärme getvorben ift für bas
eigene Cebem Unb mag auch ber (ßebanfe ber väterlichen Por*
febung ( 5 ottes im (Drient leichter eine faft fataliftifche 5 orm an*
nehmen unb aÜ 3 U quictiftifd] tvirfen — baß er aud] fyier Kraft unb
Qtatlraft, ^elbftlofigfeit unb Ciebe verleiht, ift getviß. 3 d] brauche
nur tvieberum auf bie fd]on einmal citierten „Porfgefchichten"
Colftoi’s 3 U vertveifen, bie nicht erfünftelt ftnb; id] lann aber
aud] aus mancher eigenen Knfchauung unb Erfahrung beftätigen,
wie fid] felbft beim ruffifchen Bauern ober nieberen priefter troß
Bilber* unb l]eiligen*Pienft boeb aud] eine Kraft bes fd]lid|teu
(ßottvertrauens, eine gartheit ber fittlicben. Empfinbung unb eine
thatfräftige Bruberliebe ftnbet, bie ihren Urfprung aus bem Evangeliutxx
nicht verleugnet* IPo fie aber vorhatxbetx finb, ba fatxn felbft ber
gan 3 e geremotxieixbienft ber Beligiotx eine Pergeiftigung erfahren,
nicht burd] „Umbenfen ins Svmbolifche" — bas ift etxvas viel 3 U
Künftiges —, fonbern tveil fid] felbft am 3bol ber Sinn 3 .U bem
152
lebenbigcn (Sott ergeben fantt, wenn bie Seele überhaupt nur einmal
von ibm berührt ift.
<£s ift aber wahrlich nicht 3ufällig, baß, fofern fiel) überhaupt
felbftänbiges religiöfes Cebett auch bei beit (Slicbe'rn biefer Kirche
finbet, es fid? alsbalb in (Sottvertrauen, Demut, Selbftlofigfeit unb
23 arntt;er 3 igfeit äußert, unb 3ugleid) 3efus Cfjriftus mit (Ehrfurcht
erfaßt wirb; benn bas finb eben bie §üge, bie es offenbaren, baß
bas Evangelium noch nicht erftidt ift, unb baß es an jenen reib
gidfeit Cugenben feinen eigentlichen 3 nhalt bat.
Das Softem ber orientalifchen Kirchen ift als (Sanjes unb
in feiner Struftur etwas bem Evangelium frembes; es bebeutet
fotuohl eine wirflidic Cransformation ber chriftlidjen Religion als
auch bie fjerabbrücfuug ber 5römmigfeit auf ein uiel tieferes ZTiveau,
nämlich auf bgs antife. Kber in feinem KTöndjtum, fofern es nicht
ga »3 ber lüeltfirche unterworfen unb felbft verweltlicht ift, ift ein
(Element gegeben, welches ben galten Kirchenapparat auf eine
3weite Stufe herabfegt, unb in welchem bie KTöglichfeit, 3U chriftlidjer
Selbftänbigfeit 3U gelangen, offen fteht. Dor allem aber hat bie
Kirche, inbem fie bas Evangelium ntdit unterbrüdt hat, fonbern,
wenn auch in fümmertichem KTaße, 3ugänglid) erhält, bas Korreftiv
no $ immer in ihrer KTitte. Diefes Evangelium übt feine eigene
iüirfung in unb neben ber Kirche bei ei^eliten aus. Die K)ifc«
fung aber ftellt fid; in einem Cypus von ^römmigfeit bar, welcher
eben bie ( 5 )üge trägt, bie wir in ber Dcrfünbigung 3®fu als bie ent*
fdjeibenbften nachgewiefen haben. Somit ift bas «Evangelium auf
bicfem 23 oben nicht völlig untergegangen. KTenfchenfeelcn gewinnen
audj hier (Scbunbenheit unb Freiheit in (Sott, unb wenn fte fie
gefunben haben, fpredjen fie! bie Sprache, bie ein jeher Chrift ver*
fteht unb bie einem jeben (Ehriften 3U bjc^en geht.
i
I
Bfarpfjitfe ©orlB|ung.
Mt rijrtßlirfjE HEltgttm int röntifrfjBn Jtaifjßltjtsmu»
foD uns in ber heutigen Borlefuttg befdtäftigen*
T>ie röntifche Kirche ift bas umfaffenbfte unb gemaltigfte, bas
fomplijiertefte unb bod? am meiften einheitliche (ßebtlbe, meines bie
<5efchid?te, fomeit mir fte fernten, h^°^k ra d}t hat Klle Kräfte
bes tnenfdjlichen (Seiftes unb ber Seele unb alle elementaren Kräfte,
über melche bie Ktenfchheit nerfügt, haben an biefent Bau gebaut
Dev röntifche Kathol^ismus ift burch feine Pielfeitigfeit unb feinen
ftrengen <§ufammenfchlu§ bent griechifchen meit überlegen* XX>ir
fragen mifcberum:
Was hat bie röntifch-datholifche Kird|e geleiftet?
IDoburch ift fte charafterifiert?
IDelche ZHobififationen hat bas (Soangelium in ihr erlebt, unb
mas ift non ihm geblieben?
Was hat bie römifch’fatholifcbe Kirche geleiftet? Xlnn 3m
nächft — fte hat bie rontanifd^germanifchen Golfer erjogen unb
3tnar in einem anberen Sinn als bie öftliche Kirche bie (Sriechen,
Slanen unb ©rientalen* 2 Kag aud| bie urfprüngliche Knlage, mögen
elementare unb gefchichtlichc Berhältniffe jene Bölfer begünftigt unb
ihren Kufftieg mitbemirft habeit, bas Perbienft ber Kirche mirb
barutn nicht geringer* Sie hat ben jugenblichen Stationen bie chrift*
liehe Kultur gebracht, unb nid]t nur einmal gebracht, um fte bann
auf ber erften Stufe feft3uhalten — nein, fte hat ihnen etmas 5ort
bilbuttgsfähiges gefchenft, unb fte hat felbft biefett 5ortfchritt in
einem faft tauf enb jährigen geitraum geleitet Bis 3um \^* 3ahr=
huttbert ift fte 5ührerin unb ZHutter gemefen; fte hat bie 3^een
154
gebracht, bie Siele gefegt unb bie Kräfte entbunben* öis 3Utn
14 * 3 af]r^unbert — von ba ab fieht man, mic bie felbftänbig
merbett, bie fie erlogen h a h unb nun IDege einfchlagett, btc fie
nicht gemiefen h a * unb auf benen fie nicht folgen mill unb fann*
2 lber and] bann noch, in bent Seitraum ber lebten fed^shunbert
3 <*h**/ ift fie nicht fo 3urücfgeblieben mie bie gried]ifd|e Kirche.
Der ganseit politifd]en Belegung h^t fie fich, mit verhältnismäßig
furzen Unterbrechungen, voHfomnten gemachfert gc3eigt — mir in
Deutfchlanb [puren bas hmreichenb! — unb auch cm ber geiftigen
Nemegung nimmt fie noch immer einen bebeutenben Knteil* Sie
ift freilich längft nicht mehr bie ^ührerirt, im (Segenteil, fie hemmt;
aber gegenüber ben Fehlern unb Überführungen in ben 5 ortfdritten
ber KToberncit ift ihr £jemmen nicht immer ein ltnfegen*
Smeitens aber, biefe Kirche h a t in XDefteuropa ben (Sebanfen
ber Selbftänbigfeit ber Heligion unb ber Kirche aufrecht erhalten
gegenüber ben auch h^ nicht fehlenbett Kitfä^en 3ur Staatsomni*
poteiio auf geiftigent (Sebiet* 3 n ^er grie,chifchett Kirche h a t fich
bie Neligion, mic mir gefehlt buben, fo [ehr mit bem Dolfstum
unb bem Staat verfebmiftert, baß fie außer in bent Kultus unb ber
IPeltflucht feinen felbftänbigen Spielraum mehr befißt. 2 luf bent
Boben bes Kbenblanbes ift bas anbers; bas Heligiöfe unb bas mit
ibm verbunbene Sittliche h<*t fein fetbftänbiges (Sebiet unb läßt cs
[ich nid>t rauben* Das verbanfen mir vornehmlich ber römifchen
Kirdte*
3 n biefeit beibeit tEhatfadjen liegt bas michtigfte Stücf Krbeit
befdüoffen, mclchcs biefe Kirche geleiftet h a t unb 3unt Ceil noch
leiftet* Die Schranfe in 3 e 3 ug auf bie erfte hüben mir angegeben;
and] bie 3meitc bat eine empfinbliche Schranfe; mir merben fie im
Cauf unferer DarfteHung fennen lernen*
XDoburd] charafterifiert fich bie röntifche Kirche? Das mar
bie smeite 5 rage* Sehe ich recht, fo läßt fie ftdj, fo fontpl^iert fie
ift, hoch auf brei Ejauptelementc surüefführen* Das <§r ft e teilt fie
mit ber gricdfifchen Kirche; es ift ber Kathol^isntus* Das
3meite ift ber lateinifche (Seift unb bas in ber römifchen Kird]c
fich fortfefcenbe röntifchc IDeltretd]* Das britte ift ber (Seift
unb bie 5 römntigfeit Kugiiftin’s* Kuguftin hut bas innere Cebett
biefer Kirche, fofern es religiöfes Ceben unb religiöfes Denfert ift,
in ntaßgebenber XDeife bestimmt* Nicht nur in vielen Nachfolgern
155
v
ift er immer wieber aufs neue auf getreten, fonbern, non ihm er*
tvedt unb entjünbet, finb 3ahlreiche HTänner erfebenen, fetbftänbig
in ihrer 5*ömmigfcit unb Geologie unb hoch (Seift von feinem
(Seift.
X)iefe brei (Elemente, bas fatholifdje, bas latcinifche im Sinne
bes röntifchen XDeltreichs unb bas auguftinifche, fonftituieren bie
(Eigenart biefer Kirche.
Was bas erfte betrifft, fo mögen Sic feine Hebeutung baran
erfennen, baß bie römifche Kirche ^eute noch jebett griediifcheit
(E^riftcn ohne weiteres aufnimmt, ja fich, mit jeber gried]ifd]en
Kirchengemcinbe fdfort „uniert", fobalb fte nur ben papft aner*
fennt unb fich feiner apoftolifchen ©berfyofyeit unterwirft Was
man fonft noch non ben (Sriedjen verlangt, ift gan3 unbebeutenb; man
läßt ihnen fogar ben (Sottesbienft in ber Hlutterfprache unb bie
verheirateten priefter. Bebenft man, weiter „Heinigung" fich bie
Proteftanten unterwerfen muffen, bevor fie in ben Schoß ber röntifchen
Kirche aufgenommen werben fönnen, fo fpringt ber Unterfchieb in
bie Uugcn. Hun fann fich aber hoch eine Kirche nicht fo fehr
über fich felbft täufchen, baß fie bei ber Aufnahme neuer ZHit-
glieber, 3umal aus einer anbern Konfeffion, wefcntliche Hebingungen
außer acht ließe. Es muß atfo bas Element, welches bie römifchc
Kirche mit ber griechifchen teilt, ein fo bebeutenbes unb entfeb.ci*
benbes fein, baß es unter ber Porausfeßung ber Uncrfennung ber'
päpftlichen ©berhoheit ausreicht, um bie Union 3U ermöglichen.
3 n ber Chat finb bie Stüde, bie ben griechifchen Kathot^ismus bc*
ftmtmen, fämtlich auch in bem römifd]en 3U finben unb werben
von ihm unter Umftänben ebenfo energifch geltenb gemacht wie von
jenem, ©er ©rabitionalismus, bie ©rthobo^ie unb ber Hitualismus
fpielen h^r <$an3 biefelbe Holle wie bort, fofern nicht „höh^e Er*
wägungen yy eingreifen, unb von bem HTönchtum gilt bas nämliche.
Sofern nicht „höhere Erwägungen" eingreifen — bamit finb
wir bereits 3ur ^Betrachtung bes 3weiten Elements übergegangen,
nämlich bes lateinifchen (Seiftes im Sinne ber röntifchen K)cltherr*
fchaft. Sehr frühe fchon hat in ber abenblänbifchen Hälfte ber
Ehtiftenheit ber lateinifche (Seift, ber (Seift Hom’s, eigentümliche
Htobiftfationen bes allgemein Katholifchen bewirft. Schon feit bem
Unfang bes britten 3 ah^h un ^ cr i 5 fehert wir, baß bei ben latei*
nifchen Pätern ber (Sebanfe auffommt, bas f}eil — mag es wie
immer bewirft unb befdjaffen fein — werbe in 5atm eines'Per-
156
träges unter beftimmten Bebingungen unb nur nach Maßgabe
iB^rcr Beobachtung uerliehen, es fei „salus legitima“; in ber 5eft*
ftellung biefer^ Bebingungen habe bie (Sottheit ihre Barmher3igfeit
unb Bachficht belunbet, aber um fo eiferfüdjttger wache fie über
ihre Befolgung* ferner, ber ganje 0ffenbarungsinhalt ift „lex“,
bie Bibel fomohl als bie Erabition. IDeiter, biefe Crabition hängt
an einem Beamtenftanb unb an ber richtigen Succeffton biefer
Beamten. Die „Ulyfterien" aber ftnb „Saframente", b. h* einer*
feits ftnb fie oerpffichtenbe ^anblungen, anbererfeits enthalten fie
beftimntte (Snabenftüde in genau umfehrieberter 5 orm unb in. prä3i*
fierter Knmenbung. XDeiter, bie Bußbis3iplin ift ein rechtlich ge*
orbnetes Verfahren, welches ftch an bie pro3effe im «gitnlrecht unb
bei ber Beleibigungsflage anlehnt. Enblid], bie Kirche ift Hechts*
an ft alt; fie ift bas nid?t nur neben ihrer 5unftion, bas bjeil 3U
bewahren unb aus3ufpenben, fonbern um biefer'^unftion willen
ift fie Hechtsanftalt.
Hechtsanftalt aber ift fie als Der faßte Kirche. W'vc .muffen
uns über biefe Derfaffuitg fur3 orientieren; ihre (Srunblagen ftnb
ber öftltchen unb weftlichert Kirche genteinfemt. Hachbent ftch ber
mottarchifd^e Epiffopat entwickelt h a *te, begann bie Kirche ihre
Derfaffung an bie ftaatliche Kbntinift ratton ait3ulehnen. Der HTetro*
politanoerbanb, an beffen Spiße in ber Hegel ber Bifchof ber pro*
uin3ialhauptftabt ftanb, entfpradj ber pror>in3iaIeit (Einteilung bes
Beides. Darüber hinaus entwickelte ftch im 0 rient bie kirchliche
Derfaffung noch um eine weitere Stufe, htbem fie ftch' an bie biofle*
tianifdjc Beides einteilung, bie große (Sruppen von prot>in3en 3ufamnten*
faßte, anfehloß. So entftanb bie patriard^atsuerfaffung, bie feboch
nicht gatt3 ftreng burchgeführt unb burd] artbere Bückftchten teil*
weife burchfreu3t worben ift.
3 m Kbenblanb kam es nicht 3U einer Einteilung in patri*
ard^ate; bagegen trat etwas gan3 anberes ein: bas weftröntifche
Heid] ging im fünften 3 a h r h un kert an innerer Schroäche unb burd?
bie Einfälle ber Barbaren 3U (Srunbe. Was r>om Bömtfchert nach*
blieb, bas rettete ftd] in bie römifche Kirche — ber orthobo^e (Staube
gegenüber bem arianifchen, bie Kultur, bas Hecht* Sich 3um
römifd]en Kaifer auf 3U werfen unb in bas leer geworbene (Sehäufe
bes 3 mperiums eirt3U3iehert, bas wagten aber bie Barbarenhäupt*
linge nicht; fie grünbeten ihre eigenen Heiche in bert promten. Unter
biefen Umftänben erfdjien ber römifche Bifchof als ber X}üter ber
/
— 157 —
Bergangenheit uttb als ber Pjort ber gufuttft* Überall in beit r>on
beit Barbarett occupiertett promn^en — and? in folcheit, bie früher
ihre Selbftänbigfeit troßig gegenüber Hont behauptet ^atfen —
bltcfteit nun Bifchöfe uttb £aien auf ihn* Was Barbarett unb Krtaiter
itt ben promten att Hömifdiettt beftehett ließen — uttb es war nicht
weniges —, würbe uerfirchlicht uttb sugleich unter bett Schuß. bcs
römifchett Bifchofs geftellt, bes oornehntftett Homers, feit es einen
Kaifer nicht mehr gab* 3 n ^ om aber faßen im fünften 3aEp>
hunbert HTänner auf bent bifd]öf liehen Stuhl, bie bie Seichen ber
Seit uerftanben uttb ausnußtett* Unter ber l^anb fchob fich fo
bie röntifche Kirche att bie Stelle bes rötitifchen Welt*
reichs; itt ihr lebte biefes Heich thatfächlich fort; es ift nicht
untergegangen, fottbent hat ftch nur nerwattbelt* XBenn wir behaupten
— unb 3war noch für bie (Segettwart gültig —, bie röntifche Kirche fei
bas burch bas (Evangelium geweifte alte röntifche Heid), fo ift bas
feine „geiftreiche" Bemerkung, fonbent bie Knerfettnung eines gefchicht*
liehen Chatbeftanbes unb bie 3utreffenbfte unb. frud*tbarfte (Zfyaxat
teriftif biefer Kird]e* Sie regiert noch immer bie Pölfer; ihre päpfte
herrfchen wie (Erajatt uttb Ularf Kurei; an bie Stelle non Hontulus
unb Hemus jtnb petrus unb paulus getreten^ an bie Stelle ber
profonfuln bie £r3bifchöfe uttb Bifchöfe; ben Legionen entfprechen bie
Scharen von prieftern uttb HTönchen, ber faiferlichen Ceibwadje
bie 3 efuiten* Bis in bie Details hinein, bis 5U eiit3elnen Hechts*
orbnuttgen, ja bis 3U bett (Sewänbern läßt ftch bas ^ortwirfen bes
alten Heichs unb feiner^ 3 n f^ u ^ onen »erfolgen* 0 as ift feine Kirche
wie bie evangelifchen (Semeinfchaften ober wie bie Dolfsfirchen bes
0 rients, bas ift eine politifdje Schöpfung, fo großartig wie ein
IPeltreich, weil bie ^ortfeßung bes römifdjen Heid]s* 0 er papft,
ber ftch //König" nennt unb „Pontifex maximus“, ift ber Hachfolger
(£äfar r s* 0 ie Kirche, fchon im 3 * unb % 3 ahrh un ^ert 9 an 5 »ott
römifehern (Seift erfüllt, hat bas römifche Heich in ftch wieberher*
geftellt* 3 n allen Sah^hnnberten feit bent 7 * uttb 8* haben es
patriotifche Katholifen in Hom unb 3 talien nicht anbers verftanben*
Kls (Sregor VII. in ben Kampf mit bent Kaifertunt trat, feuerte ihn
ein italienifcher prälat alfo att:
Bintm bes erften Kpoftels Schmert,
petri glühenbes Schwert, 3ur f}anb!
Brich bie HTacht unb ben Hngeftüm
158
Per Barbaren: bas alte 3 od?
Cag fie tragen für immerdar!
Siel?’, tüte groß bie (Bemalt bes Banns:
IPas mit Strömen t>on Kriegerblut
(Eiitfttnals HTarius’ E?elbenmut
Unb bes 3 ultus Kraft erreicht,
IPirfft bu jet$t burd? ein letfes ffloxt
2Xom, von neuem burd? bid? erf?öf?t,
Bringt bir fd?ulbigen Panf; es bot
Bid?t ben Siegen bes Scipio,
Keiner £l?at ber Quiriten je
IPof?lt>erbienteren Krait3 als bir!
XPcr mtrb l?ier aitgerebet, ein Bifd?of ober ein Cäfar? 3 d?
benfe ein Cäfar ober r>ielntef?r ein priefterlid?er (Eäfar; fo mürbe es
etnpfunben, unb fo mirb es nod? f?eute empfunbem (Er bel?errfd?t
ein Heid? — alfo ift es and? ein Perfud? mit untauglichen XPaffen,
biefes Heid? blo§ mit bem Hüfoeug bogmatifd?er polemif an3ugreifen>
Pie urtgef?euren Konfequen^eri ber £f?atfad?e: bie fat£?olifd?e
Kird?e ift bas rön.nfd?e IPeltreid?, vermag id? f?ier nid?t bar3ulegen.
Hur ein paar Folgerungen, meld?e bie Kird?e felbft 3ief?t, feien an*
gefül?rt Piefer Kird?e ift es ebenfo mefentlid?, Hegierungs*
gemalt aus3uüben, mie bas (Evangelium 3U verfünbigetu
Pas „Christus vincit, Christus regnat, Christus triumphat“ ift
politifd? 3U verfielen: er I?errfd?t auf (Erben, inbern feine von Hont
geleitete. Kird?e f?errfd?t, unb 3mar burd? Hed?t unb (Bemalt, b, l?.
burd? alle bie 2 Tcittel, beren ftd? bie 5 taaton bebienen* (Es foll bal?er
and? feine F^ömmigfeit geben, bie ftd? nid?t allem 3ut>or biefer papft*
fird?e untermirft, von il?r approbiert mirb unb in ftetiger Kbf?ängig*
feit von il?r bleibt Piefe Kird?e lel?rt il?re „IXntevtfyanen" alfo
fpred?enf„XPenn id? alle (Bel?eimniffe mügte unb f?ätte allen (Blauben,
unb mentt id? alle meine ^abe ben Krmen gäbe unb liege meinen
Ceib brennen unb I?ätte bie (Einheit in ber Ciebe nid?t, bie allein
aus bem unbebingteit (ßel?orfam gegen bie Kird?e fliegt, fo f?ättc;
id? nid?ts/ 7 Klier (Slaube/ alle Ciebe, alle Cugenben, felbft bie
Hlartyriert ftnb augerf?alb ber Kird?e mertlos* Hatürlid? — aud?
ein irbifd?er Staat fd?ägt nur bie Perbienfte, bie man ftd? um il?n
159
felbft erroorben h<*t Diefer 5 taat aber ibentifoiert fid? mit bem
Jqimmelreid?; im übrigen oerfäB?rt er rote anbere Staaten auch»
Don B^ter aus mögen Sie felbft alle Hnfprüd?e ber Kird?e ableiten;
fte ergeben fid? oB?rte Sd?roierigfeit Kud? bas E^orbttantefte er»
fd?eint als bas Selbftoerftänblid?e, fobalb nur bie beiben 0 berfäße
richtig finb: „Die römtfd?e Kirche ift bas Heid? < 5 ottes", unb „bie
Kirche muß roie ein irbifd?er Staat regieren/ Daß auch d?riftlid?e
Hlotioe in biefe g'anje EntroidEIung mit hinein gefpielt haben —
ber XDille, bie d?riftlid?e Heligion toirflid? mit bem Ceben in Derbin»
bring 3U feßen unb alle DerB?ältniffe oon ihr burd?bringctt 3U taffen,
foroie bie Sorge um bas Jqeil ber ein^elnen unb ber Dölfer —, foIB
nicht geleugnet toerben* XDie oiele ernfte fatB?oltfd?e (Ehriften hüben
toirflid? nichts anberes getooEt, als bie b?errfd?aft Chrifti auf (Erben
auf^urichten unb fein Heid? 3U bauen! KEein fo geroiß fte burd?
biefe Hbftd?t unb bie (Energie ihrer Krbeit ben (5ried?en überlegen
geroefen finb, fo geroiß ift es ein fd?roeres Hcißoerftänbnis ber Kn»
roeifung £B?rifti unb 2lpofteI, bas Heid? (Sottes burd? politifd?e
HTittel h^beiführen unb bauen 3U rooEen* Diefes Heid? fennt feine
anberen Kräfte als religiöfe unb fittliche unb fteht auf bem Hoben
ber Freiheit* Die Kirche aber, bie roie ein irbifd?er Staat auftritt,
muß alle HTittel besfelben, alfo aud? oerfd?Iagene Diplomatie unb
(Eeroalt, braud?ett; benn ber irbifd?e Staat, felbft ber Hedjtsftaat,
muß unter Untfiänben 3um Hnred?tsftaat toerbert Die (Entroidtung,
bie bie Kirche als irbifd?er' Staat genommen B?ut, mußte fte bann
fotgered?t bis 3ur abfoluten HTonarchie bes papftes unb bis. 3ur
Unfehlbarfeit besfelben führen; benn bie HnfeB?lbarfeit bebeutet in
einer ir£>ifd?en CB?eofratie im (ßrunbe nid?ts anberes als bas, roas
bie ooEe Souoeränetät in bem IDeltftaate bebeutet Daß aber bie
Kirche oor biefer lebten Konfequett3 nid?t 3urücfgefd?redt ift, ift ein
Heroeis, in roetd?em Hlaße bas ^eilige'in ihr oerroeltlid?t ift
Daß nun biefes 3roeite (Element bie d?arafteriftifd?en <§üge bes
KathoIi3ismus im Kbenblanb — - ben tErabitionalismus, bie 0 rtB?o»
bo^ie, ben Hitualismus unb bas H 1 önd?tum — burchgreifenb ner»
änbern mußte, ift offenbar* Der Crabitionatismus gilt rtad? toie
vox ; roenn aber ein (Element in ihm unbequem geroorben ift, fo
fäEt es, unb ber XDiEe bes papftes tritt an bie SteEe: „la tradition
c’est moi“, foE pius IX. gefagt B?<*ben*. ferner bie „rechte £eB?re"
ift nod? immer ein Iqauptftücf; aber bie Kird?enpolitif bes papftes
permäg fie faftifd? 3U änbern; burd? fluge Diftinftionen h a * f°
160
manches Dogma einen anbern Sinn erhalten; and? neue Dogmen
tnerben aufgeftellt; bie Cehre ift in nieler ffinftcht arbiträr ge*
tnorben, unb eine ungefüge 5 ormeI in ber (Slaubenslehre fann burch
eine fonträre Knweifung in ber (Ethif unb im Beichtftuhl aufgehoben
werben» Überall fönnen bie feften Cirtien ber Dergangenheit 3U
fünften gegenwärtiger Bebürfniffe aufgelöft werben» Dasfelbe gilt
wie vom Hitualismus fo auch rom HTönchtum» 3<h fann h^
nictjt nacbweifen, in welchem HTaße, feineswegs immer nur 3U feinem
Bachteil, bas alte UTönchtünt fich kiev neränbert, ja fich in großen
(Erlernungen gerabesu in fein (Segenteil nerwanbelt h<*t» Diefe
Kirche befißt in ihrer ©rganifation eine 5 ähigfeit, fich bem ge*
fchi'd}tlid]en (Sang ber Dinge an3upaffen, wie feine anbere: fie bleibt
immer bie alte — ober erfcheint hoch fo — unb wirb immer neu»
Das britte (Element, welches ben (Seift biefer Kirche charaf*
teriftifd) beftimmt h<*h ift bent eben befprodjenen entgegengefeßt unb
hat fich bodj neben ihm behauptet: es ift burch bie Hamen
Kuguftin unb Kuguftinismus be3eignet» 3™ 5 » 3 öh* : h un ^ er ^
in berfeiben geit, in welker biefe Kirche fich anfchidte, bas röntifche
Heich 3U beerben, fyat fie einen religiöfen (Senius von außerorbent*
lieber Ciefe unb Kraft erlebt, ift auf feine (Empfinbungen unb 3 been
eingegangen unb nermag fie bis auf ben heutigen Cag nid^t ab*
3uftoßen» (Es ift bie wichtigfte unb wunberbarfte Chatfache in ihrer
(Sefchichte, baß fie gleichseitig cäfarifch unb auguftinifch geworben
ift, XPas ift bas aber für ein (Seift unb eine Hichtung gewefert,
bie fie burch Kuguftin empfangen h<*l?
Bun 3unäd]ft, Uuguftin’s 5 römmigfeit unb Cheologie
bebeuteten eine eigentümliche XDiebererwedung ber pau*
linifchen (Erfahrung unb Cehre von Sünbe unb (Snabe,
non Schulb unb Hed^tfertigung, non göttlicher präbefti*
nation unb menfd]lid)er Unfreiheit» XDährenb biefe (Erfah*
rung unb Cehre in ben nergangenen 3uh^h un ^^en nerloren ge*
gangen waren, erlebte Uuguftin in feinem 3 uneren bie (Erlebniffe
bes Upoftels paulus, brachte fie auf ähnliche H)eife wie biefer 3ur
Kusfprache unb faßte fie in beftimmte Begriffe» Don bloßer Bgch s
ahmung ift hter nicht bie Hebe — bie Unterfchiebe finb im ein3elnen
höd]ft bebeutenb, sumal in ber Uuffaffung ber Hechtfertigung, bie
fich für Kuguftin als ein ftetiger pro3eß barftellte, bis bie Ciebe
unb alle Cugenben bas ^er3 gan3 ausfüllen; aber wie bei
161
Paulus ift alles inbiuibuell erlebt unb alles innerlich gebad)t. JPeitn
Sie feine Konfefftonen lefen, fo »erben 5 ie troß aller Hhetorif, bie
nicht fehlt, erfennen, baff hier ein (Benins fpricbt, ber (Sott, ben
geiftigen (Sott, empfunben bat als ben fets unb als bas giet feines
Cebens, ber nach ilun bürftet unb außer tbtrt nichts begehrt. Unb
»eiter, all bas, roas er Cräbes unb furchtbares an ftch erlebt hat,
alle gerfpaltung mit ftch felbft unb ben ganzen Dienft bes r>er=
gänglidjen U)efens, bas „ftücfmeife Verfallen an bie IPelt" unb
bie mit bem Perluft ber Freiheit unb Kraft bejablte fiigenfucfjt —
bas führte er auf eine JPur3el-3urücf: Sünbe, b. h- UTangel an
(Sottesgemeinfchaft, (Sottlofigfeit. IPieberum aber bas, roas ihn
losgeriffen hat aus ber PerfTcchtung mit ber IPelt, aus ber <£igen«
fucht unb bem inneren Perfall, »as ihm Kraft,»Freiheit unb ein
<£u>igfeitsbetxmßtfein gegeben hat, bas nennt er mit paulus (Snabe.
UTit ihm empfinbet er auch, öaß fie gan3 unb gar (Sottes IPerf
ift, baß er fte aber burch unb an Chrifius gewonnen hat unb als
Sünbennergebung unb (Seift ber Ciebe befißt. Piel unfreier unb
ffrupulöfer jeboch als ber. große Kpoftel achtet er auf bie 5ünbe —
bas giebt feiner religiöfen Sprache unb allem, roas non ihm
ausgegangen ift, eine gans befonbere färbung. „3ch laffe, was
bahinten ift, unb ftrecfe mich nach bem, was uor mir liegt" —
biefc apoftolifche IHarimc ift nicht bie Kuguftin’s. (Setröftetes
Sünbenelenb — biefe färbe behält fein gan3es Chriftentum.
e>unt (Befühl ber herrlichen freiheit ber Kinber (Sottes hat er ftch
nur feiten aufsufchwingen uermocht, unb t»o er es oermochte, t>on
ihr nicht fo 3eugen fönnen wie paulus. Kber bie €mpfinbung bes
getröfteten Sünbenelenbs hat er mit folcher Kräftigfeit bes (Sefühls
unb in fo hinreißenben IPorten ausbrücfen fönnen tr>ie feiner uor
ihm; noch mehr — er hat mit biefer Kusfage bie Seelen r>ott
Millionen fo ficher 5U treffen, ihre innere Perfaffung fo genau 3U
befchreiben unb ben Croft fo einbrucfsuoll, ja übernxiltigenb ror=
3uftellen vermocht, baß feit nun 1500 3 af)ren bas immer »ieber
erlebt wirb, was er erlebt hat. 23 is auf ben heutigen Cag ift
im KathoÜ3ismus bie innere, lebenbige frömmigfeit
unb ihre Kusfprache gan3 »efentlich auguftinifdj. Pon
feinen <£mpftnbungen entsünbet, empfinben fie wie er unb benfen
mit feinen (Bebanfen. Sei uielen proteftanten, unb nicht ben
fchlechteften, ift es nicht anbers. -Piefes (Sefüge non Sünbe unb
(Bnabe, biefes 3 ueinanber non (Befühl unb Cehre fcheint eine
£?arnacf, JPefen b. Ctjriflentums. *
162
unoermüftlid)c Kraft 311 befißen, ber bic <§eit ’ nichts ansuhaben ocr*
mag; biefes fd)mer3lid) s felige (Empfinben bleibt benen unoergeffen,
bic cs einmal erlebt fyaben, unb, menn fie fid) aud) felbft nad)träg*
lid) non ber Heligion eman3ipiert blähen, ift es ihnen eine ^eilige
(Erinnerung*
Dicfen ,/2tuguftin" h a * bie abcnblänbifche Kirche, eben als
fie fid) 3um Eintritt ber £)errfd)aft anfd)icfte, in fid) aufgenommen,
auf nehmen müffen* Sie mar if)m gegenüber gan3 mehr!os;fie
hatte ihm aus ihrer lebten Dergangenhcit fo menig innerlich Wett*
nolles entgegen3ufe^en, baß fie millenlos fapitulierte* • So ift bie
erftaunlicfye „complexio oppositorum“ im abenblänbifd)en Katfyoli*
3ismus entftanben: bie Kirche bes Kitus, bes Ked)ts, ber politif,
ber U)eltherrfd)aft, unb bie Kirche, in meld)er eine l>öd]ft inbi=
oibuelle, sarte, fublimierte Sünben* unb (Snabenempftnbung unb'
’£e£)re in Xüirffamfeit gefeßt mirb* Das Üußerlichfte unb bas
3nnerlid]fte follen fid) oerbinben! (5att3 aufrichtig fonnte bies non
21 nfang an nicht gefd)et)en; bie innere Spannung unb ber U)ibcr=
ftreit mußten fofort beginnen; bie (Scfd)id)te bes abenblänbifchen
Katt)0Ü3ismus ift non ihm erfüllt* 2 lber bis 3U einem gemiffen
(Grabe finb bie (Gegenfäße oereinbar, menigfiens in benfelben
UTenfchen oereinbar* Das be3eugt fein (Geringerer als 21 uguftin
felbft, ber aud) ein entfd)loffener Kirchenmann gemefen ift, ja bas
Knfefyen unb bie UTad)t ber äußeren Kirche famt ihrer gan3cn
2 lusftattung aufs fräftigfte geförbert 1 )at* Wie ihm bas möglich
gemefen ift, bas oermag id) l)ier nicht aus3ufül)ren; baß innere
XDiberfprüd)e babei nicht fehlen fonnten, liegt auf ber f}anb* Wiv
fonftatieren nur nod) bas Doppelte: erftlid), baß bie äußere Kirche
ben innerlichen 21uguftinismus immer mehr 3urücfgebrängt, umge*
-manbelt unb mobif^iert hdt, ohne ihn bod) gan3 austilgen 3'u
formen; jmeifens, baß alle bie großen per fäniid)f eiten, bie in ber
abeitblänbifchen Kirche immer mieber neues £eben ent3Ünbet unb
bie 5römmigfeit gereinigt unb oertieft herben, bireft ober inbireft
oon 21uguftin ausgegangen finb unb fid) an ihm gebilbet haben*
Die lange. Kette fatl)olifd)er Reformer oon 21 gobarb unb (Elaubius
oon {Turin im 9 * 3 af)rhanbert bis 5U ben 3 anfeniften bes \ 7 . unb
\8. 3 ahrh u nberts unb über fie fprtau^Tt auguftinifd)* Unb wenn
bas tribentinifd)e Kon3iI mit Hcd)t in oieler £jinfid)t ein Heform,,
fon3il genannt merben barf, menn bort bie £el)re oon Sünbe,
163
Buße uttb ( 5 ttabe viel , tiefer unb innerlicher formuliert rvorben ift,
als man nad? bem Staube ber fatl?olifchen O?eologie tut ^ uttb
15 * 3ct^^nbert ertvartett burfte, fo verbanft matt bas lebiglid?
bem ^orfrvirfen Kuguftin’s. Die Kirche B?al freilich ihrer tvefent*
lief? nad? Kuguftin entworfenen (Eitabcttlehre feine präzis bes Beid?t*
ftufjls 3ugeorbnet, bie jette Ce^re völlig umvirffant 3U machen broht
2(bcr fo roeit fie if?re (Bremen and? 3ief?t, um alle bie bei fid?
bemalten 31t fönnen, bie fid? nid?t tviber fie auflef?tten, fo bulbet fic bod?
nid?t nur fold?e, tvelchc Sünbe unb ( 5 nabe beurteilen tvie Kuguftin,
fottbertt fie rvünfd?t, baß tvomöglid? jeber ben (Ernft ber Sünbe uttb
bie Seligfeit, (Sott att3ugefyören, fo ftarf etttpfinben möge tvie er*
Dies finb bie tvefentlid?en Hlomente bes römifd?en Katholi*
5ismus. Sehr nie! anberes märe nod? 3U nennen, aber bie Ejaupt*
ftücfc finb bamit beseidtnet
iDir gefeit sur lebten 5?age über: XDeld?e Hlobififatioiten B?at
bas (Evangelium B^ier erlebt, uttb tvas ift non ihm geblieben?
Xlnn — baritber braucht es nicht vieler XDorte — in allem, was
fid? f>ier als äußeres Kird?entunt mit bem Knfprud? auf gött¬
liche Dignität barftellh fehlt jeber gufammenhang mit bem
(Evangelium* (Es B?anbelt fid? nid?t um (Entfettungen, fonbern um
eine totale Derfef?rung* Die Heligion ift B?*^ i n eine frembe Hid?*
tung abgeirrt XDie ber morgen!änbifd?e KatB?oli3ismus in mehr
als einer B?infid?t 3utreffenber in bie gried?ifd?c Heligionsgefd?ichte ein«
geftellt tvirb als in bie (8efd?id?te bes (Evangeliums, fo muß ber
römifd?e in bie <5efd?id?te bes römifd?en XDeltreid?s eingeftellt
tverben* Seine Behauptung, Chriftus fyahz ein Heid? geftiftet, bas
fei bie rötttifd?e Kirche, uttb er habe biefe Kird?e mit bem Sd?u>ert r
ja mit 3tx>ei Sd?tvertern ausgeftattet, / bem geiftlid?en unb bem tvett>
liehen, fäfularifiert bas (Evangelium unb vermag fid? nid?t burd?
ben Eftttveis 3U beden, in ber H1enfd?heit fotte bod? ®eift
CB?rifti h err f^ en » Das (Evangelium fagt: „Cf?rifti Heid? ift nid?t
von biefer XDelt," biefe Kird?e aber bat ein irbifd?es Heid? aufgerid?tet;
Chriftus verlangt, baß feine Diener nid?t h^f^^t fonbern bienen,
biefe priefter aber regieren bie £DeI% Chriftus führt feine 3 iinger
aus ber politifd?en unb ber ceretnoniöfen Heligion heraus unb
ftettt jeben vor bas 21 ngeftd?t (ßottes — ( 5 ott unb bie Seele, bie
Seele unb ihr ( 5 ott —, fykx bagegen rvirb ber HTettfd? mit un3er*
11 *
f
164
reizbaren Ketten an ein irbifches 3 ttftitut gebmtben unb foll ge*
horchen; bann erft mag er ftch (Sott nahen. cEirtfi haben bie
römifchen CB^riften ihr Blut uergoffen, weil fte bem (Edfar bie 2 lm
betung oerweigerten unb bie politifche Beligion r>er[cbmäB^ten; Bleute
beten fte 3war einen irbifcfyen fjerrfcher nicht gerabeju an, aber fte
haben ihre Seelen bem BTachtgebot bes römifchert papftfönigs
unterworfen.
f
SiinfjBljttfB ©nrlßfung.
4
3 )er römifche Kathol^ismus als äußere Kirche, als ein Staat
bes Hechts unb ber (Seroalt, fyat mit bem <£pangelium nichts 311
tB^un, ja roiberfpricht ihm grunbfäglich: barauf B^aben roir am
5 chlug ber Besten DorBefung hwgeroiefen* 'Dag biefer Staat ftcB?
aom (£pangelium B^er einen göttlichen Stimmer borgt, unb bag
biefer Schimmer ihm augerorbentlich nüglid? ift, Bann bas Urteil
nicht umftogen* Die Dermifchung bes (SöttBichen mit bem XDelt*
" liehen, bes Önnerlichften mit bem politifchen ift ber tieffte Schabe,
röeil bie (Seroiffen geBnechtet roerben unb bie Ueligion um ihren
€rnfts gebracht roirb — mug fte ihn nicht perlieren, roenn alle
möglichen KTagregeBn, bie ba3u bienen, bas irbifche Heich ber
Kirche 3U erhalten, als ber göttBiche U)iHe proBBamiert roerben,
3* 3 * bie Souperänetät bes papftes? Uber man roeift barauf hin,
bag eben burch bie feBbftänbige Haltung biefer Kirche bie Heligion
im Ubenblanbe bapor gefdjügt roorben fei, gan3 bem DoIBstum ober
bem Staate unb ber poB^ei 3U perfaBBem Diefe Kirche h<*h fo
fagt man, ben hoBferc (SebanBen ber PoBBen SeBbftänbigBeit ber HeBi*
gion unb ihrer UnabhängigBeit pom Staat aufrecht erhalten* ZHan
Bann bas 3ugeben; aber ber preis, ben bas Ubenblanb für biefen
Dienft h a * 3 a h^ n muffen unb noch immer 3ahlt, ift pieB 3U hoch ♦
ben DöIBern broht ber innerliche 3 anBerott, fo grog ift ber Cribut,
unb ber Kirche — für fte ift bas Kapital, bas fie geroonnen h<*h
in XDahrheit ein freffenbes KapitaB* Cangfam poBl3ieht fich ein
pro3eg ber Derarmung ber Kirche bei aBBem fcheinbaren <§uroachs
an Ulacht, Bangfam aber ftcher* (SefBatten Sie mir h* er einen
Bur3en (Sjdurs*
166
3Dcr bie politifchc £age ins Huge faßt, wie fie eben jefct befteftt,
.Jjat gewiß feinen (grunb, bie abnehmenbe HTacht ber römifcheu
Mircbe 311 fonftatieren. IDelchen guwachs bat fie im 19 - 3 ah»
bunbert erlebt! ' Unb boeb — ein fcharfes Huge gewahrt, baß fte
längft nicht mehr -über [olcb eine Sülle non Kräften gebietet, wie
im, \ 2 . unb 3 3. 3aheh un bert. Damals ftanben alle materiellen
unb geiftigen Kräfte 3U ihrer Verfügung. 3 ntenfir> bat feitbem,
aufgebalten bureb einige. fur3e (Epochen bes Huffchwungs wie
3wifchen unb f '620 unb im 19 - gah^hunbert, ein ungc»
beurer Hücfgang ftattgefunben. Beforgte unb ernfte Katho*
lifen <uerf)eblen ficb bas nicht; fte wiffen unb erflären, baß' ein
wichtiger Seil bes geiftigen Befißes, ber sur Ejerrfchaft ber Kircbe
notwenbig ift, ihr abhanben gefommen fei. Unb weiter — wie
fteht es mit ben romanifchen Hationen, bie hoch bas eigentliche
(gebiet ber fferrfchaft biefer römifeben Kirche bilben? dne wirb
liebe (großmacht ift nur noch eine-emsige non ihnen 3U nennen,
unb wie wirb es nach einem Hlenfchenalter ausfeben? Diefe
Kirche lebt'als Staat heute 3U einem nicht geringen Ceil oon ihrer
(gefehlte, ihrer- altrömifchen unb ihrer mittelalterlichen, unb fte lebt
als bas römifche Heid) ber Homanen; Heicbe aber leben nicht ewig.
H)irb bie Kirche fähig fein, ftch in bem 3ufünftigen Umfehwung
ber Dinge 3U behaupten, wirb fte bie fortfehreitenbe Spannung mit
bem geiftigen £eben ber Dölfcr ertragen, wirb fte ben Hücfgang
ber romanifchen Staaten überbauern?
Doch taffen wir biefe Stagen auf ficb beruhen. Erinnern wir
uns uielmehr, baß biefe Kirche in ihrem Hlönchtum unb ihren
religiöfen Dereinen, r>or allem aber Danf bem Huguftinismus
ein tiefes unb lebenbiges dement in ihrer Hütte hat. gu allen
geiten hat fie Ejeilige erseugt, foweit HIenfchen fo genannt werben
fönnen, unb ruft fte noch jeßt beroor. (gottuertrauen, ungefärbte
Demut, (gewißfjeit ber dlöfung, Eingabe bes £ebens im Dienfte
ber Brüber ift in ihr 3U finben; bas Kreu3 Chrifti nehmen 3 ahl--
reiche Brüber auf ficb unb üben 5ugleicf) ienc Selbftbeurteilung unb
jene Sreube in (gott, wie fie paulus unb Kuguftin gewonnen haben.
Selbftänbiges religiöfes £eben* en^ünbet ficb in ber Imitatio Christi
unb ein Setter, bas mit eigener Sfantme brennt. Das Kirchentum
hat bie Kraft bes dtangeliums nicht 3U unterbrüefen uermodjt;
troß ben furchtbarften £aften, bie auf basfelbe geworfen ftnb, bringt
es immer wicber burch. Hoi; immer wirft es wie ein Sauerteig.
t
167
llrtb mie farm man ocrfennen, baß biefe Kirche bicfyt neben einer
la^en XTToral, beren fie fid] oft genug fchulbig gemacht hat, burch
ihre großen mittelalterlichen Geologen bas ©uangeliunt fruchtbar
auf oiele Perhältniffe bes Cebens angemenbet unb eine chrift
liehe ©thif gefchaffen hat? unb anbersmo 'hat fie bemäh*d,
baß fte eoangelifche ©ebanfen nicht nur fo mit fich führt, mie ein
51uß ©olbförner, fonbern baß fte mit ihr oerbunben ftttb unb fich
in ihr meiter entmidelt haben, Per unfehlbare papft, bet: „gpo*
ftolifch’röntifche polvthcismus" ber fjeiligenuerehrung, blinber ©e*
borfant unb ftumpfe Peootion — fie fcheinen alle 3 nnerlichfeit
erftidt 3U h oben, unb hoch finb auch in biefer Kirche Chriften 31t
finben, mie fie bas ©uangelium ermedt, ernft unb liebeuoll, erfüllt
üon 5^ube unb Rieben in ©ott ©üblich, nicht bas ift ber Schabe,
baß fich bas ©uangelium überhaupt mit politifchen formen r>er*
bunben hat — XHelanchthon mar fein Perräther, als er ben papft
anerfennen mollte, mentt biefer bie reine Perfünbigung bes ©oan*
geliums suließe —, fonbern er liegt in ber Sanftififation bes
politifchen *mb in ber Unfäbigfeit biefer Kirche, bas ab3uftreifen,
mas einft unter befonberen gefd]i etlichen Perhältniffen jmedmäßig
mar, nun aber 3um Hemmnis gemorben ift
IPir fommen 3unt lebten Kbfchnitt unferer ParfteHung:
Wxt djrtflltrffß Religion tm Jhofeßanffemust
IPer auf bie äußere £age bes proteftantismus, natnentlid] in
Peutfcblanb fieht, ber mag beim erften Knblid mohl ausrufen: Kd?
mie fümmerlich! IPer aber bie ©efchidge ©uropas überfchaut uom
2, 3ah r h un bcrt bis 3ur ©egenmart, ber mirb urteilen ntüffen, baß
in biefer gan3en ©efchkbfe bie Heformation bes \ 6 . 3ahrh un berts
bie größte unb fegensreichfte Bemegung gemefen ift; felbft ber lim*
fchmung beim Übergang 3unt 3ah^h un bert tritt hinter fie 3U*
rüd, XPas mollen alle unfre ©ntbedungen unb ©rfinbungeit unb
unfre 5 ortf dritte in ber äußeren Kultur gegenüber ber ©hatfache
befagen, baß heute breißig Millionen Peutfche unb noch t>icl mehr
Millionen r>on ©hriften außerhalb Peutfchlanbs eine Heligion haben
ohne priefter, ohne 0pfer, ohne ©nabenftüde unb Zeremonien —
eine geiftige Heligiott!
Per proteftantismus muß in erfter Cinie aus feinem ©egen*
fa^e 51.1m Katholi3ismus verftanben werben, unb 3war ift er ißer
in boppelter Dichtung 3U würbigen, crftlich als Deformation unb
3weitens als Devolution» Deformation ift er gewefen in Be3ug
auf bie Ejeilslehre, Devolution in 3e3ug auf bie Kirche, ihre Kutori*
tat unb ihren Apparat Dev proteftantismus ift fomit teine fpow
tane, gleichfant bureb eine generatio aequivoca er3eugte (Erfdjeinung,
fonbern er ift, wie fchon fein Dame befagt, burch bie unerträglich
geworbenen DTißftänbe ber fatholifchen Kirche fyewovgevnfen worben
unb ift ber Kbfchluß einer langen Deifye ihm verwanbter, aber
unfräftiger Deformier juche bes BTittelalters» Beweift er bereits
burch biefe gefchichtliche Stellung feine Kontinuität mit ber Der*
gangenheit, fo tritt biefe noch ftärfer in feiner eigenen, nicht un3u*
treffenben Behauptung 3U Eage, er fei in Be3ug auf bie Deligion
fein Deuerer, fonbern h<*be erneuert Kber auf bie Kirche unb
ihre Autorität gefehen, ift er un3weifelhaft revolutionär aufgetreten»
Klfo ift er in beiben Be3ief}ungen 5U würbigen»
\* Deformation, b» h* Erneuerung ift ber proteftantismus
geweferi in Be3ug auf ben Kern ber Sache felbft, in Besug auf
bie Deligion unb barum auf bie ^eilslehre» (Es lägt fich bas
vornehmlich an brei Punften 3eigen»
(Erftlich: Die Deligion ift hier wieber auf fich felbft 3urüd*
geführt worben, fofern bas (Evangelium unb bas ihm entfprechenbe
religiöfe (Erlebnis in ben DTittelpunft gerüeft unb von frember §u*
that befreit worben finb. Kus bem ungeheuren, weitfdßchtigen (Be*
füge, bas man bisher „Deligion" genannt hätte, aus jenem (Befüge,
welches bas (Evangelium unb bas IPeihwaffer, bas allgemeine
Prieftertum unb ben thronenben Pap ft, ben (Erlöfer (Eh^^ftus unb
bic ^eilige Kn na umfaßte, ift bie Deligion heremsgeführt unb auf
ihre wefentlichen ^aftoren rebu3iert worben, auf bas XPort (Bottes
unb ben (Blauben» Kritifch würbe, biefe (Erfenntnis gettenb ge*
macht gegenüber allem, was auch „Deligion" fein unb ftch gleich¬
wertig mit jenen (Brößen verbinben wollte» 3 etliche wirtlich be*
beutenbe Deformation in ber (Befchichte ber Deligionen ift in erfter
£inie ftets fritifche Debuftion; benn im Caufe ihrer gefdßcht*
liehen (Entwicklung 3ieht bie Deligion, inbem fte ftch ben Perhält*
niffen anpaßt, fehr viel 5rembes an ftd?, probu3iert mit ihm 3ufammcn
eine 5 ülle von Zwitterhaftem unb Kpofryphem unb ftellt es not*
gebrungen unter ben Schuß bes ^eiligen» Soll fie nicht üppig
verwilbern ober in ihrem eigenen bürren Caube erfttefen, fo muß
169
fcer Reformator tommen, ber fte reinigt unb fte auf fid) felbft
3urücffüfjrt. Dicfe fritifcfje Rebuftion t)at im \ 6 . 3 abrl)unbert
£utt;er nolljogen, inbem er ftegreid) erflärte: bie d)riftlid)e Religion
ift einjig gegeben in bem JDorte (Bottes unb in bem innern Er-
lebnis, melches biefem IDorte' entfprid)t.
Der 5 m eite punft lag in ber beftimmten 5affung bes „tPortes-
(Bottes" unb bes „Erlebniffes". 3 cnes „töort" mar ibm nicht
bie Kirdjenlehrc, aud) nicht bie -Bibel, fonbern bie üerfünbigung
»on ber freien (ßnabe (Bottes in Ctjriftus, bie ben fdjulbigen unb
uer3meife[nben RTenfdjen fröhlich unb fclig macht, unb bas „(Er¬
lebnis" mar eben bie (ßemißheit biefer (Bnabe. 3 m Sinne Cutters
faßt fid; beibes in einem Saß 3ufammen: Der 3uperfid)tlid)e
(ßlaube, einen gnäbigen (Bott 3U haben. Damit — fo hat
er es erfahren unb fo hat er es geprcbigt — ift ber -innere grnie-
fpalt im RTenfchen gehoben, ber Drucf jeglichen Übels übermun-
ben, bas Schulbgefül)l ausgetilgt unb troß ber Unuollfommenheit
ber eigenen £eiftungen bie (Berni^Ejeit, mit bem heiligen (Bott
untrennbar uerbunben 3U fein, gemonnen:
Run meiß unb glaub’ ich’s .fefte,
3 <h riihm’s aud) ohne Sdjcu,
Daß (Bott, ber fjödjft’ unb Re fte,
RTein 5reunb unb Dater fei,
llnb baß in allen fällen
Er mir jur Rechten fteh’
llnb bämpfe Sturm unb IPcllen
llnb mas mir bringet lt\'h
Ridtts anberes foll geprebigt merben als ber gnäbige (Bott,
mit bem mir burdj-Ehrifius t>erföf)nt finb, unb mieberum nicht
Efftafen unb Difionen gilt es, fein Überfchmang uon (Befühlen ift
nötig, fonbern (ßlaube. foll ermecft merben; er foll Rnfang, RTitte
unb Enbe ber ganzen 5 römmigfeit fein. 3 « ber Korrefponbenj
uon IDort unb (ßlaube mirb bie „Rechtfertigung" erlebt; fte ift
barum bas Jjauptftüd ber reformatorifchen Derfünbigung; fte be-
bcutet nid)ts (Beringeres, als burd) Ehriftus ^rieben unb Freiheit in
(Bott erlangt 3U haben, £)errfd)aft über bie Hielt unb innere
Emigfcit.
Das Dritte enblid) in biefer Erneuerung mar bie mächtige
170
llmbilbung, bie nun ber (gottesbienft erleben mugte, ber bes
Eir^elnen unb ber (gottesbienft ber (gemeinfdjaft. 3 ener — bas
mar offenbar — fann unb barf nichts anberes fein als Bethätigung
bes ( 5 laubens. „(gott mill non uns nichts anberes als ben
(glauben unb mill auch nur burch ben (glauben mit uns fyanbeln":
biefen Sag hat Cutter un3äh%e Riale mieberholt. Pag ber
Rlenfd] (gott (gott fein lägt unb ihm bie EE]re giebt, ihn als ben
Pater an3uerfennen unb an^urufen — nur fo vermag er xfyn 3U
bienen: KHe übrigen XPege, bie er auffucht, um 3U iE>m 3U fom=
men unb ihn 3U ehren, finb 3 rrmege, unb alle anberen Be3iehuitgen,
bie er fnüpfen mül, finb Vergeblich. XPelch eine ungeheure 2TCaffe
ängftlicher, B^offenber unb B^offnungslofer Perfudje mar nun abge*
ti]an, unb meid] eine Ummä^ung im Kultus mar bamit gegeben!
XPas aber von bem (gottesbienft bes Ein3elnen gilt, bas gilt genau
fo von bem gemeinfchaftlichen. Kud? B]ier hat nur bas XPort
(gottes unb bas (gebet einen plag. Klles anbere ift 3U oerbannen:
bie gottesbienftlicge (gemeinbe foll in Pan! unb Cob (gott oerfiin*
bigen, unb fie foll ihn anrufen. Parüber hinaus giebt es über*
haupt feinen „(gottesbienft".
3 n biefen brei Stücfen ift bas, mas in ber Reformation bie
X}auptfache mar, enthalten.. Um (Erneuerung banbeite es ftdj;
benn fie be3eid?nen nicht nur, menrt auch in eigentümlicher XPeife,
eine Rücffehr 3um urfprünglichen C^riftentum, fonbern fie maren
and] im abenblänbifdjen Katholizismus felbft oorhanben, menn auch
oerfchüttet unb oerbeeft.
Beoor mir aber meiter gehen, geftatten Sie mir 3mei fui^e
Ejdurfe. XPir fagten ebert, -bie gottesbienftliche (gemeinbe bürfe
ihren (gottesbienft nicht «anbers feiern als burch Perfünbigurtg bes
XPortes unb burch (gebet. XPir müffen aber nach Rnmeifung ber
Reformatoren noch hi n 3 u fü^en, bag fie auch als Kirche überhaupt
fein, anberes Rlerfntal haben foll als bas, (gemeinfehaft bes (glau*
bens 3U fein, in melcher bas XPort (gottes recht geprebigt mirb —
über bie Saframente bürfen mir h^r fchmeigen, ba and] fie nach
Cuther ihre Bebeutung Iebiglich am XPort haben. Sinb aber XPort
unb (glaube bie einigen Rterfmale, fo fcheinen bie im Rechte 3U
fein, meld]e fagen, bie Reformation habe bie fichtbare Kirche auf*
gehoben unb eine unfichtbare an bie Stelle gefegt. Kliein biefe
Behauptung ift nicht 3utreffenb. Pie Xlnterfcheibung einer ficht*
baren unb einer unfichtbaren Kirche ftammt aus bem Rcittelalter
171
bc$w. fcfyort von Kuguftin. Die, toeld|e bie u>af|re Kirche als „bie
<§ahl ber präbeftinierten" beftnierten, mußten iBjre oollfontrnenc
Hnfid|tbarfeit Behaupten* Kber bie beutfchen Reformatoren haben
fie nid|t fo beftimmt. Wenn fie erflärten, bie Kirche fei eine (5c*
meinfchaft bes ( 5 Iaubens, in ber bas IDort ( 5 ottes red|t oerfmtbigt
unrb, fo haben fte bamit alle grobftnnlichen RTerftnale abgelehnt
unb fo bie ftnnenfällige Sid|tbarfeit allerbings ausgefd|Ioffen; aber
— um einen Dergleid] 3U braud|en — roer roirb eine geiftigc
< 5 emeinfd|aft 3. oon gleich ftrebenben 3 üngern ber tDiffenfdjaft
ober oon Patrioten beshalb für „unfid|tbar" erflären, meil fie
feine äußeren RTerfntalc befißt unb nid|t mit ben Ringern abge3äl|lt
roerben fann? Ebettfotpenig ift bie eoangelifche Kirche eine „un*
fichtbare" ( 5 emeinfd|aft. Sie ift eine ( 5 emeinfd|aft bes ( 5 eiftes, unb
baher ftcllt fich ih re „Sid|tbarfeit" auf oerfchiebenen Stufen unb
mit oerfcbiebener Stärfe bar. Es fann RTomcntc geben, in bencn
fie,r>öllig unerfennbar ift, unb toieberum fo!d|e, in benen fie fo
fräftig in bie Erfcheinung. tritt a>ie eine finnenfällige ( 5 röße. Klier*
bings, fo fd|arf umriffen fann fie niemals auftreten toie ber Staat
oon Denebig'ob^r bas Königreid] 5 ranfreid| — ein großer fatbo*
lifcher Dogmatifer hat' biefe Dergleichung in Be3ug auf feine Kirche
für 3utrcffenb erflärt —; aber gl^ Protestant foll man u>iffen, baß
man nicht einer „unfid|tbaren" Kirche angehört, fonbern einer
geiftigen ( 5 emeinfd|aft, bie über bie Kräfte oerfügt, toelche geiftigen
( 5 emeinfd|aften 3uftehen, einer geiftigen ( 5 enteinfd|aft auf Erben,
bie in bie Emigfeit reicht
Unb nun bas anbere: £>er proteftantismus behauptet, bie
d|riftlid|e (5emeinfd|aft ruhe obfeftio allein auf bem Eoangeliutn,
bas Eoangelium aber fei in ber l\eilxgen Sd|rift enthalten. Don
Knfang an ift ihm entgegnet roorben, roenn bem fo fei unb babei
feine Kutorität anerfannt toerbe, bie über ben 3 nhalt bes Eoan*
geliunts unb feine Ermittelung aus ber h* Schrift 311 entfd|eiben
habe, fo fei eine allgemeine Dertoirrung bie 5olge, oon ber benn
auch bie (5efd|id|te bes proteftantismus ein reichliches Zeugnis
ablege; fyabo jeber bie Befugnis 3U entfcheiben, u>as „ber rechte
Derftanb" bes Eoangeliutns fei, unb fei er in biefer f}inficht an
feine Erabition, fein Kon3il unb feinen papft gebunben, fonbern
übe bas Recht ber freien 5 orfd|ung, fo fönne eine Einheit, eine
< 5 emeinfd]aft, fur3 eine Kirche überhaupt nicht 3uftanbe fomnten;
ber Staat miiffc baher eingreifcn, ober, es muffe irgenb eine toill*
172
fiirliche Ubgrenjung getroffen merbcn. (ßemiß — eine Kirche mit
bent Sanctum Officium ber Onquifttion fann fo nietet in bie (Er*
fd^ciimng treten; ferner, es ift mirflid] unmöglich, B^ier aus ber
Sad>c heraus eine (ßenteinfehaft äußerlid] abjugrenjen. U)as
aber ber Staat ober gefd]id]tlid]e Nötigungen getrau traben, fommt
überhaupt nicht in Netrad]t: bie Nilbungen, bie fo entftanben ftnb,
heilen int er>angelifd)en Sinn nur uneigentlid] auch „Kirchen".
3 )cr proteftantismus — bas ift bie löfung — rechnet
barauf,. baß bas (Evangelium etmas fo (Einfaches,
(Göttliches unb barum wahrhaft NTenf d] liehe s ift, baß
cs am f ich er ft cn erfannt mirb, menn man ihm 5rei**
heit läßt, unb baß es auch in-ben cin5elnen Seelen
mcfcntlid] biefelben (Erfahrungen unb Überjeu*
gungen fchaffen m i r b. Dabei mag er fid] oft genug täufchen,
unb es mag auch nach 3 nbivibualität unb Nilbung recht Derfd]ie*
benartiges entftehen — bisher ift er bod] in biefer feiner Gattung
nicht 3U Schanben gemorben. (Eine mirfliche geiftige (ßemeinfehaft
euangelifcher Chriften, eine gemcinfante Überjeugung in bem U)id]*
tigften unb in ber Knmenbung besfelben auf bas vielgeftaltete
leben ift entftanben unb ift in Kraft. Diefe (ßemeinfehaft umfaßt
bcut|d]e unb außerbeutfehe Proteftanten, lutheraner, Calviniften unb
anbere Denominationen. 3 n ih ncn allen lebt, fofern fie ernfte
vEbriftcn ftnb, etmas (ßemeinfames, unb biefes (ßemeinfante ift
unenblich viel mistiger unb mcrtvoller als alle Derfd]iebenheiten.
(Es erhält uns evangelifd] unb es fd]üßt uns vor bem mobernen
E^eibentum unb vor Hiicffaß in ben Katholisismus. VCiehic aber
bebiirfen mir nicht, ja jebe anbere Reffet meifen mir 3urücf. 3enes
aber ift feine 5 effel, fonbern bie Nebingung unferer Freiheit. Unb
wenn man uns vorhält: „ 3 h r 'feib 3erfpalten; foviel Köpfe, foviel
lehren"’ fo ermibern mir: „So ift’s, aber mir miinfehen nicht,
baß es anbers märe; im (ßegenteil — mir miinfehen noch mehr
Freiheit, noch mehr 3^hiuibualität in Kusfprache unb lehre; bie
gefchid]tlichen Nötigungen ju lanbes* ober freifird]Iid]en Nilbungen
haben uns nur 3uviel Schranfen unb (ßefeße auf erlegt, wenn fie
auch nicht als göttliche 0rbnungen verfiinbigt morben finb; mir miin*
fchen nod] mehr < 3 uverfid]t ju ber inneren Kraft unb 3U ber (Einheit
fdjaffenben Nlacht bes (Evangeliums, bas fid] im freien Kampf ber
(ßcifter fidlerer burchfeßt als unter Nevormunbung; mir mollen ein
geiftiges Neid] fein unb h erben fein Der langen, 3U ben 5 leifd]töpfen
173
Ägyptens 3urücf3uf ehren; mohl miffen mir, baß um ber 0rbuung
unb ber Ziehung millen äußere (ßemeinfchaften entftehen muffen;
•mir mollen fie gerne pflegen, fomeit fie ihre <§mec?e erfüllen unb
ber pflege mert finb; aber unfer I}er3 Rängen mir nicht an fte;
benn fte hefteten Bleute noch, fönnen aber morgen unter anbereu
politifeben ober Rialen Bebingungen neuen (Sebilben plaß machen;
mer eine folche „Kirche" B^at, ber fyabe fie, als Blatte er fie nicht;
unfere Kirche ift nicht bie partifularfirche, in ber mir ftefyen, fon*
bern bie societas fidei, bie ihre (Slieber überall Bjat, auch unter
ben (ßriechen unb Bömern* Das ift bie evangelifche Kntmort
auf ben Dormurf ber „^erfplitterung", unb bas ift bie Sprache ber
Freiheit, bie uns gefchenft ift* — Herren mir nach biefett £y?
furfen ( 3ur Darftellung ber mefentlichen <§üge bes Proteftantismus
3urüdf/
2*- Der proteftantismus ift nicht nur Beformation, fonbcrtt
auch Bevolution gemefen* Becfytlid} betrautet, burfte bas gan3e
Kirchenmefen, gegen bas Cutter ficb auf lernte, vollen (Sehorfant
beanfpruchen* <£s mar fo gut gültige Becfytsorbnung im Kbenb*
Ianb 'mie bie (Sefeße bes Staats* KIs Cutter bie päpftliche Bann¬
bulle oerbrannte, voll3og er un3meifelB)aft einen revolutionären
Kft — revolutionär nicht in bem fcfylimmen Sinn, in meinem es
ficb um bie Auflehnung gegen eine Becfytsorbnung B^anbelt, bie
3ugleich fittliche 0 rbnung ift, mohl aber im Sinne eines gemalt*
famen Bruchs mit einem gegebenen Bechts3uftanbe* (Segen einen
folcfyen manbte fich bie neue Bemegung, unb 3mar erftrecfte [leb ihr
proteft in XDort unb O^at auf folgenbe fjauptpunfte*
<£rftlich, fie proteftierte gegen bas gan3e B|ierarcbifcbe unb
priefterliche Kirchenfyftem, verlangte, baß bas abgefchafft merben
folle, unb fchaffte es ab 3U (Sunften bes allgemeinen prieftertums
unb einer aus ber (Semeinbe ficb herausbilbenben 0 rbnung* IDelcbet^
Cragmcite biefe 5orberung h a *te unb unb mie febr fie in alle bisher
beftebenben Derbältniffe eingriff, bas läßt ficb nicht in menigen
Säßen fagen* Btan brauchte Stunben ba3u, um bas aus3uführen*
Wie ficb bie 0 rbnungen thatfächlich in ben evangelifeben Kirchen
nun geftaltet b^en, bas läßt ficb ebenfalls b^ r nicht barftellen*
£5 ift auch nicht von prin3ipieller Bebeutung; von prin3ipieller
Bebeutung aber ift, baß bas „göttliche" Kirchenrecht abge*
than mürbe*
174
#
Greifens, jj c proteftierte gegen alle formalen, äußeren 21 uto*
ritäten in ber Religion, atfo gegen bie Autorität ber Konsilien,
ber priefter unb ber ganjen' firchlid)en Crabition; nur bas foll
Autorität fein, mas fteff innerlich als foldje barttjut unb befreienb
mirft, alfo bie Sache felbft, bas <£r>angclium. So tjat Cutljer auch
"gegen bie Autorität bes 23 ibelbud)ftabcns proteftiert; aber mir merben
, noch feljen, baß tjier ein punft liegt, an melchem er unb bie üb*
rigen Reformatoren - fid) bod( niefjt gan3 flar gemorben fmb, an
bem fie baljer auch nicht bie Konfequenjen gejogen haben, meld)e
iltre prinjipieüe <ginfid)t uerlangte.
Drittens, fie proteftierte gegen bie ganje überlieferte Kultus«
orbnung, gegen allen Ritualismüs unb jegliches „tjeilige Cljun".
Da fie, mie mir gehört haben, feinen fpcjififctjen Kultus fennt
unb bulbct, feine binglidjen ®pfcr unb Ceiftungen an (Sott, feine
ITTeffe unb feine Werfe, bie für (Sott unb um ber Seligfeit mitten
getljan merben, fo mußte ber gan3e überlieferte (Sottesbienft mit
feinem prunf, feinen gan3 unb Ejalb heiligen Stücfen, feinen (Se*
bärben unb pro 3 effionen fallen. Wie viel man aus äftljeti*
fd^eu unb päbagogifdjcn (Srünben an formen beibeffalteu
fönne, mar bem gegenüber eine gan, fefunbäre 5 rage.
Viertens, fie proteftierte gegen ben Saframentarismus. Hur
bie Caufc unb bas Kbenbmabt ließ fie als (Einrichtungen ber Kr*
fi.rd?e bejm. als Stiftungen bes Eferrn befteben, aber fie möttte fie
geachtet miffen, fei es als Symbole unb christliche (Erfeiinuitgsjcichen,
fei cs als ßanblungen, bie ihren Wert ausfchließlid) an bem Wort
ber Sünbetmergebung haben, bas mit ihnen verbunben ift. 21 Ile
übrigen Saframente fdjaffte fie ab unb mit ihnen bie gan5e Dor*
ftettung, als fei (Sottes (Snabe unb Ejülfe in Stücfen sugänglidj unb fei
in geheimnisvoller Weife t»erfd)mol3en mit beftimmten förperlichen
Dingen. Dem Saframentarismus feßte fie bas Wort entgegen unb
ber Dorftellung, baß bie (Snabe ftücfmeife gegeben merbe, bie
Überzeugung, baß es nur eine (Snabe gebe, nämlich (Sott felbft
haben als ben gnäbigen. Hießt meil er fo aufgeflärt mar, bat
Cuther in feiner Schrift „Don ber babylonifdfen (Sefangenfchgft"
ben gan3en Saframentarismus vermorfen, — er hatte noch genug
21 berglauben in fid), um höd)ft abfchrccfenbc Behauptungen auf*
ftetten 3u fönnen —, fonbern meil er innerlich erfahren hatte, baß
alle „(Snabe" Cäufcherei ift, bie ber Seele nicht ben lebenbigen
175
(Sott fclbft gicbt, Darum bebeutetc ihm biefc gau3e Saframcnts-
lehre ein Zlttentat an bcr ZHajeftät (Sattes unb eine Knechtfd^aft
ber Seelen zugleich*
fünftens, fie protcftierte gegen bie hoppelte Sittlichkeit unb
barnit gegen bie „höhere", gegen bie Behauptung, baß es (Satt
befonbers wohlgefällig fei, bie in bcr Schöpfung gefegten Kräfte
unb (Saben nicht 3U gebrauchen. Die Bcformatoren ballen ein
ftarfes (Sefi*hl bafür, baß bie ZDelt mit ihrer Cuft pergeht; man
barf ftd) Suther wahrlich nicht als ben mobernen ZUcnfchen por-
[teilen, ber mit freubigem (Befühl unb ficher auf ber (Erbe ftanb; er hatte
pielmehr, u>ie bie mittelalterlichen ZHenfchen, eine lebhafte Sehm
fucht barnach, biefe ZDelt los 3U werben unb aus bem „ 3 ammcr-
thal" absufcheiben, Zlber u>eil er bapon iiber3eugt mar, baß man
(Sott nichts bieten forme unb biirfe als Dertrauen, fo kam er in
Be3ug auf bie XDeltftellung bes Chriften 31t gan3 anberen Chefen
als bie ernften ZHönche ber pergangenen 3 ahrhunberte, Da haften
unb Zlskefe (Sott gegenüber ohne XDert finb, ba fie auch ben ZHit-
ntenfehen nichts nüßen, unb ba (Sott ber Schöpfer aller Dinge ift,.
fo ift es am geratenden, an ber Stelle $u bleiben, ba (Sott einen
hingeftellt hat* Don hier aus bat Cuther hoch eine 5 reubigkeit
unb «guperficht 5U ben irbifchen (Drbnungen gewonnen, bie im
Kontraft fteht 511 feiner meltflüchtigen Stimmung ' unb fie wirklich
überwunben hat (Er [teilte ben entfeheibenben Saß auf, baß alle
Stäube — 0 brigfeit, (Eheftanb ufw, bis herab 3U ben Knechten unb
ZHägbcn — gottgewollte unb beshalb wahrhaft geiftliche Stänbe feien,
in benen man (Sott bienen folle: eine treue ZHagb fteht h^>h er als
ein fontentplierenber ZlTönch- ZTicht mit pielen Künften follen bie
dhriflen eigene IDege fuchen, fonbern (Sebulb unb ZZächftenliebe
beweifen innerhalb bes gegebenen Berufs, Don hier aus erwuchs
ibm bie Dorfteilung pon bem felbftänbigen Blecht aller weltlichen
©rbnungen unb (Sebiete: fie finb nicht blos 3U bulben unb em¬
pfangen erft bon ber Kirche eine Zlrt pon Hecht ber d^iften3 —
nein, fie haben ihr eigenes Hecht unb finb bas große (Sebiet, auf
benen ber dhnft feinen (Stauben unb feine Siebe 5U bewähren
hat; ja fie finb felbft bort 3U reflektieren, wo (Sottes ©ffenbarung,
im dpangeliunt noch <jan3 unbekannt geblieben ift.
So h<*l berfelbe ZHann, ber feinem perfönlichen (Empfinben
nach nichts pon ber ZDelt perlangte unb in beffen Seele nur bie
Sorge um bas (Ewige lebte, bie ZHenfchheit pon bem Banne ber
SSä ft-*>»• ««
in Be 3 u g auf We Wdt u i J? f Unbefangenst jurucPgegeben
'Arbeit ViefeZctoto . f? S <Bem K en Bci «Her irWfd,«,
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fyat, 6 a§ fie W ar aflf>^ fr 4,s - ^ ° Crn ^ Un ^ f° ** c f genommen
«*» bVdtZ f oml ^ nngCn ' abCr Wt *>" «“«"
1
Borfefimg.
(£5 ift oftmals, bie 5 rage aufgeworfen worben, ob unb in
weldjem 2 Ttaße bie Heformation ein XDerf bes beutfdjen (ßeiftes
gewefen ifi 3 d? uermag fyer auf biefes fompli^ierte Problem nidjt
einjuge^en; fotnel aber fdjeint mir gewiß, baß 3war £utfyer’s entfeßei*
benbes religiöfes Erlebnis mit feiner Nationalität nidjt 3ufammen=
3uftellen ift, baß aber bie folgen, bie er ifym gegeben Bjat, fomofyl
bie pofitiuen als bie negativen, ben beutfcfyen Zfiann 3eigett —
ben beutfdjen UTann unb bie beutfdje(Sefd}idite* Don bem
Momente an, in welchem ftd? bie Deutfdjen in ber iBjnen über*
lieferten Heligion wirflid? fyeimifdj 3U machen uerfudjten — erft
t>ont 3<*fyrfyunbert an ift bas gefcfyefyen —, Bjaben fie audj bie
Heformation uorbereitet, Unb wie man bas morgenlänbifdje
(Efyriftentum mit Hedjt bas griedjifcfye, bas mittelplterlidj*abenb*
länbifcfye bas römifcfye nennt, fo barf man aud? bas reformatorifdje
als bas germanifc^e be3eid]nen, troß Catpin, benn er ift Cutfyer’s
Scfyüler gewefen, unb er fyat nidjt unter ben Homanen, fonbern
unter ben Cnglänbern, Schotten unb Nieberlänbern am nadjfyal*
tigften gewirft Die Deutfcfyen be3eicfynen burefy bie Heformation
eine Stufe in ber allgemeinen Kirdjengefcfyidjte; pon ben Slaoen
läßt ftdj Üfyaticfyes ntcfyt behaupten.
Die UbfeB^r pon ber UsBefe, bie ben Deutfdfen niemals ein
fo burdjfcfylagenbes 3& ß ät gewefen ift wie ben anberen Dölfern,
unb ber proteft gegen bie Heligion als äußere Autorität ftnb fo*
woy aus bem paulinifcfyen Cpangelium als auefy aus bem beutfcfyen
( 5 eifte 3u erflären* Uudj bie XDärme unb Eje^lidjfeit in ber
prebigt unb ber Freimut in ber polemifdjen Uusfpradje Bjat bie
£?arttaff, Wcfen b. (Etjrifientums. 22
178
beutfcfye Nation an
Seele empfunbem
Cutter tote eine (Erfcfyliejgung ifyrer eigenen
a»tr haben m ber lc|ten Porlcfung bie pauptgebiete berührt
u , Ö£nen CutJ ! er eincn «achbriicflichen unb fortmirfenben proteft
erhoben £?at. Jd} tonnte nodj manches hin 3 ufiigen, fo ben ©Aber*
fprudj, ben er, namentlich am Anfang feiner reformatorifdjen XPirf=
f amfett, gegen bie gan 3 e bogmatifchc ©erminologie, ihre 5 ormeIn
unb £ebrausbrücFe, gerichtet bat. Altes in allem - er bat protc*
ftiert, metl er bie cf?rtftlicbe Religion in ihrer Heinbeit 3 urücffiihren
mollte, ohne prtefter unb ©pfer, ohne äußere Autoritäten unb
©efeße, ohne hedtge Zeremonien, ohne alle bie Ketten, mit benen
bas Jenfetts an bas ©iesfeits gebunben fein follte. Bei biefer
Hemfion ift bie Deformation 3 urücfgegangen, nicht nur hinter bas
elfte Jabrbunbert, auch nicht nur hinter bas eierte ober jmeitc
fonbern bis auf bie Anfänge ber Hetigion felbft. Ja jte bat, ohne
es 3 u ahnen, fogar formen mobifeiert ober befeitigt, bie fdjon im
apoftoltfdjen Zeitalter beftanben haben, fo in ber ©is 3 iplin bas
Saften, in ber Perfaffung bie Pifchöfe unb ©iafonen, in ber £et?re
ben dfyiliasmus in a.
JPtc ftellt fleh nun aber bei biefer Kmbilbung burch Dcfor=
mahon unb Heeolution bie neue Schöpfung als gan 3 e in ihrem
Perhältms junt ©oangelium bar? Alan barf fagen, baß in ben
mer fjauptpunften, bie mir in ber porigen Porlefung herporgehoben
haben, bas ©pangelium mirflidi mieber erreicht ift — in ber 3 nner»
hehfeit unb ©eiftigfeit, in bem ©runbgebanfen pon bem gnäbigen
©ott, m bem ©ottesbienft im (Seift unb in ber Wahrheit, unb in
ber Porftellung oon ber Kirche als ber ©emeinfehaft bes ©laubens.
Braudje idj bas im einzelnen nach 3 utpcifen, ober follen mir uns
m bic.fer ilber 3 eugung irre machen taffen, meil hoch ein ©hnft im
fech 3 ehnten unb neun 3 ehnten Zaphunbert anbers ausfieht als im
erften? ©aß bie Znnerlichfeit unb ber 3 nbioibuaIismus, mefche bie
Deformation entbunben Bjat, ber (Eigenart * bes (Evangeliums ent--
fprechen, ift gemiß. 5 crner, £uther’s Perfünbigung ber Hechtfertü
gung gtebt nicht nur ben ©ebanfen bes paulus, mögen immerhin
Anterfdpebe btftchen, in ber bfauptfadje mieber, fonbefen trip aud}
m bem Ziele genau mit ber prebigt 3 efu 3 ufammen. ©ott als
ben Pater miffen, einen gnäbigen ©ott haben, jtdj feiner Por*
179
felptng unb ©nabe getroffen, bie Dergebung bcr Sünben glauben —
bas ift bort unb liier bas ©ntfchcibcnbc. Unb noch in ber trüben
Seit bcr lutiierifcben ©rtboborie bat ein paul ©erljarbt biefe
euangelifche ©runbüber 3 eugung in feinen Ciebern _ „ 3 ft <ß 0 tt
für mich, fo trete gleich alles miber mich", „Befiehl" bu beine
iüege" u. a. — fo herrlich aus 3 ubriicfen r>ermod]t, baß man er»
fennt, mie fidjer fte ben proteftantismus burdjbrungen hat. Weiter
b a B öer rcc ^ tc ©ottesbienft nichts anberes fein barf, als bie Üncr»
fennung ©ottes im Cob unb im ©ebet, baß aber aud? ber ©ienft
am Uädjften ©ottesbienft ift, ift bireft bem ©oangelium unb ben
ihm cntfpredjenben Knmeifungen bes Paulus entnommen, ©üblich
baff bie mähre Kirche burdj ben heiligen ©eift unb ben ©tauben
oufammengehalten roirb, baß fte eine geiftige ©emeinfehaft non
orüberu unb Schmeftern ift — biefe Überzeugung liegt auf ber
£tme bes ©uangeliums unb ift non paulus mit aller Klarheit aus»
gebrochen morben. Sofern bie Deformation bies aUes mieberher»
geftellt unb auch ©hdftus als ben einzigen ©rlöfer anerfannt hat
barf fte im ftrengften 5 inn bes Worts euangelifch genannt merben'
unb fofern biefe Überzeugungen troß aller Derfümmerungen unb
Belaftungen in ben proteftantifchen Kirchen noch immer bie leitenben
finb, bürfen fic fich mit allem 5 uge als euangelifdje bezeichnen.
7 lber bas, mas hier erreicht morben ift, hat aud; feine Schatten.
Wenn mir fragen, mas uns bie Deformation gefoftet unb in
melchem Diaße fie ihre Prinzipien burdjgcfeßt hat, treten fte uns
oeutlid) entgegen.
Umfonft erhält man nichts iit ber ©efd)id)te, unb eine ge»
maltfame Bewegung muß hoppelt bezahlt werben — was hat uns
bie Deformation gefoftet? 3 d] will nicht bauon reben, baß bie
©inheit bcr abenblänbifdjen Kultur, ba ftd? bie Deformation bod?
nur in einem ©eile Wefteuropa’s burchgefeßt hat, zerftört worben
tft; benn bie DTannigfaltigfeit unb Freiheit ber nun folgenben ©nt«
tmcflung hat uns größeren ©ewinn gebracht. Uber bie Dotwenbig.
fett, bte neuen Kirchen als Staatsfirchen 3 u etablieren, hat
fchmere Nachteile 3 ur .folge gehabt, freilich, bas Kirchenftaatstum
ift fd](immcr,. unb feine Anhänger haben wahrlich feinen ©runb,
es gegenüber ben Staatsfirdjen 3 u rühmen. «Kllein biefe _ fte
tinb nicht nur eine .folge bes Bruchs mit ber fird)lichen ©brigfeit,
fonbern haben fid) bereits im f 5 . 3 ahrhunbert uorbereitet — haben
12 *
180
t>od? Dcrfümnterungen beraufgefütirt Sic liabcn bas (Sefühl ber
Derantwortlidjfeit unb bie Hftiuität ber ecangelifchen <5e=
meinben gefchwädjt urtb baju ben nid't unbegrünbeten 2lrgwobn
gewecft, baß bie Kirche eine Hnftalt bes Staates fei unb fich nach
3 U richten habe. 3 n ben lebten 'U’d'dö'-'bnten ift wo bl manches
gefdjehen, um burcfj größere Selbftänbigfeit ber Kirchen jenem 2lrg*
u>oI;n 3U fteuern, aber weitere 5 ortfchritte in biefer Hidjtung ftnb
notwenbig, namentlich in De3ug auf bie Freiheit ber einjelnen (Se*
meinben. (Sewaltfam foll bas Danb mit bem Staate nietjt burch*
fdjnitten werben; benn bie Kirchen nerbanfen Uftn auch manches
<ßute; aber bie <£ntwicflung, in bie wir getreten ftnb, muß beför*
bert werben. Dabei ift bie HTannigfaltigfeit ber .firchlichen 23 il=
bungen fein Schabe; fie erinnert uielmehr in fräftiger Weife baran,
haß alle biefe formen arbiträr ftnb.
IDeiter, ber proteftantismus hat im (Segenfaß jum Katfjoli-
3ismus bie 3 nnerlichfeit ber Heligion unb bas „sola fide“ aus*
fchließlidf betonen muffen; aber eine £ehre in fdjarfem (Segenfaß
3U einer anberen 3U formulieren, ift immer gefährlich. Der „ge*
meine Wann" Ejörte es nicht ungern, baß „gute Werfe" unnötig,
ja feelengefährlich feien. Cutter ift für bas bequeme Hlißuerftänb*
nis, bas fich baran anfehloß, nicht uerantwortlich; aber uon Anfang
an mußte in ben beutfeßen Heformationsfirchen über fittliche £ar*
fyeit unb mangelnbett < 2 rnft in ber fjeiligung geflagt werben. Das
Wort: „Ciebet ifjr titidj, fo haltet meine (Sebote" trat ungebüfirlidj
Surücf. <2rft ber Pietismus f;at wieber feine jentralc Bebeutung
erfannt. Dis bäfjin war im (Segenfaß 3U ber fatbolifeßen „Werf*
geredjtigfeit" ber penbel ber £ebensfüf;rung bebenflidj auf bie ent*
gegengefeßte Seite fjinübergefdjwenft. 2 tber bie Heligion ift nicht
nur (Seftnnung, fonbern (Sefittnung unb Cf;at, (Slaube, ber in ber
fjeiligung unb in ber £iebc tfyätig ift: bas müffen bie eoangelifdiett
Cfjriften noch uiel fidjerer lernen, um nicht befdjämt 31t werben.
Hodj etwas anberes bängt mit bem eben Husgefprodjenen eng
3ufammen. Die Heformation Ijat bas HTönchtum abgethan unb
abtfjun müffen. HTit Hecht fjat fie es für eine Dermeffenfjeit erflärt,
fid) burd] ein für bas gan3e £eben abgelegtes (Selübbe 3ur Hsfefe
3U uerpflid)ten; mit Hecht Etat fie jeben weltlichen Beruf, gewiffen*
haft uor ben Hugen (Sottes geführt, bem Hlönchsftanbc gleich, ja
überlegen erachtet. Hber es trat nun etwas ein, was £uther fo
nicht oorqusgefeben unb gewollt hat — bas „HTönchtum", wie es
181
eoangelifd] bentbar unb notmenbig ift, t>erf d]wanb überhaupt (Eine
jebe (genteinfehaft aber brauet perfönlid]teiten, btc ausfd]Iießlid]
tf^rern «gweefe leben; fo brandet aud] bie Kirche freiwillige, bie
jeben anberen Beruf fahren laffen, auf bte ^ 2 X>elt" ne^ichten unb
fid] gan3 bent Dienft bes Bächften wibmen, nicht u>eil biefer Beruf
ein „böserer" ift, fonbent weil er notwenbig ift, unb weil aus einer
lebenbigen Kirche aud] biefer Antrieb h cn? orgel]en mu^ Er ift
aber in' ben et>angelifd]en Kirchen gehemmt worben burd] bie beci*
bierte Haltung, bie fie gegen ben Katholizismus einnehmen mußten»
Das ift ein teurer preis, ben mir ge3at]lt haben; bie (Erwägung,
mieuiel fd]Iid]te unb ungefärbte frömmigteit bagegen in ^aus unb
Familie ent3Ünbet worben ift, fann ihm nichts ab3iehen! Kber wir
biirfen uns freuen, baß in unfernt 3 a h r h uri öert ein Knfang ge*
ntad]t worben ift, ben Perluft wieber ein3ubringen. 3 a Öen Dia*
foniffen unb manchen uerwanbten- Erfcheinungen erhalten bie
er>angelifd]en Kirchen bas 3urücf / was fie cinft von fid] geftoßen
haben, weil fie es in feiner bamaligen (geftalt nicht an3uerfennen
r>ertnod]ten» Kber es muß fid] noch aiel reicher unb mannigfaltiger
ausgeftalten!
2» Die Beformation hat nicht nur einen h°h^ u preis 3at)len
tnüffen, fie hat aud] nid]t uermod]t, ihre neuen Ertenntniffe in allen
Konfequen3en 3U überfd]auert unb rein burd]3ufü£]ren. Bidjt bauon
ift bie Bebe, baß fie nicht überall fd]Ied]thin (gültiges unb Blei*
benbes gefdjaffen hat — wie wäre bas möglich, unb wer tonnte
bas münfehen! Bein, ihre Kusgeftaltung ift aud] bort rücfftänbig
geblieben, wo man nad] bem erften, grunblegenben Knfang Roheres
erwarten burfte» Perfd]iebene Urfachen haben hier 3ufammengewirtt»
bjals über Kopf mußten feit bem 3 ahre {526 euangeüfche Canbes*
firchen gegrünbet werben; fie mußten abgefchloffen unb „fertig"
fein, als nod] fo uieles im fluffe war» Da3U tarn, baß bas mi߬
trauen nad] Iinfs, nad] Seite ber „Sd]warmgeifter", fie beftimmte,
Bichtungen, mit benen fie nod] ein gutes Siücf IPegs hätte 3U*
fammengehen tonnen, energifd] 3U betämpfen» Daß Cuther uon
ihnen fd](ed]terbings nid]ts lernen wollte, ja baß er gegen feine
eigenen Ertenntniffe, wenn fie mit benen ber „ Sd]warmgeifter"
3ufammentrafen, argwöbnifd] würbe, hat fid] bitter gerächt unb
würbe ben er>angelifd]en Kirchen in ber Kuftlärungsepod]e heint*
ge3at]It- Blan muß nod] mehr fagen auf bie <gefaf]r l\in, 3U ben
Pcrtleinerern Cuther's gerechnet 3U werben: biefer (genius hatte
182
eine Kräftigfeit bes (Slaubens tote paulus unb burd; fie- eine utt=
geheure RTad)t über bie (Semüter, aber auf ber liebe ber <£rfettnt«
niffe, tnte fie fchon in feiner Seit sugänglid} maren, bat er nicht
geftanben. <£s mar fein nahes Seitalter mehr, fonbern eilt tief
bemegtes unb fortgefchrittenes, in melcbent bie Religion barauf
angemiefen mar, 5übtung mit allen geifligen RTächten 3U nehmen.
3 n biefem Seitaltcr fiel es ifjm 3U, nicht nur Reformator,. fonbern
auch geiftiger 5üf)rer unb £ef;rer fein 3U müffen: .bie R?elt =
anfdjauung unb bas (ßefdjichtsbilb fjat er neu für (Setter a>
tionen entmerfen miiffen; beim es mar feiner ba, ber ilim half,
unb man mollte niemanben börett als ihn. <£r Aber [tat nid;t'
mit allen 1jelten <2rfenntniffen im Runbe geftanben. (gnblidj, er
sollte überall auf bas Rrfprünglidje, auf bas «uangefium felbft
3urüdgel;en, unb fomeit bas burdj 3ntuition unb innere €rfal?rung
möglich war, hat er es geleiftet; ba3u, er hat auch treffliche ae=
fdjidjtliche Stubien gemacht unb ift fkgreich an nieten Stellen burch
bie Schlachtlinie ber überlieferten Dogmen hinburchgebrungen. Kber
eine gefieberte Kenntnis ihrer (Sefchichte mar bamals noch eine
Hnmöglichfeit, unb nodi unerreichbarer mar eine gefchichtlidje <£r*
fenntnis bes Reuen Ceftaments unb bes Rrchriftentums. Rernum
berungsmürbig ift es, mie Cuther tro^bem fo nieles burd)fd)aut unb
richtig gemertet hat. Klan lefe nur feine üorreben 5U ben neu=
teftamentlidjen Rüdjern ober feine Schrift „Don Kirchen unb
Conciliis". Kber 3ahllofe Probleme hat er gar nicht erfaitnt,
gefdjmeige löfen fönnen, unb mar baher unnermögenb, Kent unb
Schale, Urfprüngliches unb ^rernbes -3u unterfcheibcn. f K)ie fattn
man fid) baher munbern, baff bie Reformation als £ehrc unb
(Sefchichtsbetrachtung noch etmas gans Unfertiges gemefen ift,
unb baff, mo fie feine Probleme fafj, Dermirrungcn in ihren eigenen
(Sebanfen entftehen mußten? Rid)t mie patlas Kthene fonntc fie
fertig aus bem fjaupte bes 3upiter entfpringen — als £ebre ner=
mochte fie nur einen Kn fang 3U be3eichnen unb muffte auf 2Deitcr=
führung redmen. Kber inbem fte fich rafch 3U feften £anbesfirchen
formierte, mar fte nahe baran, fid? felbft ihre meitere fintmicflung
für immer ab3ufd)neiben.
' 3 n Rejug auf bie Dermimmgett unb bie Hemmungen, bie fte
fich felbft auf erlegte, muff es genügen, auf einige ffauptpunfte 3U
uermeifen. €r ft lieh, Cuther mollte nur bas <£t>angeliunt gelten
laffen, nur bas, mas mirflich bie (Semiffen befreit unb biitbct, mas
183
cm jeber uerftef;en famt, au* ber Knecht unb bie Ulagb Uber
tann na^tn er to* ni*t nur bie alten Dogmen non ber Crinität
unb ben jmet Naturen in bas ©Dangelium hinein — er mar au*
außer ftanbe, fie gef*i*tli* 3 u prüfen — unb bilbete fogar neue,
fonbern er oermo*tc überhaupt ni*t ft*er 3 mif*en „Cctire" u'nb
€ .T, 9 e r tmm 3U fd,eiöcn ' in öie f em Purifte coeit Ejinter paulu= m-
rudbfe.benb. Die nptmenbige folge mar, baß ber Jntetleftuatismus
tnd)t ubermunben mnrbe, baß ft* aufs neue eine fcfyolaftifcfyc CeBrc
afs betlsnotmenbig bilbete, unb baß mieberum 3 mei Klaffen
unter &<m <Cfjriften entftanben - fot*e, met*e bie Doftrin ocr*
fielen, unb foldje, met*e an bas Derftänbnis jener gebunben unb
oal^er nnmunbtg flnb.
. .f tI>ci s te '_’ 5 ' £ u«)er mar übcr 3 eugt, baß „U)ort ©ottes" nur
„ K>OÖUrd? öer innerli* neu gef*affen mirb — bie
Derfunbtgung ber freien ©nabe ©ottes in ©fciftus. Kuf ben
fjoijcpunttcn feines Gebens mar er frei von jegli*er Kne*tf*aft
bes Budjftabens, unb mie uermo*te er 3 u unterf*eiben 3 mif*en
efeß unb ©oangeltum, 3 mtf*cn KItem unb feuern Ceftament ja
Derm °4? te er * m ^nCeftament felbft 3 u unterf*eiben! '(Er
oüte m*ts anberes als bie £fauptfa*e gelten laffen, bie aus
tiefen Sudlern beroorteu*tct unb *re Kraft an ben Seelen be*
ma^rt Uber er Jat ni*t reinen Cif* gema*t. «Er forberte bo*
faßen, mo tfjm ein Su*|tabc mi*tig gemorben mar, Unter.
ÜTxJ? mder bas: „(Es fte^t gef*rieben"; er forberte fie peretm
Ptortf*, otine ft* 3 u erinnern, baß er felbft anbereit Sprü*en ber
erFtota t r em ^ 3Cfd?debcn " f ür unncrbinblid,
^ ^ Cn S ' ® naöc 5 ünbenoergebung unb barum bie
(Scmiß^eit bes gnäbigen ©ottes, £eben unb Seligfeit: mie oft f,at
baf m « ? 0 t Unb ftets ^gefügt, baß bas W o r t babei
öas U)trffamc tft — ber < 3 ufammenf*fuß ber Seele mit ©ott in
Vertrauen unb ftnbli*er €£>rfur*t, am iüorte ©ottes gemonnen-
um ein pcrfönli*es Uerf,ältnis B,anbelt es ft*. Uber berfelbe’
JUann B,at ft* bie peinti*ftcn Streitigfeiten uerftricFen laffen
über bte ©naben m 1 11 e I, über bas Kbcnbmatjl unb bie Kinber=
hoben » Ka « P C ' "1 eV in (5cfa£ ^ 1 ' fomobl fei„ cn
DOn <5lWÖe • tt ” CÖCr 9Cgen ben fa*ofif*en cin 3 m
tauf*en, als bte grunblegcnbc ©infi*t ein 3 ubüßen, baß es ft* um
c mas rein ©eifttges fianbelt unb baß neben iüort unb ©taube
184
aHes andere gleichgültig ift. Die ffinterlaffenfchaft, die er hier
feiner Kirche 3 urücFgelaffen hat, ift ein ocrbängnisPoEes <£rbc ge«
roorbert!
Diertens, die ©egenfirche, die fich rafch gegenüber der
römifchett und unter ihrem Drucf bilden mufte, erfannte nicht ohne
©rund ihre IDabrbeit und ihr Hecht in der XDiedcraufrichtung des
©pangeliums. 2lber indem fie diefes unter der bfand mit dem
gefamten 3 «halt ihrer Cehre identifaiertc, fchlich fich ebenfaEs unter
der fjand der ©edanfe ein: IDir, d. b. die partifularfirchen, die
nun entftanden mären, find die mafre Kirche. Cuther felbft
hat freilich nie pergeffen fönnen, daß die roabre Kirche die heilige
©emeinde der ©laubigen fei, aber in Unflarbeiten darüber, mic
fich 3 a ihr die fichtbare neue Kirche perhalte, die nun entftanden
mar, geriet er doch, und in der ^olgcjeit bürgerte fich bas fdjlimme
HTigperftändnis immer mehr ein: JDir find die mahre Kirche, meil
mir die rechte „Cehre" haben. Don hier aus ift, neben
den böfen folgen der Selbftuerblendung und 3ntoleran3, auch jene
fchlintnte llnterfcheidung pon Theologen und paftoren einerfeits und
Caien andererfeits, über die mir bereits gefprodjen haben, noch
meiter nerftärft morden. Hid]t in der Dbeorie, mohl aber in der
präzis bildete ftcfj miedet, mie im Katholizismus, ein doppeltes
Cbriftentum aus, und trog der Knftrengungen, die der pietismus
dagegen gemacht hat, ift es bis heute nicht übermunden: der Cbeo=
löge und paftor mu§ die ganje Cehre pertreten, muff o r f h 0 =
doj: fein; für den Caien genügt es, dag er einige ffauptftücfe feft?
hält und die ©rthodofie nicht angreift. Hoch jüngft ift mir erzählt
morden, ein fehr bekannter lllann habe über einen unbequemen
©heologen geäußert, er münfehe, derfelbe möge in die pbüofopbifche
5afultät übergehen, „dann hätten mir ftatt eines ungläubigen ©beo=
logen einen gläubigen philofophen". Das ift gan3 fonfequent ge«
dacht »on dem 5 tandpunft aus, dag die Cehre auch in den eoan«
gelifchen Kirchen etmas ein für aEemal 5 eftgelegtes und trog ihrer
aEgemeinen Derbindlichfeit etmas fo Schmeres ift, dag ihre Der«
tretung den Caien gar nicht 3ugemutet 3U merden braucht. Kber
auf diefem IDege, und menn die andern Dermirrungen fid) auch
noch fteigern oder perfeftigen, droht der proteftantismus 3U einer
fümmerlichen Doublette des Katholi3ismus 5U merden. Kümmerlich
nenne ich fie; denn 3meierlei mird er dod? nicht erreichen tonnen,
nämlich den papft und den Hiöndispriefter. Die unbedingte Kuto«
185
ritcit, toeId)c ber Katboli! an bcnt Papfte befiel, oermag roeber ber
Dibelbudtftabe nod? bas in Symbolen gefaßte Defenntnis 3U fcfyaffen,
nnb bis 3um DTöncfyspriefter farm ber proteftantismus nicfyt meBjr
5urücffd)reitem <£r behält fein Lanbesfircfyentum unb feine oerBjei*
rateten (Seiftlicfyen; beibes nimmt fid? neben bem Katfyol^ismu's nidtf
feB^r ftattlicb aus, roenn bie eoangelifcfyen Kirchen fyier mit ifym
rioaliftefen rooBIem
2 Tteine Herren! Der proteftantismus ift, (Sott fei Danf, nodj
nid?t fo fdjlimm baran, baß bie ItnooBIfommenBjeiten unb Derroir=
rurtgen, in benen er begonnen Bjat, bie 0 berfyanb geroonnen unb
fein cigentlicB]es XDefen gän3lidi üerfümmert ober erftidt Bitten.
2Bud) biejenigen unter uns, toeId}e baoon über3eugt ftnb, ba§
bie Deformation bes 3 äB>rfyunberts etroas Abgefcfyloffenes unb
fertiges ift, tooBIen bod? bie entfdjeibenben (Srunbgebanfen ber
Deformation feinestoegs preisgeben, unb es giebt ein großes
5elb, auf roeBdjem alle ernften eoangelifcfyen Cfyriften einmütig 3m
fammenfteBjen. Aber roenn 3 ^ne es nidrt ein3ufeB>en oermögen, bafj
bie 5 ortfe^ung ber Deformation im Sinne bes reinen Derftanbes
bes XDortes (Sottes eine Lebensfrage für ben proteftantismus ift —
biefe 5 ort|e^ung B]at bereits in ber eoangelifcfyen Union reiche
5 rüd?te getragen —, fo mögen fie roenigftens ber 5 reiB^eit Daum
geben, bie Luther in feinen beften Cagen oertreten Bjat: „Dian Baffe
bie (Seifter aufeinanber plaßen unb treffen; roerben etliche inbes
ocrfiiBrret, moBjIan, fo gefyts nad] rechtem Kriegsbraud}; roo ein
Streit unb Sdilad^t ift, ba müffen etliche fallen unb rounb roerben;
10er aber. reblid) ftd?t, roirb gefrönet roerben/'
Die Katfyolifierung ber eoangelifdjcn Kircfyen — id? meine
nid|t, baß fie päpjilidj, fonbern baß fie (Sefe&es», Lebr* unb <§ere*
monienfird)en roerben — ift besBjalb eine fo brennenbe (Sefafyr,
roeil brei geroaltige DTäd]te mitarbeiten, biefen (SntroicfIungspro3e§
5U beförbern. Da ift erftens bie 3nbifferen3 ber 2 Haffcrt. »
3nbifferen3 fcfyiebt bie ^Deligion auf bie Linie, auf roelcfyer bie
Autorität unb bas bjerfommen, aber audj ber Priefter, bie £jierard)ie
unb ber geremonienfultus jteBjen. Dorthin fdjiebt fie bie Deligion,
um ficb bann über iBjre Äußertidtfeit, iB?re Dücfftänbigfeit unb
über bie „Anmaßungen" ber (Seiftlidjen 311 beflagen; ja fie fann
rooB^B in einem unb bemfelben DToment jene Klagen unter Scfymä*
jungen ergeben unb 3ugleidj oerädjtlidj jebe lebenbige Äußerung
ber Deligion befpötteln unb jeber Zeremonie Bjulbigen. Diefe 3 m
x
186
ftifferertä fyat für coangclifchcs (Efyriftentum gar fein Derftänbnis,
fudjt es inftinftio 3U unterbrüden unb rühmt ihm gegenüber tuohl
ben Katf?oÜ3tsmus* S seitens fommt I^ier in Betracht, was ich
fcie „natürliche Heligion" nennen möchte: bie, treibe non furcht
nnb Hoffnung leben, bie, roelche nor allem nach Autorität in ber
Religion fuchen, bie, toelche bie eigene Derantmortlichfeit los fein
motten unb eine Hüdoerficherung begehren, bie, melchc eine „Bci=
gäbe" 3um Ceben, fei cs in feinen 5eierftunben, fei es in feinen
fchümmften Böten fuchen, eine äfthetifche Derflärung ober eine
afute f}ülfe, bis bie Seit h^f* — fte alle fchieben ebenfalls, ohne
baß fte es tniffen, bie Heligion auf bie fatholifchc Cinie; fte motten
„ctmas Heftes", fte motten ba3U noch feh r i>id anberes, Anregungen
unb hülfen aller Art; aber enangelifches (Ehriftentum motten fie
nicht; biefes aber mirb, wenn es folgen XDünfchen nachgiebt,
fatho!ifd]es Christum. Die britte ZHacht nenne ich ungern,
unb hoch barf fie nicht uerfchmiegen merben — es ift ber Staat.
<£s ift ihm nicht 3U uerbenfen, ba§ er an ber Religion unb ben
Kirchen t>or allem bas Konfernatiue unb bie Bcbenmirfungcn
fchäßt, bie fie in Qinficht auf pietät, (Sehorfam unb ©rbnung
leiftem (Eben beshalb aber übt er einen ©rud in biefer Bichtung
aus, fchüfet alles Stabile in ben Kirchen unb fucht fte non feber
inneren Bemegung ab3uhalten, melche ihre (Einheit unb ihren
„öffentlichen Bußen" in 5 ^ctge ftellen fonnte; ja er h a * oft genug
barnach getrachtet, bie Kirche ber polrjei nahe 3U rüden unb fte
als ATittel für bie Aufrechterhaltung ber Staatsordnung 3U be*
nußen. Alan fann bas entfchulbigen — ber Staat mag ocrfuchen,
ATachtmittcl 3U nehmen, wo er fte finbet; aber bie Kirche barf
(ich nicht 3U einem gefügigen tüerbjeug hergeben; benn neben
allen ben nermüftenben 5 olgen, bie bas für ihren Beruf unb ihr
Anfehen \\ai, mirb fie auch auf biefent Xücge 3U einer äußeren
Anftalt/ in ber bie ©rbnung nichtiger ift als ber (Seift, bie 5 orm
nichtiger als bie Sache, ber (öehorfgm mertootter als bie XDahrheit.
©iefen brei fo uerfchiebenen A 1 äd]ten gegenüber gilt es ben
<£rnft unb bie 5^eiheit bes eoangelifd^en CCf7riftcntums aufrecht 311
erhalten. Die Ökologie allein oermag bas nicht; 5 ^ftigPcit bes
ehriftlichen Choratters ift geforbert. Die coangelifchcn Kirchen
merben rüdmärts gefchobcn, menn fte nicht ftanbhalten. Aus fo
freien Schöpfungen, u>ie bie paulinifchen (Semeinben es mgren, ift
187
einft bie fatB^olifd^e Kirche entftanbcn — mer bürgt bafür, baß nicht
auch bie Kirchen „fatholifch" merben, meldje an bcr „ 5 reiheit eines
(EBjriftenmenfcfyen" ihren Urfprung gehabt traben?
Kber bas Eoangelium mürbe beshalb nicht untergeben: bas
be3eugt bie ( 5 efchichte, Es mürbe als ein roter im 3 nr *ern
bes (5emebes immer noch 3u finben fein, unb es mürbe an i’rgenb
einer Stelle aufs neue heroortreten unb ficb aus ben oerftriefenben
Perfnüpfungen befreien, Kuch in ben äußerlich gefchmücften, inner*
lid? oerfallenen Cempeln ber griedjifchen unb römifchen Kirche ift
es nicht oerlöfcht, „Wage bicb oormärts! unten tief in einem
^oemölbe mirft bu noch ben Elitär unb feine bexlxge, emig brennenbe
£ampe finben!" Diefes Eoangelium h^ ficb mit bex Spefulation
unb ber Kultusmyftif ber (Sriechen oerbunben unb ift in ihnen
boeb nicht untergegangen; es ift mit bem römifchen IPeltreich oer*
einigt morben unb hed ficb fogar in biefer Perfchmeljung erhalten,
ja noch kie Beformation b^norgeben Iaffen! Seine bogmätifchen
Cebren,,. feine Kultusorbnungen flohen gemechfelt, noch nie! mehr
— es ift oon ber reinften (Einfalt unb oon ben tiefften Denfern
ergriffen morben; es ift einem 5ran3isfus unb einem Item ton
teuer gemefen, Es fyat ben XPanbel ber IPeltanfchauungcn über*
bauert; es fyat (ßebanfen unb formen, bie eirtft heilig maren, ab--
geftreift mie ein (8emanb; es h<*t an hem gef amten 5ortfcbritt ber
Kultur teilgenommen; es hed fid) 'oergeiftigt unb im £aufe ber
(Sefchichte feine fittlichen (Brünbfäße fidlerer anjumenben gelernt,
3 n feinem urfprünglichen Ernft unb Croft ift es 3U allen Seiten
Eaufenben aufgegangen unb fyat in ihnen alle Beladungen abge*
morfen unb glle Per3äunungen burchbrochen. Wenn mir ein Hecht
batten 3U fagen, bas Eoangelium fei bie Erfenntnis unb Kn*
erfennung (Sottes als bes Paters, bie (Bemißheit her Erlöfung,
bie Demut unb 5 reube in (Sott, bie Chatfraft unb bie Brubcrliebc,
menn es biefer Heligion mefentlich ift, baß ber Stifter nicht über
feiner Botfdjaft, bie Botfchaft nicht über bem Stifter oergeffen mirb
— fo 3eigt bie ©efchichte, baß bas mirflich in Kraft geblieben ift
unb ficb immer mieber burchringt.
Sie merben vielleicht oermißt heiben, baß ich auf unfere
gegenmärtige Cage, nämlich auf bas Perhältnis bes Eoangeliums
3U unferem gegenmärtigen geiftigen ^uftanb, unferer ganjen IPelt*
erfenntnis unb IPcltaufgabe, nidjt eingegangen bin, Kber um
188
bics mit Erfolg in De3ug auf bie !on!rete Situation 3U thun, baju
bebürfte es mehr Seit, als ein paar flüchtige Stunben; in 23 e 3 ug
auf ben Kern ber Sache aber ift bas nötige gejagt; benn in
ber (Sefcfyicfyte ber djriftlichen Deligion fyahen mir feit
ber Deformation feine neue Stufe erlebt Ungeheure IDanb*
lungen fyat unfere IVelterfenntnis erfahren — jebes 3ah r hunbert
feit ber Deformation bebeutet einen 5ortfd}ritt, ben michtigften bie
beiben lebten —, aber bie Kräfte unb prinjipien ber Deformation
finb, religiös unb ctfyifd? betrachtet, nicht überholt unb abgelöft
morben. XDir braunen fie nur rein 3U erfaffen unb mutig an3u*
menben, fo feßen ihnen bie mobernen (Srfenntniffe feine neuen
Schmierigfeiten entgegen. Die mir fliehen Schmierigf eiten,
melche ber Deligion bes<£r>angeliums entgegen ftehen, finb
immer bie alten. 3h ncn gegenüber vermögen mir nichts 3U „be=
meifen"; benn unfere Demeife finb h^r nur Variationen unfrer
Hber3eugungen. tVohl aber h a t fid) burch ben ( 5 ang, ben bie
(Sefchichte genommen hut, ?in meites (ßebiet aufgethan, auf melchem
fich ber chriftliche Druberfinn noch gan3 anbers bemähren muß,
als er es in ben früheren 3ohrh u nberten erfannt unb vermocht
hat — bas fo3iale. bjier liegt eine gemaltige Aufgabe, unb in
bem UTaße, als mir fie erfüllen, merben mir bie tieffte 5rage, bie
5 rage nach bem Sinn bes Cebens, freubiger beantmorten fönnen.
Kleine Herren! Die Deligion, nämlich bie (Sottes* unb
Dächftenliebe, ift es, bie bem Ceben einen Sinn giebt; bie IViffen*
fchaft oermag bas nicht Daß ich einmal non meiner eigenen
Erfahrung fpreche, als einer, ber fich breißig 3ahre um biefe
Dinge ernßhaft bemüht h a t* ift eine h crr ü c h e Sache um bie
reine XViffenfchaft, unb mehe bem, ber fie gering fdjäßt ober ben
Sinn für bie (Srfenntnis in fich abftumpft! Uber auf bie fragen
nach bem VQotyx, XVohin unb XV03U giebt fie heute fo menig eine
Untmort mie nor 3mei= ober breitaufenb 3<*hrem XVohl belehrt
fie uns über lEhutfächliches, beeft IViberfprüche auf, oerfettet <£r*
fcheinungen unb berichtigt bie Cäufchungen unferer Sinne unb
Vorftellungen. Uber mo unb mie bie Kuroe ber IVelt unb bie
Kuroe unferes eigenen Cebens beginnt — jene Kuroe, oon ber
fie uns nur ein Stücf 3eigt — unb mohin biefe Kuroe führt, bar*
über belehrt uns bie XViffenfchaft nicht XVenn mir aber mit
feftem XVillen bie Kräfte unb XVerte bejahen, bie auf ben flöhen*
189
punften nuferes inneren Sicbens als unfer b öd] ft es (gut, ja als
unfer eigentliches Selbft aufftrahlen, wenn mir ben €rnft unb ben
JTiut Baben, fie als bas IPirflicbe gelten 5U laffen unb nach ihnen
bas £eben einsurichtcn, unb menn mir bann auf ben (gang
ber <5efd)id)te ber ZHenfdiheit blicfen, ihre aufmärts fid) bemegcnbe
<£ntmicflung »erfolgen unb ftrebenb unb bienenb bic (gcmeirtfdjaft
ber (geifter in ihr auffuchen — fo merben mir rticbt in Überbrujj
unb Kleinmut »erfüllen, fonbern mir merben (gottes gemifj merben,
bes (gottes, ben 3 efus (Etjriftus feinen Pater genannt bat, utxb
ber auch unfer Pater ift.
Beftimmung unb Segrengung öer Aufgabe ........ (
I. Das (Evangelium. 6
Äinleitenbes unb ©cfcbicbtlicbec' . . 6
<■ Perfünbigung Jefu naef) ihren ©runbgügen ... 32
Pas Keid; (Boties unb fein Kommen.3^
(Sott ber Pater unb ber uneublidjeWert ber OTenfdjenfeele 10
Pie beffere (SeredjtigFeit unb bas (Sebot ber Siebe . . 45
2. Pie Ibauptbegiebungeu bes «Evangeliums im ßingelnen . 50
Pas (Evangelium unb bie Wett, ober bte .frage ber KsFefe 50
Pas (Evangelium unb bie Krmut, ober bie fogiale frage 56
Pas «Evangelium unb bas Kedjt, ober bte frage naefy
ben irbtfdjett (Drbnungett..
Pas (Evangelium unb bie Arbeit, ober bie frage ber Kultur rq.
Pas «Evangelium unb ber <Sottesfot)n, ober bie frage
ber (Etfrifitologie .. 70>
Pas (Evangelium unb bie £e!]re, ober bie frage nad;
bent SeFenntnis. 92
II. Das ßvangelium in 6er ©efc^te. 96
Pie #rifHi(f»e Religion im apoftotifcfien Seitalter ... 96
2. Pie $riftli$e Keligion in iftrer «Entmitflung gum &atf>oli=
3 ismns. U9
3. Pie $rifllic|>e Keligion im griecbiicl’cn Katpoligismus . (35
4 - Pie 4 >riftli<$e Keligion im römiicfien Katttoligismus . . (53
5. Pie 4 >riftli 4 )e Religion im Protestantismus.(er
.8. MAf 1983
2 2. APR. 1981
18. DEL «89
nmm
1